Seit Anfang August ist es offiziell: Remco Evenepoel fährt ab der kommenden Saison für Red Bull. Dabei ist Florian Lipowitz in diesem Jahr auf das Tour-Podium gefahren und konnte auf ganzer Linie überzeugen. Die Wechselgespräche mit Evenepoel waren zu diesem Zeitpunkt aber schon in vollem Gange. TOUR hat kurz nach der offiziellen Bekanntmachung des Wechsels nach der Meinung der Leserschaft gefragt - das Bild war eindeutig: Die große Mehrheit war vom Transfer des Belgiers nicht gänzlich überzeugt.
Florian Lipowitz hat in der Saison 2025 seinen Durchbruch auf höchstem Niveau geschafft. Der Deutsche wurde Zweiter bei Paris-Nice, Vierter bei der Baskenland-Rundfahrt und Dritter beim Critérium du Dauphiné. Sein größter Erfolg folgte jedoch bei der Tour de France, wo er sich zu einem der besten Kletterer im Rennen entwickelte, die Nachwuchswertung gewann und den dritten Platz in der Gesamtwertung belegte. Nur die beiden Dominatoren Tadej Pogačar und Jonas Vingegaard waren besser als der Deutsche. Diese Entwicklung dürfte der Rennstall des Deutschen mit einem weinenden und einem lachenden Auge verfolgt haben. Der dritte Platz bei der Frankreich-Rundfahrt war sicherlich ein Grund zum feiern. Jedoch kam der Durchbruch zu einem Zeitpunkt, zu dem man sich bereits auf die Verpflichtung von Evenepoel fokussiert hatte und mit dem Belgier als Gesamtklassement-Fahrer für die Zukunft planen wollte. Die Rangordnung des Teams hatte auch zuvor schon für viel Kritik gesorgt.
Die Frage nach dem Kapitän bei Red Bull - BORA -hansgrohe war spätestens bei der Ankündigung des Transfers neu entbrannt. Bei der Tour de France hatte das Thema aber schon einmal für großen Wirbel gesorgt. Der vom Team ausgeschriebene Teamkapitän Primož Roglič verlor bereits während der 1. Etappe wertvolle Sekunden, fiel im Laufe der Tour weiter zurück. Florian Lipowitz wirkte frischer, stärker als sein slowenischer Teamkollege - und doch musste er Helferdienste leisten. Aus deutscher Sicht wurden schnell Erinnerungen wach... damals musste Jan Ullrich sich seinem Kapitän Bjarne Riis beim Team Telekom unterordnen, gewann später selbst die Tour.
Das Team Red Bull hielt unterdessen weiter an der Rollenverteilung ihrer beiden Topfahrer fest. Nach den ersten Etappen stand Lipowitz zwar vor Teamkapitän Roglič, äußerte sich im Interview aber ganz klar: “Ich würde mich als Edelhelfer bezeichnen. Ich glaube, die Rollenverteilung ist ganz klar”. Immer deutlicher war in den Folgetagen zu sehen, dass Lipowitz der stärkere Fahrer ist, weshalb das Team zur Taktik einer Doppelspitze wechselte. Große Hilfe bekam der Deutsche daraufhin in den Bergen nicht, besonders ein bergfester Helfer fehlte ihm.
Ein Wechsel von Florian Lipowitz könnte für alle Beteiligten Sinn ergeben. Red Bull - BORA - hansgrohe verfügt neben Primož Roglič und Remco Evenepoel über eine Reihe weiterer Topfahrer mit Ambitionen auf das Gesamtklassement einer Rundfahrt. Zu nennen sind hier Giulio Pellizzari, Jai Hindley, Dani Martinez und Aleksandr Vlasov, die allesamt eine Führungsrolle übernehmen könnten. Die Entscheidung, wer bei welchem Rennen die Führungsrolle übernimmt, gestaltet sich bereits jetzt als komplizierte Aufgabe, durch die bei einigen Protagonisten Frust entstehen kann. Mit der Verpflichtung von Remco Evenepoel hat das Team seinen Fokus für die Tour de France klar definiert, was die Chancen für Lipowitz auf eine klare Kapitänsrolle bei der Frankreich-Rundfahrt verringert. Ein Wechsel zu Lidl-Trek könnte ihm hingegen eine eindeutige Führungsposition bei Grand Tours garantieren. Für Red Bull - BORA - hansgrohe würde der Abgang eines Top-Fahrers gleichzeitig die interne Konkurrenzsituation entspannen und mehr Klarheit in der Teamhierarchie schaffen.
Quellen aus dem Umfeld des Fahrers berichten, dass Lipowitz noch bis Ende 2026 an sein derzeitiges Team gebunden ist. Das sollte jedoch kein allzu großes Problem darstellen, da es trotz des laufenden Vertrages zu einer Einigung kommen könnte, die auch für den jetztigen Rennstall des Deutschen von Vorteil wäre.
Also alles perfekt? Nicht ganz. Gäbe es da nicht den Neuzugang Juan Ayuso, der aufgrund des Machtkampfes beim UAE Team Emirates - XRG zur kommenden Saison für Lidl-Trek fahren wird. Juan Ayuso dürfte sich mit dem Transfer von Florian Lipowitz nicht zufrieden geben, zumal er aus dem Machtkampf um die Kapitänsrolle erst gewechselt ist. Der dritte Platz bei der Tour dürfte hier ganz klar für den Deutschen sprechen.
Das Team Lidl - Trek wird ab 2026 unter deutscher Lizenz fahren und könnte mit Lipowitz einen der aktuell besten deutschen Rundfahrer verpflichten. Das Interesse des Rennstalls am Tour-Dritten ist also durchaus nachvollziehbar. Gleichzeitig könnte ein Wechsel des Deutschen bei Red Bull - BORA - hansgrohe für Entspannung im deutschen Team sorgen. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Teams einig werden können. Schon jetzt steht fest: Mit der alleinigen Kapitänsrolle könnte Lipowitz 2026 bei der Frankreich-Rundfahrt einen neuen Angriff auf den Gesamtsieg wagen.