Dr. Siegfried Marquardt im InterviewSportliche Höchstleistungen dank gesunder Zähne

Andreas Haslauer

 · 01.06.2024

Dr. Siegfried Marquardt im Interview: Sportliche Höchstleistungen dank gesunder ZähneFoto: Sebastian Stiphout
Dr. Siegfried Marquardt ist Deutschlands renommiertester Sportzahnarzt. Im Interview erläutert der Experte, warum viele Rennradfahrer schlechte Zähne haben und was sie dagegen unternehmen können.
Dr. Siegfried Marquardt ist Deutschlands renommiertester Sportzahnarzt. Im Interview erläutert der Experte, warum viele Rennradfahrer schlechte Zähne haben und was sie dagegen unternehmen können.

TOUR: Herr Dr. Marquardt, Zahnprobleme werden von vielen Profisportlern als Ursache für Beschwerden oder Leistungseinbußen unterschätzt. Welche Beobachtungen machen Sie als Sportzahnarzt?

DR. MARQUARDT Häufig beruhen Leistungseinbußen auf einem Problem im Mund. Ein entzündeter Zahn kann den Stoffwechsel eines Sportlers lahmlegen. Und wenn der Säure Basen-Haushalt nicht stimmt, übersäuert er viel schneller als mit gesunden Zähnen.

Was sind die häufigsten Probleme?

Rund 60 bis 70 Prozent haben eine Gingivitis, also eine leichte Zahnfleischentzündung, und schon die schwächt den Körper. Das ist das Ergebnis der Studie „Screening der Mundgesundheit bei Fußballspielern“, an der knapp 240 Profifußballer aus Europa und der Champions League mitgemacht haben. Eigentlich ein gutes Zeichen, denn ich weiß: Er oder sie putzt einfach nur schlecht Zähne, ernährt sich nicht gut. Die Erfolgsquote bei diesen Patienten ist hoch, da jeder das Putzverhalten und auch die Ernährung schnell ändern kann. Schlimmer wird es, wenn die Bakterien in Zahn und Kieferknochen eindringen, sich in Muskeln und Sehnen ansammeln. Dann sprechen wir von einer Parodontitis, von der etwa 15 bis 20 Prozent betroffen sind. Sie sorgt dafür, dass unsere Leistungsfähigkeit rapide sinkt.

Wie sieht es mit Karies aus?

Liegt auf Platz zwei, wird auch oft nicht erkannt. Viele Ärzte ziehen bei Sportlern den Zahn, um eine aufwendige Wurzelbehandlung zu umgehen.

Wie sehr können Zahnprobleme die Leistungsfähigkeit im Sport beeinträchtigen?

Wenn der Sportler ein gutes Immun- und Muskelsystem hat, können es zwischen fünf und zehn Prozent sein. Im Extremfall können dies aber auch bis zu 40 Prozent sein. Ich kenne viele Sportler, die ihre Zahn- und Kieferprobleme nicht behandeln lassen wollen. Nicht nur Kopf und Kondition entscheiden über einen guten Platz beim Ötztaler Radmarathon – sondern auch gesunde und gute Zähne.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Warum haben Rennradfahrer Probleme mit den Zähnen?

Warum haben vor allem so viele Rennradfahrer Probleme mit den Zähnen?

Bei Events wie dem Ötztaler Radmarathon stopfen Rennradler den ganzen Tag lang Power-Riegel und Gels in sich hinein. Nicht anders ist es im Training. Kohlenhydrate und Proteine sind zwar wichtig, aber nicht Zucker und Säuren. Natürlich müssen sie das alles essen, sonst geht ihnen die Power aus. Das ist mir schon klar. Ich habe jedoch als Hobby-Rennradfahrer eine ideale Lösung gefunden.

Und wie sieht die aus?

Ich habe immer zwei Trinkflaschen dabei. Eine mit beispielsweise Magnesium und Elektrolyten, eine mit Wasser, um meinen Mundraum regelmäßig zu neutralisieren, also auszuspülen. Darüber hinaus trage ich beim Radfahren immer eine Performance-Schiene. Denn wenn ich mal zum Spitzingsee hochpedaliere und auf die Zähne beiße, verteilt sich der Druck. Die Muskulatur wird also nicht nur einseitig belastet, was oft an den ganzen Körper durchgereicht wird. Zudem sind meine Zähne im Falle eines Sturzes geschützt.

Ist die Neutralisierung mit Wasser zwischendurch wirklich notwendig?

