Unbekannt
· 15.08.2016
Massagen gehören seit jeher zum Radsport. Was sie bringen und welche Methoden es gibt, lesen Sie hier.
Radprofis kommen beinahe täglich in den Genuss einer Massage – zumindest nach Rennen. Und Hobbyfahrer? Eher selten. Am häufigsten lassen sie sich noch im Trainingslager massieren oder im Zielbereich von Wettkämpfen. Dort bilden sich dann stets lange Schlangen vor den Massagebänken.
Verständlich, denn Massagen sind meist angenehm, beschleunigen die Regeneration, und sie wirken rundum positiv: Sie steigern die Durchblutung von Haut und Muskulatur, lösen Verspannungen und Verhärtungen, senken die Herz- und Atemfrequenz. Mit ihrer Hilfe werden Stoffwechselabbauprodukte, beispielsweise Milchsäure, schneller abtransportiert und das Immunsystem gestärkt. Versuche an ermüdeten Muskeln haben gezeigt: Wurden sie kurz nach der Belastung massiert, erhöhte sich ihre Leistungsfähigkeit um das bis zu Zweifache im Vergleich zu Muskeln, die sich ohne Massage erholen konnten.
Der Grund: Durch die Handarbeit des Masseurs vergrößert sich die Austauschfläche zwischen Blut und Gewebe deutlich, was den Kreislauf und Stoffwechsel an den massierten Stellen beschleunigt. Der TOUR-Experte, Orthopäde und Osteopath Dr. Christian Merkl attestiert Massagen viel Gutes: sowohl eine regenerierende Wirkung nach Belastungen, als auch heilende Wirkung bei vielen Beschwerden wie Nackenverspannungen, Rückenschmerzen oder allen "nicht kompensierten, unausgeglichenen Spannungszuständen im Körper", sagt Merkl. Diese könnten letztlich zu Krankheiten, Schmerzen oder Verletzungen führen. Leider werden Massagen nur noch selten auf Rezept verschrieben – meist wegen Kostenzwängen im Gesundheitssystem.
Klassisch oder exotisch?
Von einer guten Massage profitiert aber nicht nur der Körper, sondern auch der Geist: Sie macht ihn bereit für neue Leistungen. Gerade in Radteams fungiert der Masseur bekanntlich nebenbei als Kummerkasten und Psychologe, der nicht nur körperliche Knoten löst, sondern auch die im Kopf.
Gründe gäbe es also genug, Massagen einen festen Platz im Training jedes Hobbyradsportlers einzuräumen. Das findet auch die Physiotherapeutin und Heilpraktikerin Melanie Paulacher aus Bad Aibling, die schon Rennfahrer der Profiteams NetApp bzw. Bora-Argon 18 bei der Tour de France begleitet hat: "Einmal pro Woche wäre zumindest während der Wettkampfsaison ideal, zweimal pro Monat auch noch in Ordnung." Bei marktüblichen Preisen von rund einem Euro pro Minute ist das allerdings eine echte Investition. Doch genauso, wie die Radkette geschmeidiger und reibungsärmer läuft, wenn sie regelmäßig gereinigt und geschmiert wird, verhält sich das auch mit Muskeln und Bindegewebe.
Doch selbst, wer bereit ist, Geld zu investieren, steht vor der Frage, welche Methode die beste für Radsportler ist. Tut es schon eine klassische Massage beziehungsweise Sportmassage, oder wären exotische Methoden wie Abhyanga oder Thai einen Versuch wert? Bei der Sportmassage handele es sich grundsätzlich um eine klassische Muskelmassage, erklärt Ute Merz vom Deutschen Verband für Physiotherapie; jeder Physiotherapeut erlerne während der Ausbildung erst einmal die grundlegenden Griffe.
Was Sportler brauchen
In der Praxis entwickle jedoch jeder Masseur seinen eigenen Stil und "hat seine speziellen Vorkenntnisse, die mit einfließen", sagt Melanie Paulacher. Je mehr Erfahrung und Qualifikationen ein Masseur mitbringt, umso größer ist das Spektrum an Beschwerden, die er lindern kann. Viele Masseure sind zusätzlich ausgebildete Physiotherapeuten oder Heilpraktiker. Bei der Behandlung spielen schließlich auch alte Verletzungen oder orthopädische Probleme des Sportlers eine Rolle. "Darauf achte ich natürlich und weiß, dass ich manche Strukturen dann lieber schone oder anders angehe." Kevin Pfeifer, Physiotherapeut beim Team Giant-Alpecin, bestätigt: "Es gibt unendlich viele Techniken, aber die überlege ich mir nicht im einzelnen und beherrsche sicher auch nicht alle. Ich mache das, wovon ich das Gefühl habe, das braucht der Sportler gerade, das tut ihm gut." Welche Methode die richtige ist, hängt zudem von Zeitpunkt und Situation ab. Vor Rennen wird meist etwas kräftiger hingelangt, Massagen sind dann Teil des Aufwärmprogramms und sollen den Muskeltonus erhöhen – vor allem an den Beinen.
