“Organisierte Kriminalität”Räder-Diebstahl hält Profi-Szene in Atem

TOUR Redaktion

 · 01.09.2025

“Organisierte Kriminalität”: Räder-Diebstahl hält Profi-Szene in AtemFoto: picture alliance/dpa/Belga / Jasper Jacobs
Patrick Lefevere (2. v.r.) schaltet sich in die Diskussion um die jüngsten Räder-Diebstähle im Profi-Radsport ein
Beim Team Visma-Lease a Bike wurden während der Vuelta a España 18 hochwertige Cervélo-Rennräder im geschätzten Wert von 250.000 Euro entwendet. Dieser Diebstahl ist Teil einer Serie von Vorfällen bei Profi-Rennen. In der Profi-Szene wird darüber ausgiebig diskutiert. Ein Teammanager fordert strengere Sicherheitsvorkehrungen und nun hat sich auch Ex-Quick-Step-Boss Patrick Lefevere geäußert.

Die Vuelta a España 2025 wird nicht nur wegen der sportlichen Leistungen in Erinnerung bleiben, sondern auch wegen eines schwerwiegenden Vorfalls abseits der Strecke. In der Nacht zum 25. August wurden dem Team Visma | Lease a Bike 18 hochwertige Cervélo-Rennräder aus dem Teamtruck gestohlen. Die italienische Polizei bestätigte, dass sich Diebe mit einer Spitzhacke gewaltsam Zugang zum Fahrzeug verschafften. Der Gesamtwert der entwendeten Räder wird auf rund 250.000 Euro geschätzt. Einige der gestohlenen Fahrräder wurden später in nahegelegenen Büschen gefunden, wie Richard Plugge, Teamchef von Visma | Lease a Bike, mitteilte. Warum die Diebe einen Teil der Beute zurückließen, ist unklar. Die meisten Räder bleiben jedoch verschwunden, wie das niederländische Nachrichtenportal NOS berichtet.

Der Vorfall löste eine Welle der Solidarität unter den Teams aus. Lidl - Trek und Movistar boten sofort ihre Hilfe an, um sicherzustellen, dass Visma | Lease a Bike für die dritte Etappe einsatzbereit war. "Wir haben den massiven Schaden gesehen, den die Diebe verursacht hatten, und sofort angeboten zu helfen", erklärte Luca Guercilena, Teamchef von Lidl - Trek, gegenüber IDLProCycling.com. "Ob es um Räder, Komponenten, Helme oder Mechaniker ging – alles, was nötig war, um für die dritte Etappe bereit zu sein." Guercilena half zudem bei der Übersetzung für die Polizei, um den Prozess zu beschleunigen. Es war nicht der einzige Vorfall in den letzten Tagen. Bei der Tour Poitou - Charentes en Nouvelle Aquitaine wurden dem Pro Team TotalEnergies 20 Fahrräder geklaut.

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Lidl-Trek-Teamchef äußert Verdacht auf organisierte Kriminalität

Für die Teamverantwortlichen ist klar: Bei den zunehmenden Diebstählen handelt es sich um organisierte Kriminalität. "Wir haben es hier mit organisierter Kriminalität zu tun, es geht nicht um Leute, die einfach herumschnüffeln", betonte Guercilena. Der Lidl-Trek-Manager sieht die Teams an einem Punkt angelangt, an dem sie professionelle Sicherheitskräfte für die Nachtwachen engagieren müssen. "Da inzwischen so viele Teams in denselben Hotels untergebracht sind, kann der Schaden enorm sein, besonders weil die Ausrüstung immer wertvoller wird."

​Ich glaube, wir kommen an einen Punkt, an dem wir nachts Sicherheitsleute einstellen werden müssen - Luca Guercilena

Die Platzierung der Fahrzeuge spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle. Guercilena erklärte, dass Visma-Lease a Bike Pech mit der Parksituation am Hotel hatte: "Wir konnten die Hintertüren unserer Trucks mit einem Auto blockieren, aber das war dort, wo der Visma-Truck parkte, nicht möglich. Ich bin sicher, sie hätten dasselbe getan, wenn es die Anordnung erlaubt hätte. Vielleicht wäre es dann anders ausgegangen."

Patrick Lefevere äußert sich

​Patrick Lefevere, Ex-Chef des Teams Soudal Quick-Step, teilt diese Einschätzung und äußerte sich in seiner wöchentlichen Kolumne für Het Nieuwsblad deutlich: "Es gibt keinen Zweifel: Das ist organisierte Kriminalität, mit Diebstählen auf Bestellung." Lefevere verwies auf die jüngsten Vorfälle bei TotalEnergies und Visma | Lease a Bike und unterstrich den erheblichen Wert der gestohlenen Ausrüstung. "Richard Plugge erwähnte einen Wert von 250.000 Euro, und das ist wahrscheinlich keine Übertreibung. Ein vollständig montiertes Rad eines Profiradsportlers kann heutzutage auf etwa 14.000 Euro geschätzt werden", erklärte Lefevere.