Bei intensiven Trainingseinheiten steht mein Körper so unter Stress, dass mir förmlich die Spucke wegbleibt. Der Speichel, der meine Zähne vor Säureangriffen schützt, bleibt also aus. Die Zähne stehen – fußballerisch gesprochen – ohne Manndeckung da, sind zerstörerischen Einflüssen ausgeliefert. Zahnschmelz-Erosionen und Karies sind die Folge. Ergo: Es ist definitiv notwendig!

Freiliegende Zahnhälse

Machen Sie noch etwas zum Schutz Ihrer Zähne?

Nach jedem Training putze ich ausgiebig die Zähne. Viele Radsportler trinken hingegen erst einmal einen großen Protein-Shake, mit viel Zucker. Und wenn sie dann ihre Zähne putzen, dann so stark, dass ihre Zahnhälse freiliegen. Es gibt aber auch schon davor Möglichkeiten, besser mit den eigenen Zähnen umzugehen.

Wie denn?

Einen Apfel beim oder nach dem Training essen, dann aber nicht sofort danach die Zähne putzen! Das ist wirklich ganz wichtig. Mindestens eine halbe, besser eine Stunde warten, bis der Speichel alles neutralisiert.

Warum ausgerechnet einen Apfel?

Der Apfel reinigt mit seinem Fruchtfleisch die Zahnoberflächen, und durch das Kauen wird die Speichelfunktion im Mundraum stimuliert. Das ist deswegen so wichtig, weil die Säure neutralisiert und das Immunsystem gestärkt wird und somit die Angriffsflächen für Bakterien verringert werden. Das geht auch mit zuckerfreiem Kaugummi. Dieses Neutralisieren ist für unsere Zähne wahnsinnig wichtig.

Können Sie das genauer erklären?

Sie müssen sich das so vorstellen, als wäre ein Apfel oder ein zuckerfreier Kaugummi mechanisch gesehen wie eine Art Autowaschanlage. Statt der Bürsten oder Lappen sind es Wasser und Fruchtsäure, die Ihre Zähne von Zuckerresten erst befreien und dann säubern. Ich persönlich ziehe jeden Morgen frisches Sonnenblumen oder Leinsamenöl durch die Zähne. Ich mache das zwei, drei Minuten lang. Wenn Sie das Öl wieder ausspucken, können Sie sehen, wie die Gifte regelrecht aus Ihrem Mund ausgespült werden, weil das Öl diese Stoffe bindet. Sie nehmen einen Schluck goldgelbes Sonnenblumenöl zu sich, heraus kommt eine graue und dreckige Masse. Klingt ein wenig eklig, ist aber supereffizient und supergesund.

Lamellen-Zahnbürste putzt und massiert

Was raten Sie Ihren Patienten aus dem Sport?

Eure Zähne sind nicht eure Gegner, geht sanft mit ihnen um. Es gibt vier Dinge zu beachten: Ich rate ihnen als Erstes zu einer elektrischen Lamellen-Zahnbürste, mit der Sportler – und alle anderen Menschen – gar nicht zu fest draufdrücken können. Sie kann jedoch fast alles: alle Zähne gleichzeitig schonend und gründlich putzen und dabei das Zahnfleisch sanft massieren. Dann sollten wir alle unsere Zunge von Schadstoffen und Toxinen befreien.

Warum ist das so wichtig?

Der Mund, vor allem die Zunge, ist das Tor zum Körper. Wenn Sie eine Entzündung im Mund haben, ist das für die Bakterien der ideale Ausgangspunkt, um sich von dort aus auf den ganzen Organismus und über unseren Blutkreislauf zu verteilen. Das gefällt dem Immunsystem nicht. Mehr noch: Die Bakterien stressen den Körper wie wild. Er ist anfälliger für Verletzungen und Erkrankungen. Deswegen entscheidet die Zunge, was reinkommt und was nicht. Allerdings lagern sich trotzdem Gifte auf ihr ab.

Was kann man gegen diese Eindringlinge unternehmen?

Einfach mit einem Schaber die Zunge ausmassieren. Machen Sie das mal, Sie werden überrascht sein, was aus Ihrer Zunge da so alles rauskommt. Ich vergleiche das gern mit Autositzen. Oberflächlich betrachtet, mögen die ganz gut und sauber aussehen. Putzen Sie diese aber mal mit einem Wasserdampfreiniger. Das Wasser, das da zurückfließt, ist gräulich, fast schwarz. Ähnlich ist es mit Ihrer Zunge.

Kann man noch etwas tun?

Zahnseide benutzen, jedoch nicht immer auf dem Zahnfleisch sägen, sondern immer an der sogenannten Zahnzwischenraumfläche entlang. Last, but not least die Pfeifenbürste, also die Interdentalbürstchen, für die Zahnzwischenräume verwenden.

Meistgelesen in der Rubrik Fitness