TOUR: Sie hatten eine sehr erfolgreiche WM und konnten mit Bronze in der U23-Wertung des Frauenrennens den Medaillensatz komplett machen – nach Gold im U23-Zeitfahren und Silber mit der Mixed-Staffel. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Antonia Niedermaier: Im Großen und Ganzen war es für mich eine erfolgreiche WM. Ich bin zufrieden mit meinen Ergebnissen. Das Straßenrennen war extrem anspruchsvoll. Es war superkalt die ganze Zeit. Das ist kein Wetter, das ich gerne habe. Unter den Umständen, die hier mental und körperlich zusammenkamen, haben wir zum Abschluss ein gutes Ergebnis eingefahren. Es war heute wichtiger, ohne Sturz heil ins Ziel zu kommen.
TOUR: Sie deuten die mentale Belastung an durch den Tod der jungen Rennfahrerin aus der Schweiz ...
Antonia Niedermaier: Es war schwierig, das aus dem Kopf zu kriegen, wenn man auf der gleichen Strecke unterwegs ist, auf der jemand verunglückt ist. Man hat im Rennen gemerkt, dass die Mädels alle vorsichtig gefahren sind.
TOUR: Sie konnten Ihren Titel als U23-Weltmeisterin im Einzelzeitfahren verteidigen und haben eine Medaille in der Elite-Klasse nur knapp verpasst. Überwiegt die Freude über das Erreichte oder die Enttäuschung über das knapp Verpasste?
Antonia Niedermaier: Im Einzelzeitfahren wollte ich das Weltmeister-Trikot unbedingt verteidigen – das ist mir gut gelungen. Aber ich habe nicht erwartet, dass ich bei der Elite so gut fahre. Natürlich ist ein Tropfen Wehmut dabei, dass ich das Podium verpasst habe. Aber ich war super zufrieden mit meiner Performance. Ich hätte im Ziel keinen Meter mehr fahren können. Ich bin superglücklich, dass ich den Titel bei der U23 verteidigen konnte.
TOUR: Und dann das Herzschlagfinale um den WM-Titel in der Mixed-Staffel …
Antonia Niedermaier: 0,8 Sekunden, das ist natürlich mega knapp und ärgerlich, aber ich denke, wir haben als Team alles rausgeholt. Leider haben wir Franzi (Franziska Koch, Anm. d. Red.) relativ schnell verloren, dafür hat sie den Anfang wirklich flott und zügig gemacht. Es war der Plan, dass sie länger mitfährt. Und Lilly (Liane Lippert) hatte leider ein bisschen Probleme mit dem Magen. Deswegen bin ich die meiste Zeit vorne gefahren, was natürlich Kraft und Zeit kostet. Wenn alles ein wenig reibungsloser gelaufen wäre, hätten wir die 0,8 Sekunden rausholen können.
TOUR: Jetzt haben Sie das Regenbogentrikot der Weltmeisterin, das Sie im Rennen nie tragen können, weil es keine Zeitfahren für die U23 bei den Frauen gibt. Was machen Sie mit dem Trikot?
Antonia Niedermaier: Es ist schade, dass man es bei Rennen nicht tragen kann. Ich würde mir wünschen, dass es mehr Zeitfahren während der Saison gibt.
TOUR: Wie werden Sie es handhaben?
Antonia Niedermaier: Ich bin Weltmeisterin im Zeitfahren. Daher trage ich es auch im Training nur dann, wenn ich auf dem Zeitfahrrad sitze. Und bin trotzdem stolz drauf.
TOUR: Sie haben in diesem Jahr einen enormen Leistungssprung gemacht. Wie bewerten Sie das selbst?
Antonia Niedermaier: Die WM war eines meiner Saisonhighlights – der Plan war, dass meine Form da gut ist, auch weil weil ich wusste, dass mir der Kurs liegt. Aber ich hätte nicht gedacht, dass ich so stark bin. Ich denke, ich kann auch für Straßenrennen zuversichtlich sein und mit Mut drangehen.
TOUR: Wie erklären Sie Ihre Entwicklung? In der Vergangenheit wurden Sie oft durch Stürze, Verletzungen und Operationen zurückgeworfen.
Antonia Niedermaier: Wir haben mein Training dieses Jahr ein bisschen intensiver gemacht, ich habe mehr Umfänge trainiert. Ich bin noch jung – da macht man jedes Jahr Fortschritte, kann jedes Jahr ein bisschen mehr leisten. Und ich lerne technisch und bei der Renntaktik jedes Mal etwas dazu. Auch bei technischen Zeitfahren werde ich immer besser und gehe mit mehr Mut ran – gerade auf Abfahrten und in Kurven.