Nach dem Training sollte auch anderen Körperregionen Gutes getan werden, zum Beispiel dem Rücken: "Hier wende ich bei Radsportlern Techniken aus der manuellen Therapie zur Mobilisation und Aufrichtung der Wirbelsäule an", erklärt Paulacher. Viel am Rücken arbeitet auch die auf Thai-Massagen spezialisierte medizinische Masseurin und Wellnesstherapeutin Morvi Götzinger, die in München unter anderem Radsportler und Triathleten behandelt: "Für die ist es aufgrund der starren Haltung auf dem Rad besonders wichtig, Steifigkeiten und Verkürzungen zu bearbeiten und vorzubeugen." Dafür sei die Thai-Massage, die von den Gelenken statt den Muskeln ausgehe, besonders geeignet. Eigentlich sieht die mit Yoga verwandte Methode gar nicht so nach Massage aus: Man behält die Kleider an, wird nicht eingeölt und liegt nicht nur. Ein typischer Griff ist das lockernde Hochziehen der Arme nach hinten oben. "Hauptsache, es kommen andere Bewegungen als auf dem Rad rein", betont sie.
Auch mal sachte
Ist der Radsportler nach einem harten Rennen oder Training aber regelrecht ausgepumpt und tun ihm die Beine weh, wende Melanie Paulacher statt Massagen eher Methoden wie die Lymphdrainage an: "Damit beginne ich fast jede Massage, indem ich nur sachte über die Haut streiche." Dicht unter der Haut liegen die Lymphbahnen, in denen dann 80 Prozent mehr Flüssigkeit mit Stoffwechselprodukten in Bewegung komme. Auch Pfeifer setzt die Lymphdrainage gern am Anfang einer Massage ein, "besonders bei Schwellungen, Blutergüssen und zur Wundheilung – was aber oft sehr schmerzhaft ist".
Apropos Schmerzen: "Wer länger als einen bis zwei Tage Schmerzen hat oder deutliche Bewegungseinschränkungen spürt, sollte vom Arzt abklären lassen, was dahintersteckt", sagt Ute Merz vom Physiotherapie-Verband. Dann dürfte Physiotherapie, die auch beweglicher machen und Gelenke mobilisieren kann, meist besser helfen als eine Massage. Allerdings muss der Arzt physiotherapeutische Maßnahmen verschreiben. Massagen können eine Behandlung dann oft begleiten.
Wenn aber kein Krankheitsbild vorliegt und es mehr um Regeneration, Wohlfühlen und Vorbeugung gegen Beschwerden geht, kann "die Massage ein sinnvoller Baustein im Gesamtkonzept von Trainings- und Wettkampfplanung sein". Welche Methode zu einem passt, findet man am besten selbst heraus: "Lassen Sie sich beraten und probieren Sie aus, was und wer Ihnen da am meisten bringt", empfiehlt Merz.
Und wenn gerade kein Massagetermin zu bekommen ist? Wenn die Warteschlange beim Radevent zu lang ist? Dann kann man sich mit ein paar Griffen auch mal selbst helfen und sich zumindest die Beine etwas lockern – oder besser noch: ein Partner macht das. Etabliert hat sich außerdem das "Ausrollen" mit Foamrollern wie der Blackroll, oder mit Hilfe kleiner Bälle, Walzen oder Plastikrollen. "Das gehört bei Profis zum festen Repertoire", erzählt Kevin Pfeifer. "Und uns erleichtert es die Arbeit, wenn sie sich selbst schon ‚vorgerollert‘ haben."
DIE WICHTIGSTEN MASSAGE-GRIFFE
• Streichen (Effleurage)
Gut vor allem zu Beginn einer Massage. Mit den Handflächen (bei größeren Partien) oder Fingerspitzen (bei kleinen Arealen) in langen Bewegungen oder tiefen Bewegungen herzwärts streichen.
• Kneten (Petrissage)
Hier wird punktuell mittlerer bis fester Druck ausgeübt, um Verspannungen zu lösen. Meistens mit Daumen und Fingerspitzen an weichen Stellen über einem Knochen oder an einzelnen Muskeln.
• Walken
Der Muskel wird vom Knochen abgehoben und hin- und herbewegt, als wollte man ihn auswringen.
• Daumenkreisen (Friktion)
Mit kleinen Kreisbewegungen üben die Fingerspitzen oder Handballen Druck in die Tiefe aus.
• Schütteln
Der Muskel wird mit beiden Händen gefasst, etwas angehoben und dann hin- und hergeschüttelt.
• Klopfen und Hacken (Tapotage)
Die Klopfmassage erfolgt in kurzen, schnellen Bewegungen mit den gewölbten Handflächen. Bei der Hackmassage trommelt man mit den Handkanten schnell und locker aus dem Handgelenk auf die betreffende Stelle.
PRAKTISCHE TIPPS
• Die Qualifikation des Masseurs Je besser die Ausbildung und je größer seine Erfahrung mit (Rad-)Sportlern, umso besser.
• Massageöl Meist wird die Haut bei der Massage eingeölt, um sie gleitfähiger zu machen. Es gibt fertige Produkte, oder man kann sie selbst mischen. Viele Masseure verwenden aber auch nur Körperlotion oder -gel.
