Sebastian Lindner
· 29.09.2023
Irgendetwas ist im Busch. Und es ist etwas Großes. Seit dem Ende der Europameisterschaften spekuliert die Radsportwelt über die Fusion zwei ihrer namhaftesten Teams. Ein Bericht des niederländischen Radsportportals Wielerflits sprach von einem Zusammenschluss von Jumbo-Visma und Soudal - Quick Step im bevorstehenden Winter. Mehrere unbenannte Quellen sollen das bestätigt haben.
Demnach wäre Visma - Soudal beziehungsweise Soudal - Visma der neue Name der Mannschaft, die in Teamchef Richard Plugge und Sportdirektor Merijn Zeeman die Führung des jetzigen Jumbo-Visma-Teams übernehmen würde. Patrick Lefevere, seit Jahren Gallionsfigur und Chef von Soudal - Quick Step, würde aus dem operativen Geschäft zurücktreten und im Vorstand des neuen Konstrukts eine überwachende Funktion übernehmen.
Durch die Fusion der beiden Großsponsoren könnte das neue Team budgettechnisch in Regionen vorstoßen, die sonst nur Ineos Grenadiers erreicht. Die Briten sind mit kolportierten 50 Millionen Euro aktuell das Nonplusultra. Mit etwas Sicherheitsabstand von rund zehn Millionen Euro nimmt das UAE Team Emirates mutmaßlich Rang zwei ein.
Gespräche zwischen Jumbo und dem tschechischen Besitzer von Soudal - Quick Step, Multimillionär Zdenek Bakala, soll es seit Juli geben. Zu diesem Zeitpunkt habe bereits Ineos-Boss Jim Ratcliffe an Soudal - Quick Step gebaggert, so Wielerflits. Als Plugge davon Wind bekam, soll er die Idee für sich adaptiert haben - und dabei offenbar mehr Erfolg gehabt haben als Milliardär Ratcliffe.
Offiziell will keiner der Beteiligten über den möglichen Deal sprechen. Und bei Tageslicht betrachtet, gäbe es zahlreiche Punkte, die gegen diese Pläne sprechen würden.
Bereits im Frühling verkündete die niederländische Supermarktkette Jumbo, ihr Sponsoring beim Radsportteam einstellen zu wollen, allerdings erst zum Ende des Jahres 2024. Nur wenige Wochen später wurde mit dem Kryptowährungshändler Coinmerce ein neuer Geldgeber vorgestellt, der aber wohl doch nicht in erster Reihe präsent sein wird. Stattdessen brachte sich Saudi-Arabien in Stellung, um als dritter Golfstaat nach den Vereinigten Arabischen Emiraten (UAE Team Emirates) und Bahrain (Bahrain-Victorious) noch stärker in den Radsport zu investieren. Im Team Jayco-AlUla steckt bereits die Tourismusbehörde des Landes.
Neue Geldgeber könnten auch aus den USA kommen. Der niederländische Marketer Chris Woerts sagte in der Fernsehsendung Vandaag Inside, dass Amazon als Sponsor beim neuen Fusionsteam anheuern soll. Wie Wielerflits und das Portal Escape Collective am Donnerstagabend berichteten allerdings nicht als Haupt- sondern nur als Co-Sponsor. 15 Millionen Euro soll der US-Tech-Gigant laut Woerts beisteuern und somit einen Großteil der Lücke des Jumbo-Ausstiegs von 25 Millionen abfangen. Escape Collective spekuliert, dass weitere 10 Millionen Euro aus einer möglichen Ablöse für Primoz Roglic kommen könnten.
Richard Plugge zeigte sich seinerzeit offen für Investoren aus der ganzen Welt. Auch der große amerikanische Markt sei interessant - vor Jumbo war mit Belkin schon einmal kurzzeitig ein US-Techkonzern namensgebender Sponsor des Teams - und dass mit Sepp Kuss ein US-Amerikaner jüngst die Vuelta gewonnen hat, dürfte dem Interesse in Übersee am Radsport kaum geschadet haben. Da scheint es wie gerufen zu kommen, dass Apple-Boss Tim Cook gerade Europa und dabei als “lebenslanger Rad-Fan” auch das Jumbo-Visma-Team und Plugge besucht hat. Eine App für Radfahrer war der offizielle Grund. Und die möge sich ja auch gut in Europa verkaufen. Genauso übrigens wie die Apple Glasses, die demnächst den Brillen-Markt mit AR-Technik ( “Augmented Reality”, erweiterte Realität), revolutionieren sollen.
