Die neue Shimano Ultegra R8100 im Test

Jens Klötzer

 · 17.03.2022

Die neue Shimano Ultegra R8100 im TestFoto: Matthias Borchers

Modernste Technik, dabei langlebig und preiswert – über Generationen erarbeitete sich die Shimano Ultegra ihren tadellosen Ruf. Gilt das auch für die jüngste 12fach-Auflage der Rennrad-Schaltung R8100 mit Funktechnik? Der TOUR-Test gibt Antworten.

Als Shimano im vergangenen August zeitgleich mit der Top-Rennrad-Gruppe Dura-Ace auch die neue Schaltung und Scheibenbremse der Ultegra vorstellte, war das ein Novum. Normalerweise erscheint das Komponenten-Ensemble aus der zweiten Reihe mit einigem zeitlichen Versatz, weil das mehr Aufmerksamkeit verspricht. Beim jüngsten Generationswechsel ging die Shimano Ultegra im Rummel um die neue Dura-Ace jedoch beinahe unter. Und wenn sie ins ­Gespräch kam, dann meist nur, weil sie nirgends zu bekommen war. Denn Corona macht Shimano weiterhin einen dicken Strich durchs Geschäft: Fabrikschließungen, Transportprobleme und die anhaltend rie­sige Nachfrage führen dazu, dass die meisten Interessenten die neuen Shimano-­Komponenten zum Start in die Rennradsaison nur von Bildern kennen. Weil die teure Dura-Ace Priorität hatte, blieb die Ultegra zunächst eine Ankündigung. Radhersteller, Händler oder Online-Shops konnten lange nicht mal Prognosen für ein Lieferdatum geben.

Heiß begehrt: Shimanos neue Ultegra ist zum Marktstart kaum zu bekommen.Foto: Matthias Borchers
Heiß begehrt: Shimanos neue Ultegra ist zum Marktstart kaum zu bekommen.

Die neue 12fach-Ultegra R8100 an den ersten Rennradmodellen

Ein halbes Jahr nach der Vorstellung der Shimano Ultegra R8100 tröpfelt die Gruppe nun sehr langsam in die Läden – zunächst wohl nur an Kompletträdern, einige Beispiele zeigt unser begleitender Radtest in der April-Ausgabe. Auch TOUR konnte erst im Februar ein Muster von Shimano-Importeur Paul Lange ergattern. Im ersten ausführlichen Labor- und Praxistest musste die neue Ultegra-Generation mit dem Kürzel 8100 sogleich beweisen, was sie kann: Bleibt die Shimano Ultegra eine Ausstattung fürs Rennrad, mit der man nichts falsch macht? Oder bergen der technische Fortschritt und die viele Elektronik, die in der Gruppe steckt, auch Risiken, etwa für Haltbarkeit und Zuverlässigkeit? Im TOUR-Test versuchen wir, diesen Fragen auf den Grund zu gehen.

Die Scheibenbremse übernimmt Technologie vom Mountainbike.
Foto: Matthias Borchers

Wie immer ist das Design an die Top-Gruppe angelehnt und unterscheidet sich hauptsächlich in der Anmutung der Oberflächen. Umwerfer und Schaltwerk wurden deutlich schlanker, die Kurbel greift das neue Design der Dura-Ace auf. Doch während die Dura-Ace an den meisten Teilen Klavierlack-ähnlichen Glanz zur Schau stellt, wirken die mattschwarzen Ultegra-Teile zurückhaltender und weniger edel. Am auffälligsten ist der Unterschied an der Kurbel, die auch etwas schlichter geformt ist. Ihre Oberfläche ist dafür weniger empfindlich für Schleifspuren als die Hochglanz-Beschichtung der Dura-Ace.

Shimano setzt weiterhin auf die bewährte Hollowtech-II-Konstruktion, die hohlen Kurbelarme bestehen aus je zwei verklebten Aluminiumschalen. Der Kurbelsatz der Ultegra wurde um 35 Gramm schwerer, eine ähnliche Gewichtszunahme fiel auch schon bei der Dura-Ace auf. Möglicherweise ist das eine Reaktion auf eine Anzahl versagender Dura-Ace- und Ultegra-Kurbeln der vorangegangenen Generation, bei denen sich nach langer Nutzung die Verklebung der Kurbelarme löste. Auch bei den Bremshebeln sieht und spürt man einen Unterschied – sie bestehen wieder aus Alu statt Carbon, was sie etwas schwerer macht und das Griffgefühl metallisch-kalt. An anderen Teilen wurde geringfügig gespart, insgesamt wiegt die Zwölffach-Ultegra fast aufs Gramm genau so viel wie ihre Vorgängerin.

