Skibergsteigerin klettert an die WeltspitzeAntonia Niedermaier im Interview

Kristian Bauer

 · 14.07.2023

Skibergsteigerin klettert an die Weltspitze: Antonia Niedermaier im InterviewFoto: Getty Velo
Antonia Niedermaier vom Team Canyon//SRAM Racing gewann beim Giro Donne 2023 eine Etappe
Mit Antonia Niedermaier (Canyon - SRAM) gibt es bei den Frauen eine junge Skibergsteigerin im Profi-Radsport. Wie Toni Palzer kommt sie vom Skibergsteigen und Berglauf. Beim Giro Donne brillierte sie bereits in der höchsten Ebene im Frauenradsport.

Antonia Niedermaier - zur Person

  • Geboren: 20.2.2003
  • Wohnort: Bad Aibling

Teams

  • 2023 CANYON//SRAM Racing (GSF)
  • 2022 Canyon//Sram Generation (GSF)
  • 2021 Juniorinnen, Team Mangertseder Bayern

Erfolge (Radsport)

  • 2021 Deutsche Meisterin – Einzelzeitfahren (Juniorinnen)
  • 2021 Silber Europameisterschaften – Einzelzeitfahren (Juniorinnen)
  • 2021 Bronze Weltmeisterschaften – Einzelzeitfahren (Juniorinnen)
  • 2022 Sieg Tour Cycliste de l’Ardèche
  • 2023 Deutsche Meisterin Einzelzeitfahren U23
  • 2023 Etappensieg Giro Donne

Mit einem Etappensieg beim Giro Donne wurde ihre Premiere in der UCI Women’s World Tour zum sensationellen Erfolg. Nach einem Sturz musste sie aber aus dem Giro Donne aussteigen. Wir haben die sympathische Sportlerin gesprochen:

TOUR: Wie geht es nach dem Sturz beim Giro Donne?

Niedermaier: Der Sturz war blöd, aber meine Zähne sind wieder alle drinnen. Und jetzt schauen wir mal, wie es weitergeht, ob der Zahn, der ganz draußen war, wieder anwächst oder nicht. Das kann man erst in drei Monaten sagen.

TOUR: Der Zahn war komplett draußen?

Niedermaier: Ja. Zum Glück hatte ich ihn im Mund und da haben Sie in Italien im Krankenhaus gleich wieder eingesetzt. Es kann sein, dass er anwächst, kann aber auch nicht sein. Wenn es nicht so ist, dann kommt ein Implantat rein, aber das ist zum Glück heutzutage kein großes Thema mehr.

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TOUR: Ansonsten hast du Glück gehabt?

Niedermaier: Ja, ich habe wirklich Glück im Unglück gehabt. Der Randstein war nur 10 Zentimeter weg und ich habe mir nichts gebrochen und nur Schürfwunden. Nur Schönheitsfehler - das wird wieder.

Antonia Niedermaier: Der Tag davor war ein richtig guter Tag mit viel Freude und Freudentränen

TOUR: Ausgerechnet einen Tag, nach deinem Erfolg – hat dich das besonders geschmerzt?

Niedermaier: Ja, das war richtig ärgerlich. Der Tag davor war ein richtig guter Tag mit viel Freude und Freudentränen und am nächsten Tag dann leider die anderen Tränen. Aber im Endeffekt ist am Schluss dann am wichtigsten, dass man einigermaßen gesund ist und dass nichts gebrochen ist und dass ich wieder aufs Rad steigen kann. Und das kann ich ja zum Glück bald wieder.

TOUR: Du kommst vom Skibergsteigen und vom Berglauf und da denkt man natürlich sofort an Toni Palzer, der den selben Weg gegangen ist. War er für dich ein Vorbild?

Niedermaier: Ja, Toni war mein Teamkollege beim Skibergsteigen und war für mich immer ein Vorbild, weil er einfach immer alles so locker betrachtet und gute Tipps geben kann. Und ein super lustiger und netter Kerl ist. Der Radsport war aber nicht vom Toni abgeleitet, sondern das habe ich schon lange als Ausgleichssport gemacht. Weil durch Corona keine Wettkämpfe im Berglaufen waren im Sommer, habe ich dann ein paar Radrennen mitgemacht. Da hat mich dann das Team Mangertseder von Mario Vonhof entdeckt und dann bin ich die Saison für die gefahren. Gleich darauf habe ich den Vertrag mit Canyon - Sram bekommen. Aber das alles hatte nichts mit Toni zu tun, sondern ist wirklich reiner Zufall.

