Passend zum Trendrad haben etliche Radschuh-Marken spezifische Treter im Angebot. Aber was sind eigentlich Gravelbike-Schuhe, und wer braucht so etwas? Die sieben Testmodelle zwischen 150 und 310 Euro geben nicht nur eine Antwort, sondern gleich mehrere: Sie decken ein breites Spektrum ab
Ein Mann mit goldenen Füßen und ebensolchen Schuhen: Vom FC-Bayern-Kicker Jérôme Boateng gibt es Fotos, die ihn mit goldglänzenden Sneakern zeigen. 650 Paar Turnschuhe soll er besitzen, aufgereiht in einem eigenen Schuhzimmer. Mit 20 Zentimetern pro Paar luftig gestellt wären das 130 laufende Regalmeter Designer-Sneaker – das ist Enthusiasmus. Erscheint es da nicht total harmlos, dass nach Spezialschuhen fürs Indoor- Cycling nun auch noch Gravelbike-Schuhe in die Kellerregale der Radsportler drängen?
Bevor es die Schotter-Schlappen gab, erledigten diesen Job meist Crosscountry-Mountainbikeschuhe: leichte Bikeschuhe mit harter Sohle und nur so viel Profil, wie es für kurze Schiebepassagen braucht. Mountainbike-Klickpedale, überwiegend vom Bautyp Shimano SPD, erwiesen sich als perfekte Ergänzung dazu, um sportlich ins Pedal zu treten und gleichermaßen gut gehen zu können. Das war immer eine gute Lösung. Aber geht es nicht noch besser?
Schon beim Gravelbike an sich sind die Designer uneins, wie es idealerweise gebaut ist: Vom Rennrad mit etwas dickeren Reifen bis zum Mountainbike-Hardtail mit Rennlenker reicht das Spektrum – und genauso breit gefächert ist die Vorstellung von "Gravelbike-Schuhen". Rennschuhe mit Carbonsohle und spärlichem Hartplastikprofil sind deshalb in unserem Test genauso vertreten wie Mountainbike-Tourenschuhe in höchstens zaghaft veränderter Optik. Mehrere Modelle fallen in die zweite Kategorie: Den Bontrager-Schuh gibt es mit anderem Verschluss- System als Bikeschuh, auch Gaerne und Sidi variieren ihr Mountainbike-Grundrezept nur geringfügig, denn schon die Entwicklung und Herstellung einer neuen Sohle in vielen Größen verschlänge sechsstellige Beträge. Und wäre sie überhaupt nötig?
Die Sohlen der Testschuhe bestimmen deren idealen Einsatzbereich. Geht man davon aus, dass ein Gravelbike hierzulande nicht gekauft wird, um es steile Lehmböschungen hinaufzutragen, dürften sich die Hersteller beim Gravelschuh zumindest von den Schraubstollen (oder den entsprechenden Gewinden) in der Schuhspitze verabschieden. Sie verschlechtern das Abrollverhalten und den Grip auf steinigem Untergrund – ein Punkt, der für eigenständige, stollenlose Gravel-Sohlen spricht. Diesen Weg gehen die vier Marken Fizik, Pearl Izumi, Rapha und Shimano mit ihren tendenziell etwas teureren Schuhen.
Die Geh-Qualitäten werden auch durch die Abstützbreite im Fersen- und Ballenbereich sowie durch die Gummimischung der Stollenprofile bestimmt: Thermoplast-Laufsohlen sind verbreitet. Ihr harter Werkstoff lässt Profile mit nur wenigen, aggressiv zubeißenden Stollen zu. Das erlaubt die Herstellung leichterer Schuhe, doch die weichen, etwas schwereren Gummisohlen bei Rapha oder Bontrager sind beim Grip auf Steinen weit überlegen. Beide Modelle haben zudem breite Fersenprofile für sicheren Stand.