Schnelle Signale

Der erste Eindruck auf dem Rad stimmt positiv: Shimano bleibt seiner Linie treu und überträgt den technischen Fortschritt der Top-Gruppe uneingeschränkt auf die Nummer zwei. Das spürt man beim Schalten wie beim Bremsen, auch wenn die Verbesserungen auf den ersten Kilometern eher subtil wirken. Die Schaltknöpfe sind minimal größer und besser zu unterscheiden, ihr „Klick“ ist definierter als bisher. Schaltvorgänge gehen tadellos und geschmeidig, die Bremsen packen kräftig zu und lassen sich vor allem bei hoher Bremsleistung spürbar besser dosieren. Mit dem zwölften Ritzel am Hinterrad schließt die Ultegra zum derzeitigen Stand der Technik auf. Fortan gibt es nur noch zwei Ritzelpakete, was die Konfiguration deutlich erleichtert. Fahrer der 11-30-Kassette können sich über eine enge Ein-Zahn-Abstufung bis zum 17er-Ritzel freuen, die der 11-34 über einen echten Berggang ohne große Einbußen bei der Abstufung. Auch bei der Kurbel gibt es nur noch zwei Varianten: kompakt mit 50/34 Zähnen und eine sportlichere 52/36-Abstufung – die für Profis gedachte 53/39-Variante bietet nur noch die Dura-Ace.

Schalten in Gedankenschnelle

Wichtigste Neuerung neben dem zwölften Ritzel ist die Signalübertragung via Funk von den Griffen zum Schaltwerk. Die Ultegra-Schaltkomponenten selbst sind weiterhin verkabelt und werden von einem zentralen Akku mit Energie versorgt. Das Schaltwerk fungiert als Kommandozentrale, verarbeitet die Befehle und dirigiert auch den vorderen Umwerfer. Dass die Schaltvorgänge dennoch schneller sein sollen als bisher, klingt zunächst erstaunlich. Unsere Messungen zeigen immerhin, dass die Schaltung auf der Funkstrecke kaum Zeit verliert: Nicht einmal vier Hundertstel Sekunden vergehen vom Druck auf den Schaltknopf, bis der Umwerfer zuckt. Mit den altbekannten Kabeln reduziert sich die Reaktionszeit aber noch einmal um die Hälfte. Ausschlaggebend dafür dürften schnellere Stellmotoren und optimierte Kettenwechsel sein, was sich allerdings schwer messen lässt und nach unserem Eindruck sicher nicht rennentscheidend ist. In der Praxis hört man den Unterschied jedenfalls mehr, als dass man ihn spürt: Das Motorgeräusch des Umwerfers fällt deutlich kürzer aus als bisher.

Auf dem TOUR-Prüfstand musste die neue Ultegra-Rennrad-Schaltung beweisen, wie weit sie mit einer Akkuladung kommt.Foto: Robert Kühnen
Auf dem TOUR-Prüfstand musste die neue Ultegra-Rennrad-Schaltung beweisen, wie weit sie mit einer Akkuladung kommt.

Wieviel Saft braucht der Funk?

Trotz gleich gebliebener Akku-Kapazität (500 Milliamperestunden) packt das Schaltwerk mit einer Akku-Ladung 32.000 Gangwechsel und kommt damit ähnlich weit wie das bisherige verkabelte. Noch mehr beeindruckt der neue Umwerfer. Seinen Verbrauch konnte Shimano radikal senken, obwohl er nicht weniger kraftvoll zu Werke geht: Mit bis zu elf Kilo Kraft drückt der Käfig beim Schalten gegen die Kette, und das mit mehr Speed. Mit 25.200 Schaltvorgängen ist er dabei ausdauernder als der Vorgänger (17.200 Wechsel). Mit der weiterhin möglichen Verkabelung lässt sich sogar noch mehr Reichweite rausholen (siehe unten)siehe unten). Um die Knopfzellen in den Griffen braucht man sich wenig zu sorgen: Während unseres Dauertests, der den Hauptakku viermal komplett entleerte, mussten wir sie nicht wechseln. Die von Shimano angegebene Lebensdauer von bis zu zwei Jahren erscheint plausibel. Doch es lohnt sich vorzusorgen: R1632-Knopfzellen sind nicht an jeder Ecke erhältlich. Wechseln lassen sie sich relativ leicht.

Vorbildlich resistent

Bei der Mechanik geben sich die Japaner keine Blöße. Trotz zusätzlichem Ritzel und schmalerer Kette zeigt sich die Ultegra vorbildlich resistent gegen Verschleiß. Die von der MTB-Gruppe XT entliehene Kette ist enorm verschleißfest – ähnlich wie die sehr haltbaren Elffach-Ketten. Auch die Ritzel sind vergleichbar hart wie die Vorgänger. Nur an den Kettenblättern messen wir eine etwas weichere Legierung – doch der Unterschied ist gering; zudem hielten Shimano-Blätter in der Vergangenheit überaus lange.

