Zurück in die ZukunftFahrrad.de vor Neustart

Kristian Bauer

 · 24.04.2024

Zurück in die Zukunft: Fahrrad.de vor NeustartFoto: Fotofabrik Stuttgart
René Köhler
Der frühere Gründer René Marius Köhler hat Fahrrad.de und weitere Teile der Internetstores GmbH zurückgekauft. Das Unternehmen war in den Strudel der Signa-Insolvenz geraten. Jetzt hat er nur wenige Tage Zeit, um Fahrrad.de von Null auf neu aufzubauen: am 1. Mai geht der neue Shop online.

Das Firmen-Imperium von René Benko ist Ende 2023 in sich zusammengebrochen - ein Unternehmen nach dem anderen musste Insolvenz anmelden. In den Strudel der Signa-Pleite ist auch Internetstores und seine bekannteste Marke Fahrrad.de geraten. René Marius Köhler hatte Fahrrad.de 2003 gegründet und bis 2016 als CEO geleitet. Nach der Eingliederung in die Signa Sports United hielt er nur noch einen kleinen Anteil und war nicht mehr in der Unternehmensführung. Jetzt hat er Fahrrad.de gekauft und wagt den Neustart. Im Interview erklärt er die Pläne für die Zukunft:

TOUR: Was genau haben Sie gekauft?

Köhler: Es geht nur um Internetstores – nicht um Wiggle, Chain Reaction und andere Elemente der Signa Sports United. Internetstores war Weltmarktführer für den Versand von Fahrrädern - in der Spitze waren es 600 Millionen Euro Umsatz. Wir haben keinen alten Rechtsträger übernommen, sondern nur die Domain, die Markenrechte und die Kundendaten gekauft. Im Kern haben wir Fahrrad.de und Bikester übernommen und der Deal umfasst auch die Eigenmarken wie Votec. Nicht übernommen haben wir das nordeuropäische Geschäft, also Finnland, Dänemark und Norwegen und Schweden. Und wir haben nicht das Outdoor-Geschäft übernommen, das unter Campz lief.

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TOUR: Sie hatten selbst Anteile an Signa Sports United?

Köhler: Ja. Es waren ursprünglich Internetstores-Anteile, die zum Börsengang in Anteile der Sigma Sports United getauscht wurden. Das sollte mehr Motivation für das gesamte Unternehmen bringen. Allerdings wurde die Firma so katastrophal geführt, die Sigma Sports United und auch die Töchter, das hat überhaupt nichts ausgemacht. Die sind mit 180 gegen die Wand gefahren. Ich hatte beim Börsengang der Sigma Sports United sieben Millionen Aktien, und der IPO-Preis pro Aktie waren 10 Dollar. Das heißt, da hatte ich einen Anteil von 70 Millionen US-Dollar.

TOUR: Warum wollte niemand Signa Sports übernehmen?

Köhler: Anfänglich gab es viele Wettbewerber. Fast jeder Marktteilnehmer war interessiert: von Decathlon über Bike24, über SportsDirect und viele andere. Aber das war ein unendlich komplexes Firmenkonstrukt: ein Listing in Amerika an der Börse, dann eine holländische BV als Dachgesellschaft, und dann eine Berliner Holding, Sigma Sports United. Dann darunter die ganzen Töchter, wie Wiggle und Internetstores und Tennispoint. Diese Firmen haben ihrerseits überall in verschiedenen Ländern Töchter. Die Internetstores hat wieder Töchter in Skandinavien oder in Südeuropa. Allein dieser Insolvenzprozess ist kompliziert: die Verknüpfungen zu den Töchtern werden aufgelöst und jede einzelne Firma hat ihren eigenen Insolvenzverwalter. Allein bei Sports United war wahrscheinlich eine zweistellige Anzahl von Insolvenzverwaltern unterwegs. Das muss dann auf Einzelunternehmen-Ebene geführt werden. Das muss aber auch wieder im Kontext der gesamten Sigma Sports United-Verfahren geführt werden. Dann sind überall die Banken dabei und die Gründer und die Manager. Das ist ein unfassbar komplexes Konstrukt. Da werden Tausende von Menschen jahrelang beschäftigt sein, das aufzuräumen.

