Philipp Gauckler von der Innsbrucker Universitätskinik für Nephrologie und Hypertensiologie ist dem Phänomen den Wassereinlagerungen auf den Grund gegangen. Im Interview erklärt er die Hintergründe.
TOUR: Sind Sie Ultra-Radsportler und kamen deshalb auf die Idee zur Ultracycling Studie?
Gauckler: Nein. Ich habe ein paarmal einen Triathlon gemacht, fahre gerne Rennrad und geh Graveln. Aber die Idee zur Studie kam durch einen Podcast bei dem Transcontinental Race-Gewinnerin Fiona Kolbinger interviewt wurde. Und da hat sie erzählt, dass sie oft gesehen hat, dass die Leute im Ziel beim TCR (Anm d. Red. Transcontinental Race) Wassereinlagerungen haben. Also ödemartige Schwellungen im Gesicht, in den Händen, an den Füßen. Und das sei ihr aufgefallen. Ich habe mir das angehört und ich hatte schon einen Bezug zum Thema Flüssigkeitsregulation im Ausdauersport. Ich hatte mal eine wissenschaftliche Arbeit begutachtet zu Ultramarathonläufern. Vor allem Ausdauerläufer bekommen gelegentlich eine Hyponatriämie, also eine Verdünnung vom Blut. Wahrscheinlich durch zu viel trinken. Und das, das fand ich damals spannend, weil es gegen meine Intuition ging, dass das Risiko von Dehydrieren das Thema ist.
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Der Podcast mit dem alles begann...
TOUR: Für die Ultracycling Studie sind die Frauen und Männer 1.200 Kilometer und 20.000 Höhenmeter am Stück geradelt. Was haben Sie beobachtet?
Gauckler: Man hat gesehen, dass bei den 13 Teilnehmenden Zeichen von einer Volumenüberladung oder Überwässerung erkennbar waren. Man hat gesehen, dass das Gesamtkörperwasser deutlich zugenommen hat, dass das Plasmavolumen, also das Blutvolumen, deutlich zugenommen hat. Man sieht, dass die Körperumfänge an gewissen Körperteilen deutlich zugenommen haben.
TOUR: Was ist aus medizinischer Sicht das Risiko?
Gauckler: Was das für potenzielle gesundheitliche Konsequenzen haben kann, können wir mit dieser Studie nicht beantworten. Dass sich Wasser im Gewebe ablagert und man Schwellungen bekommt, ist ziemlich reversibel und nicht gefährlich. Was aber sicherlich eine gewisse Konsequenz haben wird, je nachdem wieviel Jahre man das betreibt, wie extrem, wie häufig man solche Rennen macht, sind die Auswirkungen aufs Herz-Kreislauf-System. Das ist ein Thema, das schon bekannt ist bei Ausdauersportlern: dass die ab einem gewissen Extrem häufiger Herzerkrankungen haben. Sowas wie Vorhofflimmern, das assoziiert ist mit intensivem Ausdauersport und sowas könnte ich mir schon vorstellen. Weil wir auch die Herzbelastungszeichen gesehen haben: dass Blutmarker für die Herzbelastung ansteigen und auch im Herzultraschall hatten wir gesehen, dass die Herzkammern vor allem vom rechten Herzen gedehnt wurden. Dieser Dehnungsstress, das kann halt auf die Dauer schon auch so Mikronarben im Herz verursachen, aber das ist natürlich rein hypothetisch.
TOUR: Mikronarben kennt man aus der Fachliteratur beim Thema Ultra-Laufen …
Gauckler: Ja, genau. Wenn man anfängt sich zu belasten, dann ist es ein Mechanismus vom Körper das Wasser zurückzuholen, dass man genug Blutvolumen hat. Es wird der Gefäßwiderstand viel niedriger, wenn man anfängt Sport zu machen und dadurch braucht man insgesamt mehr Blut. Das zirkuliert im Körper und das ist zu einem gewissen Maß auch in Ordnung. Das Herz pumpt schneller und mehr Volumen pro Schlag und dadurch tritt mehr Belastung für das Herz auf. Das heißt, es wird mehr gedehnt und muss mit mehr Arbeitsaufwand arbeiten.
TOUR: Wenn ich den Wasserhaushalt perfekt reguliere, sind die Auswirkungen dann geringer?
Gauckler: Das ist eine super Frage und das ist, was man, was man sich im Weiteren anschauen müsste. Wir haben in dieser Studie nur geschaut, was sehen wir. Wir haben nicht eingegriffen, wir haben nicht gesagt, so sollt ihr trinken. Aber daraus ergeben sich genau diese Fragen. Interessant ist auch diese Sportler in fünf bis zehn Jahren nochmal anzuschauen. Zu schauen: haben die im Vergleich zum durchschnittlichen Normalbevölkerung mehr Mikronarben im MRT vom Herzen. Und die andere Frage, die sich stellt, ist: wenn ich jetzt weniger trinken würde oder wenn ich zwischen den Tagen mehr als drei Stunden in der Nacht schlafe, schaffe ich es dann, dass diese Volumenüberladung weniger wird? Und sind dadurch die Herzbelastungszeichen weniger? Das sind viele Fragezeichen und deswegen ist es schwierig Konsequenzen für den einzelnen Sportler zu ziehen.