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Sollte Plugge also mit Amazon und/oder Apple zwei der umsatzstärksten Konzerne der Welt an der Angel haben, wozu braucht er dann Soudal? Denn neben den unbestrittenen finanziellen Vorteilen der Fusionierung beider Teams würde der Zusammenschluss auch allerhand Probleme mit sich bringen.
Da wäre einerseits die personelle Situation. Dem Zusammenschluss würde nicht nur allerhand Staff - Mechaniker, Physiotherapeuten, etc. - zum Opfer fallen, sondern auch zahlreiche Fahrer. Soudal hat für 2024 noch 23 Profis unter Vertrag, Jumbo 27. Beide Teams haben dabei auch schon Neue unter Vertrag genommen, nicht nur aus den eigenen Develpoment-Teams, sondern auch namhafte Profis anderer Teams. Soudal hat etwa Mikel Landa von Bahrain-Victorious unter Vertrag genommen, Jumbo Matteo Jorgenson von Movistar. Laut UCI-Statuten darf ein World Team allerdings maximal 30 Fahrer unter Vertrag haben.
Ergo müssten bei einer Fusion beider Teams noch 20 Fahrer, die einen gültigen Vertrag für 2024 haben, den Arbeitgeber wechseln. Darunter nicht nur Helfer, sondern wahrscheinlich auch Topstars. Jonas Vingegaard, Primoz Roglic und Remco Evenepoel in einem Team? Da alle drei den Anspruch haben, die Tour de France zu gewinnen, dürfte sich das kaum vereinbaren lassen. Einen ähnlichen Ansatz sah auch Geraint Thomas (Ineos Grenadiers) in seinem jüngsten Podcast ‘Watts Occuring’. “Remco hasst Jumbo und Jumbo hasst Remco” sagte er dort, wohl nicht ganz ohne wahren Hintergrund. Als der Waliser merkte, dass seine Aussage auf fruchtbaren Boden fiel, schob er bei X (ehemals Twitter) nach, dass es sich dabei lediglich um einen Witz handelte.
Allerdings könnte sich ein Teil des Problems vielleicht in Luft auflösen. Wie das Global Cycling Network (GCN) meldete, soll Roglic Abwanderungsgedanken hegen. Der 33-jährige Slowene galt ohnehin als unzufrieden, nachdem er bei Jumbo mit Vingegaard einerseits keine Chance mehr auf einen Sieg bei der Tour bekommt und anderseits auch noch die diesjährige Vuelta nicht gewinnen durfte. So gesehen wäre es für Plugge ein guter Deal: Den jungen Überflieger für den abwanderungswilligen Altstar.
Als erster Abnehmer für Roglic gelten übrigens Ineos und Ratcliffe. Der hatte sich zuvor offenbar nicht nur beim gesamten Soudal-Team die Zähne ausgebissen, sondern auch bei einer Solo-Verpflichtung von Evenepoel. “Ich weiß, dass Jim Ratcliffe sehr viel Geld hat, aber er kann nicht die ganze Welt kaufen”, hatte Teamchef Lefevere im Juli zu GCN hinsichtlich der Avancen gegenüber Evenepoel gesagt. Gut möglich, dass damit aber auch schon der Kauf der gesamten Mannschaft gemeint war.
Allerdings hat Lefevere in einer teaminternen Mitteilung, die GCN vorliegen soll, am Tag nach dem Aufkommen der Gerüchte auch weiteren Kaufabsichten einen Riegel vorgeschoben - zumindest vorerst. Zwar bestätigte er den Kontakt zu anderen Teams: “Es gab weiter anhaltende Gespräche mit verschiedenen Parteien in den letzten Monaten, weil ich offen war, mit jedem zu sprechen, der das Gefühl hatte, er könne in unser Team investieren und uns helfen, uns zu verbessern und zu entwickeln. Das war nie ein Geheimnis”, so der Belgier, der sich für dadurch aufkommende Unsicherheiten entschuldigte. Allerdings schrieb er auch: “Entgegen der Berichte gibt es zu diesem Zeitpunkt keine konkreten Projekte und Pläne.”
Das wiederum sieht ein Bericht der belgischen Zeitung Het Laatste Nieuws (HLN) vom Donnerstag anders. Demzufolge hat Plugge bereits beim Präsidenten der UCI, David Lapartient, vorgesprochen und die Fusions-Pläne erläutert. Laut HLN hat Plugge ebenfalls schon mit Specialized gesprochen - dem Radhersteller des Soudal-Teams. Jumbo-Visma ist bisher auf Cervelo-Rädern unterwegs. Auch hierbei müsste einer der beiden Verträge gebrochen werden, was auch für weitere Teile der Ausrüstung gilt.
