Unbekannt
· 25.08.2005
Schnell fahren wie die Profis? Tempo 40 muss auch für Freizeitsportler kein schöner Traum bleiben – und der Mai ist ein guter Monat, um an seiner Verwirklichung zu arbeiten. TOUR hat die Fahrpläne für den Temporausch.
Es sind beeindruckende Bilder, wenn die Profis sommertags beim Zeitfahren der Tour de France durch das juliheiße Frankreich rasen. Stundenmittel jenseits der 50 Kilometer sind keine Seltenheit. Und fast hörbar ist das Seufzen der Hobbyradler vor den Bildschirmen: Wie machen die das? Welcher Freizeitathlet würde nicht gerne selbst einmal so einen Affenzahn erreichen? Um vielleicht beim lokalen Zeitfahren mal den „Lance“ zu geben? Oder auch nur, um die Kumpels auf der Mittwochsrunde mal ordentlich abzuledern? Fest steht: Tour-de-France- Gucken genügt nicht. Wer schnell sein will, muss sich schon selbst quälen – auch wenn es für Hobbyathleten eher um das Erreichen der 40-km/h-Marke geht.
FUNDAMENT DER GESCHWINDIGKEIT
Zunächst: Sture Kilometerfresserei reicht nicht. Gleichwohl bleibt vernünftige Grundlagenausdauer die Basis jeglicher Tempoarbeit. Je mehr Kilometer im unteren Grundlagenausdauerbereich (GA1) im ersten Trainingsmonat zusammengekommen sind, desto besser. „Wer dann 3.000 Kilometer in den Beinen hat, ist auf der sicheren Seite“, so Björn Stapelfeldt, Trainingswissenschaftler am Olympiastützpunkt Freiburg und Leistungsdiagnostiker im Freiburger „Radlabor“ (www.radlabor.de ). Trost für all jene, für die so viel Training eine schöne Utopie ist, kommt aus berufenem Munde: Heiko Salzwedel, Ex-Trainer von Robbie McEwen und Jens Voigt, ehemaliger Nationaltrainer Australiens und Inhaber des SL-Coaching-Instituts (www.sl-sports.com ), hält fünf Wochen GA-1-Training mit wöchentlich etwa zehn Stunden für ausreichend, um für die Tempoarbeit gerüstet zu sein. Weniger sollte es nicht sein. Denn GA-1- Training bereitet den Körper für die Belastungen intensiven Trainings vor, optimiert Fettstoffwechsel, Kraft und muskuläres Zusammenspiel und – wichtig! – verbessert seine Regenerationsfähigkeit. Deshalb hat Grundlagentraining auch während der Tempoarbeit stets seinen festen Platz.
Im zweiten Trainigsmonat sollte dann allmählich aufs Tempo drücken, wer schneller werden will. Eine Diagnose des eigenen Leistungsvermögens ist spätestens zu diesem Zeitpunkt unerlässlich. Das hat zwei Gründe: Zum einen, die eigene Gesundheit. Nicht erkannte Organschäden, vor allem solche des Herzens, können bei intensivem Training sogar tödlich enden. Ein Belastungs-EKG ist deshalb dringend angeraten! Zweitens: Gefühl allein reicht nicht. Wer seine individuellen Trainingsbereiche nicht kennt, trainiert ins Blaue hinein. Zu hart oder zu locker, auf alle Fälle falsch. Übertraining oder Leistungsstagnation sind die Folgen.
WATTMESSUNG ODER HERZFREQUENZ?