TOUR: Bei den Männern sind viele Zeitfahrspezialisten oft groß und kräftig. Sie sind 1,63 Meter groß und wiegen 52 Kilogramm. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis im Zeitfahren?
Antonia Niedermaier: Ich kann das nicht so genau beantworten. Ich glaube, dass ich ganz gute körperliche Voraussetzungen habe, mental damit umgehen und mich auch sehr gut alleine quälen kann. Das habe ich beim Skibergsteigen und Berglauf so gelernt, dass ich voll bei mir, im Tunnel bin. Und weil ich sehr klein bin, bin ich auch auch sehr aerodynamisch. Ich denke, es sind viel Training, viel Fleiß und mentale Stärke beim Zeitfahren ausschlaggebend.
TOUR: Sie sind erst vor wenigen Jahren wegen Knieproblemen vom Berglauf und Skibergsteigen zum Radsport gewechselt. Jetzt bringen Sie richtig viel Druck aufs Pedal. Welche Probleme machen die Knie im Radsport?
Antonia Niedermaier: Gar keine – zum Glück! Seit meiner zweiten Knie-OP im Februar des vergangenen Jahres habe ich gar keine Probleme mehr.
TOUR: Was treibt Sie beim Radsport an?
Antonia Niedermaier: Es ist super interessant, wie weit man sich pushen kann, wieviel mentale Stärke dahintersteckt. Das fasziniert mich immer wieder. Und mein Team Canyon//SRAM ist wie eine zweite Familie für mich. Die Erfolge mit dem Team sind die schönsten.
TOUR: Wie wichtig sind Ihnen Berge? Sie kommen aus der Nähe von Rosenheim und wohnen jetzt in Österreich in Tirol …
Antonia Niedermaier: Ich bin natürlich sehr verwöhnt, weil ich sehr nah an den Bergen aufgewachsen bin. Ich könnte mir mein Leben außerhalb der Berge gar nicht vorstellen. Meine Heimat bedeutet mir viel. Man wird mich da nie wegbekommen. Wenn ich von Rennen heimkomme und sehe die Berge, dann bin ich richtig glücklich. Es ist für mich ein Ort der Ruhe, an dem ich meine Gedanken sortieren und wieder Kraft tanken kann.
TOUR: Ein Umzug in wärmere Gefilde oder in die Höhe nach Andorra kommt für Sie nicht infrage?
Antonia Niedermaier: Nee, ich möchte in Österreich oder Deutschland bleiben. Das ist schon meine Ecke.
TOUR: Sie wissen jetzt mehr über Ihr Potenzial im Radsport. Was sind Ihre Pläne für die nächsten Jahre? Der erste Start bei der Tour de France?
Antonia Niedermaier: Ich hoffe, nächstes Jahr dabei zu sein – ich wäre auf jeden Fall motiviert, mitzufahren. Es ist auch für mich ein Ziel, bei der Tour de France mal ein gutes Ergebnis zu erzielen. Man muss ein bisschen abwarten, Geduld haben und viel Fleiß und Training reinstecken.
TOUR: In Ihrem Heimatverein RSV Götting-Bruckmühl haben auch Ralph Denk und Willi Bruckbauer ihre Wurzeln – der Teamchef von Red Bull-Bora-Hansgrohe und der Inhaber von Bora. Wann beginnen Sie bei den beiden mit der Lobbyarbeit für einen Frauen-Rennstall?
Antonia Niedermaier: Ich glaube, ich kann da nicht so viel bewirken. Ich kenne Ralph tatsächlich ganz gut – er ist ein guter Freund von meinem Papa. Ich meine, er ist schon ein bisschen vom Frauenradsport begeistert. Zumindest schreibt er mir auch Glückwünsche. Aber ich werde keine Überredungskünste anwenden, um ihn zu überzeugen. Das muss er schon von selbst cool finden.
TOUR: Der nächste Winter steht vor der Tür. Welche Rolle spielt das Skibergsteigen in Zukunft noch für Sie?
Antonia Niedermaier: Ich möchte schon noch was machen, aber nicht mehr so intensiv wie früher. Das geht zeitlich nicht, weil die Radsportsaison relativ früh wieder anfängt. Wenn es läuft, werde ich nach Lust und Laune ein paar Rennen mitlaufen.
TOUR: Welche Rolle spielt es als Training für den Radsport?
Antonia Niedermaier: Es ist ein gutes Ausgleichstraining. Es macht Spaß, man ist an der frischen Luft, in den Bergen. Ich könnte mir einen Winter ohne Skitouren nicht vorstellen.