Unbekannt
· 21.06.2010
Perfekt für kühle Rechner: Die ”105”-Gruppe von Shimano kann fast alles so gut wie ihre großen Schwestern ”Dura-Ace” und ”Ultegra” – und ist dabei deutlich billiger. Wir haben der neuen Gruppe in Labor und Praxis auf den Zahn gefühlt.
Kurz & Knapp
Revolutionär Neues bietet die neue “105” nicht. Das war auch nicht zu erwarten. Stattdessen besitzt die Gruppe alle technischen Errungenschaften der teureren mechanischen Rennrad-Gruppen von Shimano – zum deutlich günstigeren Preis. Herausragend: das Brems- und Schaltverhalten hat Top-Niveau. Abstriche sind dagegen beim Gewicht zu machen. Die Ultegra wiegt gut 200 Gramm weniger. Dennoch besticht die “105” mit nahezu unschlagbarem Preis-Leistungs-Verhältnis.
Den gesamten Test finden Sie unten auch als PDF-Download.
Carbonrahmen, Titanschräubchen und Keramik-Lager – es sind vor allem die exotischen Werkstoffe, die Rennräder heute so leicht und damit auch so teuer machen. Dabei ist es für den Fahrspaß eher nachrangig, ob der rollende Untersatz sechseinhalb oder achteinhalb Kilo wiegt. Liegt nicht der wahre Luxus vielmehr in der Zeit, die man auf dem Rad verbringt?
Wer an dieser Stelle heftig nickt, den dürften die folgenden Zeilen besonders interessieren. Denn er zählt genau zu dem Kundenkreis, den Shimano für seine jüngste Rennradgruppe im Sinn hat: die neue “105”. Eins null fünf – seit den frühen 1980er-Jahren stehen diese Ziffern für unprätentiöse, solide Rennradtechnik. Technisch auf der Höhe, etwas schwerer, vor allem aber deutlich günstiger als “Dura-Ace” und “Ultegra” – mit dieser Formel ist die 105 die Gruppe für Sparfüchse schlecht hin. Auch die jüngste, mittlerweile siebente 105-Generation, deren erste fahr- und testbare Muster Ende April 2010 aus Japan eingeflogen wurden, folgt dieser Tradition. Der erste Eindruck, als wir die noch jungfräulichen Bauteile in den Händen wogen: Zwar fehlt der mitunter ans Pedantische grenzende Feinschliff von Dura-Ace und Ultegra. Dennoch wirkt die Gruppe wertig und solide.
Aufgeräumte Optik
Wichtigste Neuerung ist die neue, mit der aktuellen Dura-Ace 2008 eingeführte Form der Schaltbremshebel. Die Schaltzüge verlaufen jetzt unterm Lenkerband statt wie bisher in freiem Bogen vor dem Lenker. Vorteil dieser Lösung ist vor allem der freie Blick auf Vorderrad und Straße. Weil die Schaltmechanik wegen der neuen Bauform vom Griffkopf in die Griffkörper wandern musste, sind die wuchtiger als vorher, was Fahrer mit kleinen Händen als Rückschritt empfinden können. Auch der vormals kugelförmige obere Abschluss der Griffe, der so schön bei den Hörnern zu packen war, wich einer kantigeren Form. Kritik auf hohem Niveau, die durch zwei ergonomische Verbesserungen relativiert wird. Brems- und Schalthebel sind nun nach dem Vorbild von SRAM leicht nach außen gestellt. So müssen die Finger beim Schalten nicht mehr so weit nach innen geführt werden. Zweiter Vorteil: Die neuen Hebel lassen sich mit Kunststoffadaptern in drei Stufen in der Griffweite anpassen. Die Schaltmechanik gibt eine deutlicher spürund hörbare Rückmeldung über erfolgte Gangwechsel als bisher. Aus Kostengründen bestehen die Bremshebel anders als bei Dura-Ace und Ultegra aus Alu statt Carbon.
