„Die Wahrheit ruht auf dem Boden des Kochtopfs“, soll der berühmte Koch Paul Bocuse einmal gesagt haben. Auch wenn er bei diesem Ausspruch vermutlich keine Radsportler im Sinn hatte, trifft er damit dennoch genau ins Schwarze. Denn wo keine sinnvolle Alltagsernährung, da keine konstante Leistung auf dem Rad. „Sinnvoll“ bedeutet in Bezug auf einen Ausdauersport wie das Rennradfahren in der Alltagsernährung zunächst einmal das Gleiche wie für alle Menschen: Es muss eine ausreichende Versorgung mit Makro- und Mikronährstoffen sichergestellt sein. Makronährstoffe sind Kohlenhydrate, Protein und Fett. Zu den Mikronährstoffen zählen Vitamine und Mineralstoffe wie Selen, Jod, Kalium, Kalzium, Magnesium oder Eisen. Vorab: Es gibt nicht die eine gesunde Ernährung für alle. Was bezüglich der Alltagsernährung tatsächlich funktioniert und guttut, hängt immer von der jeweiligen Person ab.
Schon allein aufgrund von Lebensmittelallergien (z.B. gegen Erdnüsse, Meeresfrüchte), Unverträglichkeiten (Gluten, Laktose, Fruktose) oder ethischer Überzeugung (Verzicht auf tierische Produkte) fallen manche Lebensmittel für bestimmte Menschen von vornherein weg. Auch nimmt der Körper Energie und Nährstoffe ein und desselben Produkts nicht immer gleich auf oder verarbeitet sie mitunter anders weiter. Was es aber sehr wohl gibt, sind allgemeine Ernährungsgrundlagen und ein wissenschaftlicher Konsens darüber, welche tägliche Lebensmittelauswahl für eine ausgewogene Ernährung im Alltag gelten kann. „Mit den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung hat man schon einen guten Anhaltspunkt“, weiß der ehemalige Profitriathlet Christian Kramer, der nun hauptberuflich Athleten in Sachen Training und Ernährung coacht. Da Radsportler durch die körperliche Betätigung einen höheren Bedarf an Energie und bestimmten Nährstoffen haben, ist auch die Ernährungspyramide der Schweizer Fachgesellschaft Swiss Sports Nutrition Society (SSNS) eine gute Orientierung. Die ist auf Athleten ab einem Trainingsumfang von fünf Wochenstunden abgestimmt.
Das wichtigste Merkmal einer gesunden Ernährung ist, dass sie vielseitig ist. Nur so lässt sich sicherstellen, dass der Körper mit allem versorgt wird, was er braucht, um gesund und leistungsfähig zu bleiben. Anders als Mikronährstoffe, die der Körper zum Teil selbst herstellen kann, müssen wir die Makronährstoffe Kohlenhydrate, Fett und Eiweiß über die Nahrung zuführen.
Sie sind die wichtigste Energiequelle des Körpers. Rund 50 bis 55 Prozent der Tagesgesamtkalorien sollten aus Kohlenhydraten bestehen. Dies bedeutet bei vorwiegend sitzender Tätigkeit durchschnittlich rund 230 Gramm pro Tag für Frauen und 300 Gramm für Männer und entspricht ungefähr 100 Gramm Reis, einem Weizenbrötchen mit Marmelade und einer Portion Porridge mit Honig, geschnittener Banane und Erdnussmus.
Bei Ausdauersportlern darf es je nach Gewicht und Aktivitätslevel etwas mehr sein: pro Trainingsstunde und Tag je eine Portion Gemüse, Obst, Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte zusätzlich. Als Richtwert gilt: Eine Portion entspricht ungefähr einer Handvoll. Im Alltag sind solche langkettigen Kohlenhydrate aus Vollkorn und Gemüse vorteilhaft. Der Körper muss ihre komplexe Struktur nämlich erst aufspalten, damit er die Kohlenhydrate als Glukose in Leber oder Muskulatur speichern und als Energiequellen nutzen kann. Dadurch bleibt der Blutzucker relativ konstant. Das heißt: Die Wahrscheinlichkeit von Heißhungerattacken sinkt.
