Unbekannt
· 02.08.2019
Lachlan Morton, Radprofi beim Team EF Education First, fuhr beim Bikepacking-Rennen GBDuro 2.000 Kilometer quer durch Großbritannien. Im Interview spricht der 27-jährige Australier über die Grenzerfahrung
TOUR: Lachlan, erzählen Sie uns doch zunächst: Worum geht’s für Sie beim Radfahren?
LACHLAN MORTON: Für mich ist es die schönste Sache, die ich machen kann – das habe ich im Laufe meines Lebens herausgefunden habe. Ich will einfach viel Zeit mit Radfahren verbringen. Und es ist auch der beste Weg, die Welt zu sehen.
Sie sagen die schönste Sache – aber im Radsport ist doch Schmerz ein ständiger Begleiter...
Ja, klar, das ist Teil des Ganzen. Man muss lernen, mit den Schwierigkeiten umzugehen – durch die Härten lernt man am meisten über sich selbst. Schmerz ist ein großer Teil des Ganzen. Wenn man lernt damit umzugehen, darauf zu reagieren – dann kann man sich drauf freuen.
Sie haben zuletzt das GBDuro gewonnen. Das ist ein Bikepacking-Rennen, das auf der klassischen Strecke von Land’s End nach John O’Groats führt – also von der südwestlichsten Spitze Großbritanniens ganz in den Norden nach Schottland – was haben Sie unterwegs gelernt?
Ich habe vermutlich in den sechs Tagen mehr über mich gelernt als im gesamten Rest meines Lebens zusammen. Das Wichtigste war: Ich habe gelernt, wieviel ich über die Psyche kontrollieren kann – mein Körper folgt definitiv meinem Gehirn. Wenn man sich wirklich darauf konzentriert etwas zu tun, dabei positiv bleibt, dann kontrolliert man die Situation mit dem Kopf – und man kann sehr viel mehr, als vorher möglich schien. Am Ende kommt man raus und ist viel besser als vorher. Ich fühle mich jetzt viel besser gerüstet, um mit Schwierigkeiten umzugehen.
Nehmen Sie uns nochmal mit auf Ihre Reise – fast 112 Stunden Radrennen quer durch Großbritannien. Das sind rund 30 Stunden mehr als die Profis bei der Tour de France gefahren sind. Was waren die schwierigsten Momente unterwegs?
Der schwerste Moment war auf der zweiten Etappe: Die Rennstrecke war unvorstellbar herausfordernd, es gab viele Schiebestrecken, sehr viele, sehr langsam zu fahrende, sehr technische Passagen, wodurch die Distanz so viel größer wurde, als sie auf dem Papier aussah. Es waren noch zehn Kilometer auf dieser Etappe, als ich den vermutlich absoluten Tiefpunkt hatte: Ich heulte für ungefähr zehn Minuten. Ich war einfach nur frustriert. Ich war müde und fühlte mich, als könnte ich’s einfach körperlich nicht mehr schaffen. Ich habe also eine ganze Weile geheult. Ich fühlte mich, als wäre ich völlig leer. Und als ich ganz am Boden war – da fühlte ich ganz plötzlich , dass ich’s schaffen kann. Ich war wieder voller Energie. Ich fing an zu laufen, Rad zu fahren – es war ein sehr schwieriger Moment. Aber ich wollte ja wissen, was passiert, wenn man ganz am Boden ist. Jetzt weiß ich es. (lacht)
Welche Bilder sind Ihnen im Kopf geblieben?
Es bleibt eher die Erfahrung als Ganzes. Angefangen von Erlebnis, durch die ganze Nacht zu fahren, dann diese unglaubliche Strecke – es ist quasi unmöglich einen Moment herauszunehmen. Aber sicher war der letzte Tag durch Schottland besonders: Ich fühlte mich körperlich wunderbar. Mein Körper hatte endlich herausgefunden, was da gerade passiert – ich hatte aus den drei Tagen zuvor viel Erfahrung gewonnen. Ich fühlte mich psychisch wirklich gerüstet, mit der Situation umzugehen. Ich fuhr einfach mutterseelenallein über diese wundervollen Schotterstraßen durch Schottland – ich war so zufrieden wie nie zuvor in meinem Leben. Das ist ein sehr spezielles Gefühl – ich werde so etwas ähnliches bald wieder machen müssen.
