Wenn das Signal ertönt, das einen Radsportler ins Intervall, auf die Renn- oder Zeitfahrstrecke schickt, können die meisten vermutlich an nicht viel anderes denken als an Treten, Atmen und daran, wie sehr Lunge und Beinmuskeln gerade brennen. Essen? Keine Chance.
Geht Ihnen auch so? Dann kommt hier die gute Nachricht: Müssen Sie auch nicht. Für kurze, intensive Einheiten von einer bis eineinhalb Stunden Dauer kommt der Körper auch ohne Energienachschub aus. Für eine Belastung von solch begrenzter Zeit, zum Beispiel ein Zeitfahren oder Rennen über etwa 25 bis 35 Kilometer, genügen die körpereigenen Kohlenhydratquellen, um im Wortsinn über die Runden zu kommen. Ungefähr 400 bis 600 Gramm Kohlenhydrate lagern in Form von Glukose in Leber und Arbeitsmuskulatur eines durchschnittlich bis gut trainierten Radsportlers. Das sind etwa 1600 bis 2400 Kilokalorien, ein gewisser Puffer, wenn wir davon ausgehen, dass ein 75 Kilogramm schwerer Fahrer in einer Stunde anstrengender Belastung um die 900 bis 1100 Kilokalorien verbrennt – und einige davon immer auch aus Fetten stammen. Selbst wenn bei höherer Intensität der Anteil der Kohlenhydrate gegenüber den Fetten zunimmt und der Körper stets 20 Prozent der Glykogenvorräte zurückhält, als eiserne Reserve, um zu überleben.
Allerdings kann es unter bestimmten Umständen dennoch sinnvoll sein, auch während vergleichsweise kurzer, aber intensiver Belastung nachzutanken. Wenn die körpereigenen Speicher nicht ausreichend gefüllt sind, zum Beispiel. Das ist für gewöhnlich der Fall, wenn Sie sich an den Tagen und in den Stunden vor dem Wettkampf nicht sinnvoll ernähren konnten. Ein bisschen Energienachschub schadet auch dann nicht, wenn die Belastung länger als 80 bis 90 Minuten dauert. Dann kann ein Energie-Gel, nach etwa einem Drittel der Zeit eingenommen, Power für den letzten Push ins Ziel liefern. “Außerdem ist auch die Erholung nach der Belastung ein Punkt”, gibt Christian Kramer zu bedenken, der als ehemaliger Profitriathlet inzwischen Ausdauerathleten bei Training und Ernährung coacht. “Ich kann schon während der Einheit dazu beitragen, dass ich nachher energetisch besser aufgestellt bin und in kein Loch falle.” Wer unterwegs Energie zuführt, stellt nämlich bereits während der sportlichen Aktivität sicher, dass der Körper für künftige Einheiten gut versorgt ist. Das erlaubt Konsistenz im Training – und die ist Voraussetzung für wachsende Fitness und bessere Leistungen im Wettkampf.
Das American College of Sports Medicine empfiehlt für intensive Belastungen ab 60 Minuten circa 30 bis 60 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde während des Wettkampfs oder Trainings beziehungsweise etwa 0,7 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht und Stunde. Profitriathleten und -radsportler nehmen mittlerweile aber mitunter um die 100 bis 120 Gramm pro Stunde auf. Aber Vorsicht: Jede Kohlenhydratsteigerung muss langsam erfolgen und im Training geübt werden!
Im Gegensatz zu Belastungen über mehr als 90 Minuten ist es nicht notwendig, die Zuckerlieferanten zu kombinieren. Stellt auf längeren Distanzen ein Mix aus Glukose und Fruktose im Verhältnis 2:1 sicher, dass über die verschiedenen körpereigenen Transportwege für die beiden Zucker deren Verfüg- und Nutzbarkeit erhöht wird, hat dies auf kurzen Strecken wohl keinen Vorteil. Entsprechend geeignet sind Kohlenhydrate wie Glukose, Saccharose, Maltodextrin oder stärkehaltige Produkte, zum Beispiel eine noch nicht voll ausgereifte Banane. Diese schnell verfügbaren Kohlenhydrate stabilisieren bei kurzzeitiger Belastung vorrangig den Blutzuckerspiegel – eine wichtige Voraussetzung, um Leistung bringen zu können. Denn sackt er unter eine gewisse Schwelle (ca. 70 mg/dl), macht sich der Unterzucker möglicherweise mit Symptomen wie Zittern, Schwitzen und Schwindel bemerkbar. Nach Belastungsende kann es zudem zu vermehrten Entzündungsreaktionen im Körper und Heißhungerattacken kommen, wenn der Blutzuckerspiegel unterwegs Achterbahn fährt. Alles Dinge, die man als Radsportler nicht erleben möchte, und ganz besonders nicht im und um den Wettkampf herum.
Die Form, in der der Körper Energie für sportliche Betätigung zur Verfügung stellt, heißt Adenosintriphosphat (ATP). Das ist ein energiereiches Phosphat, das die Mitochondrien produzieren, die viel zitierten Kraftwerke der Zelle. Diese kleinen Zellorganellen, deren Form Erdnussflips ähnelt, finden sich hauptsächlich in Zellen mit hohem Energieumsatz, zum Beispiel also in der Arbeitsmuskulatur.
