Daniel Brickwedde
· 15.04.2024
Der bislang einzige deutsche Sieger beim Fleche Wallonne zu sein? Ja, sagt Rolf Gölz, das erfülle ihn schon ein bisschen mit Stolz. Etwas anderes hebt aber ebenso seine Laune: In der Gewinnerhistorie des Rennens stehen um ihn herum ausschließlich prominente Namen, Bernard Hinault zum Beispiel, Kim Andersen, Claude Criquielion, Laurent Fignon oder Moreno Argentin. Hinter dem Jahr 1988 steht dann Rolf Gölz. “Das sind alles große Rennfahrer und man steht dazwischen – da ist schon schön”, sagt er.
Zufallssieger, so lässt sich anhand der Gewinner ablesen, bringt der Fleche Wallonne selten hervor. Der Ardennen-Klassiker mündet in der Regel im Schlagabtausch der zähsten Rennfahrer. Stundenlang geht es auf und ab durch die belgische Hügellandschaft, bis im Finale seit 1985 die berüchtigte Rampe zur Mur de Huy wartet – rund 1,3 Kilometer lang, durchschnittlich 9,6 Prozent steil und in der Spitze mit über 20 Prozent Steigung. “Wir hatten schon ziemlich Respekt davor. Das war ein Kampf. Ich bin damals mit einer 41-23-Übersetzung dort hochgefahren, das war Standard – da muss man ziemlich draufdrücken”, so Gölz.
In der Neuzeit erreicht zumeist ein großes Feld die Mur de Huy, ehe ein langer Bergaufsprint den Sieger ermittelt – 2023 setzte sich Tadej Pogacar durch, ein Jahr zuvor Dylan Teuns. In der Profizeit von Gölz war das Rennen derweil selektiver, selten kamen mehr als ein Dutzend Fahrer zusammen an den knackigen Schlussanstieg. Gölz war dann oft dabei, erreichte bei seiner Premiere 1985 den 15. Platz, ein Jahr später Rang elf und stand 1987 als Dritter auf dem Podium – damals hatte sich Jean-Claude Leclerq vorzeitig als Sieger abgesetzt.
Auch 1988 fiel das Feld frühzeitig auseinander, die Erinnerungen sind bei Gölz 36 Jahre später jedoch etwas trübe. Wo, wann, wer eine Selektion herbeiführte, der heute 61-Jährige ist sich da nicht mehr sicher. Was er jedoch noch weiß: Mit Claude Criquielion, Moreno Argentin und Jean-Claude Leclerq war die fünfköpfige Gruppe erstklassig besetzt. Und was er damals bereits wusste: Mit diesen Fahrern durfte er niemals zusammen die Mur de Huy erreichen. Also trat er beim vorletzten Anstieg, dem Ben Ahin an, und setzte sich ab – rund 15 Kilometer vor dem Ziel.
“Mit dem Angriff habe ich für mich die deutlich besseren Chancen gesehen und gedacht, ich probiere es – auch mit der Hoffnung, dass sich die anderen Fahrer bei der Verfolgung vielleicht nicht so einig sind. Ich war damals mit Moreno Argentin ganz gut befreundet und wusste, dass er womöglich nicht mit letzter Konsequenz hinterherfährt”, so Gölz, der ebenfalls darauf spekulierte, dass der Rest der Gruppe ohnehin nicht mit Argentin bis zur Mur zusammenarbeiten würde. Denn im Bergaufsprint galt der Italiener als klarer Favorit. Später, in den Jahren 1990, 1991 und 1994, gewann Argentin das Rennen dreimal.
Mit seinem frühen Angriff fuhr sich Gölz damals schnell eine Lücke von rund einer Minute heraus. Normalerweise ausreichend für den Sieg. Nicht aber, wenn im Finale noch eine Rampe wie die Mur de Huy ansteht. “Den Anstieg habe ich mich ganz schön hochgeplagt. Ich hatte immer die Angst, da kommt noch wer von hinten, ist schneller als ich und überholt mich”, sagt Gölz und fügt an: “Hinter mir waren nur Top-Leute, da ist man sie nie sicher.”
Zumal sich die Mur nur quälend langsam bewältigen lässt, hundert Meter Distanz fühlen sich bei 15 Prozent Steigung mitunter wie ein Kilometer an. “Man merkt aber auch, ob man noch einen guten Rhythmus und gute Beine hat. Ich hatte aber die Angst, dass ich unten zu schnell hineingefahren bin. Bei dieser Steilheit, wenn da die Beine übersäuern – dann steht man und alle fliegen an einem vorbei”, sagt Gölz. Seine Beine hielten jedoch durch: Auf den letzten hundert Metern, auf denen es wieder flacher wird, wusste Gölz: Jetzt holt ihn keiner mehr – er wird den Fleche Wallonne gewinnen. Argentin folgte mit 46 Sekunden Rückstand auf Rang zwei, Platz drei belegte der Niederländer Steven Rooks.
“Dass ich mal so ein großes Rennen gewinne, das hätte ich mir damals nicht erträumen können”, so Gölz heute. Denn trotz seines dritten Platzes im Jahr davor sah er sich selbst nicht als einen der Favoriten. “Bei einem Klassiker sind die allerbesten Fahrer am Start, das ist eine ganz andere Klasse. Da braucht man auch etwas Glück. Alles muss passen”, sagt er.
