Ernährung im RadsportWelche Vor- und Nachteile bietet Kalorientracking?

Carola Felchner

 · 08.11.2025

Ernährung im Radsport: Welche Vor- und Nachteile bietet Kalorientracking?
Foto: Adobe Stock; Ilyaz
​Kalorienzählen wird meist mit Diät und Gewichtskontrolle assoziiert. Aber ist es wirklich ein effektives Mittel, um als Radsportler sein Idealgewicht zu erreichen und zu halten?

Radsport gehört zu den Disziplinen, in denen ein paar Kilogramm mehr oder weniger Körpergewicht einen großen Unterschied machen können. Vier Kilogramm nahm die ohnehin sehr schlanke Pauline Ferrand-Prévot vor der Frankreich-Rundfahrt 2025 ab, löste damit Diskussionen aus, gewann aber die Tour de France Femmes. Dem ehemaligen Radprofi Dominik Nerz riet der Mannschaftsarzt seines damaligen italienischen Radteams 2011, dass es „schon gut wäre, wenn ich noch ein bisschen Gewicht verlieren könnte“, wie er 2023 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk erzählte.

Dass geringeres Gewicht sich positiv auf die Leistung auf dem Rad auswirken kann, belegen verschiedene Studien, unter anderem eine aus dem Jahr 2012, die sich die Daten aller Tour-de-France-Finisher zwischen 2002 und 2005 ansah. Logisch: Ein leichterer Körper benötigt weniger Energie, um sich zu bewegen, was die Ausdauerleistung verbessert und damit die Fähigkeit, längere Strecken zu bewältigen. Deshalb ist die Zahl auf der Waage durchaus auch Thema bei Hobby-Radsportlern. „Meiner Erfahrung nach sind die oft sogar restriktiver und haben eine verzerrtere Wahrnehmung als Spitzensportler davon, wie viel sie essen – oder essen dürfen“, bestätigt der Ernährungswissenschaftler Daniel Hofstetter. Der Schweizer ist selbst ambitionierter Radsportler, war Profitriathlet und berät sowohl Elite- als auch Freizeitsportler in Sachen Gewichtsmanagement und gesunder Ernährung.

Ernährung im Radsport: Das Energiedefizit

Kalorienzählen hält er grundsätzlich für eine sinnvolle Komponente der Gewichtskontrolle, denn: „Wenn wir unser Gewicht reduzieren wollen, brauchen wir eine negative Energiebilanz.“ Das bedeutet, wir müssen mehr Energie verbrennen als wir konsumieren, und dafür müssen wir wissen, wie viel das ist. Allerdings, so schränkt der Ernährungsexperte ein, funktioniert es bei Ausdauersportlern nicht, einfach drastisch weniger zu essen. Denn bekommt ein Athletenkörper dauerhaft zu wenig Energie, baut er Muskelmasse ab. Die verbraucht nämlich Energie, auch wenn wir uns nicht bewegen und wird dadurch zum unerwünschten „Stromfresser“. Was weg soll, ist das Fett, und dafür ist es notwendig, so zu essen, dass zwar ein Energie-Minus entsteht, wir aber nicht an Leistungsfähigkeit einbüßen.

Mengenlehre: Ausgewogene Ernährung braucht keine Verbote – aber das Wissen um den Energiegehalt erleichtert die Steuerung.Foto: Adobe Stock; LIGHTFIELD STUDIOSMengenlehre: Ausgewogene Ernährung braucht keine Verbote – aber das Wissen um den Energiegehalt erleichtert die Steuerung.

Ein Defizit von rund 500 Kilokalorien pro Tag hält Daniel Hofstetter für sinnvoll, um muskelschonend abzunehmen. Um das zu erreichen und auch, wenn jemand sein Gewicht lediglich halten möchte, muss der Tagesbedarf bekannt sein. Der setzt sich zusammen aus dem Grundumsatz, also der Energie, die der Körper in Ruhe verbraucht, dem Energieverbrauch für körperliche Aktivität und Faktoren wie Alter, Gewicht, Körpergröße oder Geschlecht. Ein unsportlicher erwachsener Mann hat laut Schätzung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung einen Bedarf von im Schnitt 2100 bis 2400 Kilokalorien, Frauen von rund 1700 bis 1900 Kilokalorien. Der zusätzliche Verbrauch durch körperliche Aktivität lässt sich heute durch zahlreiche Gadgets wie Sportuhren, Fitnesstracker oder Powermeter messen. Wobei Daniel Hofstetter darauf verweist, dass seiner Erfahrung nach nur präzise geeichte Wattmessgeräte den Energieverbrauch verlässlich erfassen: „Aufgrund von Bewegungsdauer und Herzfrequenz den Verbrauch zu berechnen, wie es Sportuhren tun, kann man knicken“, weiß er.



Achtung, Kalorienfalle!

