Rennrad-Training zwanglos ohne Plan - Easy GoingRennrad-Training ohne Plan

Unbekannt

 · 17.03.2017

Rennrad-Training zwanglos ohne Plan - Easy Going: Rennrad-Training ohne PlanFoto: Markus Greber
Rennrad-Training zwanglos ohne Plan

Sie haben keine Lust oder Zeit, nach der strikten Vorgabe eines Trainingsplans zu radeln? Muss ja auch nicht sein. Wir zeigen Ihnen, wie Sie locker und mit Spaß ganz nebenbei in Form kommen.

Es gibt Leute, die stellen den Wecker auf vier Uhr morgens und fahren dann vor der Arbeit vier Stunden auf der Rolle – strikt nach Puls oder Watt, weil das so im Trainingsplan steht und sie auf ein großes Ziel hinarbeiten. Und dann gibt es andere, die alles tun, damit ihr Sport sich eben gerade nicht nach Arbeit anfühlt. So wie TOUR-Reiseautor Jörg Spaniol, der sagt: "Ich will nicht besser werden, ich will Spaß haben!" Spaniol ist trotzdem ein guter Radfahrer, der mit Freude seine Freunde über einen auf 130 Kilometer gestreckten "Frühschoppen" zieht, inklusive finalem Ausschießen.
Bohrt man nach, kommt bei Spaniol aber doch ein Muster zum Vorschein, das man auch bei anderen Freizeitsportlern findet, die gut "im Saft stehen": Als jugendlicher Leicht­athlet kam er früh mit ausgebildeten Trainern in Berührung. Außerdem fährt er öfters mit Leuten, die einen planvollen Saisonaufbau ­betreiben – und er ist vielseitig: "Ich lasse es auf dem Rad locker angehen, denn ich be­treibe noch eine ganze Reihe weiterer Sportarten, die Intensität mit sich bringen", sagt der 50-Jährige. Und er verrät noch einen weiteren Trick: "Im späten Frühjahr versuche ich ein paarmal fünf Stunden am Stück zu radeln, ­danach läuft es dann."

  Jörg Spaniol: » Ich will nicht besser werden, ich will Spaß haben «Foto: Jörg Spaniol
Jörg Spaniol: » Ich will nicht besser werden, ich will Spaß haben «

Aus Erfahrung entstehen Muster

Dieses Vorgehen kann man wohl planvoll nennen, auch wenn keine exakte Struktur abgearbeitet wird. Es sind eher lose Muster, die aus Erfahrung und Selbstbeobachtung ent­stehen. Sie sind typisch für einen mündigen Athleten, dem, selbst wenn er nach höheren Zielen strebt, kein Trainer jeden Meter vorbeten muss, der auf dem Rad zu absolvieren ist.

Solch ein Sportler ist auch Marek Bosniatzki, der dreimal den German Cycling Cup gewonnen hat, ohne einem expliziten Plan gefolgt zu sein. Er hatte aber schon als Neunjähriger mit dem Radsport angefangen und sagt: "Von der Ausbildung in der Jugend zehre ich heute noch, da habe ich die Grundlagen gelernt, wann man wie und wo fährt, wie man sich im Feld bewegt. Bei den Jedermännern sieht man: Wenn diese Grundlage fehlt, scheint man das nicht so einfach nachholen zu können." Bosniatzki hatte Talent, verlor mit 16 Jahren aber die Lust am Radsport und hörte auf. Mit 33 Jahren stieg er dann wieder ein, mit dem Ziel, bei Straßenrennen vorne mitzufahren.

Rund 50 Rennen pro Saison strukturieren nun sein Sportjahr und sind auch Teil des Form­aufbaus. "Die Intensität kommt hauptsächlich durch Rennen", sagt der 39-Jährige. "Nach sechs, sieben Wettkämpfen spüre ich, wie die Form kommt. Die kann ich dann meist gut über die Saison halten, ich breche nicht ein. Ich glaube, das liegt daran, dass ich es ­ruhig angehen lasse."

Um die 20 Stunde pro Woche fährt Bosniatzki, um mit den jungen Kerlen in der Bundes­liga Schritt halten zu können. Selbst wenn er keinem geschriebenen Plan folgt, hat er dabei doch seine Regeln: "Ich trainiere über­wiegend ruhig und richte mich danach, wie es zeitlich für die Familie passt. Wenn ich umfangreiche Wochen hinter mir habe, fahre ich aber auch mal kürzer und intensiver und mache fünfmal fünf Minuten im Entwicklungsbereich."

