Sebastian Lindner
· 25.05.2024
Er winkte, er applaudierte, lachte und verneigte sich letztlich auf der Zielgeraden, die er die letzten 200 Meter freihändig bestritt, um seine Zeremonie durchzuziehen. Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) hat am Monte Grappa noch einmal die Muskeln spielen lassen und nach einem 34 Kilometer langen Solo seinen sechsten Tagessieg beim diesjährigen Giro d’Italia eingefahren. Auf dem vorletzten und 184 Kilometer langen Teilstück zwischen Alpago und Bassano del Grappa hielt sich der 25-Jährige aber lange zurück, bevor er in die Offensive ging und - ohne an seine Grenzen gehen zu müssen - nochmal zwei Minuten auf seine Konkurrenten herausfuhr.
Etwas mehr als fünf Kilometer auf dem Weg zur zweiten Gipfelüberquerung der Monte Grappa waren es noch, als der Slowene aus dem Sattel ging und die letzten vier verbliebenen Fahrer an seiner Seite, darunter sein letzter Helfer Rafal Majka, stehen ließ. Es dauerte nicht lange, da hatte er den letzten Ausreißer Giulio Pellizzari (VF Group - Bardiani CSF - Faizane) auch ein- und überholt. Die letzten Kilometer des Anstiegs sowie die Abfahrt bestritt Pogacar ohne größere Anstrengung.
Im Ziel hatte er so nochmal gut zwei Minuten Vorsprung auf die Verfolgergruppe, in der Valentin Paret-Peintre (Decathlon AG2R La Mondiale) vor Daniel Martinez (Bora-Hansgrohe) auf Platz zwei sprintete. Auch Geraint Thomas (Ineos Grenadiers), der seinen 38. Geburtstag feierte, Ben O’Connor (Decathlon AG2R La Mondiale) und Antonio Tiberi (Bahrain-Victorious) kamen zeitgleich an und konnten damit ihre Platz in der Gesamtwertung verteidigen. Zwischenzeitlich waren O’Connor und Thomas abgehängt, doch in der Abfahrt lief alles wieder zusammen.
Martinez, der den Giro damit mutmaßlich als Zweiter beenden wird, hat 9:56 Minuten Rückstand auf Pogacar. Ähnlich groß war der Abstand zwischen dem Ersten und Zweiten zuletzt 2006, als Ivan Basso 9:18 Minuten Vorsprung auf Jose Gutierrez hatte.
Einen Sprung in der Gesamtwertung machte Einer Rubio (Movistar), der durch seine Zielankunft in der ersten Verfolgergruppe noch Romain Bardet (dsm-firmenich PostNL), früh abgehängt wurde, von Platz sieben verdrängte. Gleich zwei Plätze gut machte Jan Hirt (Soudal - Quick Step), der neben Bardet auch Filippo Zana (Jayco-AlULa) überholte. Der Italiener rutschte damit aus den Top 10, die dafür Michael Storer (Tudor Pro Cycling) noch enterte.
Simon Geschke (Cofidis) verteidigte im Gesamtklassement Rang 14 durch eine starke Fahrt auf eben jenen Platz im Tagesergebnis. Es ist die 19. und vermutlich letzte Grand Tour des 38-Jährigen. Bisher konnte er noch keine dreiwöchige Landesrundfahrt in den Top 20 beenden.
Anders als Pogacar, der bei seinen fünf Auftritten in den größten Rundfahrten des Radsports jedes Mal auf dem Podium landete. Beim Giro wird er zum dritten Mal eine gewinnen. “Das war heute ein guter Test für den Sommer”, meinte Pogacar nach seinem Sieg im Interview. “Ich wollte den Giro mit einem guten Gefühl beenden, auch wenn es heute vielleicht gar nicht notwendig war zu gewinnen. Seit dem zweien Tag habe ich das Rosa Trikot”, verdeutlichte er noch einmal seine Dominanz und ergänzte: “Ich werde jetzt ein wenig genießen und mich dann gut vorbereiten. Ich war noch nie in Rom, da freue ich mich drauf.”
Erneut mussten die 142 im Rennen verbliebenen Fahrer bei Regen starten. Doch das machte nicht allen etwas aus. Davide Ballerini (Astana Qazqastan) und Lorenzo Germani (Groupama-FDJ) gingen ziemlich schnell in die Offensive und bekamen von einer am Ende neunköpfigen Verfolgergruppe um Vortagessieger Andrea Vendrame (Decathlon AG2R La Mondiale) und den Zweiten Pelayo Sanchez (Movistar) Verstärkung. Auch Georg Steinhauser (EF Education EasyPost) im Blauen Trikot versuchte sich anfangs in die Spitzengruppe zu fahren, kam damit aber nicht durch.
Nach gut 40 Kilometern lagen die Elf an der Spitze rund vier Minuten vor dem Feld, das von UAE Emirates angeführt wurde. Es blieb der Maximalvorsprung. Kurze Zeit später kam auch die Sonne heraus. Bis zur ersten Auffahrt auf den Monte Grappa bei Kilometer 106 blieb der Vorsprung konstant. Doch bergauf reduzierte sich der Vorsprung dann deutlich.
Genauso wie die Größe der Ausreißergruppe. Bei fünf Kilometern vor dem Gipfel waren Sanchez, Alessandro Tonelli (VF Group - Bardiani CSF - Faizane) und Jimmy Janssens (Alpecin-Deceuninck) bereits allein an der Spitze. Oben sah es ähnlich aus - allerdings war da Tonellis Teamkollege Pellizzari aus dem Feld nach vorne gefahren und sicherte sich oben die 40 Punkte fürs Bergtrikot. Eine Minute dahinter überquerte das nur noch 30 Mann starke Hauptfeld den Gipfel.
Nach der Abfahrt hatten Pellizzari und Sanchez, die beiden übrig geblieben, zweieinhalb Minuten Vorsprung auf die Favoritengruppe. Relativ schnell schüttelte der Italiener aber auch den Spanier ab. Und auch die Favoritengruppe dünnte starkt aus. Bei noch zehn Kilometern am Berg waren bloß noch 14 Fahrer übrig. Während auch Bardet reißen lassen musste, blieb Geschke noch dran.
Sechs Kilometer vor dem Gipfel musste aber auch er reißen lassen, war dabei aber in guter Gesellschaft. Auch O’Connor, Arensman und Thomas konnten nicht mehr folgen, lediglich Tiberi, Martinez und Rubio blieben bei Pogacar, bevor der dann 500 Meter später antrat. Es dauerte keinen Kilometer, bis der Slowene die knappe Minute zu Pellizzarri überbrückt hatte und auch nicht viel länger, bis er den 20 Jahre alten Italiener hinter sich ließ. Am Gipfel hatte er knapp zwei Minuten Vorsprung auf die Gruppe um Martinez.
Bis zur Gegensteigung - 1500 Meter bei durschnittlich zehn Prozent - hatten Thomas und Co. das Loch zu den ersten Pogacar-Verfolgern fast geschlossen. Doch kurz bevor es wieder in die Abfahrt ging, 20 Kilometer waren es noch bis ins Ziel, drückte Martinez nochmal aufs Gaspedal und sorfte doch nochmal für Abstände.
Im längeren Teil der Abfahrt liefen die beiden Gruppen dann aber doch wieder zusammen, auch O’Connor fuhr wieder mit ran. Schiedlich friedlich ging es dann um die letzten Kurven, während Pogacar nach seinem 34-Kilometer-Solo sein Rad bereits in die Höhe stemmte. Den Sprint der Verfolger gewann Paret-Peintre vor Martinez.