TOUR: Wie lange warst du denn mit Toni Palzer im Team?

Niedermaier: Zwei Jahre waren wir zusammen im SKIMO Team (Anm. d. Red.: Ski Mountaineering). Ich bin meine erste WM im Skibergsteigen 2019 gelaufen - da war ich mit ihm im Team 2019 und 2020. Ich habe quasi seine zwei letzten Jahre als Skibergsteiger miterlebt und auch seinen Abschluss bei der WM in Andorra, wo er nochmal Vizeweltmeister geworden ist. Damals bin ich Doppelweltmeisterin geworden. Und da hatten wir dann auch eine ganz nette Abschlussparty mit dem Team.

Es ist mir extrem schwer gefallen im Feld zu fahren

TOUR: Auch wenn du das Rennrad als Trainingsgerät benutzt hast, ist es ein großer Sprung in den internationalen Rennsport. Du fährst ja bei Rennen mit Frauen, die bereits seit ihrer Kindheit Radrennen gefahren sind. Ist dir der Einstieg schwer gefallen?

Niedermaier: Also ehrlich gesagt ja. Es ist mir extrem schwer gefallen im Feld zu fahren - wenn man das einfach nicht gewohnt ist. Die ganzen Mädels machen das seitdem sie laufen können, für die ist es natürlich super leicht sich im Feld zu bewegen. Für mich war das Anfangs richtig schwierig mich da einzufinden. Aber ich hatte Glück, dass ich mit Linda Riedmann (Anm. d. Red.: Team Jumbo-Visma Women) gefahren bin und die hat mir echt weitergeholfen. Da bin ich schon relativ schnell reingewachsen. Ich tue mir immer noch ein bisschen schwer, im Feld zu fahren und hab’ immer noch Respekt davor. Aber es wird immer besser und ich lerne bei jedem Rennen dazu. So viele Renntage habe ich jetzt auch nicht - vielleicht 45 oder sowas. Aber das wird alles noch besser und geht inzwischen einigermaßen. Aber am Anfang war international wirklich ziemlich schwierig für mich.

TOUR: Das wundert mich nicht – das ging anderen Quereinsteigern zuvor genauso …

Niedermaier: Das ist glaube ich für jeden, der in den Radsport reinkommt am Anfang extrem schwierig. Du bist in dem Feld drin und jeder fährt so nah an - das ist echt beängstigend.

TOUR: Du bist beim Giro Donne das erste Mal in der Womens World Tour gefahren. Mit was für Erwartungen bist du da hingefahren?

Niedermaier: Also eigentlich mit gar keinen. Ich habe mir gedacht, ich hatte ja dieses Jahr eine schwere Knieoperation und hab mir dann gedacht: gut, jetzt schauen wir einfach mal, wie es läuft. Ich habe gehofft, dass ich dem Team gut helfen kann und dass ich da meinen Job machen kann. Dass ich eine Etappe gewinne, habe ich überhaupt nicht erwartet. Das war wirklich überraschend und überwältigend, weil ich nicht gedacht habe, dass ich in der World Tour so weit vorne mitmischen kann. Ich weiß, dass ich gut bin am Berg und dass ich auch gut fahren kann - aber das es so gut ist, habe ich nicht erwartet.

Ich habe mir dann gedacht ich probiere was

TOUR: Ganz konkret zur Etappe: hast du da vom Team auch die Rückmeldung bekommen es zu versuchen?

Niedermaier: Am ersten Berg sind wir relativ schnell reingefahren und da bin ich dann leider nicht hinterher gekommen, war dann aber mit vier anderen Mädels zusammen in der Verfolgergruppe. Wir haben dann wieder aufgeschlossen auf die anderen vier vorne und dann ist niemand gefahren und die Gruppe von hinten ist gekommen. Ich habe mir dann gedacht ich probiere was und auch im Radio wurde mir gesagt: wenn du was probieren willst, dann jetzt. Und dann habe ich mir gedacht, ich probiere das einfach und hab’ den Moment genutzt und bin gefahren. Ich habe gemerkt, dass niemand wirklich hinterherfährt. Das war doch ziemlich knapp. Ich bin einfach bis zum letzten Meter All out gefahren, habe mein Bestes gegeben und es hat dann auch gereicht.