Protein benötigt der Körper in Form von Aminosäuren für viele lebensnotwendige Vorgänge. Es ist eine Art Baustoff für den Körper und unter anderem beteiligt am Aufbau von Muskeln, Knorpeln und Knochen. Auch im Stoffwechsel spielt Eiweiß eine Rolle und stabilisiert das Immunsystem. Ausdauersportler dürfen mit 1 Gramm pro Tag und Kilogramm Körpergewicht etwas mehr davon essen als nicht aktive Menschen (0,8 Gramm). Denn Eiweiß unterstützt die Anpassungsprozesse nach dem Training. Rund 20 Prozent der täglichen Energiezufuhr sollten aus Eiweiß bestehen. Qualitativ gibt es hier jedoch Unterschiede. Am besten nutzen kann der Körper „komplette“ Proteine mit einem hohen Anteil lebensnotwendiger Aminosäuren und einer hohen biologischen Wertigkeit. Das ist ein Wert, der angibt, wie viel des zugeführten Proteins der Körper tatsächlich verwerten kann. Generell können wir tierisches Eiweiß wie Milchprodukte oder Fleisch besser verarbeiten, da sie von der Struktur her dem menschlichen ähnlicher sind. Allerdings enthalten tierische Proteinquellen meist auch viel Fett. Gute pflanzliche Proteinlieferanten sind beispielsweise Hülsenfrüchte oder Sojaprodukte wie Tofu und Tempeh. Sie liefern außerdem viele verdauungsfördernde, sättigende Ballaststoffe. Am besten kombinieren Radsportler deshalb möglichst viele verschiedene Proteinquellen, zum Beispiel Ei mit Kartoffeln oder Kichererbsensalat mit Feta.
Lange Zeit galt Fett als Dickmacher. Dabei ist es für Radsportler eine quasi unerschöpfliche Energiequelle, gerade bei langen, ruhigen Belastungen. Außerdem braucht es der Körper, um bestimmte fettlösliche Vitamine – A, D, E und K – aufschlüsseln zu können. Die Ernährungslehre unterscheidet zwischen „guten“, herzgesunden Fetten. Das sind die ungesättigten Fettsäuren Omega 3 (in Lachs, Hering, Makrele, Leinsamen) und Omega 6 (in Pflanzenölen oder Nüssen). Als „schlechte“ Fette und Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gelten gesättigte Fettsäuren wie in Butter, Chips oder Frittiertem. Entsprechend sollten schlechte Fette möglichst selten, gute Fette dafür jeden Tag mehrmals in den Radsportlermagen wandern. Die Basis bilden je zwei Portionen (entspricht 2 bis 3 Kaffeelöffeln) Pflanzenöl. Das kann Raps oder Olivenöl sein, Sonnenblumen- oder Kürbiskernöl. Dazu eine Portion Nüsse (ca. 20–30 Gramm). Pro Stunde Aktivität darf es je eine Portion mehr sein. Dazu zweimal pro Woche 150 Gramm fettreicher Fisch.