Bei einem Stufentest auf dem Rad-Ergometer werden die physiologischen Parameter ermittelt, die eine optimale Trainingssteuerung ermöglichen. Die wichtigsten sind die aerobe Schwelle (AS) und die anaerobe Schwelle (ANS). Die ANS ist die zentrale Größe jeglicher Tempoarbeit und von Sportler zu Sportler verschieden, weshalb sie auch individuelle anaerobe Schwelle (IANS) heißt. Fest steht: Die ANS respektive IANS markiert die Grenze, an welcher der Energiebedarf des Körpers unter Belastung nicht mehr allein durch die Atmung gedeckt werden kann (anaerob = ohne Sauerstoff); er benötigt Glucose (Traubenzucker), die als Glykogen in Muskel- und Leberzellen eingelagert ist. Bereits jenseits der AS produziert der Körper Laktat, ein Abfallprodukt der Milchsäure, das die Muskelarbeit hemmt; er kann es jedoch fast vollständig abbauen. Bei Belastungen jenseits der ANS ist es damit vorbei. In Muskelzellen und Blut entsteht ein Laktatüberschuss. Der Effekt dieser anaerob-laktaziden Energiebereitstellung ist weit weniger kompliziert als ihr Name: Die Muskulatur übersäuert, die Leistung nimmt bei längerer, intensiver Belastung ab. Worauf Tempotraining abzielt, ist also ebenso simpel wie schweißtreibend: Die ANS muss durch entsprechendes Training in höhere Bereiche verschoben werden, um so den Leistungsabfall hinauszuzögern.
Wer seine Werte kennt, muss sich nun überlegen, wie er sie beim Training kontrollieren will. Sei es über die Leistung, die in Watt wiedergegeben wird, oder mittels der Herzfrequenz (HF). Entscheidet man sich für die Wattmessung, ist der Kauf teurer Technik nötig (ab 700 Euro). Vorteil: Die Trainingsbereiche lassen sich sehr präzise kontrollieren. Wird das intensive Training über den Herzschlag gesteuert, verhält es sich umgekehrt: Ein Pulsmessgerät ist erschwinglich (ab 50 Euro), leider spielt einem in diesem Fall aber die Biologie einen Streich. Denn das Herz reagiert auf Belastungssprünge zeitlich sehr verzögert. „Oft ist die Belastung bereits vorüber, bis sie auf der Pulsuhr angezeigt wird“, so Stapelfeldt. Salzwedel nennt den Pulsmesser einen Kompromiss. Beide Spezialisten plädieren für wattgesteuertes Tempotraining.
Wobei man wieder bei der Ausgangsfrage gelandet wäre: Wie werde ich richtig schnell? Den Königsweg zum hohen Tempo gibt es nicht. TOUR präsentiert deshalb hier zwei unterschiedliche Fahrpläne, die beide binnen fünf bis sechs Wochen zum Erfolg führen können.
MEHR TEMPO: DIE WEICHE VARIANTE
Die „softe“ Variante: Zwei Aspekte charakterisieren diese Methode, die Heiko Salzwedel favorisiert: Zum einen ein sehr fließender Übergang vom Grundlagentraining ins Tempotraining. Zweitens trainieren Hobbysportler nach dieser Variante zwar häufig an der ANS, selten jedoch weit darüber hinaus. „GA-2-Training“ bzw. seine intensivere Form, das „Schwellentraining“, sind die beiden Stichworte dieser weicheren Tempotrainingsmethode. Unter dem GA-2-Bereich wird in der Trainingslehre der Bereich zwischen der AS und der ANS verstanden, der deshalb auch aerob-anaerober Übergangs bereich heißt. Heiko Salzwedel unterteilt diesen Bereich in einen unteren GA-2- Bereich und einen oberen, so genannten Schwellentrainingsbereich. Wer vier Wochen lang verstärkt in diesen Bereichen trainiert, verbessert seine aerobe Kapazität, seine Kraft und schult die Fähigkeit seines Körpers, Laktat abzubauen. Er kann dann sehr hohes Tempo lange durchhalten – Zeitfahren eben.