TOUR: Hilft es dir, dass du diese Anstrengung vom Skibergsteigen kennst? Da muss man auch über eine kurze Zeit übers Limit gehen. Meinst du, das hat dir geholfen?

Niedermaier: Definitiv also die letzten 20 Minuten waren ja eigentlich dann relativ flach und da habe ich dann meine Zeitfahrkünste ausgepackt, die eigentlich von der Anstrengung her einem kurzen Rennen beim Skibergsteigen gleichen. Das hat mir auf alle Fälle geholfen, weil das eben genau diese Belastung ist: 20 Minuten über der Schwelle herumkrebsen.

TOUR: Besonders bitter ist der Sturz, weil du auf dem zweiten Gesamtrang warst …

Niedermaier: Ja, natürlich ist ärgerlich und man denkt sich: wäre ich vielleicht nicht genau zu dem Zeitpunkt an dem Ort gewesen, wäre es anders ausgegangen. Aber ich meine im Nachhinein ist man immer schlauer und man kann das einfach nicht mehr ändern. Ich bin einfach nur froh, dass ich wieder so fit bin nach einer Woche und dass ich wieder auf den Beinen stehe und nichts gebrochen ist. Also eigentlich muss man wirklich sagen, hatte ich tausend Schutzengel, weil das hätte auch anders ausgehen können. Es ist ärgerlich, aber man kann es auch nicht ändern, das ist halt einfach Radsport.

TOUR: Wenn du jetzt zurückblickst, bist du der amtierenden Rad-Weltmeisterin davongefahren. Denkst du dir: krass, ich bin da tatsächlich auf dem Niveau, dass ich da mitfahren kann?

Niedermaier: Ja, natürlich bekommt man Selbstbewusstsein, aber ich denk am Ende vom Tag bin ich mir selber treu und ich meine nur wenn man jetzt einmal einen großen Erfolg hatte, darf man sich nicht darauf ausruhen. Man muss immer weiter an sich arbeiten. Und ich tue mich tatsächlich auch ein bisschen schwer, wenn Leute dann so hohe Erwartungen an mich haben. Man kann einen schlechten Tag haben, dann auch mal einen guten Tag. Aber natürlich gibt es ein gutes Gefühl, wenn man weiß, die anderen sind nicht hinterhergekommen. Aber das ändert trotzdem nichts an meiner Selbstwahrnehmung.

Es ist eine Ehre, dass man da mitfahren darf

TOUR: Hast du in den letzten Jahren den Radsport verfolgt?

Niedermaier: Nicht wirklich. Weil mein Papa mit Markus Burghardt sehr gut befreundet ist, hatten wir immer den Männerradsport im Auge. Wenn er irgendwo gefahren ist, haben wir die Rennen angeschaut.

TOUR: Kennst du überhaupt die großen Namen im Frauenradsport?

Niedermaier (lacht): Das ist immer ganz lustig, weil die anderen Mädels mich immer auslachen, weil ich eben gar keine Fahrer wirklich kenne. Sie machen immer Witze über mich, wenn sie mir eine Nummer sagen. Letztens hatten wir das auch mit Marta Cavalli (Anm. d. red.: Team FDJ-Suez), als ich gefragt habe wer ist das denn? Dann würde ich natürlich ausgelacht. Aber klar, wenn man halt mit denen noch nie Rennen gefahren ist, woher soll ich sie dann auch kennen? Mir macht das nix aus. Ich, werde sie noch alle kennenlernen, also von dem her brauche ich ein bisschen Zeit.

TOUR: Das schadet vielleicht gar nicht, weil du dir nicht zu viel Gedanken machst über die Stärken und Schwächen der anderen?

Niedermaier: Ja, ich glaube, das hilft mir tatsächlich, weil ich da viel entspannter reingehe. Wenn ich dann mit jemanden in der Gruppe bin, die eigentlich total bekannt ist. Für mich ist es einfacher mit denen zu fahren oder zu kooperieren, weil ich keine Gedanken haben, wie die jetzt wohl fahren. Also ich glaube das hat mir tatsächlich schon öfter mal geholfen.

TOUR: Hast du eigentlich dein Training deutlich umgestellt oder schon beim Team Mangertseder so trainiert?

