Muskelkrämpfe beim RadfahrenTOUR gibt wichtige Tipps

Sina Horsthemke

 · 22.08.2023

Muskelkrämpfe beim Radfahren: TOUR gibt wichtige TippsFoto: Skyshot/Greber
Muskelkrämpfe beim Radfahren - TOUR klärt auf, wie es dazu kommt und was man dagegen tun kann
Verkrampft die Muskulatur, geht nichts mehr. Warum Radsportler und -sportlerinnen Krämpfe bekommen und was sie dagegen tun können.

Muskelkrämpfe beim Radfahren - TOUR klärt auf

Egal, wie gut er gerade in Form ist: Auf den letzten Kilometern einer langen Tour kann es Thomas Goldmann jederzeit erwischen. Es kündigt sich mit einem harmlosen ­Zucken im vorderen Oberschenkel an – und Sekunden später ist der gesamte Muskel schmerzhaft verkrampft. Weiterfahren? Keine Chance. “Wäre der Krampf in der Wade, könnte ich ihn ja einfach wegtreten”, berichtet Goldmann. “Doch krampft der Oberschenkel, kann man eigentlich nur noch ausklicken und anhalten. Einmal hatte ich sogar Krämpfe in beiden Beinen gleichzeitig.”

Seit gut zehn Jahren kämpft der TOUR­-Online-Redakteur mit Muskelkrämpfen. Einmal, in einer Phase, als die Beschwerden besonders häufig auftraten, ging er damit sogar zum Hausarzt: “Der hat ein paar Tests gemacht, um neurologische Ursachen auszuschließen, konnte aber nichts finden. Er gab mir allgemeine Ratschläge, dass ich viel trinken und mich ausgewogen ernähren solle.”

Oft beruhigt sich der Muskel, wenn ich in einen dickeren Gang schalte, also mit niedriger Trittfrequenz weiterfahre (Thomas Goldmann, TOUR-Online-Redakteur)

Immerhin: Hat Goldmann den Krampf unterwegs einmal weggedehnt, bleibt der Muskel meist für den Rest der Ausfahrt ruhig. “Nur manchmal, wenn ich tagsüber eher ­wenig getrunken habe, kommen die Krämpfe in der Nacht nach der Ausfahrt zurück, sodass ich davon aufwache”, erzählt der 34-Jährige, der im Jahr 5000 bis 8000 Kilometer zurücklegt.

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Bei einem Muskelkrampf, in der Medizinersprache “Spasmus” genannt, zieht sich ein Muskel oder ein Teil eines Muskels plötzlich und teils unter heftigen Schmerzen stark zusammen. Er fühlt sich steinhart an, kontrahiert scheinbar grundlos und ohne, dass sich das willentlich steuern ließe. Theoretisch kann jeder Skelettmuskel des Körpers ­verkrampfen.

Fast jeder kennt zum Beispiel nächtliche Wadenkrämpfe oder einen Krampf im Fuß beim Schwimmen. 90 Prozent der Erwachsenen hatten schon Muskelkrämpfe. Das Risiko scheint mit dem Alter zu steigen: Etwa jeder Zweite der über 65-Jährigen hat mindestens einmal pro Woche einen Krampf. Zudem scheint es genetisch bedingt zu sein, ob jemand beim Sport zu Krämpfen neigt oder eher nicht.

Muskelkrämpfe beim Radfahren - Neue Erkenntnisse zur Ursache

“Die Wadenmuskulatur ist am häufigsten von Muskelkrämpfen betroffen”, sagt Prof. Dr. Michael Behringer, Sportmediziner und Leiter des Arbeitsbereichs Sportmedizin und Leistungsphysiologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. “Beim Radfahren können aber noch andere Muskeln betroffen sein, die Fuß- oder Oberschenkelmuskulatur zum Beispiel.” Wie bei Thomas Goldmann ­also, dem TOUR-Redakteur mit den krampfenden Oberschenkeln. Was Behringer als Nächstes sagt, passt zu dem, was Goldmann bei langen Ausfahrten erlebt: “Die Muskel­ermüdung spielt eine wichtige Rolle, wenn es um Krämpfe beim Sport geht.”