Auf den ersten Blick fast unverändert sind die Bremsen, bei denen Shimano bewährte Merkmale wie reibungsmindernde Kugellager zwischen den Bremsarmen und zur Felge ausrichtbare Bremsschuhe beibehalten hat. Erst wenn man sie neben die Zangen der alten 105 legt, wird deutlich, dass der Arm, an dem der Zuganschlag sitzt, deutlich länger ist. Auf diese Weise passen sie optimal zum geänderten Übersetzungsverhältnis der Bremshebel, die bei gleichem Weg mehr Zug einholen als das alte Modell. Ergebnis des Zusammenspiels ist eine Bremswirkung, die kaum Wünsche offen lässt: leichtgängig, exzellent dosierbar und bei Bedarf brachial zupackend. Zum hervorragenden Eindruck der Stopper trägt bei, dass die gleichen Bremsgummis (Typ “R55C3”) zum Einsatz kommen wie bei Dura-Ace und Ultegra.
Schaltkomfort vom Feinsten
Schaltwerk und Umwerfer weisen keine bahnbrechenden Neuerungen auf. Die Leitröllchen drehen sich auf Gleitlagern, das Blech am vorderen Umwerfer ist vernietet statt verschraubt – unter Service-Gesichtspunkten ein kleiner Rückschritt. Überhaupt ist die Montage insbesondere der Schaltzüge fummeliger und zeitaufwändiger als bisher, was vor allem Hersteller und Händler bedauern dürften. Dafür wurde das bereits zuvor gute Schaltverhalten des vorderen Umwerfers noch einmal verbessert.
Hier profitiert die neue 105 vom überarbeiteten großen Kettenblatt. Es ist zwar nicht hohl wie bei Dura-Ace und Ultegra, zeigt aber die gleiche nach innen weisende Auswölbung. Dank dieser Form und nochmals optimierter Steighilfen genügt ein kurzer Impuls mit dem Schalthebel, um die Kette – neuerdings mit vorgegebener Laufrichtung – wie von Zauberhand geführt aufs große Blatt gleiten zu lassen. Das funktioniert sogar unter Last weitgehend geräuschlos. Sollte die Kette am Umwerferblech schleifen, bietet der linke Schalthebel zwei Zwischenschritte zum Trimmen.
Im Labortest blieb die neue 105 unauffällig. Die Kettenblätter sind etwas härter als bisher, die Ritzel zählen zum Härtesten, was der Markt bietet – gute Aussichten also für lange Lebensdauer. Die steifen Alu-Kurbeln, die wieder innen hohl sind, widerstehen auch den Antritten kräftiger Sprinter. Die Bedienkräfte für die Schaltung waren auf dem Prüfstand geringfügig höher, die Schaltwege etwas kürzer als bei der aktuellen Ultegra. Für den Praxistest fuhren wir die 105-Gruppe an einem Rad von Red Bull, das Versender Rose mit einer der ersten Mustergruppen auf Basis seines “Pro-SL”-Alu-Rahmens für uns aufgebaut hatte (siehe Seite 46). Der Fahreindruck auf den Punkt gebracht: Ein Unterschied zur aktuellen Ultegra, die wir im direkten Vergleich an einem anderen Rad fuhren, war beim besten Willen nicht festzustellen. Selbst die höheren Bedienkräfte beim Schalten waren während der Fahrt unbedeutend.
200 Gramm schwerer als Ultegra
Kritiker mögen einwenden, ein so positives Fazit sei im Neuzustand kaum überraschend, die wahren Qualitäten einer Gruppe zeigten sich erst im Dauertest. Der Einwand ist sicher berechtigt, dennoch darf man der neuen 105 hier einiges zutrauen. Schon die alte 105 schlug sich im Dauertest über 12.000 Kilometer bei Wind und Wetter mehr als wacker (TOUR 12/2006->). Probleme oder Ausfälle: keine. Grund zu der Annahme, dies müsse bei der neuen Gruppe gravierend anders sein, haben wir nicht.
