Tadej Pogacar ist 2024 auf 165 Millimeter kurzen Kurbeln zu seinen Siegen geeilt. Diese Kurbeln werden normalerweise eher von kleinen Fahrern bewegt, die auch auf entsprechend kleinen Rädern unterwegs sind. Pogacar ist mit 1,76 Metern aber normal groß und fuhr 2022 noch 172,5 Millimeter lange Kurbeln – die Standardlänge bei mittlerer Rahmengröße. Pogacar ist auf diesem Schrumpfkurs aber nicht alleine. Schon seit geraumer Zeit sind kürzere Kurbeln en vogue. Losgetreten wurde die Welle von Zeitfahrern, insbesondere von Triathleten. Das Argument für die kürzere Kurbel: ein weiter geöffneter Hüftwinkel und damit die Möglichkeit, den Oberkörper tiefer zu beugen, um die Aerodynamik zu verbessern. Neu ist der Trick nicht. Schon 2015 kürzte Bradley Wiggins für seinen – erfolgreichen – Angriff auf den Stundenweltrekord die Kurbeln an seinem Rad auf einen Schlag von 177,5 auf 170 Millimeter, was ihm nach Schilderung seines damaligen Bikefitters Phil Burt ermöglichte, den Lenker um 30 Millimeter abzusenken und seine ohnehin sehr schnelle Position noch mal zu optimieren. Sein cwA-Wert soll sich damals um etwas mehr als drei Prozent verbessert haben. Der Trend zur kürzeren Kurbel steht im Gegensatz zur Tatsache, dass Radprofis historisch gesehen eher längere Kurbeln als das Standardmaß wählten. Große Fahrer sowieso, aber auch zierliche Fahrer, wie zum Beispiel Marco Pantani. Der Italiener, 1,72 Meter groß, wählte am Berg bis zu 180 Millimeter lange Kurbeln, fuhr im Flachen aber 170 Millimeter.
Die Radhersteller stehen bei Kompletträdern auch vor der Frage, welche Kurbellänge an welche Rahmengröße montiert werden soll. In der Serie kommen nur drei Längen zum Einsatz: 170, 172,5 und 175 Millimeter. Im Lichte der jüngsten Entwicklungen finden sich aber zunehmend auch kürzere Kurbeln bei ganz kleinen Größen. So liefert Canyon beispielsweise sein Aeroad in Größe XS mit 165er-Kurbeln aus. Dies passt allerdings eher Fahrern und Fahrerinnen, die deutlich kleiner sind als Pogacar. Canyons Rahmengröße 2XS passt für 1,50 bis 1,65 Meter Körpergröße (68 bis 79 Zentimeter Innenbeinlänge). Die nächstgrößere Canyon-Rahmengröße hat dann schon 170-Millimeter-Kurbeln, weil Shimano die 167,5 Millimeter lange Zwischengröße nur für die Top-Gruppe Dura-Ace anbietet, was die Bikefitterin Franziska Schmidt auch bemängelt.
SRAM hingegen hätte 167,5 Millimeter messende Kurbeln im Programm, die Canyon aber nicht an SRAM-Modellen spezifiziert. Im Prinzip folgen alle Hersteller der Idee, Kurbeln analog zur Rahmen- und Körpergröße zu wählen, nur sind die Längenänderungen der Kurbeln stark gedämpft. Das Spektrum von 165 bis 175 Millimeter bedeutet eine Spreizung von nur sechs Prozent, wohingegen Körpergrößen und Beinlängen über das Spektrum von Rahmengrößen eher um 25 Prozent variieren. Wer seine Kurbeln proportional zur Beinlänge wählen möchte und deutlich kleiner oder größer als der Durchschnitt ist, wird daher nur bei Spezialisten fündig, die auch extreme Längen anbieten. Was sagt die Wissenschaft zum Thema Kurbellänge?
Der Stand der (etwas dünnen) Forschung zum Thema Kurbellänge besagt, dass Längenunterschiede von zehn Millimetern und mehr keinen Einfluss auf die Leistung haben. Davon ausgehend könnten Kurbeln also nach anderen Kriterien gewählt werden, also zum Beispiel rein nach Fitting-Gesichtspunkten. Diese können sein: schmerzfrei, bequemer oder aerodynamischer zu sitzen und zu fahren. Eine kürzere Kurbel erleichtert in jedem Fall die Positionierung des Fahrers, denn kürzere Kurbeln bedeuten günstigere Gelenkwinkel. Die Knie schlagen nicht so hoch zur Brust, die Hüftbeweglichkeit ist weniger gefordert und die Bewegung auf kleiner Bahn ist “runder” als mit langen Kurbeln. Dies alles führt zu mehr Stabilität im Sattel und eine Aero-Position lässt sich so nach einhelliger Meinung aller Bikefitter leichter umsetzen.