Gerade für Sie muss es besonders gewesen sein, so ein Bikepacking-Rennen zu fahren, bei dem keine Unterstützung erlaubt ist. Wenn Sie als Radprofi für Ihr Team EF Education First fahren, müssen Sie im Rennen nur die Hand heben – dann bekommen Sie aus dem Begleitfahrzeug alles gereicht, was Sie brauchen...
Stimmt. Die Situaton war ziemlich neu für mich. Ich versuchte mich vorzubereiten, mir zu überlegen, was ich brauchte, was ich mitbringen musste. Das war ganz schön stressig. Aber es ist ein gutes Gefühl, wenn es losgeht und man weiß: man hat alles, was man unterwegs braucht. Alles ist am Rad! Klar, mir ist schon ein paarmal das Essen oder das Wasser ausgegangen Das ist eine Herausforderung, die ich nicht kannte. Oder draußen schlafen: einfach am Straßenrand anhalten und den Schlafsack ausrollen. Das ist so weit weg von dem, was ich normalerweise bei Straßenrennen als Profi mache! Dort ist doch alles sehr nüchtern und durchdacht. Das macht diese Art Rennen wie das GBDuro so speziell: Man muss sich komplett um sich selbst kümmern. Es ist eine echte Herausforderung – aber es macht es im Nachhinein besonders lohnenswert.
Gab es einen Grund, warum Sie diese Erfahrung ausgerechnet beim GBDuro machen wollten?
Es gab dort die Möglichkeit, richtige Schlafpausen zu machen – das macht es zu einem netten Format. Die Etappen sind unfassbar lang – über 24 Stunden! Ich habe es genossen, auch Ruhepausen gehabt zu haben. Das war ein großes Plus. Und ein Argument war auch die Rennstrecke, die so gut recherchiert und so gut zusammengestellt war – ziemlich einmalig! Und auch die Teilnehmer waren ein wirklich guter Mix: Da waren Jungs auf Fat Bikes dabei und welche mit 35-Millimeter-Reifen – und alles, was es dazwischen gibt. Insgesamt war es ein echt komplettes Radrennen, bei dem man wirklich mit allem klarkommen muss.
Wie lange saßen Sie pro Tag im Sattel?
Am ersten Tag war die Bewegungszeit 28, 29 Stunden. Da waren ein paar Haltezeiten dabei – also noch einmal eine Stunde mehr. Ich versuchte ein bisschen einzugrenzen, wie oft ich anhielt. Der kürzeste Tag war der letzte Tag – da konnte ich Druck machen. Das waren 17 Stunden. Grundsätzlich lief’s meist so: sieben, acht Stunden fahren, anhalten, alles wieder auffüllen und Mittag- oder Abendessen – je nachdem welche Tageszeit gerade war. Und dann habe ich immer noch einen Stopp nach der Nacht gemacht, um ein Frühstück zu kriegen. Nach zwei Etappen habe ich für ein paar Stunden am Straßenrand geschlafen.
Mit Zelt?
Mit einem Biwaksack, einer kleinen aufblasbaren Matratze und einem Schlafsack. In der ersten Nacht habe ich gar nicht geschlafen – auf der ersten Etappe bin ich das ganze Ding durchgefahren. Die ersten zehn bis zwölf Stunden habe ich mich meist gut gefühlt. Dann fing es oft an richtig schwer zu werden, rund um die Elf- bis Zwölf-Stunden-Marke. Da war meist noch nicht einmal die halbe Etappenstrecke geschafft. Dann wurde es körperlich sehr hart, es wurde Kopfsache. Die letzten zwölf bis 13 Stunden – da kämpft man mit sich selbst. Das war der Teil, der am herausforderndsten war. Aber das war auch der wertvollste Erfahrung.