  Marek Bosniatzki: » Ich richte mich danach, wie es zeitlich für die Familie passt «Foto: Team Bürstner-Dümo Cycling
Marek Bosniatzki: » Ich richte mich danach, wie es zeitlich für die Familie passt «

Pläne befolgen bedeutet Arbeit

Bosniatzkis Trainingsmix orientiert sich also daran, was er als Jugendfahrer gelernt hat: viel Grundlage, etwas Intensität und viele Rennen – klassische Radsportschule. Sprints? "Trainiere ich nie, dazu kann ich mich im Training einfach nicht motivieren", sagt der Wettkampftyp Bosniatzki, der dennoch viele ­seiner Rennen im Sprint gewonnen hat. Seine Triebfeder sei es heute, einen Ausgleich zur Familie und Arbeit zu schaffen. "Ich will hauptsächlich Rad fahren und mein Team bei Bundes­ligarennen unterstützen."

Zwei Jahre lang hatte Bosniatzki versuchs­weise nach Trainingsplan trainiert. "Dabei habe ich vor allem gelernt, mehr auf die Regene­ration zu achten, aber erfolgreicher war ich damit letztlich nicht. Schwierig fand ich, Plan und Familie zu vereinen", erinnert sich. "Dadurch entstand zusätzlicher Druck, weshalb ich das Training nach Plan dann nicht fortsetzte. Ich brauche mehr Flexibilität."

Dass das Befolgen eines Plans mehr Arbeit als Spaß ist, findet auch Christoph Allwang, ­Labor- und Werkstattleiter bei TOUR, und ehemals recht erfolgreicher Amateurrenn­fahrer. Ein Plan kommt für den 46-Jährigen nur in Frage, wenn ein großes Ziel ansteht: "Wenn man den Aufwand schon treibt, dann sollte auch der Rest passen, um das volle Potenzial auszuschöpfen: perfekte Ernährung, gezielte Regeneration und höchstens halbtags arbeiten", sagt der Familienvater. "Das ist nicht vereinbar mit meinem Leben, und Spaß macht das auch nicht unbedingt – und den will ich beim Sport haben. Ich möchte mit meinen Freunden Rad fahren und nicht ­alleine meinen Plan umsetzen."

Allwang verzichtet damit bewusst auf ein Quäntchen Fitness: "Ich habe zwei Jahre nach Plan trainiert. Ich weiß, dass ich mich damit auf den Tag in Top-Form bringen kann." ­Ohne Plan sei die Form nicht so genau zu treffen, aber auf zwei bis drei Wochen bekäme er das auch so hin: "Ich bin dann nicht genauso fit wie mit Plan, aber ich habe die Freiheit, auch mal andere Sportarten einzustreuen. So macht es mir bei schlechtem Wetter einfach mehr Spaß, anderthalb Stunden zu laufen statt drei Stunden auf dem Rad zu sitzen – egal ob das nun besser oder schlechter für meine Radform ist."

  Christoph Allwang:  » Ich möchte mit Freunden Rad fahren und nicht alleine meinen Plan umsetzen «Foto: Markus Greber
Christoph Allwang: » Ich möchte mit Freunden Rad fahren und nicht alleine meinen Plan umsetzen «

Völlig planlos wird’s nicht besser

Völlig planlos agiert also auch Allwang nicht, über die Jahre hat er gelernt, was bei ihm funktioniert, und wenn er Rennen fahren will, weiß er, was zu tun ist: "Um in Form zu kommen, muss ich Rennen fahren oder ­Rennen simulieren."

Der gemeinsame Nenner unserer drei Protagonisten ist, dass sie alle in ihrer Jugend eine Ausbildung im Sport absolviert haben. Sie wissen, was sie tun und was ihnen gut tut. Sie haben die Mechanismen des Formaufbaus verinnerlicht, wenden sie aber nicht strikt, sondern eher lose an – so wie es eben zu ihrem aktuellen Leben passt.
Dass man völlig planlos gut wird, ist wohl ein Mythos. Wenn man einmal das Wissen hat, was funktioniert, wird man automatisch ­richtig trainieren, wenn man ein Ziel verfolgt. Und selbst wenn kein explizites Ziel ansteht, kann man sich dem Gelernten nicht entziehen und handelt daher unbewusst planvoll.