TOUR: Gibt es Rückmeldungen aus der Ultra-Radszene zum Thema Wasserhaushalt?
Gauckler: Christoph Strasser musste zweimal das Race Across America abbrechen wegen einem Lungenödem, also wegen Wassereinlagerungen in der Lunge. Sein Team passt seitdem extrem auf, dass er nicht so viel trinkt. Das beschreibt er auch mehrmals in Interviews, dass er die Rennen nur durchgestanden hat, weil man ihm nicht mehr so viel Wasser gegeben hat, obwohl er das trinken wollte.
TOUR: Auch wenn es in der Ultracycling Studie nicht untersucht wurde: gibt es weitere Faktoren?
Gauckler: Auch wenn wir das jetzt nicht untersucht haben, kann ich mir vorstellen, dass Erholungszeiten ein relevanter Faktor sind. Allein die Tatsache, dass man bei der Tour de France keine geschwollenen Augenlieder oder Beine sieht, ist ein Hinweis. In unserer Studie haben wir nach 12 Stunden Regeneration gesehen, dass sich manche Sachen schon ganz gut zurückgebildet haben. Also zum Beispiel das Ganzkörperwasser auf der Bioimpedanz-Waage und auch die Herzbelastungszeichen im Blut. Andere Sachen haben sich noch nicht erholt, zum Beispiel das Blutvolumen war immer noch auf Niveau von der Zielankunft. Im Ultraschall waren auch die Herzhöhlen noch etwas erweitert. Wahrscheinlich braucht es einfach genügend Regeneration. Ich habe den Eindruck, dass beim Ultracycling mit jedem Tag noch etwas oben drauf gesetzt wird. Wenn man immer adäquat Pausen zwischen den Etappen macht, dann kommt es gar nicht so weit, dass sich alles immer noch weiter erhöht. Aber das ist jetzt nur wie ich mir das vorstelle.
TOUR: Ein Tipp der auf keinen Fall schadet, wäre etwas längere Pausen machen?
Gauckler: Ja, genau. Lieber gut regenerieren zwischen den Etappen, das wird nicht schaden, aber das braucht man einem, der im Ultra-Rennen ist, nicht sagen.
Studienleiter Philipp Gauckler und Andreas Kronbichler – beide Nierenfachärzte forschen an der Innsbrucker Univ.-Klinik für Nephrologie und Hypertensiologie der Medizinischen Universität Innsbruck und sind selbst Hobby-Radfahrer – luden dafür gemeinsam mit Jana Kesenheimer und Fiona Kolbinger 13 Ultraradfahrer und -fahrerinnen aus ganz Europa nach Innsbruck ein. Die Sportler wurden während einer mehrtägigen Rennrad-Tour mit selbstgewählter Streckenlänge von durchschnittlich 1.205 Kilometern und knapp 20.000 Höhenmetern im Zeitraum von 4. bis 11. September 2021 „auf Herz und Nieren“ untersucht.
Die fünf weiblichen und acht männlichen Probanden der Ultracycling Studie wurden nach einer umfangreichen Basisdiagnostik vor dem Start am vierten Tag einer Zwischenanalyse unterzogen und in der Erholungsphase sowie zum Abschluss zwölf bis 24 Stunden nach ihrer Ankunft untersucht. Laboranalysen von Blut und Urin, bioelektrische Messung der Körperzusammensetzung und Echokardiographie (EKG) sowie kontinuierlich aufgezeichnete Protokolle der SportlerInnen zur Flüssigkeitsaufnahme und zum Umfang ihrer Extremitäten dienten der Datenerhebung. „Dafür kooperierten wir mit dem Tiroler Start-up Ionsent Technologies Gmbh (vormals UriSalt GmbH), das den Teilnehmern mobile Geräte zur Verfügung stellte, mit denen der Elektrolythaushalt durch eine einfache Urinprobe selbst analysiert werden konnte. Mittels der eigens für die Studie zugeschnittenen Mobil-App des Innsbrucker IT-Unternehmens web-crossing GmbH wurden die Messwerte direkt synchronisiert“, beschreibt Studienleiter Gauckler den innovativen Ansatz der Studie. Das Land Tirol hat mit einer Technologieförderung von 130.000 Euro die Radstudie unterstützt.
Die Bildung von peripheren Ödemen (Schwellungen im Augenbereich, sowie an Armen und Beinen) nach überdurchschnittlicher körperlicher Belastung ist ein Phänomen, das bei Ultra-Läufern bereits in Einzelfällen in der Literatur beschrieben wurde. Bei Ultradistanz-Radfahrern wurde dieser Zusammenhang nun erstmals von einem interdisziplinären Forschungsteam an der Medizinischen Universität Innsbruck systematisch untersucht. Um konkrete Handlungsempfehlungen zu geben sind weitere Untersuchungen nötig.
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