Vor wenigen Tagen hat der Giro d’Italia Women seine Strecke für die Austragung im kommenden Jahr vorgestellt. Die Rundfahrt wurde auf acht Etappen verkürzt, leichter geworden ist sie dadurch aber mitnichten. Soweit, so ungewöhnlich. Neu war hingegen der Zeitpunkt der Streckenpräsentation, mehr als ein halbes Jahr vor dem Renntermin im Juli. Das war früher anders, im letzten Jahr wurde der Kurs kaum einen Monat vor dem Auftaktzeitfahren bekanntgegeben.
Es ist ein klares Zeichen von Professionalität, das aber weder im Zustandekommen noch im Zeitpunkt zufällig ist. Der italienische Radsportverband FCI, Rechtehalter am Giro d’Italia der Frauen, hatte Anfang des Jahres die Organisation des Rennens gemeinsam mit der der U23-Männer-Variante Giro Next Gen neu vergeben. PMG Sport/Starlight, bisher verantwortlich, verzichtete auf eine erneute Teilnahme an der Ausschreibung, sodass es nur einen Interessenten gab: RCS Sport.
Das italienische Unternehmen, das neben weiteren wichtigen Rennen auch den Giro d’Italia der Männer organisiert und als Platzhirsch mutmaßlich andere Organisatoren abschreckte, wurde zunächst bis 2027 beauftragt, das Event der Frauen zu planen. Einerseits trägt der Verband mit der Beauftragung eines etablierten Veranstalters der wachsenden Popularität und des damit notwendigen, gesteigerten Expertentums Sorge. Andererseits steht aber auch RCS in gewisser Hinsicht unter Konkurrenzdruck. Denn im Prinzip haben die Italiener nur nachgezogen. Denn so wie die A.S.O. im Männerbereich Tour de France und Vuelta a Espana organisiert, sicherten sich die Franzosen in den letzten zwei Jahren auch die Rechte an den Pendants der Frauen.
Damit setzt sich ein genereller Trend fort. Immer mehr Männerrennen werden von den Frauen adaptiert. Das liegt nicht zuletzt an den Veranstaltern, die ihr Knowhow aus dem Sport der Männer nutzen, um Synergien im Frauenbereich zu schaffen. Das zeigt sich auch immer deutlicher im Rennkalender. Die ersten fünf Stationen auf der World Tour beziehungsweise der Women’s World Tour sind identisch und verschieben sich, wenn überhaupt, nur um wenige Tage. Da viele Männerteams mittlerweile auch eine Frauenmannschaft unterhalten, bringt das auch logistische Vorteile für Staff und Fahrer mit sich.
Verloren geht hingegen, allerdings nicht nur dadurch, die Vielfalt an Organisatoren im Rennkalender. Hinter den 35 Rennen im WT-Kalender stecken nur 16 verschiedene Gruppierungen. Bei den Frauen sind es noch mehr.
Allein drei Unternehmen vereinen jedoch gleich 20 WT-Rennen unter ihrer Ägide, dazu 11 von 28 aus der WWT. Neben der A.S.O., die zehn WT-Rennen (5x WWT) veranstaltet, und RCS Sport mit sechs (3x WWT) Rennen ist da noch Flanders Classic aus Belgien mit vier WT-Rennen (3x WWT). Diese drei Gruppen sind nicht nur zuständig für die meisten, sondern auch die wichtigsten Rennen im Kalender. Neben den drei Grand Tours werden auch die fünf Monumente des Radsports durch das Trio organisiert.
Abseits davon gibt es nur zwei Veranstalter, die sich um mehr als ein Rennen kümmern. Die beiden kanadischen Rennen, der Grand Prix Cycliste der Quebec und das Schwesterrennen in Montreal werden von der GPCQM durchgeführt - einer Gesellschaft, die sich eigens dafür gegründet hat. Und dann ist da noch die Organizaciones Ciclistas Euskadi Txirrindularitza Antolakuntzak, kurz OCETA. Die baskische Organisation kümmert sich um die beiden Rennen in ihrer Heimat, die Baskenland-Rundfahrt und die Clasica San Sebastian. Dazu kommt noch die Baskenland-Rundfahrt der Frauen.
Alle anderen Veranstalter sind Einzelkämpfer. In Australien organisieren etwa die jeweils regional verantwortlichen Tourismusbehörden die Tour Down Under und das Cadel Evans Great Ocean Race. Die Tour of Guangxi in China wird vom größten Unterhaltungskonzern des Landes, der Wands Sports Group, organisiert. Der Gegenentwurf dazu ist die Bretagne Classic - Ouest-France, der ehemalige GP Plouay, auf die Beine gestellt von einem Komitee, das dessen Präsident Jean-Yves Tranvaux vor ein paar Jahren noch als Gruppe Ehrenamtlicher bezeichnete.
Die einwöchigen Rundfahrten werden überwiegend von kleinen, privaten Eventagenturen gemanagt. Das Amstel Gold Race stellt dagegen eine eigens gegründete und von der namensgebenden Brauerei unterstützte Stiftung Jahr für Jahr auf die Beine.
Die Wurzeln all dieser Organisationen könnten unterschiedlicher kaum sein. Die drei großen Player haben jedoch Ursprünge, die sich alle ähneln.