Rapha widerlegt mit der gelungenen Kombination aus Gummimischung und Sohlenkrümmung die Annahme, dass eine steife Carbonsohle automatisch die Geheigenschaften verschlechtert; der teure Strickschuh überzeugt auch zu Fuß. Die etwa 100 Gramm leichteren, leistungsorientierten Modelle von Pearl Izumi und Shimano haben ebenfalls Carbonsohlen. Doch bei ihnen lagen die Prioritäten der Designer klar auf der Kraftübertragung, ihre Geheigenschaften sind mäßig. Auch beim Obermaterial gilt es, Performance und Komfort gleichzeitig zu optimieren: Mit dem lässigen Tragegefühl eines Sneakers lässt sich einfach kein Druck – und erst recht kein Zug – aufs Pedal bringen. Zu anschmiegsames Obermaterial, eine zu weich gepolsterte Zunge verhindern den optimalen Kraftfluss zwischen Mensch und Rad.
Wir haben die Schuhe straffer geschnürt oder zugedreht, als man es auf langen Ausfahrten täte, und dabei vor allem die Auswirkungen der jeweiligen Zungenkonstruktion gespürt: am einen Extrem den geradezu gemütlichen Sitz der weichen Materialien bei Gaerne und Sidi, die Zugkräfte weniger gut übertragen, am anderen Ende die spartanische Zunge des Pearl Izumi, die bei aller Effizienz rasch Druckstellen spüren lässt.
Dabei zeigt sich auch die Rolle des Verschluss-Systems. Die klassische Schnürung bei Bontrager ist nicht sehr praktisch, weil sie sich unterwegs nur lockern oder nachziehen lässt, wenn man dazu anhält. Aber sie verteilt den Druck gut – die ausreichend versteifte Zunge hilft dabei. Das zweigeteilte Klettverschluss- System bei Fizik kann sein Potenzial nicht ausreizen, zu störrisch ist das Obermaterial. Im Test dominieren Drehverschlüsse mit zugfesten Stahl- oder Textilfäden, überwiegend vom Zulieferer Boa eingekauft. Die preiswerte Variante "L6" bei Gaerne (und ähnlich der hauseigene Verschluss des Sidi) zieht den Faden schrittweise ein und gibt ihn beim Lösen auf einen Schlag frei. Die anderen Varianten lassen sich auch schrittweise lockern. Ihre Zugkraft ist überzeugend, ihr Komfort jedoch nicht immer: Jeder Fuß ist anders, und nicht immer passt er perfekt zum Oberleder. Daher bieten Schuhe mit zweigeteiltem Haltesystem in diesem Test den besten Mix aus Kraftübertragung und Tragekomfort. Sie können den Zug je nach persönlichen Vorlieben zwischen Ballen und Spann verteilen. Den Sieg in der Teildisziplin "Kraftübertragung" erringt der zungenlos um den Fuß gewickelte Shimano-Schuh mit festem Sitz am Spann, obwohl die Klettlasche über den Zehen wenig bewirkt. Nur knapp dahinter landet der etwas komfortablere Rapha- Schuh mit seinen zwei Boa-Drehknöpfen.
Diese beiden eher teuren Modelle liegen auch in der Gesamtwertung vorne – mit ganz unterschiedlichen Charakteren, die das breite Spektrum der Gravelbikes wiedergeben: Während Shimano einen brettharten Rennradschuh mit ein paar Notfall- Gehnoppen für die Schotterräder wappnet, orientiert sich Rapha eher am Langstreckler, der in unbekanntem Terrain immer wieder mit längeren Schiebestrecken konfrontiert ist. Beide Modelle sind eigens für Gravelbikes entwickelt. Hätte es für diesen Job auch Mountainbikeschuhe gegeben? Wahrscheinlich ja. Wer einen guten Bikeschuh besitzt, wird ihn wohl weiter nutzen. Doch beim Neukauf sind die Gravelmodelle kein Fehler.
Den vollständigen Test mit detaillierten Noten, allen Gewichten und Beschreibungen finden Sie im Gravel-Spezial mit 48 Seiten aus TOUR 05/2021. Es ist unten im Download für 4,99 Euro oder in der TOUR App (für iOS und Android) erhältlich.
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