21. Todestag Marco PantaniDouble, Absturz und Verschwörungen – das Vermächtnis des Piraten

Daniel Brickwedde

 · 14.02.2025

Am 14. Februar 2025 jährt sich der Todestag von Marco Pantani zum 21. Mal.
Foto: DPA Picture Alliance
Vor 21 Jahren starb Marco Pantani, einer der prägendsten Radprofis der 1990er-Jahre und letzter Gewinner des Giro-Tour-Doubles. Der von seinen Landsleuten verehrte Italiener kam nie über die Vorfälle beim Giro 1999 hinweg - sein Tod beschäftigt die Justiz bis heute.

An Valentinstag dürfte es wieder viele Menschen nach Cesenatico ziehen. Allerdings nicht aus romantischen Gründen, obwohl gewissermaßen Zuneigung und Liebe schon eine Rolle spielen. Es geht um das Gedenken an einen Toten, an Marco Pantani. 50.000 Menschen sollen jedes Jahr sein Grab in der italienischen Gemeinde aufsuchen, viele davon kommen an seinem Todestag. Pantani starb am 14. Februar 2004. Er wurde 34 Jahre alt.

Über seine letzten Tage ist seitdem viel geschrieben und spekuliert worden. Die häufigste Schilderung: Am 9. Februar bezog Pantani ein Apartment im Hotel “Le Rose” in der Küstenstadt Rimini, Zimmer 5D. Verlassen hat er die Unterkunft im Anschluss angeblich kaum, lediglich zum Frühstück, einmal soll sich 20.000 Euro von der Bank geholt haben. Am Tag seines Todes meldete er sich telefonisch mehrfach beim Hotelempfang, beschwerte sich über Lärm aus den Nebenzimmern, in denen allerdings niemand wohnte. Den Kompass für sein Leben hatte Pantani zu diesem Zeitpunkt längst weggeworfen. Um 16 Uhr war er tot. Rund fünf Stunden später entdeckte ein Hotelmitarbeiter seine Leiche. Das Ergebnis der Autopsie: Herzversagen durch eine tödliche Mischung aus Antidepressiva und Kokain.

Das Leben von Marco Pantani war eine Tragödie

“Vier Jahre lang habe ich die Gerichtssäle Italiens kennengelernt und das Vertrauen in die Justiz verloren. Man hat schwer in mein Privatleben eingegriffen, ich habe für den Radsport einen hohen Preis gezahlt und keine Freude mehr”, schrieb Pantani in seinem offenbar letzten Brief, der im Hotelzimmer gefunden wurde. Statt Radrennen hatten seit dem Jahr 2000 Dopingstrafverfahren sein öffentliches Bild geprägt: Anklage, Strafmaß, Sperre und anschließend die Berufung. Ein Kreislauf der Demütigung, zumindest empfand es Pantani so.

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Der größte Erfolg für Marco Pantani war der Sieg bei der Tour de France 1998 - vor Jan Ullrich und Bobby Julich.Foto: DPA Picture AllianceDer größte Erfolg für Marco Pantani war der Sieg bei der Tour de France 1998 - vor Jan Ullrich und Bobby Julich.

Sein Leben war eine Tragödie. Pantani erreichte als Radsportler die höchsten Höhen, gewann 1998 innerhalb weniger Wochen den Giro d’Italia und die Tour de France, fiel aber zugleich abseits der Straße in menschliche Tiefen, aus denen er irgendwann nicht mehr herausfand. Viele seine Landsleute hielten trotzdem bis zum Schluss zu ihm. Italien verehrte ihn, gab ihm wegen seines Kopftuches den Spitznahmen “il pirata”, nannte ihn wegen seiner abstehenden Ohren “Elefantino”.

Pantanis Trauerzug begleiten 30.000 Menschen

Womöglich waren es gerade die Widersprüche, die die Menschen anzogen: Optisch und auf dem Rad war Pantani ein Exzentriker, im wahren Leben hingegen eher in sich gekehrt, teilweise schüchtern. Auch wenn er oft unnahbar wirkte, er berührte die Menschen auf eine Art. Zumal er kein klassischer Siegertyp war, sondern mehr Pech als Glück zu haben schien. Auch das erhöhte das Mitgefühl. “Es mag Fahrer geben, die mehr erreicht haben als er, aber sie haben es nie geschafft, die Fans so zu begeistern wie er”, sagte Miguel Indurain, fünffacher Tour-Sieger zwischen 1991 und 1995, nach Pantanis Tod.

Den Trauerzug wenige Tage später zum Friedhof in Cesenatico begleiteten rund 30.000 Menschen, darunter Freunde, Fans und sportliche Prominenz. Medien waren nicht erwünscht. “Geht weg, ihr habt ihn umgebracht”, rief damals Pantanis Mutter Tonina den Journalisten zu. Mit Pantanis Tod begannen sogleich die Verdächtigungen, die Fragen nach den Schuldigen – und die Theorien, dass er ermordet wurde. Bis heute gehört auch das zu seinem Vermächtnis.

