Unbekannt
· 30.01.2006
Schadet Training auf der Rolle dem Rennradrahmen? TOUR hat nachgemessen
Winterzeit ist Rollentrainingszeit: kein Fahrtwind, dafür umso mehr Schweiß, stickige Zimmerluft, dazu lähmende Monotonie. Kann es noch schlimmer kommen? – denkt manch einer. Ja! Der Rahmen könnte, eingespannt in der Trainingsrolle, durch die andersartige Belastung brechen; zumindest ist das eine Befürchtung, die in Rennradlerkreisen kursiert und auch im TOUR-Onlineforum viel diskutiert wird.
An diesem Rad kleben an neuralgischen Punkten sogenannte Dehnmess-Streifen, mit denen sich erfassen und mittels Datenspeicher aufzeichnen lässt, wie sich der Rahmen unter Last verformt. Da bisher keine gesicherten Kenntnisse zur Belastung auf der Rolle existierten, haben wir nicht isoliert die Verformung des eingespannten und daher mutmaßlich am stärksten belasteten Rahmenhinterbaus betrachtet, sondern auch andere Stellen des Rahmens mitaufgezeichnet. Um vergleichen zu können, was mit dem Rahmen passiert, wurde ein festgelegtes Testprogramm mit vergleichbaren Trittfrequenzen sowohl auf der Rolle als auch auf der Straße absolviert. Die Bandbreite, kontrolliert mittels Messkurbel, reichte von Grundlagen- (100 Watt) bis zum Sprinttraining (kurzzeitig 1.000 Watt).
Die Balken zeigen: In den drei untersuchten Leistungsbereichen fallen die Torsion des Unterrohrs (TU), die Biegung der rechten Kettenstrebe (BK) und die Biegung des Sitzrohrs(BS) auf der Rolle meist niedriger aus als beim vergleichbaren Straßentraining
Die Auswertung der Daten überraschte: Bei gleicher Leistung verformt sich der Rahmen auf der Straße bei fast allen Messungen mehr als auf der Rolle. Einzig beim Sprint, der Maximalbelastung für das Material, gleicht sich die Rahmendeformation zwischen Straße und Rolle. Wie für den Fahrer nimmt der Stress auch für den Rahmen vom Grundlagentraining hin zum Wiegetritt zu. Betrachtet man die Schwingungsausschläge, erkennt man, dass Sitzrohr, Kettenstreben und Unterrohr am stärksten verformt werden. ADP-Ingenieur Peter Böhm stellte nach Sichtung der kompletten Daten fest, dass das „Korsett Rollentrainer eher unterstützend“ wirkt. Umkehrschluss: Das „Korsett“ fehlt beim Fahren auf der Straße – der Radler agiert aktiver, arbeitet mehr mit dem Oberkörper, bewegt das Rad stärker. Das führt bei gleicher Leistung dazu, dass die Kräfte über Lenker, Sattel und Pedale vielfältiger auf den Rahmen einwirken. Hinzu kommen die Fahrbahneinflüsse. Alle diese Unterschiede könnten die gemessene stärkere Verformung im Vergleich zur Rolle erklären.
Beide Kurven zeigen die seitliche Biegung der rechten Kettenstrebe (BK) während der Tretbewegung, einmal auf der Rolle (gelb), einmal auf der Straße (grau). Tritt der Radsportler in die Pedale (hier mit rund 200 Watt), deformiert er den Rahmen je nach Kurbelstellung unterschiedlich stark. Deutlich erkennbar: Das Material dehnt sich beim Fahren auf der Straße stärker als auf der Rolle.
Woher rührt aber der Mythos vom rahmenschädigenden Rollentraining? Eine mögliche Erklärung könnte die „optische Täuschung“ des Radlers sein: Unter der Last des (Wiege-)Tritts weicht das Tretlager des Rahmens auf der Straße genauso weit oder sogar noch weiter zur Seite aus als auf der Rolle – nur fällt das dem Straßenradler mangels festem Bezugspunkt beim Blick aus der Sattelperspektive längst nicht so auf wie im Zimmer. Zweierlei bleibt festzuhalten. Erstens: Kein Rahmen hält ewig – aber sollte der Rohrverbund tatsächlich beim Training auf der Rolle kaputt gehen, sind mit ziemlicher Sicherheit Belastungen dafür verantwortlich, die er so auch auf der Straße ertragen muss oder in einem langen Rahmenleben schon ertragen hat. Zweitens: Unser Test stellt nur einen kleinen Ausschnitt aus der Rollentrainings-Welt dar, das Ergebnis ist also nicht auf jedes denkbare Zusammentreffen von Rollentrainer und Rahmen übertragbar. Dazu spielen zu viele Einflüsse eine Rolle wie die Gestaltung, Dimensionierung, Vorgeschichte und Materialeigenschaften des Rahmens sowie die Einspannung. Die Angst, dass das Rad beim Rollentraining brechen könnte, ist dennoch weitgehend unbegründet. Bleiben als Ausrede, um nicht auf der Rolle zu trainieren, nur noch der fehlende Fahrtwind, stickige Zimmerluft und eine gewisse Monotonie.