Ina-Yoko Teutenberg“Natürlich muss ich auch der Boss sein”

Jens Claussen

 · 07.12.2025

Ina-Yoko Teutenberg: “Natürlich muss ich auch der Boss sein”Foto: Team Lidl Trek
Ina-Yoko Teutenberg ist Sportliche Leiterin beim Frauen-World-Tour-Team Lidl-Trek
Ina-Yoko Teutenberg: Wir sind bei der Tour natürlich angetreten, um endlich einmal eine Etappe zu gewinnen. Das war das erste Ziel, konnte aber erneut leider nicht erfüllt werden. Aber mit Niamh Fisher-Black haben wir uns in der Gesamtwertung gut gezeigt. Sie ist ja noch recht jung und wurde zum ersten Mal in eine Kapitänsrolle gedrückt. Und das direkt nach ihrem Wechsel von SD Worx-Protime zu uns.

Ina-Yoko Teutenberg war in den 1990er- und 2000er-Jahren eine der erfolgreichsten deutschen Profifahrerinnen. Heute lenkt sie als Sportliche Leiterin die Geschicke des Frauen-World-Tour-Teams Lidl-Trek. Im TOUR-Interview spricht sie über die Entwicklung des Frauenradsports, die Herausforderungen von Social Media an junge Rennfahrerinnen – und wie sie als junge Sportlerin versucht hat, besser als ihre Brüder zu sein.

TOUR Die Tour de France Femmes schickt sich an, den Frauenradsport noch deutlicher zu überstrahlen als es die Tour im Männerradsport tut. Wie ist es für Ihr Team Lidl-Trek beim wichtigsten Rennen der Saison gelaufen?

Fisher-Black wurde Fünfte im Gesamtklassement. Sie fuhr auch ein starkes WM-Rennen in Ruanda und wurde Vize-Weltmeisterin. War sie die Wunschkandidatin für die Nachfolge von Elisa Longo Borghini, die das Team zum Ende der vergangenen Saison verlassen hat?

Ina-Yoko Teutenberg: Da bin ich nicht die richtige Ansprechpartnerin, da ich nicht direkt in die Verhandlungen involviert war. Aber Fakt ist, dass wir kaum eine Fahrerin mit Elisa vergleichen können und auch nicht sollten, da diese nahezu in allen Rennen abliefern kann. Die gewinnt Paris-Roubaix und daneben in den beiden vergangenen Jahren den Giro. Diesen Schuh zu füllen, ist kaum möglich. Niamh ist ein anderer Fahrertyp. Aber na klar, wir haben insgeheim mit ihr auch auf das Podium geschielt. Rückblickend haben wir aber mit ihrem fünften Platz das Maximale herausgeholt. Wir wollen mit Niamh in den nächsten Jahren gefestigt in die großen Rundfahrten gehen. Wir wollen sie weiterentwickeln und dann hoffentlich mit ihr auch mal bei einer Grand Tour auf dem Podium enden.

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Sie gehen jetzt ins achte Jahr als Sportliche Leiterin beim Team Lidl-Trek. Eine dreiteilige Doku über das Team zeigt Sie als eine Mischung aus schroffer, gleichzeitig aber auch mütterlicher Vorgesetzter. Wie interpretieren Sie Ihre Rolle?

Ina-Yoko Teutenberg: Natürlich muss ich auf der einen Seite der Boss sein und strikt handeln, besonders, wenn Dinge nicht laufen. Andererseits arbeite ich mit vielen jungen Frauen zusammen, die meine Töchter sein könnten. Die Mischung macht es, das Aufbauen von Vertrauen ist dabei aber elementar. Die Mädels sollen ehrlich wissen, woran sie bei mir sind, und die meisten können mich in meiner Art gut einschätzen. Aber ganz einfach ist es für junge Neuankömmlinge manchmal nicht mit mir.

Ina-Yoko Teutenberg im Gespräch mit Amanda Spratt während der Santos Women's Tour Down Under 2025Foto: Getty ImagesIna-Yoko Teutenberg im Gespräch mit Amanda Spratt während der Santos Women's Tour Down Under 2025

Das war jetzt die emotionale Sicht auf die Dinge. Folgen Sie in Ihrer Arbeit mit den Rennfahrerinnen einem bestimmten Konzept von Führung?

