Carola Felchner
· 07.02.2025
Es gibt Themen im Radsport, über die spricht man gerne. Vielleicht sogar mit etwas Stolz. Welche Handschuhe man am besten trägt, um die „lästigen“ Leistungsstreifen an den Händen zu vermeiden, zum Beispiel. Oder ob Zwift die Wattzahl auch richtig anzeigt, weil wenn ja, hätte man sich erstaunlich verbessert. Und dann gibt es Themen, über die viele lieber Stillschweigen bewahren. Weil sie unangenehm sind. Ein bisschen peinlich. Oder sich nach Schwäche anhören. Doch genau diese Themen sind es, die besprochen gehören. Denn sie sind zum einen gar nicht so selten. Zum anderen können aus einigen Problemchen, die an sich schnell behoben wären, echte Probleme werden, die dann Tage, Wochen oder Monate brauchen, um zu heilen.
Zu solchen Problemen zählt beispielsweise die handtellergroße Eiteransammlung aufgrund eines zu lange ignorierten Furunkels, die Sportärztin Dr. Ursula Manunzio einmal am Po eines Radsportlers aufschneiden musste. „Dabei sind Furunkel grundsätzlich erst einmal harmlos“, sagt die Leiterin des Bereichs Leistungs- und Freizeitsport am Uniklinikum Bonn. Bei dieser bakteriellen Hautentzündung sammelt sich um die Wurzel eines Körperhaars herum Eiter an. „Kommt an Stellen mit starker Behaarung, wie dem Intimbereich oder auch dem Gesäß, noch die Reibung der Radhose bei der Tretbewegung hinzu, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein Furunkel entsteht. Grundsätzlich kann das jeden treffen“, erklärt Ursula Manunzio.
„Das hat nicht immer mit mangelnder Hygiene zu tun.“ Wer eine solche kirschkerngroße, gerötete und schmerzhafte Schwellung an seinem Allerwertesten feststellt, braucht sich deswegen also nicht zu schämen. Im Gegenteil: Ist das Furunkel nach drei Tagen nicht von alleine verschwunden, sollten Betroffene zum Arzt gehen. „Man kommt an die typischen Furunkelstellen selbst nicht so gut hin. Daran herumdrücken sollte man sowieso nicht“, warnt die Sportärztin. Tut man es doch oder ignoriert das Problem, besteht die Gefahr, dass sich die Erreger und mit ihnen die Entzündung ausbreiten. Eine zuverlässige Methode, um Furunkel gar nicht erst entstehen zu lassen, gibt es nicht. Rasieren ist jedenfalls kein Schutz, nach dem Motto: wo keine Haare, da kein Furunkel. Vielmehr, so Ursula Manunzio, könnten gekappte Haare im Intimbereich leicht einwachsen. Auch das könne die Entstehung von Furunkeln begünstigen.
Ebenfalls eine Entzündung, über die viele nicht gern sprechen, ist die der Blase. Wer will schon die Mitfahrenden mit dauernden Boxenstopps nerven? Die gute Nachricht: Eine Blasenentzündung entsteht für gewöhnlich nicht durchs Radfahren. „Wenn überhaupt, dann könnte das an einem nicht regelmäßig gewaschenen Sitzpolster liegen, an dem sich Bakterien angesiedelt haben“, mutmaßt Sportärztin Ursula Manunzio. Diese Bakterien gelangen bei einer Blasenentzündung über die Harnröhre in die Blase, vermehren sich dort und verursachen eine Entzündung der Harnblasenschleimhaut. Die Symptome: Ein ständiger Drang, Wasser zu lassen (meist nur ein paar Tropfen) sowie stechende Schmerzen oder ein Brennen beim Urinieren; beides kann in Rücken oder Unterleib ausstrahlen. „Frauen sind eher betroffen als Männer, da ihre Harnröhre kürzer ist und Bakterien es so leichter haben, einzudringen“, erklärt Ursula Manunzio und rät, bei Symptomen mindestens zwei Liter pro Tag zu trinken, um die Erreger auszuspülen. Zum Arzt sollten Betroffene gehen, wenn sie Fieber oder Schmerzen in der Nierengegend bekommen, ihnen übel ist und sie erbrechen müssen.