Niedermaier: Da hab ich schon ähnlich trainiert, natürlich noch ein bisschen mehr Schwerpunkt auf Laufen, weil ich da auch noch einen noch viel größeren Schwerpunkt auf Skibergsteigen hatte. Prinzipiell hab ich gleich trainiert. Letztes Jahr habe ich Abitur gemacht, da habe ich natürlich ein bisschen weniger trainiert, weil ich noch in der Schule war und einfach von der Zeit her nicht ganz so viel möglich war. Aber ich hab’ schon immer viel auf dem Rad trainiert. Jetzt trainiere ich fast nur noch auf dem Rad, aber ich gehe tatsächlich immer noch zweimal in der Woche laufen. Das muss sein, das ist gut für den Kopf, glaube ich.

Ich mache einfach die Rennen mit, die mir Spaß machen

TOUR: Du hattest ursprünglich gesagt, dass du weiter im Winter beim Skibergsteigen Wettkämpfe machen willst – bleibt es dabei?

Niedermaier: Das will ich auf alle Fälle noch mitmachen. Ich mache einfach die Rennen mit, die mir Spaß machen und den ein oder anderen Weltcup. Das will ich auf alle Fälle beibehalten, weil es ein schöner Sport ist und mir das echt Spaß macht. Auch wegen der Leute: Ich vermisse die Leute vom Skibergsteigen schon. Das ist viel familiärer als der Radsport. Dieses Jahr konnte ich leider nicht viel machen wegen meinem Knie, aber den nächsten Winter packe ich auf alle Fälle wieder an.

Antonia Niedermaier beim JennerstierFoto: Marco KostAntonia Niedermaier beim Jennerstier

TOUR: Die Knieprobleme waren auch der Grund für deinen Wechsel in den Radsport?

Niedermaier: Ja, teilweise. Also ich konnte nicht gut bergab laufen und das reine Bergauflaufen ist nicht mehr so in Mode, sondern nur noch Trailrunning. Das kann ich halt überhaupt nicht machen, weil ich hab halt mit beiden Knien Probleme. Und das war auch der Grund, warum ich mit Radsport im Training angefangen habe. Weil ich meine Knie entlasten wollte und ich meine Umfänge dann auf dem Rad machen wollte.

TOUR: Du hast in kurzer Zeit schon so viel erreicht – hast du noch große sportliche Träume? Olympische Spiele Skibergsteigen?

Niedermaier: Ja, also auf alle Fälle würde ich gerne die Olympischen Spiele im Skibergsteigen miterleben. Und vielleicht, wer weiß, dann auch im Sommer die Olympischen Spiele im Radsport mitnehmen. Das steht alles noch in den Sternen - aber das würde mir auf alle Fälle taugen. Ich war schon mit dem Skibergsteigen bei Olympischen Jugendspielen und das war richtig cool und überwältigend.

Antonia Niedermaier Hintergrund Giro Donne 2023:


Annemiek van Vleuten (Movistar) hat zum vierten Mal den Giro d’Italia Donne gewonnen. Die 40-Jährige setzte sich vor Juliette Labous (DSM – Firmenich) und der Dritten Gaia Realini (Lidl – Trek) durch. Für Aufsehen sorgte die 20-jährige Antonia Niedermaier (Canyon - SRAM). Die Oberbayerin gewann nach einer Attacke die Königsetappe der Rundfahrt vor van Vleuten und rückte kurzzeitig auf den zweiten Gesamtrang vor. Sie wurde aber am nächsten Tag von Urska Zigart (Jayco - AlUla) vom Rad geholt als diese die Kontrolle über ihr Rad verlor. Die Deutsche U23-Zeitfahrmeisterin musste das Rennen im Gesicht stark blutend aufgeben. Sie zog sich aber keine Brüche zu. Niedermaier kommt wie Anton Palzer ursprünglich vom Skibergsteigen. In der Saison 2020/21 gewann sie den Weltcup Skibergsteigen in der U20. Im selben Jahr konnte sie bei der Straßenrad-WM den dritten Rang in der U23 einfahren. Der Giro Donne war ihr erstes Rennen der UCI Women’s World Tour.

Hinweis: in der ersten Version des Interviews hatten wir Antonia zu ihrem Start bei der Tour de France Femmes befragt. Ursprünglich war sie für das Rennen vom Team nominiert - das wurde aber wieder geändert.

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