Ina-Yoko Teutenberg: Da folge ich, um ehrlich zu sein, keiner genauen Linie. Ich versuche einfach, ich zu sein, und unterm Strich wollen wir Rennen gewinnen. Das möchte ich den Fahrerinnen vermitteln, gekoppelt mit dem Selbstbewusstsein, dass sie dazu in der Lage sind.

Klingt recht nüchtern. Ihr Vater Horst nannte als Leitbild den Satz „Der Weg ist das Ziel“. Ist das auch Ihr Motto? Hatten Sie das als aktive Rennfahrerin schon verinnerlicht?

Ina-Yoko Teutenberg: Zunächst einmal ist man grundsätzlich am falschen Punkt, wenn man nicht gewinnen will. Dann braucht man auch gar keinen Sport zu treiben. Ich denke, jeder kann ein Radrennen gewinnen, aber man muss wissen, wo man als Fahrerin gerade steht und wie stark man aktuell ist. Wenn man als Profi weiß, wo man sich für den Moment auf seinem Weg befindet, kann man irgendwann auch gewinnen. Man muss nur ehrlich zu sich sein und auch bei Enttäuschungen nicht aufgeben.

Als Profifahrerin im Team T-Mobile sammelte Teutenberg zahlreiche Siege wie hier 2006 bei der Rotterdam-TourFoto: Evert-Jan Daniels/AFP via Getty ImagesAls Profifahrerin im Team T-Mobile sammelte Teutenberg zahlreiche Siege wie hier 2006 bei der Rotterdam-Tour

Sie waren als Profifahrerin vor allem im Sprint erfolgreich und rangieren mit weit mehr als 100 Siegen in UCI-Rennen in der ewigen Bestenliste direkt hinter der noch aktiven Marianne Vos. Was bedeutet Ihnen das?

Ina-Yoko Teutenberg: Ich weiß überhaupt gar nicht, wie viele Siege ich auf meinem Konto habe. Da in diversen Listen nicht alle Siege aufgeführt sind, bedeutet mir eine Aufführung in einer Bestenliste auch nichts. Man kann die Zeiten auch nicht wirklich miteinander vergleichen. Heutzutage haben die Frauen in den ersten zwei Monaten des Jahres fast ausschließlich Eintagesrennen, während wir in dieser Jahreszeit früher viele Etappenrennen gefahren sind. Ich hatte auch immer 60 bis 65 Renntage, auf diese Zahl kommt heute keine Fahrerin mehr. Deshalb sind 25 Saisonsiege einer Lorena Wiebes heute sicherlich beeindruckender als meine 22 oder 23 in einer Saison.

Wären solche Erfolge mit Ihren damaligen Fähigkeiten im heutigen Frauenradsport noch möglich?

Ina-Yoko Teutenberg: Ich denke ja. Da glaube ich doch noch an mich, dass ich mich angepasst hätte! Sprinten kann man ja immer (lacht). Ob ich Lorena Wiebes schlagen könnte, weiß ich zwar nicht, aber ich könnte sicherlich noch ein paar Radrennen gewinnen.

Entwicklung des Frauenradsports

Was hat sich denn in den Jahren seit Ihrem Rücktritt 2013 am meisten verändert, was Sie sich zu Ihrer Zeit eventuell gewünscht hätten?

Ina-Yoko Teutenberg: Das Geld, das jetzt in unserem Sport vorhanden ist. Ich kann mich jetzt zwar nicht wirklich beschweren, da ich während meiner Karriere auch schon gutes Geld verdient habe. In meinen T-Mobile- und Highroad-Zeiten war unserem Teammanager Bob Stapleton sehr daran gelegen, dass wir Mädels finanziell gut dastehen. Ich habe mit 65.000 Euro das erhalten, was unser Team aktuell als Mindestgehalt zahlt. Stapleton hatte gesehen und auch verstanden, wie schwer es damals für uns war.