Beim Team Visma | Lease a Bike wurden während der Vuelta Cervélo-Rennräder geklautFoto: picture alliance / NurPhoto / GongoraBeim Team Visma | Lease a Bike wurden während der Vuelta Cervélo-Rennräder geklaut

Sollten Mechaniker in den Trucks übernachten?

Die Idee, dass Mechaniker in den Trucks übernachten könnten, wird von den Teams kritisch gesehen. Christian Knees, Sportdirektor bei INEOS Grenadiers, warnte: "Man könnte Mechaniker in den Trucks schlafen lassen, aber das birgt ernsthafte Risiken. Im Moment geht es nur um gestohlene Räder, aber man weiß nie, was passieren könnte, wenn jemand drinnen ist." Stattdessen setzen einige Teams bereits auf Sicherheitsdienste und bestmögliche Sicherung der Fahrzeuge.

Richard Plugge kritisierte, dass die Investitionen in Sicherheitsmaßnahmen in den letzten Jahren zurückgegangen seien. "Als ich bei der AIGCP (Vereinigung der Profi-Radsportteams) war, haben wir die Organisatoren der Grand Tours immer um Sicherheit, spezielle Sicherheit rund um die Hotels gebeten. Aber anscheinend ist das nicht mehr der Fall", sagte er. Das Hotel habe zwar eigene Sicherheitskräfte engagiert, doch Plugge appelliert an alle Teams: "Seid sehr vorsichtig, denn offenbar organisieren die Veranstalter das nicht selbst. Also müssen wir jetzt selbst etwas unternehmen."

​Lefevere beschrieb detailliert die akribischen Sicherheitsmaßnahmen, die sein Team ergreift, um das Risiko von Diebstählen zu minimieren: "Wir parken den Truck mit den Fahrrädern nahe an einer Wand, damit die Heckklappe nicht heruntergelassen werden kann. Oder wir parken ein anderes Fahrzeug davor, aus demselben Grund. Wenn die Heckklappe nachts doch geöffnet wird, ertönt sofort ein Alarm im Zimmer der Mechaniker." Diese Maßnahmen seien inzwischen unerlässlich geworden, da die Diebe genau wüssten, wonach sie suchen und über Kanäle verfügten, um die gestohlenen Räder zu verkaufen – "oft im ehemaligen Ostblock", wie Lefevere anmerkte.

Anstieg der Fahrraddiebstähle im Profi-Radsport

Der Vorfall bei der Vuelta reiht sich in eine beunruhigende Serie von Diebstählen ein, die den Profiradsport in den letzten Jahren heimgesucht haben. Bei der Tour de France 2025 verlor Cofidis elf Look 795 Blade RS-Räder im Wert von rund 125.000 Euro, darunter das speziell gestaltete Rad für das Bergtrikot von Benjamin Thomas. Auch TotalEnergies beklagte bereits bei der Tour de France 2024 den Verlust von elf Rädern während des Rennens, darunter das Etappensieger-Rad von Anthony Turgis.

Besonders hart traf es das Team Lifeplus Wahoo bei der Tour of Britain 2024, als alle 14 Räder in Wrexham gestohlen wurden. Mitgründer Bob Varney beschrieb den Vorfall als "absoluten Schlag für unser Team, das bereits mit einem knappen Budget arbeitet". Nur durch die Unterstützung anderer Teams konnte Lifeplus Wahoo weiter am Rennen teilnehmen.

​Lefevere erinnerte sich auch an einen früheren Diebstahl, den sein Team Quick-Step während eines Rennens in der Toskana erlebte. Überwachungsaufnahmen offenbarten damals die Professionalität der Operation: "Eine Bande fuhr mit ihrem Lieferwagen durch einen Weinberg bis zum Hotelzaun, schnitt den Draht durch und brach in unseren Transporter ein. Es war unglaublich, wie schnell unserer leer und ihrer voll war." Als Reaktion auf solche Vorfälle wurde der Service Course (Hauptsitz des Teams; Anm. d. Red) von Soudal Quick-Step, laut Lefevere inzwischen wie "Fort Knox" gesichert: "Alles ist mit Gittern gesichert, sogar die Oberlichter auf dem Dach. Wenn jemand auch nur daran denken würde, so etwas zu tun – fang gar nicht erst damit an."

Weitere Vorfälle der jüngeren Vergangenheit umfassen Diebstahlversuche bei den Merida-Rädern von Bahrain - Victorious am Vorabend von Mailand-San Remo, den Diebstahl von 22 Rädern des italienischen Bahnrad-Nationalteams bei der Weltmeisterschaft 2021 in Roubaix, den Verlust von Ausrüstung im Wert von 30.000 Pfund bei Saint Piran in den Niederlanden sowie Diebstähle bei Euskaltel-Euskadi und Baloise Trek Lions.

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