Ganz anders als bei Profi-Rennen...
Völlig anders. Praktisch nicht zu vergleichen.
Wir haben Ein Foto von Ihnen in TOUR 8 / 2019 veröffentlicht – da stehen sie vollbepackt vor einem Kühlregal. In welchem Supermarkt war das?
Nun, ich habe an vielen Supermärkten unterwegs angehalten. Das war einfach einer, bei dem zufällig der Fotograf anwesend war. Ich habe meistens mein Rad draußen gelassen, bin schnell rein, habe alles gekauft, was ich tragen konnte – dann wieder raus, alleine aufs Rad und auf die Straße... Es ist wirklich eine verrückte Erfahrung – weil man so müde ist, so erschöpft! Man kreist viele Stunden nur in seinem eigenen Kopf. Und dann kommt ein Supermarkt oder eine Tankstelle – und dann ist man für ein paar Momente zurück in der realen Welt. Es ist ein bisschen verstörend. Dann muss man plötzlich überlegen: Was brauche ich eigentlich? Worauf habe ich Hunger? Die Abläufe im Kopf sind dann viel langsamer als gewohnt. Die Sinne sind irgendwie vernebelt.
Wie sah Ihre Ernährung während der Fahrt aus?
Zunächst: Ich habe alles gegessen, was ich gekriegt habe. Auch wenn wir im UK (Großbritannien; Anm. d. Red.) unterwegs waren – die Strecken waren oft ziemlich abgelegen. Es waren oft 200 Kilometer zwischen zwei Orten, wo man Essen und Wasser kriegen konnte. Es ging also darum, wahnsinnig energiereiche Nahrung zu bekommen. Ich habe viele Flapjacks (süßer Haferriegel; Anm. d. Red.) gegessen – die hatte ich vorher noch nie gegessen. Ich bin mir dann sehr bewusst geworden, wonach mir war. Der Körper ist ziemlich gut darin, einem zu sagen, was er braucht – wenn man bereit ist, auf ihn zu hören. Manchmal braucht man was Salziges, dann mal was Frisches. Ich habe während jeder Etappe für eine richtige Mahlzeit angehalten: einen Sandwich oder einen Burger und ein Pint Guiness in einem Pub. Und danach habe ich versucht, so schnell wie möglich zu schlafen.
Ein Pint – ein guter halber Liter?
Ja, das war Standard. Es fühlte sich so an, als wäre es das Richtige.
Da stellt sich die Frage: Haben Sie Ihre Ernährung mit der Sportlichen Leitung vorher besprochen?
(lacht) Normalerweise haben wir eine ganze Reihe großartiger Sponsoren, die uns Sportnahrung geben. Aber die Realität war anders – es war alles, was es halt gab. Ich hatte keine Gels, keine Riegel. Und man isst viel! Es ist ein Wahnsinn wieviel! Ich kann mich nicht erinnern, jemals in einer Woche so viel gegessen zu haben. Und ich hoffe, das passiert auch nie wieder. Das Essen wurde eine lästige Pflicht.
Wieviel haben Sie unterwegs geschlafen?
Zwischen den Etappen wurde die Zeit angehalten – man konnte sich so viel Zeit lassen, wie man wollte. Aber ich musste am 1. Juli zurück in Spanien sein, weil ich rechtzeitig einen Flug nach Vietnam kriegen musste. Sonst hätte ich mir unterwegs einen ganzen Tag frei genommen. Während der Etappen habe ich zweimal für rund zwei Stunden geschlafen. Und zwischen den Etappen habe ich acht bis zwölf Stunden geschlafen. Schlafentzug war also kein Thema.
Nach dieser speziellen Erfahrung: Welche Ziele haben Sie im normalen Berufsleben als Radprofi?
Als nächstes fahre ich das Leadville (100-Meilen-MTB-Marathon am 10. August in den USA; Anm. d. Red.) und die Tour of Utah – ich möchte beides gewinnen. Und dann möchte ich es ins Vuelta-Aufgebot unseres Teams schaffen.