Und abgesehen vom Geld?

Ina-Yoko Teutenberg: Natürlich sind auch andere Dinge wie Beispielsweise das Medieninteresse enorm gewachsen. Ich hätte mich aber nicht derart mit Sozialen Medien konfrontiert sehen wollen und nicht ständig irgendetwas posten müssen. Das ist jetzt mental für die Fahrerinnen schwieriger; wir sind früher etwas mehr unter dem Radar gefahren. Und auch die Flut an Datenerfassungen und der dadurch zusätzlich entstehende Druck machen es heutzutage, besonders für die jungen Profis, nicht einfacher. Ich bin jedenfalls froh, dass ich als 18-, 19-Jährige nicht unter permanenter Beobachtung stand.

Das heißt, Sie beurteilen die Verwissenschaftlichung des Radsports auch kritisch?

Ina-Yoko Teutenberg: Daten sind sehr gut und wichtig, können aber das Renngefühl nicht ersetzen. Wenn man ein Rennen nicht lesen kann, wenn man sich nicht im Feld zu bewegen weiß, dann bringen auch die besten Daten nichts. Wir können anhand von Daten vor dem Rennen noch so geniale Pläne schmieden. Das machen aber 25 andere Teams auch. Am Ende des Tages ist nicht alles planbar und wir müssen dem Bauchgefühl noch genügend Raum lassen. Aber es wird immer schwieriger, den Fahrerinnen genau das zu vermitteln, da die alle inzwischen nur noch auf Daten fokussiert sind.

Würden Sie heute überhaupt noch Profi sein wollen?

Ina-Yoko Teutenberg: Ich weiß nicht, ob ich noch einen Vertrag bekommen würde (lacht). Wenn ich die Szene heute so betrachte, bin ich mir unsicher, ob ich da überleben würde. Aber man wäre da ja auch irgendwie hineingewachsen. Trotzdem, mein Essen jeden Tag abzuwiegen und nur noch nach Zahlen zu trainieren – das wäre schwierig für mich!

Aus der Radsport-Dynastie Teutenberg stehen aktuell Ihr Neffe Tim Torn und Ihre Nichte Lea Lin im Blickpunkt, die Kinder Ihres Bruders Lars. Beide lernen viel mit- und voneinander. Haben Sie damals als Schwester von Ihren Brüdern Lars und Sven ähnlich profitieren können?

Ina-Yoko Teutenberg: Auf jeden Fall! Ich war ja die kleine Schwester und wollte mit den Jungs nicht nur mithalten, sondern alles besser machen. Da musste ich zu Hause immer schon kämpfen, und das konnte ich gut mit in die Rennen nehmen. Wenn ich bergab nicht mithalten konnte, haben die mich einfach stehenlassen. Dann musste ich alleine nach Hause fahren.

Nach dem Abschied vom aktiven Sport 2013 waren Sie für einige Jahre nicht auf der Radsportbühne sichtbar. Was haben Sie in der Zeit gemacht?

Ina-Yoko Teutenberg: Ich habe zunächst im Animal Adoption Center in Utah in den USA ein langes Praktikum absolviert, da ich gerne mit Tieren arbeite. Danach engagierte ich mich gemeinsam mit einer ehemaligen Teamkollegin zu dem Thema Mental Awareness eine Zeit lang in Kanada. Den Bogen zur Sportlichen Leitung schlug ich dann 2015; ich arbeitete zwei Jahre für den amerikanischen Radsportverband, danach von 2016 bis 2018 schon teilweise für das Team Rally Cycling. Das waren aber alles Tätigkeiten, die auch finanziell nicht so erfüllend waren, dass ich zum damaligen Zeitpunkt meine weitere Zukunft im Radsport gesehen hätte. Dann kam Trek mit der Idee um die Ecke, ein Frauenteam aufzumachen und ist an mich herangetreten.

“Immer dieses Vergleichen”

Der Frauenradsport entwickelt sich in den vergangenen Jahren rasant. Gibt es Bereiche, in denen die Frauen ihre männlichen Kollegen möglicherweise bereits überholt haben?