Es geht für Fahrrad.de wieder bei Null los

TOUR: Ihre Mutter hat laut einem Interview gesagt sie sind irre: ohne Ware und in so kurzer Zeit den Neustart mit Fahrrad.de zu wagen

Köhler: Ja, meine Mutter hat schon recht - es geht jetzt wieder von Null los. Sie müssen sich erstmal für ein Shopsystem entscheiden, für eine Datenbank, für die ganzen Auswertungssysteme. Das sind alles simple Fragen, die aber in unglaublicher Kürze geklärt werden müssen. Sie brauchen die komplette Ware und Mitarbeiter und selbst so etwas einfaches wie ein Telefonanschluss ist wichtig.

TOUR: Ist es realistisch, das in so kurzer Zeit aufzubauen?

Köhler: Technisch muss ich sagen, es ist schon bemerkenswert, was diese Industrie in den letzten 20 Jahren geleistet hat. Es ist schon so, dass es heutzutage Systeme gibt, von denen wir damals nicht zu träumen gewagt hätten. Shopsysteme, die sehr gut bedienbar sind, Integrationsmöglichkeiten der Daten oder die Produktanlage. Da haben wir früher Produkt für Produkt händisch angelegt und heute können wir Produkte automatisch aus erhaltenen Produktdaten einrichten. Früher haben wir die Bilder zum Beispiel selbst gemacht im eigenen Fotostudio. Das ist heutzutage alles Standard.

TOUR: Und kann man am 1. Mai auf der neuen Seite von Fahrrad.de einkaufen?

Köhler: Ja, auf jeden Fall. Auf den Großteil des früheren Funktionsumfangs wird man am Anfang noch verzichten müssen. Sicherlich fehlt auch im Zubehör- und Bekleidungsbereich einiges. Fahrräder werden auf jeden Fall angeboten. Es gibt auch schon zwei Marken, die ich nennen kann: Cube und Kalkhoff. Die DNA von Fahrrad.de waren immer Kompletträder. Das ist auch, wo ich persönlich herkomme: mein Vater hatte einen Fahrradladen in Stuttgart. Zubehör, Teilebekleidung war auch wichtig, aber wir haben uns als Fahrradverkäufer verstanden.

Volle Lager sind ein Glücksfall

TOUR: Letztendlich haben Sie Glück, weil aufgrund der Marktlage noch Material in den Lagern ist. Das wäre ja noch vor 1,5 Jahren ganz anders gewesen.

Köhler: Die Krise hat mit dazu beigetragen, dass die 70 Mio. Dollar, die ich da drin hatte (Anm. d. red.: Anteile an Signa Sports United) als Vermögen, sich aufgelöst haben. Bis dato war es dann Pech. Jetzt in der aktuellen Situation haben wir dieses Glück, weil die Ware ist da. Viele Lieferanten haben sogar das Problem, dass sie noch Eigenmarken von uns auf dem Hof haben. Es gibt jetzt auch keine verbrannte Erde. Der Zuspruch aus der Branche ist enorm. Ich hatte damals einen ordentlichen Ruf und habe nie die Leute geärgert. Deswegen freut sich eigentlich die Industrie, dass ich zurückkehre.

TOUR: Wir hatten einen schwierigen Fahrradmarkt mit Kaufzurückhaltung. Erwarten Sie eine baldige Trendwende? Ist Ihre Hoffnung, dass sie mit Fahrrad.de von einem neuen Aufschwung profitieren können?

Köhler: Ja, das ist definitiv die Annahme. Den Startzeitpunkt haben wir nicht zu bestimmen gehabt. Die Insolvenz war da und der Prozess hat gedauert. Aber das war sicher ein Grund, dass wir gesagt haben, wir möchten das machen, dass einerseits Ware am Markt verfügbar ist zu attraktiven Konditionen, die auch einem Newcomer ermöglichen, Ware zu bekommen. Es war ja zeitweise unmöglich, die richtige Ware zu kriegen. Im Moment ist extrem viel Ware im Markt aber die Umsätze waren überschaubar. Wenn es dann wieder losgeht, würden wir uns ganz gut positioniert fühlen. Das kommt definitiv mit dazu, dass ich das noch mal gemacht habe. Viele Leute fragen, warum ich mir das nochmal antue. Aber ich konnte es irgendwie nicht lassen.