Für alle, die nicht in jungen Jahren gelernt ­haben, den Sport sinnvoll zu dosieren, haben wir auf den folgenden Seiten Tipps, wie Sie mehr aus Ihrem Radfahren machen können, ohne sich einem strikten Plan zu unterwerfen.

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So machen Sie mehr aus Ihrem Sport

Training ist planvolles Handeln, um bestimmte Ziele zu erreichen. Um besser Rad zu fahren, muss man jedoch keinem festen, täglichen Plan folgen. Aber ein paar Grundregeln und Schlüsseltrainings helfen, nachhaltig in Schwung zu kommen.

Erst schwach, dann stark: Training ist eine Abfolge von Ermüdung und Erholung mit dem Ziel, den Körper mittel- bis langfristig stärker zu machen. Die besondere Kunst ist dabei das Timing von Be- und Entlastung – und zwar in kurzen Zeiträumen, wie von Tag zu Tag, aber auch über ein Jahr gesehen. Zu lernen, wieviel Erholung der Körper nach welcher Art von Belastung benötigt, ist der Schlüssel, um als Athlet erfolgreich zu sein. Dazu muss man in den Körper reinhören und sollte pausieren, wenn man platt ist, jedoch insgesamt die Reize langsam steigern.
TIPP Nach einem harten Radtrip ist der Körper geschwächt. Gönnen Sie sich ein bis zwei Tage Ruhe, wenn die Muskeln müde sind. Oder fahren sie nur ganz locker eine Stunde, das hilft beim Regenerieren.

Wie oft? Mit dreimal Sport pro Woche lässt sich schon einiges erreichen, dies ist der Einstieg ins systematische Training. Kontinuität ist wichtiger als vereinzelte Supertrainings. Dabei ist der nötige Zeiteinsatz überschaubar, wenn man abwechslungsreich trainiert. In drei Monaten kann man sich mit 5 Stunden Training pro Woche schon gut in Schwung bringen – das sind rund 60 Stunden oder 1.500 Kilometer. Zum Vergleich: Weltklasseathleten brauchen rund 10.000 Stunden Anlauf bis zum Spitzenniveau.

Wie schnell? Das Tempo entscheidet darüber, wie intensiv ein Training ist und in welcher Stoffwechsellage trainiert wird. Für Ausdauerleistungen ist es wichtig, dass ruhiges bis moderates Tempo dominiert (Grundlagentraining); dies gilt umso mehr, je höher der Trainingsumfang ist. Ideal ist es, mindestens ein längeres (mindestens 2, ­bes­ser 3 Stunden) ruhiges Training pro Woche mit gleichmäßigem Tempo zu absolvieren. Will man schnell werden, muss man aber auch üben, schnell zu fahren. Ideal ist es, an einem anderen Tag ausgehend vom Grundtempo 20 bis 60 Minuten am Stück ein deutlich höheres Tempo anzuschlagen. Für eine Wettkampfform muss auch das höchstmögliche Tempo trainiert werden. Dies macht man in Form kurzer Intervalle von wenigen bis zehn Minuten Länge.

Welches Profil?
Das Profil der Trainingsstrecke diktiert den Rhythmus des Trainings. Auf einer welligen Strecke mit giftigen Anstiegen ist ruhiges Aufbautraining nicht drin – speziell dann, wenn man nicht gut in Form ist. Denn dann fährt man zu viel im "roten Bereich", was der Ausdauer nach einem anfänglichen Schub ­abträglich ist, weil zu oft die falsche Stoffwechsellage trainiert wird. Flache Strecken sind für ein Grundlagen­training besser geeignet. Ein welliges Profil trainiert eher die Fähigkeit, im roten Bereich über kleine Steigungen zu knallen; dies ist eine gute Bei­mischung, sollte aber nicht jedesmal der Trainingsinhalt sein. Am besten wechselt man die Strecken, wodurch sich ganz automatisch verschiedene Trainingsreize ergeben.

  Vorteil ohne Trainingsplan: Man kann Pause machen, wann immer einem danach ist.Foto: Daniel Kraus
Vorteil ohne Trainingsplan: Man kann Pause machen, wann immer einem danach ist.