Der Sarg mit dem Leichnam von Marco Pantani auf dem Weg zum Friedhof.  Die Anteilnahme der Italiener war groß.Foto: DPA Picture AllianceDer Sarg mit dem Leichnam von Marco Pantani auf dem Weg zum Friedhof. Die Anteilnahme der Italiener war groß.

Den ersten Profivertrag unterschrieb Pantani 1992 beim italienischen Team Carrera, die ersten sportlichen Schlagzeilen bekam er 1994 mit zwei Etappensiegen und Platz zwei beim Giro d’Italia sowie Rang drei bei der Tour de France. Berüchtigt waren seine Antritte am Berg: Er umfasste den unteren Teil des Lenkers, ging aus dem Sattel, warf seinen Körper nach vorne und spurtete im Wiegetritt davon. 1995 holte er sich so bei der Tour de France seinen ersten Etappensieg in L’Alpe d’Huez. Auf jeden Höhepunkt folgte für Pantani jedoch verlässlich ein Rückschlag, dies zog sich durch seine Karriere: Im Herbst 1995 kollidierte er auf einer Trainingsfahrt mit einem Auto und brach sich beide Beine. Eineinhalb Jahre musste Pantani pausieren.

Pantani fährt nach Les Deux Alpes Jan Ullrich davon

Seine erfolgreiche Rückkehr feierte er 1997 mit einem weiteren Sieg in L’Alpe d’Huez – die Rekordzeit für den Anstieg von 37:35 Minuten besteht bis heute. Dieses Comeback inspirierte später den Autor Fred Poulet zum Buch “21 Kurven”, in dem er Pantani und den Mythos Alpe d'Huez in 21 Kapiteln beleuchtet.

Das Buch “21 Kurven” von Fred Poulet erscheint jetzt.Foto: Delius-Klasing VerlagDas Buch “21 Kurven” von Fred Poulet erscheint jetzt.

Die damalige Tour beendete Pantani auf Platz drei. Zwölf Monate später stand er dann ganz oben in Paris, mit gelb gefärbtem Kinnbart und Gelben Trikot. Ein Moment für die Radsportgeschichte: Nach dem Sieg beim Giro d’Italia einige Wochen zuvor gewann Pantani auch die Tour de France; als siebter und bislang letzter Fahrer gelang ihm das berüchtigte Double. Im Vorfeld galt Jan Ullrich als der große Favorit auf das Gelbe Trikot, doch auf der Königsetappe nach Les Deux Alpes ging Pantani früh in die Offensive und nahm Ullrich fast neun Minuten ab und den Tour-Sieg weg.

Von italienischen Polizisten umgeben verließ Marco Pantani beim Giro 1999 das Hotel in Madonna Di Campiglioi. Pantani wurde vom Rennen ausgeschlossen.Foto: DPA Picture AllianceVon italienischen Polizisten umgeben verließ Marco Pantani beim Giro 1999 das Hotel in Madonna Di Campiglioi. Pantani wurde vom Rennen ausgeschlossen.

Der Italiener war damit zu den ganz großen im Radsport vorgestoßen. Auf jedes Hoch folgte für Pantani jedoch ein Tief. Zunächst schien der Giro d’Italia 1999 allerdings sein Meisterstück zu werden, Pantani dominierte, gewann vier Etappen, trug Rosa. Am Morgen der vorletzten Etappe hielt dann die Polizei an seinem Mannschaftshotel. Sein Hämatokritwert lag bei einem Bluttest mit 52 über der Grenzmarke von 50. Pantani wurde vom Rennen ausgeschlossen.

Als er sein Hämatokritwert zu hoch war, wurde er nur für 15 Tage gesperrt, aber das hat sein ganzes Leben verkompliziert und er hat es nie überwunden. Er war nie mehr derselbe. - Miguel Indurain nach Pantanis Tod.

Dass Pantani dopte, dafür gab es schon während seiner Karriere genug Indizien. Im Jahr 2000 belegte ihn ein italienisches Gericht wegen Sportbetruges mit einer dreimonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung und einem sechsmonatigen Berufsverbot – Pantani war bereits 1995 mit erhöhten Hämatokritwerten aufgefallen, was das Gericht als einen ausreichenden Beleg auf Dopingmissbrauch wertete. Ein Jahr später wurde das Urteil in Berufung wieder aufgehoben, sein Vergehen sei nach den damaligen Dopinggesetzen noch nicht strafbar gewesen.