Mikronährstoffe sind für Körperfunktionen wie Muskelarbeit, Blutbildung oder Immunsystem zuständig. Sie umfassen wasser- und fettlösliche Vitamine, Mineralien, Spurenelemente sowie einige Amino- und Fettsäuren. Viele Mikronährstoffe sind lebensnotwendig oder auch essenziell. Kann sie der Körper nicht selbst herstellen, müssen wir sie also über die Nahrung zuführen. Zwar benötigen wir von den Mikronährstoffen meist nur wenige Milli- oder Mikro-gramm. Doch fehlen sie, gerät der Körper schnell aus dem Tritt. Ein Tipp von Christian Kramer: „Wenn es bunt auf dem Teller aussieht, man also verschiedene Gemüsesorten kombiniert, hat man schon viel richtig gemacht.“ Für Radsportler sind vor allem folgende Mikronährstoffe wichtig:
Sie sind unter anderem an verschiedenen Stoffwechselprozessen beteiligt. Vitamin B12 hilft außerdem bei der Bildung roter Blutkörperchen. Ein Prozess, der den Sauerstofftransport übers Blut und damit die sportliche Leistung verbessert. Gute Quellen für B-Vitamine sind Hülsenfrüchte, Nüsse oder Muskelfleisch. Achtung: Da pflanzliche Lebensmittel kaum Vitamin B12 enthalten, müssen Veganer es supplementieren. „Lassen Sie regelmäßig ein Blutbild machen, um einen Mangel frühzeitig zu entdecken“, empfiehlt Christian Kramer.
macht die Muskeln kräftig, die Knochen gesund und das Immunsystem stark. Zu 80 bis 90 Prozent stellt es der Körper selbst mithilfe von Sonnenlicht her. In Austern, Hering, Emmentaler oder Gouda steckt es aber auch.
Das Spurenelement bindet unter anderem den eingeatmeten Sauerstoff im Blut und transportiert ihn in die Organe. Das ist unter anderem wichtig für eine gute Leistung auf dem Rad. Eisen enthalten Lebensmittel wie beispielsweise Leberwurst, Kalbfleisch, Vollkornbrot oder Nüsse, vor allem Pistazien.
Jod braucht der Körper, um bestimmte Schilddrüsenhormone aufzubauen, die an Knochenbildung oder Energiestoffwechsel beteiligt sind. Jod enthalten Lebensmittel wie Milch(-produkte) oder Meeresfisch – und natürlich jodiertes Speisesalz.
Der Mineralstoff ist unter anderem an der Blutgerinnung, am Knochenstoffwechsel und an der Reizweiterleitung in den Nervenzellen beteiligt. Viel davon liefern Milch und Milchprodukte, aber auch Gemüsesorten wie Grünkohl, Brokkoli und Rucola oder Hasel- und Paranüsse.
Der Mineralstoff ist an der für die sportliche Leistung wichtigen Funktion der Muskelzellen sowie der Weiterleitung von Impulsen in Nerven- oder bestimmte Herzmuskelzellen beteiligt. Quellen für Magnesium sind Cashewkerne, Himbeeren, Bananen und Vollkornprodukte.
Das Spurenelement spielt in vielen biologischen Prozessen eine Rolle, zum Beispiel beim Immunsystem, Wachstum oder in der Wundheilung. Zinklieferanten sind unter anderem Hülsenfrüchte oder Getreide.
Hin und wieder sind kleine Sünden bei der Ernährung in Ordnung. Ein Gläschen Wein oder Bier nach dem Training ist ab und zu drin. Doch es hat einen Grund, warum es aus ernährungswissenschaftlicher Sicht seit 2023 keine „risikofreie Alkoholdosis“ mehr gibt: Alkohol ist ein Zellgift, der Körper stellt erst einmal alles andere hintan, um es wieder loszuwerden.
Das bedeutet, auch die biochemischen Prozesse, die für Muskelwachstum oder Erholung wichtig sind, verzögern oder verschlechtern sich. Burger, Schokolade und Co. sind zwar nicht sonderlich nährstoffreich, „aber in Maßen okay“, erklärt Christian Kramer. Da sie viele Kalorien pro Portion liefern – und schnelle Energie –, können sie Radsportlern durchaus mal helfen, einen Hungerast zu überbrücken oder auf die benötigte Kalorienmenge zu kommen. Den Glykogenspeichern ist es nämlich egal, aus welchen Quellen ihre „Füllung“ stammt. Dennoch gilt: nicht übertreiben. Denn auch viel Sport kann die schädlichen Effekte von fettigem Fast Food und zuckrigen Süßigkeiten, wie ein gesteigertes Risiko für Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, nicht ganz ausgleichen.