Generell sieht der Ernährungsexperte Kalorien eher als Richtwert denn als absolute Größe. Zum einen, weil er kein „zwanghaftes Essverhalten etablieren“ möchte, bei dem Athleten akribisch jede Komponente ihres Gerichts abwiegen und Restaurantbesuche meiden, weil sich der Energiegehalt des Essens dort nicht genau erfassen lässt. Zum anderen, weil eine Kalorie nicht gleich eine Kalorie ist, auch wenn die (verpflichtenden) Nährwertangaben auf Lebensmittelverpackungen etwas anderes vermitteln. Eine Kalorie ist zunächst nichts anderes als eine gebräuchliche Einheit für Wärmeenergie, denn der Körper gewinnt letzten Endes Energie über einen Verbrennungsprozess. Der Kaloriengehalt – oder auch Brennwert – von Lebensmitteln wird auf Basis behördlich vorgegebener, einheitlicher Umrechnungsfaktoren bestimmt.

Aber bei der Frage, wie viel Energie der menschliche Körper tatsächlich aus einem Lebensmittel gewinnen kann, spielen mehr Faktoren eine Rolle als nur der ermittelte Brennwert. Vereinfacht gesprochen beeinflusst zum einen der Stoffwechsel, wie viel Energie der Organismus aus einem Lebensmittel ziehen kann. Er umfasst alle biochemischen Vorgänge in einer Zelle; unter anderem baut er Nährstoffe ab, um und auf zu neuen Stoffwechselprodukten. Wie schnell der Stoffwechsel arbeitet, ist genetisch bedingt. Er lässt sich aber durch Bewegung, regelmäßige eiweiß- und ballaststoffreiche Mahlzeiten und ausreichend Schlaf ankurbeln. Wer über längere Zeit zu wenig Energie zu sich nimmt, drosselt dagegen den Ruhestoffwechsel, das Gewicht stagniert, der Körper geht in eine Art Überlebensmodus.

Die Nahrungsmittel-Matrix

Zum anderen ist es im Hinblick auf die Kalorienaufnahme relevant, welche Art Nahrung wir zu uns nehmen. Welchen Anteil der enthaltenen Energie der Mensch tatsächlich aus den verzehrten Speisen gewinnen kann, hängt entscheidend von Faktoren ab wie dem Lebensmittel-Mix, den wir essen, oder der Zusammensetzung der Mahlzeit. So kann der Körper beispielsweise mehr Energie aus 100 Gramm gemahlenen Mandeln gewinnen als aus der gleichen Menge ungeschälter Kerne, schrieb die Pharmazeutische Zeitung 2023.

Lieber pur: Natürliche und naturbelassene Lebensmittel machen besser satt als bequeme Fertigprodukte.Foto: iStock; ozgurcankayaLieber pur: Natürliche und naturbelassene Lebensmittel machen besser satt als bequeme Fertigprodukte.

Der Grund: Die unbeschadeten Zellwände der ganzen Mandeln lassen diese den Verdauungstrakt größtenteils unverändert passieren, bei gemahlenen Mandeln sind die Zellwände zerkleinert und die Nährstoffe besser zugänglich. Eine Studie aus dem Jahr 2019, veröffentlicht in der Fachpublikation Cell Metabolism, fand zudem heraus, dass der Verzehr stark verarbeiteter Lebensmittel Menschen dazu verleitet, pro Tag etwa 500 Kilokalorien mehr zu essen als dies bei unverarbeiteten Lebensmitteln gleichen Kaloriengehalts der Fall war.

Ernährung im Radsport: Das Gefühl für die richtige Menge

Der wichtigste Tipp, den Ernährungsexperte Daniel Hofstetter Radsportlern geben kann, die auf ihr Gewicht achten möchten, lautet deshalb, möglichst unverarbeitete Lebensmittel zu essen. Und zwar reichlich. Denn daran, genügend Energie und Makronährstoffe wie Kohlenhydrate, Eiweiß und gesunde Fette aufzunehmen, hapert es oft, wie unter anderem eine Studie brasilianischer Wissenschaftler mit Hobbyradsportlerinnen und -sportlern aus dem Jahr 2023 zeigte, die im Durchschnitt zu wenige Kohlenhydrate und Ballaststoffe (Männer und Frauen) sowie Fette (Frauen) zu sich nahmen. „Viele meiner Kunden sind erstaunt, wie viel sie essen dürfen, beziehungsweise, dass sie nach der Beratung mehr essen dürfen und trotzdem abnehmen“, berichtet Hofstetter und erklärt, dass sich der Hunger in einem gesunden Maß selbst regele, wenn der Körper genügend unverarbeitete Lebensmittel mit ausreichend muskelerhaltendem Eiweiß, energiespendenden Kohlenhydraten und sättigenden Ballaststoffen bekommt.

