“Ich habe vom Regenbogen-Trikot geträumt”Interview mit U23-Weltmeister Niklas Behrens

Andreas Kublik

 · 01.10.2024

“Ich habe vom Regenbogen-Trikot geträumt”: Interview mit U23-Weltmeister Niklas BehrensFoto: picture alliance / Roth / SCA
Niklas Behrens wurde in Zürich U23-Weltmeister
Er sieht ein bisschen aus wie Mathieu van der Poel und er fährt auch seine Radrennen ähnlich: Der 20-jährige Niklas Behrens aus Bremen, der künftig für Visma | Lease a Bike fährt, überraschte bei der Weltmeisterschaft in Zürich. Der Nachwuchsfahrer gewann Gold in der U23-Klasse. TOUR hat die improvisierte Pressekonferenz nach einem denkwürdigen Titelgewinn aufgezeichnet.

Niklas, herzlichen Glückwunsch zum WM-Titel. Man weiß, dass Sie gut über Hügel kommen. Hier in Zürich mussten Sie über einen Parcours mit 173,6 Kilometern und mehr als 2300 Höhenmetern. Viele meinten, das sei nur etwas für Bergfahrer. Sie sind 1,95 Meter groß und wiegen 80 Kilogramm. Haben Sie sich den WM-Titel auf dieser Strecke selbst zugetraut?

Niklas Behrens: Ich habe tatsächlich schon ein bisschen drüber nachgedacht, als wir Recon (Streckenbesichtigung) gefahren sind, dass das vielleicht was werden könnte - wenn ich es schaffe, mich die Anstiege fünfmal hochzuquälen.



Wie lief es dann im Rennen?

Niklas Behrens: Die dritte (vorletzte) Runde war entscheidend, als wir nur noch 15 Mann an dieser 20-Prozent-Rampe waren. Da habe ich gemerkt: Wenn sie mich hier in der nächsten Runde nicht abstellen, dann komme ich mit zum Zielstrich. Alle waren grau - und ich habe mich am letzten Anstieg festgebissen. Ich war dann nur noch mit Bergfahrern unterwegs.

Zu Beginn der Schlussrunde lag der Schweizer Jan Christen noch allein mit 50 Sekunden Vorsprung an der Spitze...

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Niklas Behrens: Wir mussten zwar noch Jan Christen einholen. Aber der ist dann richtig eingegangen, während wir einen richtigen Zug aufgelegt haben. Als wir ihn vor uns gesehen haben, wusste ich: Ich fahre hier heute um Gold mit. Es ist dann einer nach dem anderen abgefallen. Und am Ende gab es nur noch einen, gegen den ich sprinten musste.

Zwei Wochen vor der WM haben Sie bei der Straßen-EM in Belgien den Titel knapp verpasst. Damals verloren Sie auf einer vergleichsweise flachen Strecke den Zweier-Sprint gegen den Niederländer Huub Artz. Es blieb Silber. Haben Sie aus dieser Niederlage gelernt?

Niklas Behrens: Ja. Bei der Europameisterschaft habe ich mich ein bisschen eingeschissen. Diesmal habe ich den Sprint von hinten losgezogen und habe gewinnen können. Wir (Behrens und sein letzter Begleiter, der Slowake Martin Svrcek; Anm. d. Red.) hatten einen guten Vorsprung. Daher habe ich mir gedacht, ich kann jetzt mal pokern. Hier war es letztlich ein reines Elimination Race (Ausscheidungsfahren). Am Ende hatte ich die besten Beine.

Sie sind nicht im Radsport groß geworden. Sie kommen aus dem Schwimmsport und Triathlon, fahren erst seit wenigen Jahren Radrennen. Wann haben Sie festgestellt, welchen Wert ein Regenbogentrikot hat?

Niklas Behrens: Heute, denke ich. Aber ich kann es wahrscheinlich erst in den nächsten Tagen so richtig begreifen. Davon habe ich geträumt - und jetzt habe ich es erreicht. Das ist schon megageil.

Während des U23-Rennens war die Schweizerin Muriel Furrer ihren Verletzungen aus dem Rennen der Juniorinnen am Vortag erlegen. Die Todesmeldung machte die Runde. Was haben Sie im und nach dem Rennen davon mitgekriegt?

Niklas Behrens: Ich habe natürlich erst gar nichts mitbekommen. Ich war voller Freude über die Ziellinie gefahren und dann habe mich ein bisschen gewundert, warum danach erst alle geklatscht haben und dann plötzlich Stille war. Erst dann haben sie mir das erzählt. Es ist natürlich immer wieder megakrass, wenn sowas passiert - leider viel zu oft noch!

Wie haben Sie die Siegerehrung erlebt - sie war sehr ruhig, es gab keine Fanfaren zu hören, es wurde keine Nationalhymne gespielt.

Niklas Behrens: Ich hatte natürlich gemischte Gefühle. Ich konnte mich ein bisschen freuen über den Titel. Andererseits musste ich natürlich auch an die Eltern, die Familie (der Verunglückten; Anm. d. Red.) denken. Es ist schon krass.

Inwieweit haben Sie den Parcours als fahrtechnisch anspruchsvoll oder gar gefährlich erlebt?

Niklas Behrens: Ich denke, bei Trockenheit ist der Parcours jetzt nicht megakrass. Aber gestern (Tag des Juniorinnenrennens; Anm. d. Red.) hat es natürlich gut geschüttet, und auch heute hat es noch mal richtig angefangen. Das war schon ein bisschen riskant. Gerade auf der langen Abfahrt, die Richtung Ziel runterging, war die Strecke zum Teil schon recht technisch. Ich bin froh, dass bei mir nichts passiert ist. Ich bin auch ein-, zweimal über Gullydeckel gerutscht - es ist aber nichts passiert. Im Juniorenrennen ist der Hauptfavorit Albert Philipsen (Dänemark, musste verletzt aufgeben; Anm. d. Red.) auch in einer Kurve gestürzt. Das hat man natürlich dann im Hinterkopf, wenn man so eine Abfahrt fährt.

In der Szene heißt es, Sie hätten das Zeug dazu, ein starker Rennfahrer für die Frühjahrsklassiker zu werden. Wo sehen Sie Ihr Potenzial?

Niklas Behrens: Ich denke, das ist noch offen. Meine Lernkurve ist recht steil. Da bin ich selbst gespannt, wo es noch hingeht.

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