Der Sieg beim Fleche Wallonne fiel in seine erfolgreiche Karrierephase, die er überwiegend beim belgischen Team Superconfex verbrachte, eine illustre Equipe um Teamchef und Ex-Profi Jan Raas sowie Spitzenfahrern wie Edwig van Hooydonck, Jelle Nijdam und Jean-Paul van Poppel. Alles große Namen, die viel öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zogen – für Gölz genau richtig. “Es gab mehrere gute Fahrer im Team. Und wenn es gepasst, durfte ich fahren, ohne dass ich den ganz großen Druck hatte”, sagt Gölz. Bei Superconfex fand er ab 1987 ein ideales Umfeld, zumindest mit dem Sportlichen Leiter Hilaire van der Schueren, weniger mit Teamboss Raas.
“Ich war eher ein sensibler Fahrer. Wenn ich unbeschwert fahren konnte und kein Druck auf mir gelastet hat, ist bei mir öfters der Knoten geplatzt – dann war ich eine Klasse besser. Jan Raas war jedoch taff, er hat den Druck verteilt. Wir hatten nicht so ein gutes Verhältnis”, sagt Gölz. Van der Schueren habe hingegen gewusst, wie er mit ihm umzugehen habe, war vom Typ eher ein väterlicher Freund – wohingegen Raas ein strenger Schleifer war. Dennoch erzielte Gölz in dessen Team seine größten Erfolge, darunter zwei Etappensiege bei der Tour de France 1987 in Blagnac und 1988 in Nancy, den Sieg bei der Meisterschaft von Zürich, zweimal Mailand-Turin, etliche Tagessiege und eben den Fleche Wallonne. 1990 kam er zudem bei Mailand-San Remo auf Platz zwei.
“Ich bin von der Bahn gekommen, war gut im Sprint und bin gut über die Hügel gekommen. Bei den schweren Bergen wurde ich hingegen abgehängt. Die Ardennen waren aber noch mein Terrain, auf dem ich mit den besten mithalten konnte. Und wenn die besseren Sprinter bei den Hügeln Probleme bekamen, dann war es immer gut für mich”, sagt Gölz. Mit diesen Fähigkeiten stieg er Ende der 1980er-Jahre zu einem der besten deutschen Profis auf. Der Radsport hierzulande erlebte allerdings erst den 1990er-Jahren seinen Boom, was eine erhöhte Aufmerksamkeit und Anerkennung für sportliche Erfolge mit sich brachte. Gölz hat diese Zeit verpasst. Damit kann man hadern – oder wie Gölz froh darüber sein.
“Wenn die Medien mich etwas mehr im Fokus hatten, bei Lüttich-Bastogne-Lüttich zum Beispiel, mit Interviews vor dem Rennen, wo ich zu einem der Favoriten gemacht wurde, das war nicht so optimal für mich”, so Gölz. Immer etwas unter dem öffentlichen Radar unterwegs sein, damit fühlte er sich am wohlsten. Bei Lüttich kam er derweil nie an die Spitzenplätze heran, die er wenige Tage zuvor noch beim Fleche erreicht hatte. Die Steigung Cote de la Redoute – oft wegweisend bei dem Rennen – sei für ihn stets der Knackpunkt gewesen, so Gölz, da sei er nie “richtig drüber gekommen”. Im Jahr seines Fleche-Sieges stürzte er zudem kurz vor der Cote.
Sein frühes Karriereende mit nur 30 Jahren sah Gölz später hingegen mit gemischten Gefühlen. 1992 verlor beim Team Ariostea unter Teamchef Giancarlo Ferretti die Lust und Motivation am Profi-Radsport – und löste trotz bestehender Vereinbarung für 1993 seinen Vertrag auf. “Als die Jahre so vergangenen sind, und man zurückgeschaut hat, da hat man sich schon gefragt: Wieso bist du nicht noch länger gefahren? Es war ja meine Welt und ein Privileg, im Profizirkus dabei zu sein und einigermaßen gut zu sein.”
Gölz fügt allerdings ebenfalls an: “Vielleicht hätte mit ein wenig mehr Professionalität auch mehr aus mir werden können. Ich war ein Bauchfahrer, wenn alles gepasst hat, dann war ganz viel möglich. Wenn Stimmung und Moral aber nicht so gut waren, dann war ich auch unter ferner liefen zu finden.” Allerdings herrschten damals andere Zeiten im Radsport: Aufwendige Materialtests, wissenschaftliche und koordinierte Trainingssteuerung, optimiertes Ernährungsplanung – das gab es nicht. Gölz gestaltete alles nach seinem Gusto, mal gab es längere, mal kürzere Ausfahrten. Alles instinktiv. Alles nach der Prämisse: Was fühlt sich richtig an?
Mit dem heutigen, durchgetakteten Profi-Radsport, so glaubt Gölz, hätte er sich jedoch schwergetan. “Heute ist alles durchgeplant. Ich hatte damals Spaß am Radsport – und ich weiß nicht, ob er mir so heute noch Spaß macht. Daher war es schon die richtige Zeit für mich.”
Den Radsport verfolgt er nach wie vor, zumeist am Fernseher. Seine Anteile an einem Radgeschäft, das Gölz lange Zeit führte, verkaufte er vor vier Jahren. “Seitdem genieße ich das Leben im bescheidenen Rahmen”, sagt er. Mit seiner Frau legte er sich dann ein Wohnmobil zu. Das Vorjahr habe dann im Zeichen des Radsports gestanden: Mailand-San Remo, Giro d’Italia, Tour de France, Lüttich-Bastogne-Lüttich und eben Fleche Wallonne, so einige Termine in seinem Reiseplan. Die Mur de Huy habe er dann auch noch einmal mit dem Rad erklommen – der Ort eines seiner größten Siege. “Dort wieder hochzufahren, das war schon ein besonderes Gefühl”, so Gölz.