Unbekannt
· 12.08.2013
Shimanos neueste Dura-Ace-Gruppe 7900 begeisterte auf Anhieb mit perfekter Funktion. Die neue Ultegra 6800 übernimmt viele der technischen Innovationen. Kann sie die hohen Erwartungen erfüllen?
Shimanos Ultegra steht unter den Rennrad-Gruppen wie kaum ein anderes Produkt für die anspruchsvolle Mittelklasse. Funktional, hochwertig und zuverlässig, aber auch nicht großspurig teuer – und deshalb massenhaft gekauft. Dass auch die neue Ultegra mit Ziffernfolge 6800 ein Bestseller wird, lässt sich schon jetzt mit Sicherheit sagen. Und: Sie könnte Räder in erschwinglichen Preisklassen technologisch einen deutlich größeren Sprung nach vorn katapultieren als in vergangenen Modelljahren; diese Hoffnung weckte schon die vor einem halben Jahr vorgestellte Top-Gruppe Dura-Ace, die in vielen Disziplinen die Messlatte für mechanische Schaltgruppen höher legte (siehe TOUR 11/2012->). Die Erfahrung zeigt, dass Shimano technische Innovationen fast ausnahmslos nach und nach auf die preisgünstigeren Gruppen überträgt. Die Unterschiede zwischen den Gruppen Dura-Ace und Ultegra einer Generation waren seit jeher weniger funktionaler als vielmehr optischer Natur; außerdem definieren wie so oft ein paar lächerliche Gramm den Unterschied zwischen Bodenständigkeit und Luxus. Der erste Eindruck der neuen Ultegra überrascht daher nicht wirklich. Die neue Formensprache der Dura-Ace wurde in ein weniger exaltiertes Finish verpackt; statt auf Spiegelglanz polierte silberne und schwarze Flächen changieren hier rauchgrauer Glanz und rauchgrau matte Flächen. Alles wirkt modern, wertig und zusammengehörig wie aus einem Guss – aber auch irgendwie erwartbar.
Es kommt selten vor, dass eine Neuentwicklung in der gewichtsfixierten Rennradbranche nicht leichter wird als das Vormodell. Mit dem Wechsel von Ultegra 6700 zu 6800 spart man dieses Mal aber quasi kein Gramm. Zwar wurden Schalthebel und Kurbelsatz leichter, aber Bremsen, Schaltwerk, Umwerfer und Kassette legen etwas zu und fressen den Vorsprung wieder auf. Mitverantwortlich dafür ist der Sprung von zehn auf elf Ritzel am Hinterrad, wodurch die Kassette knapp zwei Millimeter breiter ist und nicht mehr auf die Laufräder der Acht-, Neun- und Zehnfach-Generationen passt. Kompatibel ist die Schaltung deshalb nur mit geeignetem Freilaufkörper, Shimano erneuert im Zuge des Generationswechsels deshalb auch seine komplette Laufradpalette. Laufräder von Mavic sind kompatibel, deren Rotor ist breit genug und musste bislang mit einer Distanzscheibe aufgefüttert werden, die jetzt entfällt; manch anderes Laufrad lässt sich mit einem Freilaufwechsel auf den aktuellen Stand bringen. Die Lagerung der Ultegra-Kurbel behält den Hollowtech-II-Standard mit 24-Millimeter-Stahlwelle bei. Für die wachsende Zahl von Rahmen mit Vorbereitung für Press-Fit-Lager (86 Millimeter Gehäusebreite) bietet Shimano ein eigenes Lager an. Klassische BSA-Gewindelager bleiben auch für die neue Generation weiterhin erhältlich. Bei der Montage in Rahmen mit BB30- oder BB386-evo-Gehäuse muss man mit Adaptern arbeiten. Neu ist die Befestigung der Kettenblätter mit einem einheitlichen Lochkreis für alle Abstufungen. Um die Übersetzung beispielsweise von der Standard-Kettenblatt- Kombination mit 53 und 39 Zähnen auf Kompakt mit 50/34 zu variieren, muss die Kurbel nicht gewechselt werden. Der eigene Lochkreis lässt vorläufig nur Blätter aus eigenem Hause zu, neben Standard- und Kompaktabstufung soll es dazwischen 52/36 und die Querfeldein-Variante 46/36 geben. Eine Dreifach-Version zu einem späteren Zeitpunkt schließt Shimano nicht aus.