​“Viele Sportler sind erstaunt, wie viel sie essen dürfen, beziehungsweise, dass sie nach der Beratung mehr essen dürfen und trotzdem abnehmen.” - Daniel Hofstetter, Ernährungswissenschaftler

Diese Intuition, das Gefühl für die richtige Menge, lässt sich beispielsweise trainieren, indem man Lebensmittel wie Nudeln oder Tofu erst in einer bestimmten Schale abwiegt und nach einer Weile dieselbe Schale nach Augenmaß und ohne Waage damit füllt, rät der Experte. Auch die „Tellermethode“, bei der etwa 50 Prozent des Tellers mit Gemüse, 25 Prozent mit Proteinen (Fleisch, Fisch, vegetarische Alternativen) und 25 Prozent mit Kohlenhydraten (Nudeln, Reis, Kartoffeln) gefüllt werden, ist ein gutes Mittel, um ausgewogen zu essen, ohne akribisch Kalorien zu zählen. Denn nicht nur zeigen Studien, dass selbst konsequentes Kalorien-Monitoring typischerweise nur zu einem mäßigen Verlust von etwa zweieinhalb bis fünf Kilogramm über drei bis sechs Monate führt; verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten zufolge verstärkt eine Fixierung auf Apps zum Kalorienzählen obendrein die Symptome von Essstörungen – und auch das Risiko, eine zu entwickeln.

Wie gefällt Ihnen dieser Artikel?

Die gesunde Balance

Man kann den Apps jedoch zugutehalten, dass sie Probanden in Studien dazu brachten, sich mehr zu bewegen und weniger Zucker- und Fetthaltiges zu sich zu nehmen. Und genau darum geht es beim Gewichtsmanagement: regelmäßige körperliche Aktivität und ausgewogene Ernährung. Kalorienzählen kann ein sinnvolles Werkzeug sein – besonders, wenn eine strukturierte und durchdachte Gewichtsreduktion geplant ist, bei der Leistung und Gesundheit gleichermaßen berücksichtigt werden. Allerdings ist es kein Allheilmittel, denn Ungenauigkeiten bei der Erfassung des Kalorienverbrauchs, Unterschiede bei deren Verwertung oder auch die psychische Belastung, die eine zu strenge Restriktion bei der Ernährung bedeutet, müssen ebenfalls mitgedacht werden. Kalorienzählen ist nicht das, sondern eines von mehreren Hilfsmitteln zur Gewichtskontrolle. „Es ist nötig, um Gewicht zu machen. Aber es ist nicht in jeder Situation oder für jeden Sportler das Richtige“, fasst Daniel Hofstetter zusammen.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

​Kalorien-Tracking

Zählwerk: Smartphone-Apps zum Kalorienzählen können beim Gewichtsmanagement helfen, bergen aber auch Risiken.Foto: iStock; whitebalance.spaceZählwerk: Smartphone-Apps zum Kalorienzählen können beim Gewichtsmanagement helfen, bergen aber auch Risiken.

​Sie heißen „Yazio“, „MyFitnessPal“ oder „LifeSum“ und versprechen alle, gesunde Ernährung leicht zu machen. Solche Smartphone-Apps fungieren wie eine Art Tagebuch, in das Nutzer ihre Mahlzeiten eintragen, indem sie die einzelnen Komponenten abwiegen und manuell auflisten, den Strichcode scannen oder ein Foto der Mahlzeit machen und hochladen. Die App berechnet dann Kaloriengehalt, Makro- und oft auch Mikronährstoffe und gibt oft Tipps, um das Ernährungsverhalten zu verbessern. So weit, so sinnvoll. Doch neben den Vorteilen ermittelten wissenschaftliche Studien auch einige Nachteile solcher Applikationen.

Ernährung im Radsport: Welche Vor- und Nachteile bietet Kalorientracking?Foto: Adobe Stock; IlyazErnährung im Radsport: Welche Vor- und Nachteile bietet Kalorientracking?

Vorteile

  • Apps können helfen, einen Überblick über die Nahrungsaufnahme über den Tag, die Woche, den Monat zu erhalten.
  • Sie können dazu beitragen, die Aufnahme von fettigen, zuckerreichen oder stark verarbeiteten Lebensmitteln zu reduzieren.
  • Sie erhöhen mitunter die Achtsamkeit gegenüber Portionsgrößen und Zusammensetzung der Mahlzeiten.
  • Sie können motivieren, sich intensiver mit Ernährung auseinanderzusetzen.

Nachteile

  • Oft ungenaue Kalorienberechnung und Bestimmung von Makronährstoffen bei vielen Lebensmitteln und Gerichten
  • In vielen Fällen manuelle Eingabe erforderlich, das ist aufwendig und fehleranfällig
  • Nicht selten Empfehlung von zu schnellem Gewichtsverlust (mehr als ein Kilo pro Woche); das birgt Risiken wie Mangelernährung und Leistungsabfall
  • Durch ständige Kontrolle Gefahr von psychischem Stress und Essstörungen

Meistgelesen in der Rubrik Fitness