Sebastian Lindner
· 09.06.2024
Am Ende war es eine verdammt knappe Kiste, denn so stark Primoz Roglic (Bora-Hansgrohe) bei seinen beiden Etappensiegen an den Vortagen im Hochgebirge wirkte, so sehr hatte er am letzten Tag zu kämpfen. Lediglich acht Sekunden Vorsprung retette er auf Matteo Jorgenson (Visma | Lease a Bike), den Sieger von Paris-Nizza, ins Ziel. Jorgenson war gemeinsam mit Carlos Rodriguez (Ineos Grenadiers), der später die Etappe gewann, etwa vier Kilometer vor dem Ziel in die Offensive gegangen.
Während andere Fahrer folgten, konnte Roglic die Tempoerhöhung nicht mitgehen. Sukzessive wuchs sein Rückstand auf Jorgenson und Rodriguez, die den letzten Kilometer als Spitzenduo absolvierten. Der US-Amerikaner stellte seine Aussichten auf den Tagessieg für den Kampf um das Gelbe Trikot hintenan, machte den Großteil der Arbeit und überließ Rodriguez am Ende kampflos den Tagessieg. Dass es nicht reichte, dürfte letztlich daran gelegen haben, dass die letzten zwei Kilometer flach waren und zwischenzeitlich sogar bergab führten.
Dem Gesamtsieger war es am Ende egal, dass es hintenraus noch sehr knapp wurde. “Es ist schon ziemlich verrückt, dass ich die Dauphine gewonnen habe, nach allem, was zuvor passiert ist”, sagte Roglic dann am Eurosport-Mikrofon. “Für uns als Team ist dieser Sieg sehr wichtig. Ich musste heute, wie die letzten drei Tage insgesamt, ziemlich leiden. Der Sieg gibt mir definitiv Selbstvertrauen für die Tour de France. Die Dauphine zu gewinnen ist das eine, die Tour etwas ganz anderes. Dennoch genieße ich erstmal den Moment.”
Remco Evenepoel (Soudal - Quick Step) musste einmal mehr früh im Schlussanstieg reißen lassen, fand aber letztlich sein eigenes Tempo und verlor auf Roglic zehn weitere Sekunden. Der Slowene war mit 48 Sekunden Rückstand auf Rodriguez als Sechster ins Ziel gekommen. Evenepoel musste damit nochmal einen Platz in der Gesamtwertung zurückrutschen, wurde letztlich Siebenter. Einen Platz hinter Roglic’ Edelhelfer Aleksandr Vlasov, der zeitgleich mit Evenepoel ins Ziel kam, ebenso früh den Kontakt zur Spitzengruppe und damit auch zwei Ränge im Endklassement verlor.
Überraschend stark zeigte sich erneut Derek Gee (Israel-Premier Tech). Der Kanadier verlor erst anderthalb Kilometer vor dem Ende den Kontakt zu Rodriguez und Jorgenson und verteidigte damit souverän seinen Podiumsplatz in der Gesamtwertung. Das Bergtrikot ging letztlich an Lorenzo Fortunato (Astana Qazqastan), der sich auf der Schlussetappe in der Ausreißergruppe mit Marc Soler (UAE Team Emirates) einen engen Fight um das Leibchen geliefert hatte.
Die Rundfahrt beendeten nur 96 Fahrer. Wieder waren sechs Profis, darunter Sepp Kuss (Visma | Lease a Bike) nicht mehr gestartet, neun weitere stiegen unterwegs aus.
Die letzten 161 Kilometer der Rundfahrt standen zunächst im Zeichen des Bergtrikots. Soler und Fortunato, die beide auch am Votrag zur Fluchtgruppe gehörten und viele Punkte sammelten, waren erneut Teil der Ausreißer. Nach 14 Kilometern stand mit dem Col de la Forclaz-de-Montmin der erste Berg der 1. Kategorie früh im Rennen auf dem Plan. Fortunato, der das Bergtrikot stellvertretend für Roglic trug, gewann dort und baute seinen Vorsprung auf Soler aus.
In der Abfahrt fanden sich insgesamt elf Fahrer, die dann die Gruppe des Tages bildeten. Mit dabei waren auch David Gaudu (Groupama-FDJ), Tim Wellens (UAE Team Emirates), Geburtstagskind Guillaume Martin (Cofidis) und Omar Fraile (Ineos Grenadiers). Fortunato sicherte sich nach 32 Kilometern auch die zwei Punkte am Col des Esserieux (3. Kategorie). Etwa 90 Kilometer vor dem Ziel war der Maximalvorsprung von etwas mehr als drei Minuten erreicht.
Auf dem Weg zum zweiten Kategorie-1-Anstieg des Tages, dem Le Seleve, ging Fortunato komplett die Luft aus. Der Italiener, der zuvor auch den Giro d’Italia gefahren war, wurde noch vor dem Gipfel wieder vom Feld eingeholt. Doch auch dort konnte er den Anschluss nicht halten. Die Bergwertung sicherte sich Soler und vertagte damit die Entscheidung um das Trikot bis ins Ziel.
Nach dem Seleve und einer unkategorisierten Gegensteigung blieben den Ausreißern in der letzten Abfahrt des Rennens noch zwei Minuten für die letzten 30 Kilometer. Zwölf später ging es dann wieder bergauf - mit 80 Sekunden Vorsprung für die verbliebenen neun Ausreißer. Der Schlussanstieg hinauf zum Plateau des Glieres ist neuneinhalb Kilometer lang. Da war nur noch ein halbe Minute übrig, weil Lidl-Trek richtig aufs Gas getreten war, nachdem zuvor vor allem Ineos Grenadiers Tempo gemacht hatte.
Schon acht Kilometer vor dem Ende ging dann Giulio Ciccone (Lidl-Trek) in die Offensive und rollte die letzten verbliebenen Ausreißer auf. Für Evenepoel wurde es sechs Kilometer vor dem Ende zu schnell. Einen halben Kilometer später war auch Ciccone wieder gestellt. Kurz darauf startete Carlos Rodgriguez (Ineos Grenadiers) eine Attacke.
Zu Rodriguez fur sein Teamkollege Laurens de Plus nach vorne. Auch Derek Gee (Israel-Premier Tech), Santiago Buitrago (Bahrain-Victorious) waren dabei - Roglic und sein Edelhelfer Aleksandr Vlasov nicht.
Dreieinhalb Kilometer vor dem Ende hatte Roglic, der mit Ciccone unterwegs war, musste sich selbst einer Attacke von Evenepoel erwehren. Davor konnten de Plus und Buitrago nicht mehr an der Spitze mitfahren. Anderthalb Kilometer vor dem Ziel wurde es auch für Gee zu schnell. Vorne setzte Jorgenson alles auf eine Karte, 500 Meter vor dem Ziel hatte er 45 Sekunden Vorsprung auf Roglic. Er ließ Rodriguez den Etappensieg - dann tickte die Uhr.
Doch sie tickte nicht schnell genug. Roglic rettete acht Sekunden Vorsprung auf Jorgenson ins Ziel. Nur zehn Sekunden hinter ihm erreichten Evenepoel und Vlasov das Ziel, die damit beide in der Gesamtwertung zurückfielen.