Ein Radsport-Evergreen sind Taubheitsgefühle und Kribbeln im Genitalbereich. Da beides meist nur vorübergehend auftritt, nehmen viele es als gegeben hin und schweigen. „Tatsächlich sind kurzzeitige Taubheitsgefühle in der Regel harmlos“, bestätigt Christian Manunzio, Diplom-Sportwissenschaftler an der Deutschen Sporthochschule Köln. „Sie entstehen, wenn im Sattel Druck auf Nerven und Blutgefäße einwirkt.“
Steigt man vom Rad, verschwinden meistens auch Kribbeln und Taubheitsgefühle. Halten sie an, treten Schmerzen oder Erektions- beziehungsweise sexuelle Funktionsstörungen auf, ist das ein Fall für den Bikefitter und/oder Arzt. Seien Sie denen gegenüber ehrlich, was die Symptome und deren Verortung betrifft, auch wenn es Ihnen unangenehm erscheint. Sie sind in guter Gesellschaft. Je nachdem, welche Studie man zurate zieht, sind 60 bis 90 Prozent der Vielradler von Taubheitsgefühlen betroffen. „Anhaltender Druck auf den Dammbereich kann zu verschiedenen gesundheitlichen Problemen führen“, warnt Christian Manunzio. Entsprechend empfiehlt er als kurzfristige Sofortmaßnahme, regelmäßig in den Wiegetritt zu gehen und Pausen einzulegen, um den Druck auf den Dammbereich zu verringern. Gegebenenfalls lindert auch eine Anpassung der Sattelposition (Spitze leicht nach unten) die Beschwerden.
Manchmal haben Radsportler aber nicht nur das Gefühl, dass „untenrum“ etwas nicht stimmt, sondern dass generell etwas nicht in Ordnung ist. Das Training will nicht so recht laufen. Die Intervalle fühlen sich auf einmal viel zu schwer an, die Lust aufs Radfahren nimmt stetig ab, und immer ist da diese bleierne Müdigkeit. Zugeben würde man natürlich nie, dass man das sich überfordert fühlt. Ging doch sonst auch immer. Aber: „Wer nach einer harten Trainingswoche nicht nur etwas platt ist, sondern das Gefühl permanent verringerter Leistungsfähigkeit hat, könnte im Übertraining sein“, weiß Sportärztin Ursula Manunzio. Allerdings ist diese Diagnose gar nicht so leicht zu stellen. Denn Übertraining kann vielerlei Symptome haben – und keines davon lässt sich eindeutig nur dem „sportlichen Burn-out“ zuordnen.
Ständige Schlappheit, Frieren, mangelnde Regenerationsfähigkeit, Motivationsprobleme, ein über mehrere Tage zu hoher oder niedriger Puls sowie Schlafprobleme können darauf hindeuten, dass es sich möglicherweise um Übertraining handelt. Bei Frauen bleibt zudem ab einem bestimmten Punkt die Periode aus. „Besonders gefährdet sind tendenziell Ausdauersportler mit hohen Umfängen wie Radsportler. Vor allem Hobbyathleten, die auch noch ihren Alltag schaffen müssen“, warnt Ursula Manunzio. Bei anhaltenden, scheinbar unbegründeten Motivations- und Leistungsproblemen sollten Betroffene einen Termin beim Sportarzt machen. „Der kann Hilfestellung geben, um Ernährung und Trainingsbelastung so anzupassen, dass man aus dem Übertraining wieder herauskommt“, sagt sie. Ganz mit dem Sport aussetzen brauchen Betroffene in der Regel nicht – aber eine ordentliche Portion Geduld müssen sie mitbringen: Wer erst einmal so tief im Übertraining steckt, dass es sich körperlich und mental bemerkbar macht, muss mit sechs bis zwölf Monaten „Regenerationszeit“ rechnen.
Essstörungen sind im Hobbysport nicht selten. Experten schätzen den Anteil Betroffener auf 10 bis 20 Prozent. Vor allem in Disziplinen, in denen das Gewicht eine Rolle spielt – wie eben dem Radsport. Aber selbst wenn das Essverhalten (noch) nicht gestört ist, dürften einige Rennradler schon am Büfett im Trainingscamp-Hotel oder vor dem eigenen Vorratsschrank gestanden und sich gefragt haben, ob die zweite Portion Nudeln nicht maßlos ist oder der Schokopudding zum Dessert die mühsam erarbeitete Form zunichtemacht. Prof. Dr. Karsten Köhler, Leiter der Professur für Bewegung, Ernährung und Gesundheit am Department Health and Sport Sciences der Technischen Universität München, rät zu gesundem Menschenverstand. Egal, ob es sich um Alkohol, Zucker oder Fett handelt. „Es gibt für Radsportler keinen Freifahrtschein, aber sie dürfen sich tendenziell etwas mehr erlauben als Nichtsportler“, beruhigt er.