Die Amaury Sport Organisation organisiert nicht nur Rennen in der World Tour. Paris-Tours gehört genauso wie die Oman-Rundfahrt und das Arctic Race of Norway ins Portfolio, allesamt Rennen der Pro Series. Dazu kommen die offiziellen Tour-Kriterien und diverse Jedermann-Wettbewerbe, die im Programm der entsprechenden Profirennen integriert sind. Bei der Tour de l’Avenir, der wichtigsten Rundfahrt in der U23-Kategorie, mischt das Unternehmen ebenfalls mit.
So wie die Vuelta, die über die A.S.O.-Tochter Unipublic organisiert wird, ist auch die Deutschland Tour Teil über eine Tochter Teil des Amaury-Kosmos. Das Rennen, das ebenfalls zur Pro Series gehört, wird von der GFR, der Gesellschaft zur Förderung des Radsports, organisiert. Die ist auch federführend bei Eschborn-Frankfurt und seit kurzem auch den Cyclassics in Hamburg. Am 18. Dezember wurde die Übernahme des deutschen World-Tour-Rennens öffentlich gemacht. Zuvor gehörte das Rennen der Ironman Germany GmbH. Neben Radsport organisiert die A.S.O. auch Golf-Turniere sowie die Rallye Dakar und einige Laufveranstaltungen in Frankreich. Diverse Regatten oder Pferdesport-Veranstaltungen waren in der Vergangenheit ebenfalls A.S.O.-Angelegenheit.
Gegründet wurde das Unternehmen 1992 als Gesellschaft der Group Amaury, einer privaten Mediengruppe, der unter anderem die L’Equipe gehört. Die französische Sport-Tageszeitung zählt zu den meistgelesenen Publikationen des Landes - und ist direkter Nachfolgetitel der im Zweiten Weltkrieg verbotenen Zeitung L’Auto. Die wiederum ist der Existenzgrund der Tour de France. Chefredakteur Henri Desgrange, selbst Radsportler und Stunden-Weltrekordler, suchte zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach einer Idee für eine Auflagensteigerung und fand sie 1903, in dem er ein Radrennen in die Welt setzte, das als erstes seiner Art in mehreren Etappen absolviert wurde.
Den Hintergrund in der Welt der Zeitungen hat auch RCS Sport. Die drei Buchstaben sind das Akronym für “Rizzoli Corriere della Sera” und gehen zurück auf den Gründer Angelo Rizzoli, der einst Anteile am Verlag der Tageszeitung Corriere della Sera erwarb, aus denen später die RCS MediaGroup wurde. RCS Sport ist eine 1989 gegründete Tochter.
Ihr Ziel war es, die Radsportveranstaltungen zu organisieren, deren Rechte bei der Gazzetta dello Sport lagen. Die größte italienische Tageszeitung gehört ebenfalls der Verlagsgruppe an. Und wird seit 1900 auf rosafarbenem Papier gedruckt. Dass der Gesamtführende des Giro d’Italia an der gleichen Farbe erkennbar ist - kein Zufall. Auch der erste Giro, ausgetragen im Jahr 1909, geht auf den Herausgeber der Gazzetta, Eugenio Camillo Costamagna, und seinen Redakteur Tullo Morgagni zurück. Gleiches gilt für die Lombardei-Rundfahrt und Mailand-San Remo.
Abseits von Grand Tours und Monumenten und den weiteren WT-Veranstaltungen stehen auch die Pro-Series-Rennen Gran Piemonte und Mailand-Turin sowie der Giro di Sicilia aus der Europe Tour auf der RCS-Liste, die auch viele Laufveranstaltungen enthält. Anders als die A.S.O. arbeitet RCS aber auch in beratender Tätigkeit, etwa für Italiens erfolgreichsten Basketballverein Olimpia Milano oder den internationalen Volleyballverband FIBA.
Kaum verwunderlich nun, dass auch Flanders Classic seine Wurzeln in der Medienbranche hat. Der frühere Sportjournalist Wouter Vandenhaute gründete das Unternehmen 2009 mit dem Auftrag, die Rennen zu organisieren, die dem belgisch-niederländischen Medienkonzern Mediahuis gehören. Das sind die Flandern-Rundfahrt, der Omloop Het Nieuwsblad sowie die Brussels Cycling Classic (Pro Series). Die Verlagsgesellschaft hält entsprechend auch Anteile an Flanders Classic.
Ebenfalls zum Portfolio gehören der Pfeil von Brabant und der Scheldepreis, die inoffizielle Sprinter-WM (beide Pro Series). Dazu sind die Belgier seit einigen Jahren aber auch im Cyclocross vertreten - und dass mit der Organisation der zwei wichtigsten Rennserien. Für die UCI organisiert Flanders Classic seit 2020 den kompletten Weltcup, der mittlerweile 14 Stationen umfasst. Seit 2018 besitzt das Unternehmen zudem die Rechte an der Superprestige-Serie, die acht Rennen ausschließlich in Belgien umfasst. Auch der wachsenden Begeisterung an Gravel-Rennen hat sich Flanders Classic nicht verschlossen. Flanders Gravel Kemmelberg, Koppenberg, Limburg und der Durbuy Gravel werden durch die Firma gestaltet.