Beleidigt und verbittert - Pantanis Umgang mit den Dopingvorwürfen

Später sperrte ihn der italienische Radsportverband für acht Monate, da beim Giro 2001 eine verbotene Insulin-Spritze in seinem Hotelzimmer gefunden wurde. Auch dieses Urteil wurde in Berufung wieder einkassiert. Ein weiteres Verfahren lief wegen der Hämatokritwerte beim Giro 1999. Pantani stritt stets alles ab, der natürliche Reflex jener Zeit. Doch niemand schien wie er derart beleidigt, verbittert und persönlich angegriffen von den Dopingvorwürfen. “Die seelischen Schmerzen, die mir dieses Land mit diesen ungerechtfertigten Anschuldigungen zugefügt hat, werde ich nie vergessen können”, sagte Pantani einst. Im Jahr 2013 veröffentlichte der Französische Senat einen Untersuchungsbericht, wonach Pantani zu den 18 Fahrern gehörte, deren Nachtests von der Tour 1998 positiv auf EPO ausschlugen.

Den Giro 1999 dominierte Marco Pantani - wurde ihm das zum Verhängnis?Foto: DPA Picture AllianceDen Giro 1999 dominierte Marco Pantani - wurde ihm das zum Verhängnis?

Nach dem Giro 1999 zog sich Pantani fast ein Jahr zurück, meldete sich bei der Tour de France 2000 jedoch mit zwei Etappensiegen zurück: Er gewann die Bergankunft am Mont Ventoux und einen weiteren Abschnitt nach Courcheval. Es sollten seine letzten Siege sein. Stattdessen häuften sich fortan Schlagzeilen wie jene, dass er an einem Nachmittag drei Autounfälle verursachte.

2003 startete er ein weiteres Comeback beim Giro d’Italia und landete immerhin auf einem beachtlichen 14. Platz. Seine große Hoffnung auf eine Rückkehr zur Tour erfüllte sich indes nicht: Die Organisatoren wollten ihn bei der 100-jährigen Jubiläumsausgabe nicht dabei haben, sein Team erhielt keine Einladung. Es bedeutete gewissermaßen das Ende des Radprofis Pantani.

Kurz darauf begab er sich in eine Klinik für Depressionen und Drogenabhängigkeit, er hatte inzwischen an Gewicht zugenommen, galt als kokainabhängig. Und er isolierte sich immer mehr von den Menschen, die er eigentlich brauchte. Es waren alles Wegweiser, die schließlich im Februar 2004 nach Rimini führten.

Spielte die Mafia eine Rolle beim Giro 1999?

Sucht man den Beginn seines Absturzes, dann ist es wohl jener Giro 1999. Pantani soll sich bis zu seinem Tod um diesen Sieg beraubt gefühlt haben. Dieses Ungerechtigkeitsempfinden fraß sich tief in seinem Kopf ein. Das Warum hinter seinem Ausschluss, so heißt es, ließ Pantani nicht mehr los. Es ist der Bereich, in dem die Gerüchte und Verschwörungen um seinen Tod beginnen. Unter anderem geht es um die neapolitanische Mafia, die Camorra, illegale Wetten und riesige Geldbeträge. Demnach durfte Pantani den Giro 1999 auf keinen Fall gewinnen. Also zog man ihn aus dem Rennen.

Berüchtigt waren seine Antritte am Berg: Er umfasste den unteren Teil des Lenkers, ging aus dem Sattel, warf seinen Körper nach vorne und spurtete im Wiegetritt davon.Foto: DPA Picture AllianceBerüchtigt waren seine Antritte am Berg: Er umfasste den unteren Teil des Lenkers, ging aus dem Sattel, warf seinen Körper nach vorne und spurtete im Wiegetritt davon.

Seine Familie glaubte ohnehin nie an einen Selbstmord. “Marco war nicht allein im Zimmer, als er starb”, behauptete seine Mutter, “er stand jemandem im Wege. Er wollte über Doping aussagen und das hat jemanden gestört.” Die Eltern holten Fachleute hinzu, die Indizien für einen Mord sammelten. 2014 nahm die Staatsanwaltschaft sogar Ermittlungen auf, Italiens oberstes Gericht kam jedoch zu dem Urteil, dass die Mordthese “reine Fantasie” sei.

Im Jahr 2021 wurden indes neue Ermittlungen öffentlich, dieses Mal tatsächlich mit Bezug auf die Mafia – ein Verfahren wegen Mordes gegen Unbekannt, welches auf Informationen der Anti-Mafia-Parlamentskommission beruhte. Allerdings gab es seitdem keine neuen Mitteilungen zu dem Fall.

20 Jahre nach seinem Tod ist um Pantani weiterhin keine Ruhe eingekehrt. Für seine Anhänger bleibt aber vor allem der Sportler Pantani unvergessen. Einige werden dafür am 14. Februar wieder sein Grab in Cesenatico aufsuchen. Um den Piraten ihre Ehre zu erweisen.

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