FahrtestHydraulische Scheibenbremse Shimano BR-R785

Unbekannt

 · 16.12.2013

Fahrtest: Hydraulische Scheibenbremse Shimano BR-R785Foto: Irmo Keizer
Hydraulische Scheibenbremse Shimano BR-R785 im TOUR-Fahrtest

Mit der hydraulischen Rennrad-Scheibenbremse BR-R785 von Shimano ist es erstmals möglich, ein Rennrad ganz ohne Bowdenzüge aufzubauen. Am Ätna auf Sizilien sammelten wir erste Praxis-Erfahrungen mit der neuen Bremse.

Schon ein Mal ging von Sizilien eine Revo­lution aus, die den Lauf der Geschichte ­beeinflusste. 1860 leitete der Freiheitskämpfer Giuseppe Garibaldi von hier aus die Gründung des italienischen Nationalstaats ein.
Gut 150 Jahre später präsentiert der Komponentenhersteller Shimano an den Hängen des Vulkans Ätna ein Ensemble von Rennradkomponenten, das künftige Generationen rückblickend vielleicht auch einmal als revolutionär einordnen werden. Die voll hydraulische Rennrad-Scheibenbremse BR-R785, die ausschließlich mit der Elektroschaltung Di2 kompatibel ist, erlaubt es erstmals, ­Renn­räder ohne Bowdenzüge aufzubauen. ­Shimano verbindet damit zwei Technologien, die für sich gesehen zwar nicht brandneu sind, bislang aber nicht unter einen Hut zu bringen waren.

Einfache Lösung

Bereits im Frühjahr 2013 hatte Shimanos Konkurrent SRAM als erster Komponentenhersteller vollhydraulische Scheibenbremsen für Rennräder präsentiert. Die in drei Qualitätsstufen angebotenen Bremsen sind allerdings nur mit mechanischen Schaltungen von SRAM kombinierbar. Die BR-R785 dagegen wurde von vornherein so ausgelegt, dass sie nur mit Shimanos elektrischem Schaltsystem kombiniert werden kann. Eine Lösung, für die auch gesprochen haben dürfte, dass sie technisch recht leicht umzusetzen war. Weil die Di2 ohne sperrige Mechanik in den Bremsschalthebeln auskommt, ließen sich die Hydraulik-Zylinder relativ einfach im ­Inneren der Griffkörper platzieren. Die Hebel der BR-R785 sind deshalb kaum wuchtiger als ihre mechanischen Pendants – und deutlich kompakter als die von SRAM.

Dass Shimano seinem jüngsten Kind keinen griffigeren Namen gibt, liegt daran, dass die BR-R785 keiner spezifischen Gruppe zu­geordnet ist. Sie kann sowohl mit der Dura-Ace Di2 kombiniert werden, wie auch mit der brandneuen Ultegra Di2, die auf Sizilien erstmals für Fahrtests zur Verfügung stand. Das Rennrad bleibt ein Rennrad, auch mit Hydraulik-Bremsen und Elektro-Schaltung. Dies ist der erste Eindruck des Praxistests. Ein Unterschied im Bremsverhalten zwischen der BR-R785 und modernen Felgenbremsen ist spürbar, aber nicht galaktisch – zumindest, wenn die Straßen wie am Ätna trocken sind. Es bedarf erfreulich geringer Handkräfte, um das Testrad aus hohen Geschwindig­keiten über 70 km/h punktgenau und kontrolliert abzubremsen, der Druckpunkt ist ­dabei klar definiert.

Relativiert wird der positive Eindruck dadurch, dass auch moderne Felgenbremsen beeindruckend gut verzögern, wie der direkte Vergleich mit einem Rad mit neuen Ultegra-Bremsen bewusst macht. Einen Vorteil gegenüber Felgenbremsen bietet die BR-R785 jedoch. Schon aus der Bremsgriffhaltung setzt sie, auch wegen der ergonomisch hervorragenden Hebel, vergleichsweise geringe Handkräfte in hohe Bremskraft um. Bei plötzlichen Vollbremsungen kann dies die Zehntelsekunden bringen, die einen Sturz eventuell verhindern. Profitieren würden davon auch die zahlreichen Rennradler, die selbst lange Abfahrten lieber in der aufrechteren Bremsgriffhaltung als in der eigentlich sichereren Unterlenkerposition absolvieren.

  Die kompakten Hebel greifen sich hervorragend.Foto: Irmo Keizer
Die kompakten Hebel greifen sich hervorragend.