Früher gingen Wissenschaftler davon aus, dass Muskelkrämpfe das Ergebnis eines Elektrolytmangels seien. “Doch die Evidenz für diese Theorie ist nicht besonders gut”, berichtet der Frankfurter Sportmediziner. Das bedeutet: Wissenschaftliche Belege, die diese Aussage stützen, gibt es eher nicht.



Laut Behringer, der in seiner Karriere viel zum Thema Muskelkrämpfe beim Sport geforscht hat, ist die Ursache eher eine neurologische: “Das Rückenmark, das die Muskulatur ansteuert, erhält immer hemmende und aktivierende Informationen. Im Zuge muskulärer Ermüdung kommt es aktuelleren Untersuchungen zufolge zu einem Ungleichgewicht zwischen den hemmenden und aktivierenden Informationen – zugunsten der letzteren.”

Nervenzellen aktivieren den ermüdeten Muskel also übermäßig und der reagiert mit maximaler Kontraktion. Wissenschaftliche Stu­dien mit lokaler Betäubung bestätigen die Theorie: Blockierten die Forscher bei ihren Probanden die Nervenfasern von der Muskulatur zum Rückenmark, ließen sich nur noch deutlich schwächere Krämpfe auslösen, berichtet Behringer.

Ein Krampf im Training ist in erster Linie ­unangenehm, aber nicht gefährlich – solange man währenddessen die Kontrolle über das Rad behält. Ähnlich ist es im Rennen, allerdings kann ein Krampf auf der Strecke über Sieg und Niederlage entscheiden, Platzierung oder Ausscheiden. Den Krampf schnellstmöglich zu lösen und die betroffenen Muskeln zu lockern, ist allein schon wegen der starken Schmerzen angebracht.

Dehnen sei die beste Sofortmaßnahme, rät Behringer: “Dadurch bringt man das Un­gleich­­gewicht zwischen hemmenden und aktivierenden Feed­back­informationen wieder ins Gleichgewicht, hin zu mehr Hemmung.” Bei einem Wadenkrampf muss man dafür nicht einmal vom Rad steigen. Die Wade zu dehnen, ist während der Fahrt möglich – einfach die Ferse bei unten stehendem Pedal nach unten drücken, bis der Schmerz nachlässt.

Sofortmaßnahme: Dehnen ist das beste Mittel, um einen Krampf unterwegs wieder loszuwerdenFoto: Skyshot/GreberSofortmaßnahme: Dehnen ist das beste Mittel, um einen Krampf unterwegs wieder loszuwerden

Eine stärkere Dehnung entsteht, wenn man bei waagerechter Pedalposition – mit dem betroffenen Bein hinten – kurz aus dem Sattel geht und die Wade im Stehen dehnt. Ein Krampf im vorderen Oberschenkel löst sich, wenn man, am besten im Stand, die Ferse Richtung Gesäß nach oben zieht, einer im hinteren Oberschenkel, wenn man bei gestrecktem Bein den Oberkörper nach vorne beugt. Krämpfe in den Füßen sind auf dem Rad besonders fies – sie verschwinden oft nur, wenn man den Fuß aus dem Radschuh befreit und die Zehen dehnt oder die Fußsohle massiert. Nach einem Krampf tun lockernde Massagen und Wärme gut.

Muskelkrämpfe beim Radfahren - Viel trinken ist und bleibt wichtig

Besser – und weniger schmerzhaft – wäre es natürlich, sich gar nicht erst mit Dehnübungen am Straßenrand aufzuhalten, sondern krampflos zu radeln und unkontrollierten Muskelkontraktionen vorzubeugen. Es ist schließlich kein Zufall, wenn ein Muskel verkrampft. Um Krämpfe beim Sport zu verhindern, eignen sich alle Maßnahmen, die die Ermüdungsresistenz verbessern, sagt Sportmediziner Behringer: “Wenngleich die Stu­dienlage mehr dafür spricht, dass das Nervensystem das Problem ist, sollten Radfahrerinnen und Radfahrer auf jeden Fall und gerade bei hohen Außentemperaturen auf ausreichend viel Flüssigkeit achten.”

Die Tatsache, dass Sporttreibende laut einer internationalen Studie vor allem in den heißen Sommermonaten im Internet nach Lösungen für ihre Krampfprobleme suchen, spreche für einen Zusammenhang zwischen Schweißproduk­tion – also Flüssigkeitsverlust – und Krampfneigung.