Der Nachteil: Die Verschiebung der ANS ist eher geringfügig. Abrupte Tempospitzen oder Anstiege werden schlechter verkraftet, da höchste Laktatmengen nur schlecht oder gar nicht mehr abgebaut werden können. Von regelmäßigem Intervalltraining im Spitzenbereich hält Heiko Salzwedel bei Freizeitsportlern wenig. „Hartes Training jenseits der ANS verbrennt Mitochondrien, die Kraftwerke der Muskulatur“, sagt er: „Das Ausdauerniveau verschlechtert sich, und es besteht die Gefahr, sich in den Keller zu trainieren.“ Er empfiehlt Hobbyathleten deshalb wöchentlich lediglich eine kurze Trainingseinheit im Spitzenbereich.
(Großes Bild siehe unten im Downloadbereich)
Die Pausen bei GA-2- und Schwellentraining dauern jeweils so lange wie die Belastung und finden im GA-1-Bereich statt: Auf 20 Min. Belastung im GA-2-/ST-Bereich folgen 20 Min. Rollen im GA-1-Bereich, usw. Im Spitzenbereich wird nach der Wiederholungsmethode trainiert. Die Erholung in den Pausen ist vollständig.
GA 1 = unterer Grundlagenausdauerbereich (ca. 50 bis 75 % der Watt-/HF-Leistung an der ANS)
GA 2 = oberer Grundlagenausdauerbereich (ca. 75 bis 90 % der Watt leistung, bzw. ca. 80 bis 90 % der HF-Leistung an der ANS)
ST = Schwellentraining (oberer GA-2-Bereich) (ca. 90 bis 105 % der Watt-/HF-Leistung an der ANS)
SB = Spitzenbereich (105 % der Wattleistung, bzw. 110 % der HF-Leistung an der ANS)
MEHR TEMPO: DIE HARTE VARIANTE
Die „harte“ Tour: Bei dieser Methode, die Björn Stapelfeldt empfiehlt, geht es härter zur Sache. Die Belastungen sind intensiver, allerdings auch kürzer. Das Tempotraining findet ausschließlich jenseits der ANS nach der Intervall-Methode im so genannten Entwicklungsbereich statt. GA-2- bzw. Schwellentraining findet nur vorher (im April) statt, um den Übergang zum Tempotraining vorzubereiten. Die extensiven Intervalle dauern zwischen zwei und acht Minuten. Dazwischen wird dem Körper lediglich eine „lohnende Pause“ gegönnt, das heißt, der Puls beruhigt sich bis auf rund 120 Schläge pro Minute, ehe die nächste Belastung erfolgt. Der Vorteil dieser Form des Tempotrainings: Die ANS wird deutlicher verschoben, der Körper entwickelt eine höhere Laktat toleranz, die intensivere Belastungen ermöglicht. Mögliche
Nachteile: Die Steuerung aufgrund der sehr hohen Trainingsintensität ist schwieriger, die Gefahr, sich zu wenig Erholung zu gönnen, größer. Wichtig sind deshalb längere, ruhige GA-1-Einheiten, sowohl vor und nach den Tempoblöcken als auch am Tag darauf, um die hohen Belastungen zu kompensieren. Den Vorwurf, Intervalltraining verschlechtere die Form, weist Stapelfeldt zurück: „Dass bei so intensivem Training Mitochondrien zerstört werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Frage ist, in welchem Ausmaß.“ Wer eine solide Grundlage aufgebaut habe, gefährde keinesfalls seine Form. Die Verträglichkeit der jeweiligen Trainingsform hänge jedoch immer auch vom Einzelnen ab. Sein Rat: „Sportler sollten beide Methoden ausprobieren und sehen, welche sie besser vertragen.“
Die Pausen zwischen den Intervallen sind „lohnend“, d. h. die nächste Belastung erfolgt, sobald der Puls auf 120 Schläge/Min. abgesunken ist. Die Pause zwischen den Serien ist länger, ca. 15 bis 20 Minuten.
EB = Entwicklungsbereich, 100 bis 110 % der individuellen Watt-/HF-Leistung an der ANS