Wann aber ist kurz zu kurz? In den Versuchsreihen der Forscher kann man erkennen, dass die Leistung nur bei extremen Längen deutlich außerhalb des üblichen Spektrums leidet – also zum Beispiel bei 125 oder 200 statt 170 Millimetern. Mit 150 Millimeter kurzen Kurbeln waren hingegen sehr gute Leistungen möglich. Diese Erkenntnis fußt aber auf einer eher dünnen Datenlage mit vergleichsweise wenigen Probanden und ohne Spitzenathleten. In der Tendenz scheinen zu lange Kurbeln eher schädlich zu sein als zu kurze. Trotzdem unterstreichen auch die Forscher, dass es eine Proportionalität von Kurbel und Beinlänge gibt, also das, was einem auch der gesunde Menschenverstand sagt. Dass eine Kinderkurbel nichts für einen Zwei-Meter-Mann ist, liegt nahe. Entsprechend fertigen Spezialisten wie Zinn Cycles aus den USA, die auch 2,30 großen Basketballern Räder maßschneidern, passend dazu auch extralange Kurbeln über 200 Millimeter an. Den aktuellen Stundenweltrekord hat der lange Filippo Ganna (1,93 Meter) allerdings mit 170 Millimeter kurzen Kurbeln aufgestellt – “kurz” für seine Körpergröße. Ganna fuhr an seinem Boliden eine längenverstellbare Cratus-Kurbel von Wattshop mit einem Einstellbereich von 160 bis 175 Millimeter.
Das kurze Ende des Spektrums bereitet in der Praxis aber häufiger Probleme. Auch dieses wird von Spezialisten bedient. Rotor offeriert eine große Bandbreite an Kurbellängen, beginnend mit 155 Millimetern. Der US-Rahmenbauer Matt Appleman aus Minneapolis geht noch weiter: Seine sehenswerten Kurbeln, bunt und in Kleinserie, beginnen bereits bei 135 Millimetern. Einige andere Rahmenbauer bieten ebenfalls maßgeschneiderte Kurbeln an, was konsequent ist. Denn wenn ein XXS-Rad eine dazu passende kurze Kurbel bekommt, kann auch das Tretlager tiefer liegen als normal, was Handling und Fahrverhalten verbessert. Auswahl an passenden Kurbeln ist also durchaus vorhanden – nur ab Werk sind die Räder nicht mit Kurbeln der vollen Bandbreite ausgerüstet. Dass sich Marktführer Shimano lange auf wenige Kurbellängen beschränkt hat, hatte vermutlich vor allem wirtschaftliche Gründe. Herstellung und Lagerhaltung sind günstiger, wenn weniger Modelle im Umlauf sind. Auch Radhersteller haben es leichter, wenn weniger Größen bevorratet werden müssen. Aber der Markt reagiert auf Nachfrage, Shimano hat seine Palette ausgeweitet. So ist das (Nachrüst-)Angebot an 160er-Kurbeln in den vergangenen Jahren gewachsen. Für Shimanos Komponenten-Bestseller Ultegra sind 160 Millimeter lange Kurbeln bestellbar. Analog zu schmalen Rennlenkern, die auch viel schwieriger zu bekommen sind als breite, sind kürzere Kurbeln aktuell jedoch stärker gefragt – das lässt sich im Angebot der Online-Händler ablesen, wo die längsten Standardkurbeln (175 Millimeter) den größten Lagerbestand ausmachen. Kurze Kurbeln haben hingegen oft längere Lieferzeiten.
Arbeitet man mit Zahlen zur Größenverteilung der Bevölkerung, gelangt man zu einer interessanten Erkenntnis: Die traditionell angebotenen und montierten Kurbeln passen nicht optimal zur Größenverteilung der Bevölkerung, wenn man 20,5 Prozent der Schrittlänge als Kriterium für die Kurbellänge nimmt, wie oftmals vorgeschlagen (siehe Grafik unten). Dann müsste die meistbenutzte Kurbellänge für Männer eher dem entsprechen, das Tadej Pogacar gewählt hat. Für durchschnittlich 1,80 Meter große Männer hätte die Kurve der Kurbellängenverteilung dann bei 165 Millimeter den größten Ausschlag. Für Frauen wäre das Spektrum um rund zehn Millimeter verschoben und 155 Millimeter die häufigste Kurbelgröße. Montiert die Industrie also seit Jahren falsche Kurbeln? Wer weiß, vielleicht ist der beste Radsportler der Welt in einer Vorreiterrolle. Es ist jedenfalls denkbar, dass sich das Spektrum der Kurbellängen mit dem Wissen aus modernen Bikefittings nach unten verschiebt und erweitert. Davon würden vor allem Frauen profitieren, weil sie eher das Problem haben, passende Kurbeln für ihre Räder zu bekommen. So oder so wäre eine größere Auswahl ein Fortschritt für alle Sportler und Sportlerinnen.