Was ebenfalls gegen vorzeitige Muskelermüdung hilft: Training beziehungsweise ein vernünftiger, individuell passender Trainingsaufbau, damit die Muskulatur nicht über­fordert wird; regelmäßiges Dehnen verkürzter Muskeln. Und dann wäre da noch die Sache mit der Sitzposition. Krämpfe treten oft in Gelenkpositionen auf, in denen die Muskulatur verkürzt ist, Muskelansatz und -ursprung also eher nah beieinanderliegen.

Hausmittel gegen Krämpfe

Vor diesem Hintergrund könnte es sich lohnen, die Krampfprobleme bei einem professionellen Bike­fitting anzugehen, sagt Behringer: “Wenn dadurch Gelenkwinkel so eingestellt werden, dass der Grad der Muskelverkürzung reduziert wird.” Bei krampfenden Fußmuskeln könnte ein Verschieben der Cleats oder ein anderer Radschuh ohnehin eine vergleichsweise einfache Lösung sein.

Sportmediziner Behringer hat mit seiner Forschungsgruppe – früher in Köln, heute in Frankfurt – noch eine andere Therapiemöglichkeit gegen Krämpfe entwickelt und getestet, die sogenannte Elektrotherapie. Die Idee: Menschen, die zu Krämpfen neigen, haben eine niedrigere Krampfschwelle. Trainiert man ihre Muskulatur mit elektrischen Impulsen, lässt sich diese Schwelle verschieben, sodass ein Krampf unwahrscheinlicher wird. Was einfach klingt, ist allerdings ziemlich schmerzhaft: Bei der Elektrostimulation steigt die Frequenz der Impulse so lange an, bis künstlich ein echter Krampf entsteht.

Wenngleich die Therapie sehr effektiv zu sein scheint und Studien zufolge langfristig wirkt, rät Behringer deshalb nur bei ausgeprägten Krampfproblemen zu dieser Maßnahme: “Ich würde die Elektrotherapie nur Personen empfehlen, die einen hohen Leidensdruck haben.” Menschen zum Beispiel, die nachts vor Krämpfen nicht mehr schlafen können, oder Profis, die einen Krampf im Rennen vermeiden möchten.

Weniger schmerzhaft, aber auch wenig wirksam ist es, Magne­sium gegen Krämpfe beim Sport einzunehmen. Der Mineralstoff spielt zwar eine wichtige Rolle bei jeder Muskel­kontraktion im Körper, sodass ein Zusammenhang erst mal naheliegt. Dass die Ein­nahme von Magnesium als Nahrungsergänzungsmittel Krämpfen vorbeugt, ist wissenschaftlich jedoch nicht erwiesen. Zumal Magnesiummangel bei normalen Ernährungs- und Lebensgewohnheiten laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung selten ist.

Muskelkrämpfe beim Radfahren - Gurkenwasser wird ein krampfhemmender Einfluss auf das Nervensystem zugeschriebenFoto: AdobeStockMuskelkrämpfe beim Radfahren - Gurkenwasser wird ein krampfhemmender Einfluss auf das Nervensystem zugeschrieben

Dennoch gibt es ein Hausmittel gegen Krämpfe, das fast alle im Kühlschrank haben: Gurkenwasser. Der Essigsud, in dem Gewürzgurken im Glas eingelegt sind, hat Studien zufolge einen lindernden Effekt. “Lange ging man davon aus, dass das an den darin enthaltenen Elektrolyten liegt”, sagt Prof. Dr. Michael Behringer. “Es scheint aber eher so zu sein, dass der Essiganteil gewisse Rezeptoren im Mund-Rachenraum aktiviert und einen krampfhemmenden Einfluss auf das Nervensystem ausübt.” Behringers Team hat in Untersuchungen allerdings nur einen kurzfristigen Effekt feststellen können. Ob der schon Gurkenwasser in der Radflasche rechtfertigt? Geschmackssache.