Wie viele Berge? Geschmackssache. Was man viel übt, kann man meist besonders gut. Lange Anstiege trainiert man am besten, indem man lange Anstiege im gleichmäßigen Tempo fährt. Entscheidend für den Trainingseffekt ist dabei das Tempo. Ein hohes Dauertempo über 20 bis 60 Minuten bringt einen sehr großen Trainingseffekt. Noch intensiver sind Bergfahrten von rund 10 Minuten Länge. Wiederholte Tempoeinlagen von rund 10 Minuten Länge erhöhen ebenfalls die Ausdauerleistung.

Erholungszeiten: Radfahren ist ein sehr schonender Sport für Gelenke und Muskeln. Meist gibt es keinen Muskelkater, und man kann am nächsten Tag wieder trainieren. Nach sehr harten Belastungen und der ­Tiefentleerung der Energiespeicher kann die Erholung aber einige Tage beanspruchen.

Cool bleiben: Keine Zeit fürs Training gehabt? Gut, dann sind Sie frisch fürs nächste ­Training und werden sich dabei wahrscheinlich prima fühlen. Wenn die Trainingsreize allerdings längere Zeit ausbleiben oder zu selten erfolgen, entwickelt sich der Körper zurück. Fitness lässt sich nur begrenzt ansparen, und sie schwindet leider schneller als sie kommt.

Abwechslung: Der häufigste Fehler ist der Einheits­trott – immer wieder die gleiche Strecke im gleichen Tempo gibt dem Körper keine Trainingsreize, sich zu entwickeln. Zu viel vom Gleichen kann aber trotzdem müde und damit langsam machen. Deshalb: Tempo und Strecke variieren, und zwar deutlich.

Zu viel? Wenn Sie sich oft müde fühlen, un­motiviert sind oder eine stagnierende Leistung bemerken, probieren Sie, weniger zu fahren und sich zwischen den Trainingseinheiten besser zu ­erholen. Gesucht ist die ideale Balance zwischen Reiz und Erholung. Diese ist individuell verschieden.

Plötzlich Zeit: Die Familie ist übers Wochenende zur Oma gefahren – und zwar ohne Sie? Solche Zeitfenster lassen sich prima für ein Mini-Trainingslager nutzen: Dann können Sie am Fundament Ihrer Form bauen, indem Sie mal richtig Kilometer machen. Eine Verdoppelung oder Verdreifachung der Wochenstunden ist verkraftbar, wenn Sie das Tempo entsprechend reduzieren. Außerdem sollte man sich nach solchen Wochenenden auch betont mehr Zeit für die Erholung geben und eine Woche ganz locker treten oder gar pausieren. Nur so geht man gestärkt aus der kurzzeitigen Überbelastung hervor.

Welche Reihenfolge? Trainieren Sie kurz hintereinander folgende Fahrten immer mit abfallender Intensität: Also erst kurz und schnell, dann lang und langsam.

Sie haben wenig Zeit? Dann geben Sie mehr Gas. Streuen Sie Sprints in Ihre Fahrten ein und fordern Sie ihre Muskeln ab und zu bis zur ­totalen Erschöpfung. Studien zeigen, dass sich damit die ganze Ausdauerleistung verbessern kann. Ideal sind Bergauf-Sprints über rund 30 Sekunden. Sie haben ein klares Ziel: die Kuppe. Das motiviert. Ziehen Sie voll durch und fliegen Sie den Hügel förmlich hinauf. Das bringt Kraft und Power. Und macht glücklich, wenn der Atem sich beruhigt hat.

Zusätzlich: Radfahren kommt nicht nur vom Radfahren. Die sportliche Sitzposition fällt leichter, wenn der Rumpf stark ist. Und die Beine treten effizienter, wenn der Rumpf stabil ist. Fahren Sie also nicht nur Rad, sondern kümmern Sie sich auch um Ihren Oberkörper. Unter dem Stichwort "Functional Fitness" finden Sie im Internet viele Übungen, die Sie mit minimalem Aufwand jederzeit zu Hause absolvieren können.

  Diesen und weitere Artikel finden Sie in TOUR 9/2016: Heft bestellen: TOUR 9 ist leider vergriffen.   TOUR IOS-App-> TOUR Android-App->Foto: Markus Greber
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