Dass sie das dürfen, liegt am Stoffwechsel. Der arbeitet bei aktiven Menschen fleißiger als bei Couch-Potatos. Die meisten Nahrungsmittel werden laut dem Ernährungsexperten nämlich nur dann wirklich gesundheitsschädlich, wenn der Körper dauerhaft mehr von etwas zugeführt bekommt, als er verarbeiten kann. Soll heißen: Gegen ein gelegentliches Glas Wein oder ein Stück Kuchen zur Belohnung ist nichts einzuwenden, solange man sie bewusst zu sich nimmt. Fett, das aus Fisch, Nüssen, Saaten und Pflanzenölen stammt, ist okay, gesund – und sogar notwendig, um bestimmte Vitamine verarbeiten zu können.
Wer immer wieder mit Verdauungsbeschwerden auf dem Rad zu tun hat, Blähungen bekommt oder unterwegs aufs Dixi muss, sollte kritisch betrachten, was er bis zu einer Stunde vor Ausfahrt oder Rennen und auch währenddessen zu sich nimmt. Fett- oder Ballaststoffreiches liegt nämlich länger im Magen als beispielsweise Weißmehlprodukte oder ein Magerquark mit Beeren und ist deshalb eventuell noch nicht verdaut, wenn es in den Sattel geht. Unter Belastung ist der Magen-Darm-Trakt weniger durchblutet, die Verdauung funktioniert nicht mehr so effektiv. Deshalb sollten Radsportler während der Aktivität mehrere kleine Mengen an Energie zu sich nehmen, rät Karsten Köhler. Die kann auch ein verlangsamter Verdauungstrakt verarbeiten. Probleme entstehen nämlich dann, wenn selbiger überfordert wird. „Machen Sie sich einen Verpflegungsplan und stellen Sie gegebenenfalls einen ,Essensalarm‘ an Ihrem Radcomputer ein“, empfiehlt der Ernährungsfachmann.
Mittlerweile findet das zyklusbasierte Training immer mehr Beachtung. Darüber, zu welchem Zeitpunkt im Zyklus intensives Training angebracht ist und wann ruhige Grundlageneinheiten, gibt es inzwischen zahlreiche Artikel und Bücher, einige Coaches lassen dieses Wissen in die Trainingsplanung einfließen. Aber bei der gemischten Ausfahrt über die Periode sprechen? Lieber nicht. Dabei hat nur etwa ein Drittel der Radsportlerinnen keine Regelschmerzen. Alle anderen plagen Bauchschmerzen, Magenkrämpfe, Stimmungsschwankungen. Aufs Fahrrad dürfen sie trotzdem gerne, weiß Dr. Maja Heinrigs, Frauenärztin mit Praxis in München und selbst begeisterte Radsportlerin: „Sport und Bewegung helfen bei Regelbeschwerden.“
Sind die Schmerzen zu stark, können Wärme und Magnesium Krämpfe lindern helfen und: „Gönnen Sie sich Ruhe“, sagt die Gynäkologin. Entsprechend ist lockeres Rollen angesagt oder für alle, die sich mit Schmerzen im Sattel nicht wohlfühlen, leichtes Stretching oder Yoga. Übrigens: Auf den Körper zu hören, gilt auch beim Radsport in der Schwangerschaft. „Wer bisher nicht sportlich Rad gefahren ist, sollte in der Schwangerschaft nicht unbedingt damit anfangen. Wer aber schon lange Rennrad fährt, kann den Sport auch weiterhin betreiben, spätestens, bis der Bauch für die Radfahrposition hinderlich wird“, sagt Maja Heinrigs. Radfahren kann nämlich unter anderem das Risiko für Schwangerschaftsdiabetes oder perinatale Depression senken. Ehrgeiz und Intensität sollten werdende Mütter aber herunterfahren. „Bei Atembeschwerden oder Bauchdrücken sollten Radsportlerinnen die Tour abbrechen“, mahnt die Frauenärztin. Tabu ist Radfahren meist auch bei Risikoschwangerschaften. Dann ist meist Ruhe für Mutter und Kind angesagt. Sprechen Sie mit Ihrer Frauenärztin, was für Sie im individuellen Fall ratsam und richtig ist.