Der Gang zum Arzt

Ist die Flüssigkeitszufuhr sichergestellt, die Sitzposition perfekt und der Trainingsaufbau vorbildlich, bleibt manchmal nur der Gang in eine Arztpraxis. Vor allem bei wiederkehrenden Krämpfen sei eine genauere Untersuchung sinnvoll, um andere Ursachen auszuschließen, sagt Behringer: “Krämpfe können auch ein Symptom von verschiedenen Erkrankungen sein.” Hormon- und Stoff­wechsel­erkrankungen zum Beispiel, Leberprobleme oder Nervenfunktionsstörungen. Auch manche Medikamente, etwa zur Behandlung von Blut­hochdruck, Asthma, COPD (eine chronische Lungenerkrankung) oder Alzheimer, können die Krampfneigung erhöhen.

Nach dem ersten Gespräch prüft der Arzt unter anderem die Reflexe sowie die Gelenke und Muskeln. Anschließend ordnet er meist eine Blutuntersuchung an, um die Mineralstoffversorgung, die Muskelenzyme oder den Hormonspiegel zu überprüfen.

Wadenkrämpfe sind typisch bei Radsportlern. Oft lassen sie sich schon durch Dehnen während der Fahrt lösenFoto: Skyshot/GreberWadenkrämpfe sind typisch bei Radsportlern. Oft lassen sie sich schon durch Dehnen während der Fahrt lösen

TOUR-Redakteur Thomas Goldmann hat die Gründe für seine Krämpfe bisher nicht gefunden, doch immerhin sind ernsthafte gesundheitliche Ursachen bei ihm ausgeschlossen. Zur Vorbeugung hat er es bereits mit Salztabletten, einer Prise Salz in der Trinkflasche und Magnesiumpräparaten versucht, “doch dadurch keine großen Unterschiede bemerkt”. Auf seinem Rad fühlt er sich wohl, das letzte Bikefitting ist vier Jahre her.

Wenngleich ihn Krämpfe manchmal immer noch einholen, kann er inzwischen besser damit umgehen. Weil sie sich langsam ankündigen: “Inzwischen spüre ich oft kurz vor dem Krampf, dass der Oberschenkel zumacht”, berichtet der 34-Jährige. “Oft beruhigt sich der Muskel, wenn ich dann in einen dickeren Gang schalte, also mit niedrigerer Trittfrequenz weiterfahre.” Nach Hause, wo sich die Beine erholen können.

Muskelkrämpfe beim Radfahren

Tun

+ ausreichend trinken, vor allem bei Hitze

+ Sitzposition (inkl. Cleats) optimieren

+ Training sinnvoll aufbauen

+ regelmäßig dehnen

+ Nebenwirkungen von Medikamenten prüfen


Lassen

- vor oder während einer Ausfahrt Alkohol trinken

- mit vollen Radflaschen heimkommen

- sich im Training überfordern

- die Regeneration vernachlässigen

- wiederkehrende Krämpfe ignorieren

Kaffee-Stopp?

Wer zu Krämpfen neigt, sollte eventuell seinen Kaffeekonsum überdenken. Koffein entzieht dem Körper ­Wasser, was den Flüssigkeitshaushalt durcheinander­bringen kann und das Risiko für Krämpfe dadurch wahrscheinlich erhöht. Um nicht auf den geliebten Espresso verzichten zu müssen, sollte zu jeder Tasse ein großes Glas Wasser getrunken werden – mindestens.


Muskelkrämpfe beim Radfahren - Drinks gegen Krämpfe

Vor der Fahrt

Zutaten

  • 1–2 große Prisen Salz
  • Zitronenkonzentrat
  • 6 EL Minz-Sirup
  • Wasser

Zubereitung

Minz-Sirup in 0,7-Liter-Radflasche geben, mit Salz und einem Schuss Zitrone versetzen, mit Wasser auffüllen.

Mit den richtigen Getränken kann man Krämpfen entgegenwirkenFoto: AdobeStockMit den richtigen Getränken kann man Krämpfen entgegenwirken

Während der Fahrt

Zutaten

  • 1–2 große Prisen Salz
  • 3 EL Cranberry-Sirup
  • Maracuja-Nektar
  • Wasser

Zubereitung

Cranberry-Sirup mit Salz in 0,7-Liter-Radflasche geben, diese bis zur Hälfte mit Maracuja-Nektar und anschließend mit Wasser auffüllen.

(Quelle: Bundeszentrum für Ernährung)


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