Sebastian Lindner
· 22.02.2024
Sponsoren in den Namen von Rennen sind heute keine Seltenheit mehr. Ob Tour de France Femmes avec Zwift, Bemer Cyclassics oder bis zur Unkenntlichkeit veränderte Bezeichnungen wie die Renewi Tour (einst Benelux-Rundfahrt): Die Geldgeber gehören heute vielerorts schon im Namen dazu. Das ist auch bei der E3 Saxo Classic nicht anders. Allerdings ist nicht etwa E3 ein Sponsor. Er ist der (alte) Name einer Autobahn.
Europastraße 3 war einst die Bezeichnung einer Reihe von Autobahnen, die Lissabon mit Stockholm verbanden. Über Kortrijk führte der belgische Teil davon (heute E17 bzw. A14) bis nach Antwerpen - und vorbei an Harelbeke. Dort ist das Rennen beheimatet, heute startet und endet es in der Kleinstadt. Erstmals 1958 unter dem Namen Harelbeke-Antwerpen-Harelbeke ausgetragen, gehört die Autobahn seit den 70er Jahren zum Namen.
Früher - ganz früher - war es keine Besonderheit, wenn es nur eine Handvoll Fahrer ins Ziel eines Rennens schaffte. Schließlich waren die Starterfelder auch deutlich kleiner. Doch auch bei Kuurne-Brüssel-Kuurne 2010 war die Zahl derer, die den Zielstrich sah, sehr übersichtlich. Von den 198 gestarteten Profis hatten nur 26 das Ziel erreicht.
Auch wenn der Niederländer Bobbie Traksel damals als Sieger geehrt wurde - gewonnen hatten irgendwie alle, die nach 194 Kilometern wieder in Kuurne angekommen waren. Denn an jenem 28. Februar zog der Orkan Xynthia über Flandern und ganz Westeuropa hinweg. Während das Unwetter in Frankreich 50 Menschenleben forderte, wurde ein paar Kilometer weiter nördlich Radrennen gefahren. Bei extremen Niederschlägen und Windgeschwindigkeiten bis zu 80 km/h. Dass es bei einem umgestürzten Baum blieb, der die Strecke blockierte, die deshalb um 20 Kilometer verkürzt wurde, war reine Glückssache.
Bleiben wir bei Kuurne-Brüssel-Kuurne, denn dort gibt es auch eine der kuriosesten Siegertrophäen im Radsport. Der Sieger bekommt einen Plüschesel. Und das hat historische Gründe.
Der Esel ist seit langer Zeit ein Symbol der Kleinstadt Kuurne. Doch das haben sich die Einwohner nicht selbst verpasst. Es waren die Nachbarn aus Kortrijk - und die meinten es nicht wirklich gut. Vielmehr waren sie genervt, als die Gemüsebauern aus Kuurne in aller Herrgottsfrühe durch die Straßen der mondänen Stadt fuhren, um auf dem großen Markt ihre Waren zu verkaufen. Gezogen wurde die beladenen Gespanne, klar, von Eseln. Fortan hatten die Menschen aus Kuurne ihren Ruf weg. Aber sie machten das Beste draus. Zum Beispiel eine Siegertrophäe.
Nur einen Katzensprung entfernt, in Waregem, endet alljährlich Dwars door Vlaanderen, Quer durch Flandern. Dort gibt es für den Sieger - und die Siegerin - übrigens ein Plüschpferd. Das lässt sich hingegen einfacher erklären. Der Zieleinlauf liegt an der örtlichen Pferderennbahn.
Wo wir gerade beim Pferd sind: Die haben im Radsport auch schon ihre Rollen gespielt. Noch bestens in Erinnerung ist dabei eine Szene aus der Strade Bianche Donne 2023, als einer dieser Unpaarhufer die spätere Siegerin ein paar Meter direkt auf der Strecke begleitete. Und auch bei der Sibiu Tour der Männer in Rumänien hatten sich im vergangenen Jahr zwei Pferde auf die Strecke verirrt, um sich mit den Radprofis zu messen.
Eine ähnliche Szene hatte auch Gent-Wevelgem 2000 zu bieten. Zwei schwarze Ponys hatten sich, vermutlich aufgeschreckt durch den TV-Hubschrauber, verängstigt von ihrer Koppel befreit. Sie rannten zu dem Zeitpunkt auf die Strecke, als eine große Verfolgergruppe 26 Kilometer vor dem Ziel ihr Zuhause passierte. Am Ende der Gruppe fuhr auch Erik Zabel, der kurz zuvor Mailand-San Remo gewonnen hatte. Den Sieg bei Gent-Wevelgem konnte er sich allerdings abschminken, nachdem eines der Tiere zu sehr auf Tuchfühlung ging und ihn aus dem Sattel in den Straßengraben rammte. Zabel kam mit dem Schrecken und ein paar Schürfwunden davon und erreichte das Ziel gut 13 Minuten nach Überraschungssieger Geert van Bondt als 41. Drei Tage später fuhr er zum einzigen Mal in seiner Karriere bei Paris-Roubaix aufs Podium.
Apropos Paris-Roubaix. Ja, das ist eigentlich Frankreich. Doch die unmittelbare Grenznähe veranlasst so manchen hartgesottenen Belgier dazu, das Rennen auch gerne mal als sein eigenes zu betrachten. Das Verhältnis zwischen französischen Fahnen am Streckenrand und flämischen Löwen ist mitunter ebenfalls ausgeglichen.
Unter diesen Voraussetzungen passt vor allem auch diese Geschichte viel besser in die Reihe. Sie handelt von John Degenkolb. Für den Deutschen ist Paris-Roubaix - Achtung, Wortwitz! - schon immer ein gutes Pflaster gewesen. Degenkolb liebt Roubaix. Und Roubaix liebt Degenkolb. Nicht nur wegen seines Sieges 2015. Vor allem wegen eines Ereignisses, dass sich vier Jahre später zutrug. Da stand die U19-Variante der Hölle des Nordens arg auf der Kippe. Finanzierungsprobleme. Degenkolb, nur wenige Monate zuvor Botschafter des Vereins Les Amis de Paris–Roubaix, der sich um den Erhalt des Kopfsteinplasters kümmert, geworden, rief sofort eine Crowdfounding-Aktion ins Leben und sammelte damit in nur zwei Tagen 15.000 Euro ein, wodurch das Rennen gesichert war.
Zum Dank erhielt Degenkolb ewige Liebe der Franzosen - und ein eigenes Pavé. Der Pflasterabschnitt zwischen Hornaing und Wandignies, mit 3700 Metern einer der längsten überhaupt, dazu im Schwierigkeitsgrad vier von fünf Sternen, heißt seit Februar 2020 Secteur John Degenkolb. Eddy Merckx, Bernard Hinault, Jean Stablinksi, Marc Madiot, Frederic Guesdon - einige Roubaix-Legenden bekamen einen Sektor gewidmet. Doch keiner noch zu aktiven Zeiten. Und so ließ es sich der gebürtige Geraer nicht entgehen, 2023 als Führender einer hochklassig besetzten Spitzengruppe um den späteren Sieger Mathieu van der Poel in seinen eigenen Sektor zu gehen.