Maßstäbe setzt Shimano mit den Scheibenbremsen. Die Servo-Wave-Technologie, bisher nur von Mountain- und Gravelbikebremsen bekannt, leitet die Bremskraft vom Hebel nicht mehr linear weiter. Stattdessen wird die Bremse mit zunehmendem Hebelweg immer stärker. Das ist gerade dann spürbar, wenn es brenzlig wird, zum Beispiel bei Vollbremsungen auf steilen Abfahrten: Die neue Shimano-Bremse ist hier die kraftvollste Rennradbremse bisher und mit geringem Krafteinsatz bestens dosierbar. Angenehmer Nebeneffekt: Weil die Beläge anfangs mehr Weg zurücklegen, lassen sie im „Ruhezustand“ mehr Abstand zur Scheibe. Das ist pro Seite nur ein Zehntel Millimeter, doch das allgegenwärtige Schleifen nach starken Bremsungen konnten wir nicht mehr feststellen. Dazu beitragen dürften auch die steiferen MTB-Scheiben (XTR bei Dura-Ace, XT bei der Ultegra). Ein Schwachpunkt bleibt die hitzeempfindliche Sandwich-Konstruktion mit Alu-Kern: Schwere Fahrer können die Bremse in Extremsituationen immer noch zum Ausfall bringen und sollten in den Bergen lieber Vollstahl-Scheiben verwenden.

Gewichte der Shimano Ultegra R8100 im Vergleich zur Dura-Ace

Die Gewichte der neuen Shimano 12fach-Schaltungen und Scheibenbremsen der Dura-Ace und Ultegra im direkten Vergleich. Die Unterschiede zwischen den Einzelkomponenten sind gering, sie summieren sich aber zu gut 300 Gramm.Foto: TOUR
Die Gewichte der neuen Shimano 12fach-Schaltungen und Scheibenbremsen der Dura-Ace und Ultegra im direkten Vergleich. Die Unterschiede zwischen den Einzelkomponenten sind gering, sie summieren sich aber zu gut 300 Gramm.

Fluch des Fortschritts

Trotz Neuerungen und Anleihen bei der Top-­Gruppe Dura-Ace (>> zum Praxistest der Shimano Dura-Ace 9200) dürfte Shimano nervös auf ein Feedback des Marktes zur neuen 12fach-Ultegra warten. Denn dass sie so gut beim Publikum ankommt wie frühere Ultegra-­Genera­tionen, ist keineswegs ausgemacht. Die entscheidende Änderung – die neue Ultegra kommt ausschließlich als elektronische Di2 und mit Scheibenbremsen – gefällt nicht jedem, auch des Preises wegen: Wer vor ­wenigen Jahren für 800 Euro „Straßenpreis“ eine mechanische Ultegra-Schaltung mit Felgenbremsen geshoppt hat, muss bei 2.300 Euro für die neue Di2-Version schon schlucken. Zwar waren Scheibenbremsen und elektronisches Schalten schon zuvor teurer, zudem sind die Zeiten günstiger ­Online-Preise vorbei. Der Listenpreis der neuen Ultegra R8100 liegt sogar etwas unter dem der Vorgängergruppe und bliebe gegenüber der fast 4.000 Euro teuren Dura-Ace vergleichsweise günstig. Trotzdem verteuern die neuen Komponenten auch die Rennrad-Kompletträder für 2022, wie unser Test von sechs Marathon-Rennrädern mit der neuen Ultegra in TOUR 4/2022 zeigt. Dass die mechanische Ultegra mit „alter“ Elffach-Technik weitergebaut wird, mag ein Trost sein – man kann es aber auch als Abstellgleis für mechanische Rennrad-Komponenten verstehen.

Enorme Reichweite

Die Reichweite des Akkus im Labortest: Ein selbst gebauter Roboter betätigt die Schaltknöpfe, ein Zähler dokumentiert die Bewegungen von Schaltwerk und Umwerfer. Trotz Funkbetrieb hält das Schaltwerk ähnlich lange durch wie bei der Vorgänger-Di2 (32.000 Schaltvorgänge). Der Umwerfer schafft mit einer Akku-Ladung nun fast 50 Prozent mehr Wechsel (25.200 statt bisher 17.200). Eine Verkabelung der Griffe erhöht die Reichweite, dann schafft der Umwerfer knapp 30.000 Wechsel, also etwa 17 Prozent mehr.

Zeigt Ausdauer: Die neue Ultegra beim ReichweitentestFoto: Robert Kühnen
Zeigt Ausdauer: Die neue Ultegra beim Reichweitentest

Aktuelles TOUR-Magazin 5/22
Aktuelles TOUR-Magazin 5/22

Bestellen Sie sich die aktuelle TOUR versandkostenfrei nach Hause, lesen Sie TOUR digital oder in der TOUR App für iOS oder Android. Besonders günstig und bequem erleben Sie TOUR im Abo.