Ina-Yoko Teutenberg: Schwer zu sagen. Was heißt überholt? Immer dieses Vergleichen, ich nehme das als langweilig wahr. Man muss den Frauenradsport als eigene Welt sehen. Wenn ich höre, die Frauen müssen das wie die Männer machen, finde ich das einfach traurig. Der Frauenfußball ist schließlich auch anders als der Männerfußball. Da ist keiner besser oder schlechter zu bewerten als der andere. Man sollte einfach nur die Unterschiede erkennen und sie hinnehmen. Punkt!

Frauenspezifische Themen wie Menstruation oder zyklusbasiertes Training werden im Leistungssport insgesamt heute viel offener behandelt. Sprechen Sie als weibliche Sportliche Leitung diese Themen in Ihrer Mannschaft aktiv an?

Ina-Yoko Teutenberg: Es ist auf jeden Fall Thema, aber ich bin da etwas außen vor, da die Mädels von ihren Heimtrainern gecoacht werden und ich sie ja meistens nur im Rennen betreue. Wenn eine Fahrerin ihre Periode hat und schlichtweg an einem Tag nicht kann, dann wissen wir das im Betreuerteam natürlich. Aus Sicht der Sportlichen Leitung habe ich damit kein Problem; ich war oft genug selbst in dieser Situation. Man steckt in diesen Tagen oft wie im Nebel. Interessant wären wissenschaftliche Untersuchungen, ob es in diesem Zeitraum vermehrt zu Stürzen kommt; inwiefern ist die Reaktionszeit im Radsport während der Periode beeinflusst? Letztlich reagiert aber auch jede Frau anders; wenn jemand ohne ersichtlichen Grund heulend vor mir steht, dann weiß ich: „Ok, du bist gerade prä-menstrual“. Ich bin froh, dass das kein Tabuthema mehr ist.

Was Frauen und Männer im Team Lidl-Trek gleichermaßen betrifft: Wie beurteilen Sie die Übernahme der Mehrheitsanteile an der Mannschaft durch Lidl und den damit verbundenen Lizenzwechsel nach Deutschland?

Ina-Yoko Teutenberg: Für die Fahrerinnen und mich persönlich wird sich Dadurch nicht viel ändern. Positiv ist, dass jetzt noch mehr Geld vorhanden ist und wir mit diesem Großsponsor im Rücken im Laufe der nächsten Jahre noch solider und auch ruhiger arbeiten können. Das gibt Stabilität, die im Profiradsport ja nicht selbstverständlich ist.

Sie tragen ein Tattoo, auf dem man lesen kann: „Those who lose dreaming are lost”. Welchen Traum wollen Sie auf keinen Fall verlieren? Wo sehen wir Ina-Yoko Teutenberg in zehn Jahren?

Ina-Yoko Teutenberg: Auf meiner Farm in Kalifornien. Da sitze ich dann in der Sonne und trinke morgens Kaffee und abends Bier. Mit ganz vielen Hunden um mich herum.


Ina-Yoko Teutenberg - zur Person

  • Geboren 28.10.1974 in Düsseldorf
  • Wohnort Kalifornien (USA)
  • Größe 1,63 Meter
  • Profi von 2001 bis 2013
  • Sportliche Leiterin seit 2018 (seit 2019 bei Lidl-Trek, ehemals Trek-Segafredo)

Teams

Saturn Cycling (2001-2003), T-Mobile (2005-2007), Team Columbia (2008-2010), Team HTC-Highroad 2011, Team Specialized-Lululemon 2012 und 2013

Wichtigste Erfolge

Junioren-Weltmeisterin Straße 1990, Int. Thüringen-Rundfahrt 1996; 13 Etappensiege beim Giro d’Italia Femminile 2007-2011; Flandern-Rundfahrt 2009, Deutsche Straßenmeisterin 2009 und 2011, Gesamtwertung Tour of Chongming Island 2010 und 2011, Bronze bei der Straßen-WM 2011, Weltmeisterin im Mannschaftszeitfahren 2012; 4. Platz beim olympischen Straßenrennen in London 2012

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