Vorteile bei Nässe

Ihre entscheidenden Vorteile wird die BR-R785 allerdings bei Bedingungen ausspielen, die den Testern auf Sizilien erspart blieben. Unbestreitbar bieten Scheibenbremsen vor allem bei schlechtem Wetter gravierende Vor­teile gegenüber Felgenbremsen. Die Bremsleistung auf nassen Straßen ist be­rechen­barer, die Bremswege werden signifikant kürzer. Weil die Felgen als Reibpartner der Bremsen – und damit als Verschleißteile – wegfallen, wird es auch keine hitzebedingten Reifenplatzer mehr geben.

Zwei Wermutstropfen müssen jene "Early Adopters" allerdings akzeptieren, die es nicht abwarten können, auf die neue Technik umzusteigen: Leichter werden Renn­räder durch die BR-R785 nicht. Shimano beziffert das Handicap, bezogen auf das Gesamt­system inklusive Montagesockeln an Rahmen und Gabel sowie spezieller Naben, auf rund 200 Gramm gegenüber einem vergleichbaren konventionellen Rad. Der Vergleich hinkt allerdings ein wenig, da mit der Entscheidung für Scheibenbremsen Tuning-Optionen wie superleichte Carbon-Laufräder und 300-Gramm-Gabeln wegfallen. Ein Serienrennrad unter sechs Kilo mit Scheiben­bremsen bleibt vorerst Zukunftsmusik. Ein Gesamtgewicht von sieben bis acht Kilo scheint aber realistisch. Zudem müssen sich Rennradler, die auf Scheibenbremsen umsteigen, auf ein Problem ein­stellen, das bislang vor allem Mountainbiker kennen. Sind die Auf­nahmen für die Bremssättel an Rahmen und Gabel nicht ­exakt plangefräst, wie bei unserem Testrad anfangs der Fall, wird jede Ausfahrt von mehr oder ­weniger lauten Schleif­geräuschen untermalt. Hier wird es vor allem darauf ankommen, dass die Rahmenhersteller die Fertigungstoleranzen so eng wie möglich halten.

Gut gekühlt

Ein Punkt, der beim Praxistest mit der BR-R785 besonders ­in­teressierte, ist das Wärme-­Management der Bremsen. Durch Erfahrungen mit anderen mechanischen und hydraulischen Scheibenbremsen (siehe Report in TOUR 11/2013) sensibilisiert, versuchten wir, durch mutwillige Fehlbedienung die Grenzen der neuen Bremse auszuloten. Die gute Nachricht: Selbst nach kilometerlanger Abfahrt mit schleifenden Bremsen ließ die Bremsleistung nicht nennenswert nach. Damit es nicht zum gefürchteten Fading – dem ­hitzebedingten Nachlassen der Brems­leistung bis hin zum Total­ausfall – kommt, zog Shimano alle Register, um eine möglichst gute Kühlung zu gewährleisten: Ice-Tech-Bremsscheiben, die zwi­schen den Bremsflächen aus Edelstahl einen Alu-Kern besitzen, heizen sich weniger auf als konventionelle Bremsscheiben, das zeigten auch schon TOUR-Messungen. Für die BR-R785 hat Shimano die Ice-Tech-Scheiben zudem so modifiziert, dass die Oberfläche des Alu-Kerns zur Nabe hin durch Kühlrippen vergrößert wird. Shimano nennt diese Lösung Freeza. Zusätzlich bekamen die Trägerplatten der organischen Bremsbeläge ausladende Kühlrippen. Ice-Tech und Freeza reduzieren die Wärmeentwicklung angeblich um 150 Grad gegenüber vergleichbaren Bremsen.

  Kühlrippen an Belägen und Scheibe führen Bremswärme ab.Foto: Irmo Keizer
Kühlrippen an Belägen und Scheibe führen Bremswärme ab.

Shimano geht deshalb optimistisch davon aus, dass Bremsscheiben mit dem kleinen Durchmesser von 140 Millimetern selbst an der Gabel für die meisten Fälle ausreichen werden. Was davon zu halten ist, lässt sich schwer einschätzen, da an den Testrädern 160-Millimeter-Scheiben montiert waren.Probleme gab es damit, wie gesagt, nicht; der erste Eindruck der BR-R785 war sehr überzeugend. Allerdings war die Ätna-Abfahrt mit durchschnittlich 7,9 Prozent Gefälle auch nicht extrem steil, und das System­gewicht von Fahrer und Rad lag unter 80 Kilo. Vor einer abschließenden Bewertung der Bremse sind deshalb weitere Tests nötig. Preise für die BR-R785 nennt Shimano nicht, da sie als Nachrüstoption wegen der noch geringen Zahl kompatibler Rahmen vorerst keine Rolle spielen dürfte. Kompletträder mit der womöglich revolutionären Bremse sind ab etwa 3.500 Euro zu haben.