Unbekannt
· 08.09.2018
Radprofi Emanuel Buchmann erlebt bei der 73. Vuelta seine Premiere als Team-Kapitän. TOUR hat er in der Vorbereitungszeit Einblick in seinen Trainingsplan gegeben.
Emanuel Buchmann sieht gerne, was er getan hat. Wenn er sich wieder einmal an seinem Hausberg, dem Pfänder bei Bregenz, die Zehn-Prozent-Rampen hinaufschraubt, dann genießt er das vielleicht nicht immer. Aber: "Man sieht, was man gemacht hat. Und man hat dort eine schöne Aussicht", sagt der Radprofi vom Team Bora-Hansgrohe. Sein Blick geht dann weit hinunter auf die Wasserfläche des Bodensees – und jeder erarbeitete Höhenmeter lässt die Boote auf dem Wasser kleiner werden. Es ist ein erhebendes Gefühl – vor allem, wenn das Klettern von Jahr zu Jahr noch besser geht; so wie bei dem 25-jährigen Oberschwaben. Ein Leben als Radfahrer ohne Berge? Für Buchmann unvorstellbar. "Berge sind extrem wichtig für mich. Ich könnte mir nicht vorstellen, im Flachland zu trainieren. Da wäre der Spaß weg", sagt er.
Buchmann zählt bereits zum erweiterten Kreis der weltbesten Kletterer, seit er im Vorjahr beim Critérium du Dauphiné den siebten Gesamtrang belegte und Chris Froome, Richie Porte, Alberto Contador & Co. am Berg abhängen konnte. Und er will noch besser werden. Bergfahrer leben vom großen Talent – sie müssen aber auch viel arbeiten. Gemeinsam mit seinem Trainer Dan Lorang hat Buchmann am nächsten großen Ziel gearbeitet: "Bei einer Grand Tour ganz vorne mitfahren", sagt Buchmann. Die dreiwöchige Spanien-Rundfahrt (25. August bis 16. September) ist in dieser Saison sein großes Ziel. Und nach der Vuelta folgt im September in Innsbruck die Straßen-Weltmeisterschaft, die mit ihrem bergigen Terrain gute Chancen für Kletterer bietet.
Doch wie schafft man es, mit den Besten am Berg mitzuhalten? "Man muss leicht sein und hohe Wattzahlen treten", sagt Buchmann trocken. Klingt einfach. Natürlich kann das 61,5-Kilo-Leichtgewicht Buchmann nicht die Wattzahlen treten wie der hünenhafte Sprinter Marcel Kittel, der Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin oder der Klassikerspezialist John Degenkolb, die alle mindestens 15 Kilogramm mehr auf die Waage bringen. Aber während die drei beim Bergauffahren von der Hangabtriebskraft unwillkürlich ins Tal gezogen werden, kann Kletterziege Buchmann sein Potenzial ausspielen, sobald es länger und steil genug bergauf geht – bei sieben, acht Prozent Durchschnittssteigung trennt sich im Profi-Peloton die Spreu vom Weizen.
Aber auch hohe Leistung bringt nichts – wenn man damit zu viel Gewicht transportieren muss. 6,2 bis 6,5 Watt pro Kilogramm müsse man leisten können, um der Weltspitze um Froome, Quintana und Nibali Paroli bieten zu können, so schätzt Lorang. "Ein Kilogramm mehr oder weniger kann darüber entscheiden, ob man vorne mitfährt oder nicht", erläutert er. Aber selbst ein Fliegengewicht wie er muss am Schlussanstieg also 380 bis 400 Watt im Durchschnitt treten können. Doch Wattzahlen sind ein Erfolgsgeheimnis, Buchmann will nichts verraten.
Genau genommen ist ausdauernd schnelles Bergfahren ähnlich wie ein Einzelzeitfahren: Man muss dauerhaft eine möglichst hohe Leistung treten können – nur eben bergauf und in bequemerer Sitzposition, weil die Aerodynamik eine viel geringere Rolle spielt. Für einen Hobbyradsportler genügt es, weitgehend rund um die anaerobe Schwelle (also in etwa der Leistung auf dem Level der FTP) zu trainieren. 15- bis 20-minütige Intervalle, kraftorientiert, also mit niedriger Trittfrequenz von weniger als 60 Umdrehungen pro Minute (beispielsweise das klassische K3-Training aus der Sportwissenschaft der DDR) sind einer der Schlüssel zum Erfolg – und da unterscheidet sich das Training des Bergfahrers Buchmann in der Vorbereitungsphase gar nicht so sehr von dem des Zeitfahrspezialisten Tony Martin. Dazu kommt natürlich ausdauerndes Höhenmetersammeln: So war der Bora-Kletterer im Trainingslager auf Gran Canaria, wo er an vielen Trainingstagen 150 Kilometer und mehr als 3.000 Höhenmeter absolvierte.