Ist die neue 105 also die bessere Ultegra? So weit sollte man dann doch nicht gehen. Immerhin gut 200 Gramm beträgt der Gewichtsabstand zur Ultegra – deutlich mehr als zwischen den Vorgängergenerationen der beiden Gruppen. Zudem spricht für die Ultegra ihr nahezu unantastbares Image als bestverkaufte Rennradgruppe auf dem Markt, was sich nicht zuletzt im guten Wiederverkaufswert von Ultegra-Rädern niederschlägt.
Ausgeliefert wird die neue 105 ab Juni 2010 in den Farbvarianten “sterling silver” und “lodestar black”. In beiden Ausführungen kontrastieren glänzend polierte mit matten Oberflächen – ähnlich, wie man dies auch von Dura-Ace und Ultegra kennt. Neben der Zweifach-Variante, wahlweise mit Standard- oder Kompaktkurbel, gibt es auch eine Dreifach-Variante mit darauf abgestimmten Schaltkomponenten. Weiterhin bietet Shimano im Design angepasste “SPD-SL”- Pedale, Naben und Laufräder an.
Bleibt die spannende Frage, wie preiswert die neue 105 denn nun ist. Unglaublich, aber wahr: Laut Aussage von Michel Wild, Marketing-Mann bei Shimano-Importeur Paul Lange & Co., soll sie billiger sein als ihre Vorgängerin, die preislich der Ultegra doch sehr nahe kam. Was das genau bedeutet, lässt sich im Moment zwar noch nicht beziffern, weil die Preise für Shimano-Komponenten aufgrund verschlungener Vertriebswege letztlich vom Markt geregelt werden. Zu erwarten ist allerdings, dass Räder mit kompletter 105 zwischen 900 und 1.200 Euro kosten werden. Wenn das kein faires Angebot ist.
Red Bull Pro-SL 2000
Acht Kilo moderne, anspruchsvolle Rennradtechnik für 1.200 Euro? Versender Rose macht’s möglich. Der überaus fahrstabile “ProSL” Alu-Rahmen, den uns Rose mit einer der ersten Mustergruppen der neuen Shimano 105 aufgebaut hat, überzeugt mit Top-Verarbeitung, robustem schwarzen Oberflächen-Eloxal und zeitgemäßen Details wie einem konischen Gabelschaft, Tretlagergehäuse mit Pressfit-Standard und innen verlegten Zügen. Die Sitzposition fällt betont sportlich aus, was am Testrad durch einen relativ kurzen Vorbau entschärft wurde.
Beeindruckend an diesem rundum solide und modern auftretenden Rad ist die Ausstattung. Neben der funktional tadellosen neuen 105Gruppe überzeugen auch die restlichen Anbauteile ohne Einschränkung. Solide Laufräder von Easton, wertige Anbauteile von 3T und Raceface, TopReifen von Conti – all dies trägt dazu bei, dass man glaubt, auf einem wesentlich teureren Modell zu sitzen.
Bezug/Info: Rose Versand, Telefon 02871/275570, www.rose.de
Gewicht Rahmen/Gabel/ Steuerlager*: 1.493/419/96 g
Rahmengrößen**: 51 bis 63, je 2 cm (57)
Sitz-/Lenkwinkel: 73°/73°
Sitz-/Ober-/Steuerrohr: 525/566/186 mm
Radstand/ Nachlauf: 1.011/65 mm
Stack/Reach***: 402/580 mm
AUSSTATTUNG
Gabel: Red Bull
Lenklager: Xtreme, oben 11/ 8, unten 1,5 Zoll
Bremsen/Schaltung/Tretlager: Shimano 105 (50/34 Z.)
Laufräder/Reifen: Easton EA70/ Conti GP4000S
Lenker/Vorbau: 3T Pro/3T Pro
Sattel/-stütze: Prologo Nago Evo/Raceface (27,2 mm)
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