Fahrtest Shimano XTR

Unbekannt

 · 09.08.2003

Fahrtest Shimano XTR

Wenn Shimano eine Top-Gruppe überarbeitet, setzen die Japaner damit oft Maßstäbe für die Branche. Für Technik und Finish der neuen Offroad-Gruppe XTR gilt das auch – aber für das Bedienkonzept... (TOUR 1/2003)

Das Kürzel „XTR“ gilt vielen Mountainbikern als Synonym für die besten Komponenten, die sie an ihr Fahrrad schrauben können. Die Ankündigung einer völlig neuen, nochmals leichteren XTR-Gruppe weckte folglich hohe Erwartungen: Ein außergewöhnlicher Kurbelsatz mit hohler Innenlagerwelle, Wahlfreiheit zwischen V-Brake und hydraulischer Scheibenbremse und vor allem ein Brems-Schaltgriff à la Dual Control – da waren Fans und Fachwelt gespannt. Und um es vorweg zu nehmen: Das Update ist nur ein Teilerfolg.

Begeistern kann die Verarbeitung der Aluminiumteile; ob Kurbeln, Bremsen oder Schaltwerk, die Oberflächen sind von höchster Güte und optisch schön. Klasse auch das Innenlager, in das eine Menge konstruktive Intelligenz investiert wurde. Die Wälzlager wurden aus dem Inneren neben das Tretlagergehäuse gelegt: Ohne Modifikationen am Rahmen bringt dies eine deutlich verbreiterte und damit bessere Abstützung des Lagers. Außerdem erlaubt es den Einbau einer vergrößerten Welle, was die Steifigkeit nochmals erhöht. Lob auch für die am Testrad verbauten Scheibenbremsen, die ihre Arbeit unauffällig und kraftvoll verrichten.

Bedienung und Funktion der Schaltung jedoch verdienen Tadel – obwohl sie einem Prinzip folgen, das Rennradfahrern vertraut sein müsste: die Gänge werden jetzt mit den Bremshebeln gewechselt. Im Vergleich zur Straßenversion haben die Japaner aber die Schaltfunktionen in je einen Hebel vereint. Drückt man von oben auf die Bremshebel, schaltet man auf beiden Lenkerseiten hoch, also zur größeren Übersetzung. Der Umwerfer transportiert dabei die Kette auf das große Kettenblatt, wird also wie gewohnt bedient; hinten allerdings wird die Kette durch Drücken des Bremshebels zu den kleineren Ritzeln befördert. Will man auf ein größeres Ritzel – also in einen leichteren Gang – schalten, muss man die Finger unter den Hebel stecken und mit den Fingerrücken nach oben drücken.

Die Änderung ist zwar lernbar, aber in der Praxis sprechen handfeste Gründe gegen dieses so genannte „Inverse Shifting“. Zum einen kann – beim Wechsel auf größere Ritzel – immer nur ein Gang pro Hebeldruck geschaltet werden. Zum zweiten verlaufen die Schaltvorgänge langsamer, da nur die Federkraft des Schaltwerks die Kette nach oben drückt. Wo man bisher mit etwas Daumenkraft und kurzem Entlasten der Pedale in steilen Passagen noch einen leichteren Gang hineindrücken konnte, ist man jetzt der von Shimano „Paradox“ genannten Feder ausgeliefert. Erhöht Schmutz die Reibung im System, kann das Erklimmen so manch steiler Rampe deutlich früher enden.

Die Bedienung der Hebel gefällt ebenso wenig. Dass Zeige- und Mittelfinger die Hebel nach unten drücken, leuchtet noch ein. Allerdings ist der Hebelweg sehr weit, so dass die maximal drei auf einmal schaltbaren Gänge nur mit langen Fingern oder zusätzlichem Dreh des Handgelenks zu wechseln sind. Das Zurückschalten erfordert eine geradezu widernatürliche Bewegung. Nach einiger Zeit in schwierigem Gelände stellen sich Schmerzen an den Fingerrücken ein. Da hilft es kaum, dass Shimano jeweils einen (demontierbaren) zweiten Hebel als Drucktaste vorgesehen hat. Dieser weist nahezu senkrecht nach unten und ist nur mit langem Daumen zu erreichen, oder wenn man den Lenker loslässt. Gleichzeitiges Bremsen und Schalten auf einen leichteren Gang ist fast unmöglich, will man den Lenker noch gut festhalten. Bremsen und Hochschalten wäre theoretisch machbar, aber das braucht man in der Praxis kaum.

Bei Verarbeitung, Langlebigkeit und Gewicht bleibt XTR erste Wahl. Warum die Japaner jedoch die tadellosen Rapidfire-Plus-Schalthebel für ein ergonomisch deutlich schlechteres System über Bord werfen, erschließt sich nicht. Zudem ist das neue System nur mit der eigenen Scheibenbremse kompatibel. Sollte Shimano wie gewohnt die Technik der Top-Gruppe nach und nach an die preiswerteren Ensembles weitergeben, kommen auf andere Hersteller von Scheibenbremsen schwere Zeiten zu. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das gewollt ist. Andererseits gibt dies möglicherweise den inzwischen gut funktionierenden Dreh-Schaltsystemen von SRAM eine neue Chance auf größere Verbreitung. Könnte spannend werden.

(Text: Dirk Zedler)