War schon mal jemand in den kanadischen Chilcotins? Ein wildes Bergland in British Columbia, das man von Vancouver nur mit dem Wasserflugzeug erreicht. Man braucht mehrere Tage, um auf Trails wieder in die Zivilisation zurück zu gelangen. Großes Abenteuerland für Mountainbiker, mit Seen, Wäldern, Bergpässen, Flussquerungen, Bären-Begegnungen und sonst keiner Menschenseele. Welchen Grund sollte es hier wohl geben, seine Flasche nicht einfach im kristallklar sprudelnden Bach aufzufüllen?
“Don’t even think about it!”, unser kanadischer Guide wurde fast sauer, als er uns dabei erwischte. “Du kannst nie wissen, ob weiter oben vielleicht ein totes Tier im Wasser liegt!” Aaach, das verteilt sich doch im Wasser? Keine Chance. Es schien fast so, als hätte der Mann bereits selbst eine schlimme Erfahrung gemacht.
Schlechte Erfahrungen haben im Mai 2024 auf jeden Fall die Gäste des Rotwandhauses im bayerischen Mangfallgebirge gemacht. 21 Bergsportler übernachteten damals in der beliebten Hütte, die auf knapp 1700 Meter Höhe über dem Spitzingsee liegt und ihr Wasser aus einer etwas unterhalb gelegenen Bergquelle zapft. Am Ende musste die Bergwacht anrücken und alle Hütten-Gäste mit starken Magen-Darm-Beschwerden ins Tal, elf von ihnen sogar ins Krankenhaus bringen.
Als Ursache wurden Kolibakterien sowie Noro- und Rotaviren im Leitungswasser der Hütte festgestellt. Der Alpenverein reagierte sofort und installierte im Rotwandhaus eine Wasseraufbereitungsanlage mit Filter und einer zusätzlichen UV-Lampe, um auch nicht filterbare, hitzebeständige Keime wie das Rotavirus abzutöten.
Hütten sind wegen ihrer Lage am Berg nur in sehr seltenen Fällen an die öffentliche Trinkwasserversorgung angeschlossen. Stammt ihr Wasser aus tiefgelegenen Quellen, dann wird es auf natürliche Weise vom Boden gefiltert. Doch meist werden eher oberflächliche Quellen angezapft, die sich aus Schmelz- und Regenwasser speisen. Und die sind leicht mal durch Exkremente von Kühen und Wildtieren mit Bakterien und Keimen verunreinigt. Auch der Klimawandel macht Hüttenbesitzern zunehmend Sorgen. Auf lange Trockenzeiten folgen Starkregenfälle. Auch dann kann es passieren, dass aus dem Hahn in der Hütte trübes Wasser kommt, weil Sedimente die Filteranlage verstopfen. Dann hilft auch die UV-Bestrahlung nicht mehr.
Aber wie steht es nun um die Quellen, die auf einer Tour am Wegesrand aus dem Boden oder Fels sprudeln: Darf man da als Radfahrer/in die Trinkflasche bedenkenlos auffüllen? Unsere Kollegin vom BIKE-Magazin hat die Trink- und Abwasser-Expertin Dr. Claudia Beimfohr von der Firma Vermicon AG in München befragt.
BIKE: Am Wasserhahn auf Hütten-Toiletten steht häufig: “Kein Trinkwasser”. Das ist also gar kein Trick vom Hüttenwirt, damit man sich dort nicht die Trinkflasche kostenlos auffüllt?
Dr. Claudia Beimfohr: (lacht) Dass sich ein Wirt solcher Tricks bedient, kann natürlich sein. Wenn in der Hütte aber eine Wasseraufbereitungsanlage inklusive UV-Lampe installiert ist, kann man das Wasser bedenkenlos trinken. Allerdings ist so eine Anlage nicht unkompliziert. Die Filter müssen rechtzeitig gewechselt werden und eine UV-Lampe optimal auf die nötige Wasserdurchdringung eingestellt sein. Sobald im Wasser mehr Sedimente enthalten sind, muss auch die Bestrahlung verlängert werden. Es kann aber auch sein, dass solch aufbereitetes Wasser nur in Küche und Dusche geleitet und in Gäste-Toiletten ungefiltertes Wasser verwendet wird.
Wenn UV-Strahlen in der Lage sind, sogar hitzeresistente Keime und Viren abzutöten, dann dürfte ja das Trinken aus einem klaren Gebirgsbach gar kein Problem sein?
Doch. UV-Licht hat mit 5 bis maximal 10 Zentimetern eine sehr geringe Durchdringungstiefe. Für eine gute Keimabtötung ist eine Bestrahlungsdauer von 3 - 5 Sekunden nötig. Bei sehr klarem Wasser und vollem Sonnenlicht! Sind Sedimente im Wasser dauert es entsprechend länger. Bei fließenden Gewässern ist das nicht möglich.
Angenommen, ich fülle eine durchsichtige Wasserflasche mit klarem Bachwasser und stecke sie in den Flaschenhalter. Reicht die Sonnenbestrahlung dann zur Keimabtötung aus? Bei Survival-Experten sieht man das häufig.
Für diese Variante würde man das Wasser am besten durch ein Tuch in die Flasche füllen, um Schwebstoffe herauszufiltern. Selbst kleinste Schwebstoffe im Wasser können Keime binden und behindern die UV-Strahlen sehr. Außerdem müsste es unbedingt eine durchsichtige PET-Flasche sein, weil Glas die wichtigen Strahlen nicht durchlässt. Und dann müsste auf diese Flasche 6 Stunden lang volle Sonne scheinen. Schieben sich nur hin und wieder Wolken vor die Sonne, dauert die Prozedur bereits zwei Tage und an ganz wolkigen Tagen passiert nichts.
Aber mal ganz ehrlich: Ich habe schon oft Wasser aus einer Gebirgsquelle getrunken und mir dabei noch nie einen Norovirus eingefangen.
Wegen möglicher Kuh-Fäkalien fängt man sich in einem fließenden Gewässer auch keinen Norovirus ein. Bei Kühen gibt es zwar einen ähnlichen Virus, aber der ist für Menschen ungefährlich. Die hochansteckenden Noro- und Rotaviren übertragen sich von Mensch zu Mensch. Über Aerosole, also über die Atemluft, oder als Schmierinfektion. Aber es gibt natürlich genügend andere Bakterien, Viren und Keime im Wasser, die für den Menschen nicht gut sind. Am Ende ist es Glücksache, welche Menge an Erregern man erwischt.
Welches Wasser kann man denn guten Gewissens im Gebirge trinken?
Brunnen sind eine gute Quelle, weil man davon ausgehen kann, dass sie tief genug gebohrt sind und das Wasser eine natürliche Bodenfilterung durchlaufen hat. Ab 10 Metern Tiefe spricht man von einer sehr guten Filterung. Enthält der Boden zusätzlich Lehm für eine langsame Versickerung und Tonmineralien, werden sogar Viren herausgefiltert. Brunnen, die nicht tief genug oder in felsigen, sandigen, also schnell durchlässigen Boden gebohrt wurden, sind hoffentlich immer mit einem Schild “Kein Trinkwasser” versehen.
Was ist denn das Schlimmste, was mir beim Trinken von verkeimtem Wildwasser passieren kann?
Starker Brech-Durchfall. Der setzt etwa nach 10 bis 24 Stunden ein und kann bei schlechter körperlicher Verfassung und/oder angeschlagenem Immunsystem zur Dehydrierung führen.