Die Mitochondrien können aber ATP nicht einfach so herstellen, sie brauchen selbst “Treibstoff” dazu. Den gewinnen sie aus Pyruvat, das bei der Verbrennung von Glukose (also Kohlenhydraten) entsteht, und aus Fettsäuren, die sich bei der Fettspaltung bilden. Für die Fettverbrennung ist allerdings Sauerstoff notwendig. Bei einer Belastung, die so intensiv ist, dass der Sportler in den anaeroben Bereich kommt, also kein ausreichender Sauerstoff zur Verfügung steht, muss der Körper auf Kohlenhydrate beziehungsweise Glukose zurückgreifen. Das wandeln die Mitochondrien dann nicht in Pyruvat um, sondern in Laktat. Das kann unser System nämlich zu einem gewissen Grad ebenfalls zur Energiegewinnung heranziehen oder, sobald wieder Sauerstoff verfügbar ist, teilweise in Pyruvat zurückverwandeln.
Das Beste ist aber: Kohlenhydrate liefern wohl sogar dann Energie, wenn man sie gar nicht schluckt. Sie müssen bei kurzen, intensiven Belastungen bis 75 Minuten Dauer nicht unbedingt über den Verdauungstrakt ins Blut gelangen. Studien haben gezeigt, dass es ausreicht, den Mund mit einem kohlenhydratreichen Getränk zu spülen, damit die dortigen Rezeptorzellen Energienachschub registrieren und ihn dem Hirn melden.
Während einer kurzen, intensiven Einheit Energie aufzunehmen ist auch dann sinnvoll, wenn Training oder Wettkampf sehr früh stattfinden und das Frühstück eher klein oder ganz ausgefallen ist. Durch ein Gel oder ein Sportgetränk im Sattel lässt sich der Leistungsnachteil, den die über Nacht teilentleerten Glykogenspeicher bedeuten, zumindest ein wenig auffangen. Besser ist es jedoch, sich schon vorher sinnvoll zu ernähren. Und dieses “Vorher” beginnt bereits am Tag vor dem Rennen, Stichwort “Carboloading light”.
Probieren Sie im Training aus, wie viele Kohlenhydrate Sie brauchen, um Leistung bringen zu können, und was Sie vertragen. Der Kohlenhydratanteil der Mahlzeiten am Tag vor dem Rennen sollte zwischen fünf und acht Gramm pro Kilogramm Körpergewicht betragen, der von Proteinen 1,2 bis 2 Gramm. Fette sollten 20 bis 30 Prozent der Tagesgesamtkalorien ausmachen.
Für einen 75 Kilogramm schweren Radsportler, der vier-bis fünfmal pro Woche trainiert und herausgefunden hat, dass um die sechs Gramm Kohlenhydrate am besten für ihn funktionieren, wären das also 450 Gramm Kohlenhydrate. Ein exemplarischer Ernährungsplan für den Tag vor dem Rennen könnte also aussehen wie im untenstehenden Kasten.
* ungefähre Werte, variieren je nach Menge und Lebensmittel
Ihre letzte Mahlzeit vor dem Rennen sollten Sie drei bis vier Stunden vor dem Start einnehmen. Sie sollte zwischen einem und vier Gramm Kohlenhydrate pro Kilogramm Körpergewicht enthalten sowie ballaststoff- und fettarm sein, um die Verdauung nicht zu belasten. “Weißbrot mit Marmelade oder Honig eignet sich zum Beispiel. Manche Leute essen auch Gummibärchen”, weiß Ernährungsexperte Christian Kramer.
Experimentieren Sie auch hier im Training damit, was für Sie am besten funktioniert. Soll heißen: Nehmen Sie Ihr Frühstück zeitlich so abgestimmt vor der Trainingseinheit ein, als wäre es der Renntag. Auf diese Weise lässt sich feststellen, wie viele und welche Lebensmittel Ihnen vor einer intensiven Belastung gut bekommen, und welche Ihnen (zu) schwer im Magen liegen. Innerhalb der letzten Stunde vor dem Rennen können Sie nochmals ein paar leicht verdauliche Kohlenhydrate zu sich nehmen, beispielsweise in Form eines Sportgetränks, einer Banane oder eines Energieriegels. Was Kaffee-Fans freuen dürfte: Sie müssen auf ihren morgendlichen Koffeinkick vor einer intensiven Belastung nicht verzichten, im Gegenteil: “Ein kurzer Espresso eine bis zwei Stunden vor dem Start ist super, damit alle Lampen angehen”, erklärt Christian Kramer.
Das Koffein, das innerhalb von 30 bis 120 Minuten komplett im Blut ankommt, steigert die Konzentration, erhöht den Herzschlag und stimuliert das zentrale Nervensystem. Wer sonst kein Koffein zu sich nimmt, sollte sich aber erst langsam daran gewöhnen, um kein Herzflattern zu bekommen. Für Radsportler, die Koffein gewohnt sind, scheint der Wachmacher ab einer Konzentration von drei Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht leistungssteigernde Wirkung entfalten zu können (aber auch Nebenwirkungen). Das wäre bei einem 75-Kilo-Sportler ungefähr ein Becher (400 ml) Kaffee. Mehr als 400 Milligramm Koffein pro Tag, also vier bis fünf Tassen, sollten es aber nicht sein.
Sobald die Ziellinie überquert ist und der Puls sich beruhigt hat, gilt es, den Körper auf optimale Regeneration zu polen. Viele Radsportler haben nach einer harten Anstrengung keinen Hunger. Zumindest an einem Recovery-Drink mit Kohlenhydraten und Eiweiß sollten Sie aber nippen, um die Reparaturprozesse im Körper anzustoßen und zu unterstützen. Zwei bis drei Stunden später sollte dann eine komplette Mahlzeit folgen. Am besten ein ausgewogener Mix der drei Makronährstoffe Kohlenhydrate, Fett und Eiweiß sowie verschiedener Mikronährstoffe. Geeignet ist zum Beispiel Fisch oder Tofu mit Vollkornreis und Gemüse. Und das Beste: Damit belohnen Sie sich nicht nur für Ihre erbrachten Leistungen, sondern bereiten sich auch auf die vor, die als nächstes im Trainingsplan stehen.