Andreas Kublik
· 29.01.2025
Das Interesse war groß beim ersten offiziellen Auftritt von Anna van der Breggen als Comeback-Radprofi – bei der Präsentation ihres alten und neuen Teams SD Worx - Protime. Und die Erwartungen in ihrer radsportbegeisterten Heimat, den Niederlanden, ebenfalls. Doch die Olympiasiegerin von 2016 bremste die Erwartungen.
Der erste Rennstart ist erst beim Pfeil von Brabant am 18. April geplant. Erstaunlich spät – angesichts des dringenden Nachholbedarfs in Sachen Renneinsätze und des seit Juni 2024 geplanten Comebacks. “Ich habe die Zeit, um zu sehen, wann ich bereit für Rennen bin. Ich will nicht zu früh starten”, begründete sie in einem Interview mit dem niederländischen TV-Sender NOS die unerwartete Verspätung. Natürlich: Bescheidenheit und Zurückhaltung ist Trumpf – angesichts des Comebacks in fortgeschrittenem Alter und angesichts des binnen kurzer Zeit deutlich gestiegenen Niveaus im internationalen Frauen-Peloton. Man kann aktuell nur vermuten, dass sich die einst weltbeste Radsportlerin den Weg zurück leichter vorgestellt hat.
Sportdirektor Danny Stam sagte im Rahmen der Präsentation zu den Plänen: “Ich denke, der Pfeil von Brabant wird ein schöner Start sein. Von nun an muss es ihr besser gehen als je zuvor. Denn auch die anderen Top-Fahrerinnen wie Vollering und Katarzyna Niewiadoma haben sich verbessert.” Es klang zwischen den Zeilen wie eine Warnung. Zumal die Rückkehrerin mit dem späten Saisonstart auch etwas riskiert: Bei den Ardennenklassikern sind die Erwartungen besonders hoch – diese Rennen liegen ihr grundsätzlich und sie hat dort große Erfolge gefeiert, an die sie nun quasi aus dem Kaltstart heraus anknüpfen müsste. Amstel Gold Race, Lüttich-Bastogne-Lüttich (zweimal) und Flèche Wallonne (siebenmal) hat sie allesamt schon gewonnen.
Zu Jahresbeginn schien sie noch ein gutes Stück entfernt von der Rennform – nicht nur in Bezug auf die Weltspitze, sondern auch auf die Teamkameradinnen. Gemeinsames Training ginge im Grundlagenbereich schon gut, aber bei den harten Intervalltrainings habe sie noch nicht die nötige Form, berichtete van der Breggen vom Trainingslager. Erstaunlicherweise wurde aber zur gleichen Zeit publik, dass das Team mit dem Einsatz der Rückkehrerin bei der Tour de France Femmes im Juli plant. Ein Rennen, bei dem Teamkollegin Lotte Kopecky um den Sieg mitfahren soll und dafür ein hochkarätiges Ensemble in Topform benötigt. Es wird spannend zu sehen sein, wie sich van der Breggen im ersten Jahr im deutlichen stärkeren Frauen-Peloton zurechtfindet. Zumal die ehrgeizige Ex-Kapitänin künftig eventuell damit vorliebnehmen muss, sich als hochdekorierte Helferin verdingen zu müssen. Zuletzt arbeitete van der Breggen drei Jahre lang als Sportliche Leiterin bei SD Worx, fühlte sich aber dem Vernehmen nach noch nicht dauerhaft bereit für die sitzende Tätigkeit im Teamfahrzeug.
Ende der Saison 2021 hatte sie den Profi-Radsport nach einer enttäuschenden Olympia-Kampagne verlassen. Ursprünglich waren die Olympischen Spiele in Tokio ihr großes Ziel. Im Straßenrennen ließ sich das herausragend besetzte niederländische Team von der Solistin Anna Kiesenhofer düpieren – van der Breggen und Kolleginnen ließen kein Teamwork erkennen, um der Favoritenrolle gerecht zu werden und den Olympiasieg der Außenseiterin zu verhindern. Van der Breggen, die in Rio noch selbst als Olympiasiegerin gejubelt hatte, blieb Bronze im Einzelzeitfahren – deutlich distanziert von Landsfrau Annemiek van Vleuten auf dem Gold-Rang. Ihr vorerst letztes Rennen, die WM rund um Leeuven in Belgien, beendete sie auf Rang 89 – als Teil einer schlecht geführten Auswahl in Oranje. Wenige Monate zuvor hatte van der Breggen noch zum vierten Mal den Gesamtsieg beim Giro d’Italia gefeiert - es war der 62. und vorerst letzte Sieg als Radsportlerin.
Die genaue Motivation für das Comeback nach dreijähriger Pause, einer Zeit, in der sich der Frauenradsport massiv weiterentwickelt hat, blieb für die Beobachter im Verborgenem. “Van der Breggen fällt es immer noch schwer, sich Ziele für ihre Comeback-Saison zu setzen”, urteilte der niederländische TV-Sender NOS über die vagen Aussagen der Ex-Weltmeisterin zu Jahresbeginn. Die ehrgeizige Sportlerin wirkte in der Vergangenheit immer so, als würde sie sich an Ergebnissen und Siegen messen. Erfolg, der weiter entfernt scheint als je zuvor. Niemand scheint zu wissen, ob sie an alte Leistungsfähigkeit anknüpfen kann. Vor ihrer Rückkehr in den Rennsattel hatte sie betont, es gehe ihr nicht um Siege, sondern mehr darum, Spaß am Sport und Wettkämpfen zu haben. Nur: Bezahlt der Sponsor für den Spaß der Athleten? Oder will er messbaren Erfolg, Siege?
Tatsächlich klang van der Breggen vor Monaten noch ehrgeiziger und zuversichtlicher als im neuen Jahr. Sie wolle künftig noch stärker sein, als vor ihrem Rücktritt 2021. Noch mehr als die Motivation der Sportlerin erstaunt die Strategie von Sponsor und Team. Die Mannschaft, die zur neuen Saison ohne die abgewanderten Topfahrerinnen Demi Vollering, Marlen Reusser und Niamh Fisher-Black auskommen muss und den Ruf als jahrelang weltbeste Mannschaft zu verteidigen hat, hätte angesichts fehlender Verstärkungen zur neuen Saison eigentlich die einstige Weltranglisten-Erste schnell in Topform nötig.