Definierter Klick
Auf dem Rad offenbaren sich die wahren Stärken der neuen Ultegra – etwa 500 Kilometer sind wir mit der Gruppe durch die Südtiroler Berge gefahren, zusätzlich zum üblichen Labortest. Die neuen STI-Hebel sind schlanker und handlicher geworden, ein ergonomischer Fortschritt zu den vielfach kritisierten, dicken Griffkörpern der 6700. Auch der Bremshebel ist organischer geformt und liegt besser in der Hand. Das Schaltverhalten bestätigt die Detailarbeit, die Shimano in die neue Generation investiert hat. Kurze Hebelwege, geringe Bedienkräfte, und dennoch ein wohldefinierter Klick bei jedem Gangwechsel. Die neuen Züge tragen viel zur Leichtgängigkeit von Schaltung und Bremsen bei und sind ein Tuning-Tipp für ältere Schaltgruppen. Beeindruckend perfekt arbeitet der Umwerfer auf den neuen Kettenblättern. Geänderte Hebelverhältnisse ermöglichen den blitzschnellen Wechsel, der traumwandlerisch sicher funktioniert. Ein Plastikschoner dämpft außerdem die Schleifgeräusche am Leitblech beim Schalten. Auch die neue Bremsmechanik bestätigt den überragenden Eindruck, den wir schon bei der Dura-Ace erfahren haben. Die Bedienkräfte sind erneut gesunken, die sehr steifen Zangen lassen sich hervorragend dosieren.
Die Haltbarkeit des neuen Elffach-Antriebes dürfte nach unserer Einschätzung keine Enttäuschungen bergen. Das Material der beteiligten Zahnräder ist messbar hart, die Breite von Ritzeln und Kettenblättern – und damit die Größe der Flächen für die Kraftübertragung – bleibt gleich. Unsere Testgruppe der Elffach-Dura-Ace hat seit März bereits 5.000 Kilometer unter den widrigen Bedingungen dieses Frühjahrs zurückgelegt. Viel Leistung für eine Kette, die nun austauschreif ist. Kettenblätter und Ritzel jedoch zeigen sich davon bisher unbeeindruckt, Verschleiß ist kaum sichtbar. Auch die Züge und Bremsbeläge sind noch weit von der Notwendigkeit des Wechsels entfernt. Bei Montage und Einstellung der neuen Gruppe zeigt sich, dass die Technik immer ausgefeilter und damit auch komplizierter wird – was aber nicht nur für Shimano gilt. Augenfälliges Beispiel ist der neue Ultegra-Umwerfer. Er ist deutlich komplizierter zu montieren und einzustellen als bisher. Zudem verzichtet Shimano darauf, ausführliche Montageanleitungen beizulegen – was man als dezenten Hinweis deuten könnte, das doch lieber den Händler machen zu lassen. Sogar unsere erfahrenen Labormechaniker hatten damit ihre Probleme. Tipp für versierte Selbstschrauber: unter si.shimano.com gibt es die Händler-Bedienungsanleitungen für alle modernen Gruppen zum Download.
Fazit: Die Ultegra zeigt erneut, dass hervorragende Funktion nicht ausschließlich den teuren Top-Gruppen vorbehalten ist. Wer auf Prestige gut verzichten kann, wird mit der Gruppe glücklich. In jedem Fall spart sie enorm viel Geld: Ab 700 Euro wird die Gruppe im Versandhandel angeboten, für eine Dura-Ace verlangen selbst die günstigsten Anbieter mehr als das Doppelte.