Sollte es tatsächlich zu einer Fusion dieser beiden Teams kommen, gibt es mindestens einen Verlierer. Und der heißt Ineos Grenadiers. Denn die bisherige Transferpolitik deutet daraufhin, dass die Briten fest mit dem Zusammenschluss mit einem anderen Team gerechnet haben. Bisher hat Ineos nicht einen einzigen Fahrer verpflichtet, dafür 15 Abgänge. Für 2024 stehen damit derzeit nur 15 Fahrer unter Vertrag. Fahrer, die den Ansprüchen des Teams genügen würden, sind aktuell kaum mehr auf dem Markt. Oder hat Teammanager David Brailsford bereits die Zusagen der Fahrer, die mit einer Visma-Soudal-Fusion auf der Straße sitzen würden?
Noch extremer ist die Situation bei Movistar. Auch die Spanier haben noch keinen Fahrer verpflichtet, allerdings bereits 23 Abgänge vermeldet und damit nur noch sieben Fahrer im 2024er Kader. Vielleicht sind die Spanier, obwohl sie in der Gerüchteküche bisher keine Rolle spielten, eines der entscheidenden Puzzle-Teile im großen Rätsel um die künftige Neuordnung in der World Tour. Das traditionsreiche Team von Eusebio Unzue, dessen Wurzeln bis 1980 zurückzuverfolgen sind, war schon im vergangenen Jahr auf der Suche nach einem Co-Sponsor nicht fündig geworden. Mutterkonzern Telefonica hatte 2021 den Kontrakt mit dem Team bis 2023 verlängert, seitdem ruht still der See. Lediglich der deutsche Helm-Hersteller Abus hatte im vergangenen Jahr sein Engagement bei den Spaniern bis 2025 ausgeweitet.
Mindestens ein World Team scheint vor dem Aus zu stehen. Damit würde auch mindestens eine World-Tour-Lizenz für die nächsten Jahre frei werden. Der UCI dürfte aber daran gelegen sein, weiterhin 18 Teams in der ersten Liga des Radsports zu halten. Die Liste an Interessenten ist lang. In der Schweiz streben gleich zwei junge Teams den Aufstieg an. Tudor Pro Cycling mit Besitzer Fabian Cancellara hat allerdings erst in diesem Jahr den Schritt in die Pro Tour, die zweite Liga, gemacht, das Q36.5 Pro Cycling Team von Douglas Ryder, ebenfalls in der Pro Tour unterwegs, wurde gar erst zu dieser Saison aus der Taufe gehoben. Beide sind noch nicht so weit.
Dann sind da noch die Absteiger aus dem vergangenen Jahr, Lotto-Dstny und Israel - Premier Tech. Während sich Lotto mehr oder weniger mit der Situation abgefunden hat und jetzt stark auf die Jugend setzt, um so 2026 wieder aufsteigen zu können, hätte Israel - vor allem Mitbesitzer Sylvan Adams - den Abstieg am liebsten auf Biegen und Brechen vermieden. Ein direkter Wiederaufstieg - sportlich ist es nur alle drei Jahre möglich - wäre eine riesige Genugtuung für das Team.
Und dann dann sind da noch die Norweger von Uno-X, die ebenfalls so schnell wie möglich in die World Tour kommen wollen und es eigentlich schon gerne wären. “Wir hatten uns schon letztes Jahr bei der UCI beworben”, sagte Teamchef Jens Haugland gegenüber Wielerflits. “Der einzige Grund, warum wir keine Lizenz bekamen, ist, dass wir 2020, 2021 und 2022 zu wenig UCI-Punkte gesammelt und so das sportliche Kriterium nicht erfüllt haben.”
Einen Haken gibt es allerdings: “Wir würden die Lizenz nur ohne Verpflichtungen übernehmen. Also keine Zahlstelle, die bereits eine Struktur von Fahrern und Mitarbeitern hat”, sagte Haugland für sein Team, doch das dürfte auch für alle anderen Pro Teams gelten. Die Übernahme des sogenannten ‘Paying Agents’, also den Kauf des aktuellen Lizenzhalters, der Betreibergesellschaft mit allen laufenden Verträgen, ist aber nur eine von zwei Möglichkeiten, um an die Lizenz zu kommen. Die zweite - und wahrscheinlichere, falls nicht ein Investor aus dem Nichts auftaucht - ist die Auflösung dieses ‘Paying Agents’. Danach könnte die UCI eine neue Lizenz vergeben.