“Halbe Million Euro Verlust am Tag”

TOUR: Was wollen Sie anders machen, als Signa Sports?

Köhler: Man kann das mit Signa Sports überhaupt nicht vergleichen. Als ich das Unternehmen übergeben habe, war es mit 7,5 Prozent Ergebnis vom Umsatz sehr profitabel für den Händler. Zum Schluss hatte es im letzten Jahr ein negatives Ergebnis von 30-35 Prozent. Zahlen, die derartig haarsträubend sind, dass man es fast nicht erklären kann. Allein Internetstores hat pro Arbeitstag eine halbe Million Euro Verlust gemacht. Das muss man sich mal vorstellen.

TOUR: Der Markt hat sich völlig verändert im Vergleich zu ihrer Gründungsphase von Fahrrad.de vor 20 Jahren. Warum glauben Sie, trotzdem erfolgreich sein zu können?

Köhler: Der Markt hat sich komplett verändert, aber die Art, wie man Erfolg hat, oder die Elemente, die es braucht, um Erfolg zu haben, haben sich nicht verändert. Ein ordentliches Sortiment zum leistungsfähigen Preis, ein tolles Online-Marketing, eine Erreichbarkeit im Kundenservice, und dass die Menschen verstehen, wofür sie arbeiten. Dann aber auch ein kuratiertes Sortiment, wo man den Kunden nicht mit 200.000 Produktlisten überfordert, sondern eine Beratungsfunktion wieder wahrnimmt. Das ist unsere Empfehlung. Und dann vor allem, dass die Prozesse wieder klappen. Signa hat es teilweise geschafft, auf Fahrrädern eine Lieferzeit von sechs Wochen zu haben. Ich habe nur angeboten, was auch im Lager ist. Das sind Dinge, die ich wieder implementieren will. Die meisten Händler überschätzen völlig ihre Aufgabe. Die Aufgabe des Händlers ist nur, Ware anzubieten zu einem ordentlichen Preis, um sie schnell zum Kunde zu bringen, ohne Fehler. Jeder glaubt, er hätte noch 100.000 Funktionen mehr, vernachlässigt dann aber diese Kernprozesse. Wenn Sie mich ganz ehrlich fragen, ich wäre schon glücklich, wenn wir es schaffen, die Kernprozesse gut zu machen.

TOUR: Wird es noch stationäre Geschäfte von Fahrrad.de geben?

Köhler: Es gibt stationäre Fahrradgeschäfte in Hamburg, Dortmund, Düsseldorf und zwei in Stuttgart und Berlin. Berlin geben wir ab, das war innerhalb von der Karstadt-Fläche, zu den überzogenen Benko-Mieten, das macht keinen Sinn - alle anderen Standorte übernehmen wir. Wir wollen auch gerne expandieren. Früher wollte ich das nicht machen, weil mir das zu komplex erschien. Ich wollte mich konzentrieren auf das Thema Online, aber der Markt hat sich erheblich verändert. Wir haben heute das Thema E-Bikes, wo die Service-Herausforderung nochmal gewachsen ist im Vergleich zu früheren Normalrädern. Dann haben Sie das Thema Bike Leasing, was einen riesigen Anteil hat, der einfacher stationär funktioniert, als online. Früher hatten wir Outdoor und Bike und das in verschiedenen Ländern. Jetzt ist es relativ simpel: es ist der Fokus auf dem deutschsprachigen Markt. Dann zu sagen, wir machen vielleicht auch noch einen Laden in München oder Zürich - das könnte ich mir schon gut vorstellen. Und wir werden weiter an Partnerschaften mit dem stationären Handel festhalten. Es gab ein sehr erfolgreiches Teilgeschäftsmodell: das hieß Fahrrad.de-Fachhandelspartner. Da gibt es Vergütungen, wenn wir das Fahrrad zum Händler liefern dürfen und er das dann aufbaut und dem Kunden übergibt. Auch als Service ist er dann ansprechbar. Da gibt es einige Händler, die auf uns zukommen und sagen, das war für sie super.

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