• Massageliege Beim Massieren sollte man bequem und gut liegen, idealerweise auf einer speziellen Massageliege. Man bettet den Kopf in eine Aussparung und hat eine Rolle unter den Knien oder Füßen. Der Raum sollte ruhig und frei von Zugluft sein und angenehm temperiert.
• Schmerzen Ein bisschen wehtun darf die Massage auch mal – in gewissem Maße soll sie es sogar eine Zeitlang ("Wohlschmerz"), zum Beispiel bei der Druckmassage von Triggerpunkten. Schmerzt es aber zu sehr, verspannt man sich noch mehr. Sagen Sie es dem Masseur, wenn es Ihnen zu arg wird.
• Wärme vor der Massage Infrarotlicht, Wärmflasche oder Fangokissen, Saunagang oder heißes Bad bzw. Dusche tun vor der Massage gut: Sie regen die Durchblutung an und wärmen die Muskeln vor.
• Auf die Massage verzichten Bei Fieber, akuten Entzündungen, offenen Wunden oder Infektionen der Haut sowie bei Venenleiden, besonders Thrombosen in den Beinvenen (die können sich ähnlich wie Muskelkater anfühlen!), sollte man nicht massieren. Durchs Massieren kann sich das Blutgerinnsel lösen und zu einer lebensbedrohlichen Lungenembolie führen! Bei starkem Muskelkater empfehlen sich sanfte Varianten wie Lymphdrainage. Auch Bereiche mit Empfindungsstörungen und geschwollene Lymphknoten sollten nicht massiert werden.
SELBSTMASSAGE
Wenn gerade kein Masseur greifbar ist, können Sie Muskeln und Gewebe auch selbst lockern – auch mit Hilfsmitteln wie Blackroll oder Elektrostimulationsgeräten
• Blackroll/Foamroller
Legen Sie die Rolle unter sich auf den Boden und rollen Sie mit Hilfe Ihres Eigengewichts Oberschenkelvorder- und -rückseite, Waden, Rücken usw. aus. (Anleitungen im Internet etwa unter http://blackroll.de/blogs/ubungen)
• Beine selbst massieren (oder als Partnermassage)
Grundsätzlich gilt: Bei allen Massagebewegungen immer in Richtung Herz arbeiten. Nehmen Sie sich pro Bein etwa fünf Minuten Zeit. Besonders verhärtete Stellen mit kreisenden Bewegungen (Friktionen) lösen. Mit übereinander gelegten Händen lässt sich der Druck verstärken.
1. Waden Streichen Sie beidhändig mit den Fingern vom Sprunggelenk zur Kniekehle.
2. Schienbeine Daumenballen oder Knöchel der geballten Faust von den Füßen zu den Knien bewegen.
3. Oberschenkel vorne und seitlich (Quadrizeps) Das zu behandelnde Bein auf das andere Knie stützen. Mit flachen Händen in großen Bewegungen herzwärts ausstreichen, für die Außenseite obere und untere Hand wechseln.
4. Oberschenkel Rückseite Bein anwinkeln und von der Kniekehle mit den Fingern in Richtung Po streichen (Foto). Eventuell ausschütteln.
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INDISCH, THAILÄNDISCH ODER CHINESISCH? DIE FÜNF BESTEN ALTERNATIVEN ZUR KLASSISCHEN MASSAGE
Außer der klassischen Massage, die schon die alten Griechen und Römer entwickelten, gibt es zahlreiche fernöstliche Massage- oder Behandlungstechniken. Auch sie können effizient dazu beitragen, verspannte Muskeln oder verklebtes Bindegewebe zu lockern. Hier eine kleine Auswahl, die für Radsportler einen Versuch wert sein könnten.
• Tuina
Herkunft: China/TCM (TraditionelleChinesische Medizin)
Methode: Kombination aus Massage, Chiropraktik und Akupressur, die sich vor allem an den Energielinien orientiert (Meridiane)
Hauptnutzen: Energetisierung
• Abhyanga
Herkunft: Indien/Sri Lanka, Ayurveda
Methode: Ganzkörperbehandlung mit warmem Öl, das mit sanft streichenden Bewegungen am ganzen Körper von Kopf bis Fuß verteilt wird
Hauptnutzen: Entspannung
• Thai-Massage
Herkunft: Indien, Thailand/Yoga
Methode: Streckpositionen und Dehnbewegungen, ähnlich wie im Yoga; Gelenkmobilisationen und Druckpunktmassage
Hauptnutzen: Mobilisierung
• Lymphdrainage
Herkunft: Dänemark, Frankreich/Physikalische Therapie
Methode: Grifftechniken aktivieren das Lymphsystem und die Pumpleistung der Lymphgefäße, sodass sie mehr Gewebsflüssigkeit abtransportieren
Hauptnutzen: Entstauung
• Triggerpunkttherapie
Herkunft: USA/Osteopraktik, Physiotherapie
Methode: Gezielter Druck auf myofasziale Triggerpunkte (schmerzhafte Verhärtungen und Verklebungen von Bindegewebe und/oder Muskeln)
Hauptnutzen: Schmerzlinderung