Doch Buchmann reicht es nicht mehr, nur Mitfahrer zu sein. Die Rennen werden in den Bergen selten über gleichmäßiges Tempo entschieden. Wer um den Sieg mitfahren will, muss hohe Leistungsspitzen setzen können – am Ende einer Fünf-Stunden-Etappe und nach einer halben Stunde Bergfahrt am Limit. "Emanuel hat eine niedrige Laktatbildungsrate. Das ist eine Schwäche, wenn es darauf ankommt, aus einer kleinen Gruppe eine Etappe zu gewinnen oder entscheidende Sekunden herauszufahren", erklärt Lorang. Sprinter und Klassikerspezialisten bringen ihre Top-Leistung tief im roten Bereich – also bei Bildung von extrem viel Laktat. Dauerleister wie Buchmann ziehen ihre Stärke daraus, dass sie kaum Laktat produzieren.
Ein Hauptaugenmerk von Buchmanns Training im Jahr 2018 deshalb: Rhythmuswechsel, kurze Belastungsspitzen – damit sich sein Körper auch an diese Beanspruchung gewöhnt und er künftig nicht mehr abreißen lassen muss, wenn Froome seine hochfrequenten Stakkato-Attacken startet oder Vincenzo Nibali explosiv aus dem Sattel geht. Wir stellen beispielhaft einen Plan vor, mit dem sich Buchmann in der drittletzten Woche vor einer Drei-Wochen-Rundfahrt den Feinschliff holt. So absolviert Deutschlands bester Kletterspezialist an Tag 2 des Plans kein klassisches K3-Training (Kraftausdauer am Berg). Wie fast alle intensiven Einheiten der Beispiel-Woche sind sie wettkampfnah angelegt: Buchmann wechselt während der Belastungsphase mehrfach die Trittfrequenz. Die Trainingstage 1, 5 und 6 sind Rennsimulation mit Tempowechseln im hohen Intensitätsbereich – wie im Finale einer Bergetappe. Ausdauer, Kraft, ökonomische Trittfrequenz, anaerobe Kapazität für Leistungsspitzen und Gewicht – das sind die wichtigsten Komponenten, an denen ein Bergfahrer arbeiten muss. Dazu kommt Höhentraining, damit der Körper zusätzlich rote Blutkörperchen bildet und sich damit die Ausdauerleistung verbessert. Nicht weniger als vier Höhentrainingslager will Buchmann in dieser Saison bestreiten – sein Körper reagiert gut auf diesen Reiz.
Dazu absolviert der 25-Jährige – wie an Tag 7 in unserem Trainingsplan – einmal pro Woche ein Fettstoffwechseltraining: sehr lange Fahrten von rund sechs Stunden mit sehr niedriger Intensität, bei der die Kohlenhydratspeicher geschont werden (die der Kletterer für die entscheidenden Anstiege braucht) und der Körper den Großteil der Energie aus Fetten holt, die dem Körper fast unbegrenzt zur Verfügung stehen. "Das ist für einen Klassementfahrer extrem wichtig", betont Lorang. Weil Klettern auf Weltklasse-Niveau ein feiner Balanceakt zwischen hoher Leistungsfähigkeit und niedrigem Gewicht ist, muss Buchmann besonders auf seine Ernährung achten. "Das ist sehr, sehr wichtig", sagt er – da trifft es sich gut, dass seine Lebensgefährtin Ernährungsberaterin ist. Der Plan: ausgewogen, gute Fette, Proteine – viele Kohlenhydrate nur dann, wenn die Intensitäten im Training entsprechend sind. "An Pasta sehe ich nichts Schlechtes, wenn man intensiv trainiert", betont der Sportler, der aber auch gezielt Phasen einstreut, an denen er sich kohlenhydratarm ernährt. Wenn Gewicht und Leistung bei ihm exakt aufeinander abgestimmt sind – dann ist sein Körper bereit für Höhenflüge.
Info Emanuel Buchmann
Profi seit 2015
Größe 1,81 Meter
Wettkampfgewicht 61,5 kg
Dauerleistung/FTP ca. 390 Watt (geschätzt)
Jahresumfang 32.000 bis 33.000 km
Renntage 64–70 (Anfang Februar bis Anfang Oktober)
Schlüssel zum Erfolg: Starke Kletterer brauchen hohe Dauerleistung im Verhältnis zum Gewicht.6,2 bis 6,5 Watt pro Kilogramm Körpergewicht an der anaeroben Schwelle (FTP) gelten als Richtwert für die Weltklasse der Bergfahrer. Grundlagenausdauer (GA1) Grundlagenausdauer (GA2) Entwicklungsbereich (EB) Sprintintervalle (SB)