Die Grafik zeigt eine Berechnung, wie die Kurbellängen anhand der Größenverteilung der Männer in Deutschland verteilt sein müssten. Unter der Annahme, dass 20,5 Prozent der Schrittlänge die beste erste Näherung für die Kurbellänge ist, müssten die meisten Männer 165 Millimeter lange Kurbeln fahren, gefolgt von 170 und 160 Millimetern. 20 bis 20,5 Prozent der Schrittlänge sind die meistgenannten Eckdaten zur Ermittlung der Kurbellänge. Für Frauen, die im Schnitt 14 Zentimeter kleiner sind als Männer (Durchschnitt: 1,66 Meter), verschiebt sich das Spektrum um zwei Größen, hier wäre also 155 Millimeter die häufigste Größe – die bereits außerhalb des gängigen Spektrums der angebotenen Kurbellängen liegt.
Es existieren nur relativ wenige Studien zur Kurbellänge. Sie kommen zu dem Schluss, dass moderate Änderungen der Kurbellänge keinen Effekt auf die erbringbare Leistung haben; bei extrem kurzen oder langen Kurbeln außerhalb des üblichen Spektrums fällt die Leistung ab. Der Einfluss der Kurbellänge auf die Leistung ist insgesamt gering. In Kurzzeit-Sprinttests schneiden kurze Kurbeln aber besser ab als lange. Ungeübte Fahrer brachten in einer Studie mit kurzen 145er-Kurbeln bessere Leistungen als mit 175er-Kurbeln.
Wer keine Probleme hat, muss nichts unternehmen. Kürzere Kurbeln senken die Belastung für die Knie, erlauben es, leichter eine Aero-Position einzunehmen und können die Stabilität im Sattel verbessern. Welche Änderung ist spürbar? 2,5 Millimeter sind sehr wenig und der Unterschied ist nicht unbedingt zu erfühlen. Relevant wird es ab 5 Millimetern Längenänderung, 10 Millimeter sind sehr deutlich zu spüren. Im Zweifel hilft nur Probieren. Zu lange Kurbeln können ineffizient sein, zu kurze aber auch. Kurbeln für einen Versuch umzustecken, ist relativ leicht, falls eine alternative Länge zur Hand ist. Bevor die Kurbellänge variiert wird, können auch andere Dinge ausprobiert werden, um in die Bewegung einzugreifen: Sitzhöhe, horizontale Sattelposition und Cleat-Position an den Schuhen. Schiebt man den Sattel weiter nach vorne und stellt ihn höher, öffnet sich der Hüftwinkel ebenfalls. Mit kürzeren Kurbeln sollte die Sitzhöhe nach oben korrigiert werden, um eine ähnliche Beinstreckung zu erreichen.
Traditionell sind die Kurbellängen 170, 172,5 und 175 Millimeter verbreitet. Sie werden von den meisten Radherstellern verbaut. Shimano Ultegra-Gruppe mit 160, 165, 170, 172,5 und 175 Millimetern. Dura-Ace auch mit 167,5 und 177,5 Millimetern. SRAM Force und Red von 165 bis 177,5 Millimetern in 2,5-Millimeter-Schritten. Rotor ab 155 Millimeter.
Praktisch sind verstellbare Kurbeln – wie von Look, Wattshop (auch für SRM) oder WX Vario. Auf Maß fertigt z. B. Zinn Cycles, exotische Längen bietet Appleman (Bild oben), beide in den USA.
Drehmoment = Kraft x Hebelarm. Bringt eine längere Kurbel also nicht automatisch mehr Power? Nein, denn die Leistung ist drehzahlabhängig und Leistung = Drehmoment x Winkelgeschwindigkeit. Mit einer langen Kurbel langsamer zu treten, kann daher genau die gleiche Leistung erzeugen wie ein flotterer Tritt mit kürzerer Kurbel. Tendenziell tritt man mit längeren Kurbeln langsamer, weil der Fuß auf einer größeren Bahn geführt wird. Im ersten Antritt bringt die lange Kurbel mehr Drehmoment. In Sprinttests schneiden kurze Kurbeln aber besser ab.
20,5 Prozent der Innenbeinlänge. Es gibt keine exakte Rechenmethode für die beste Kurbellänge. Zur Orientierung dient am besten die Beinlänge. 20 bis 20,5 Prozent der Innenbeinlänge sind oft genannte Werte. Deutlich gröber ist die Abschätzung anhand 10 Prozent der Körpergröße, was tendenziell höhere Werte ergibt.