Unbekannt
· 08.10.2018
Das Übernachtungs-Camp gehört seit der ersten Austragung untrennbar zur TOUR Transalp. Aber wie lebt und schläft sich’s in Turnhallen und Klassenzimmern, zusammen mit Dutzenden anderen Sportlern?
Beinlinge, eine Regenjacke, eine Windweste, Wechselwäsche – es gibt genügend Dinge, die man für die sieben Etappen der TOUR Transalp einpacken muss. Peter S. hat zusätzlich noch Campingmatte, Schlafsack, Kleiderbügel, Steckdosenleiste und Ohrstöpsel in seine Tasche gequetscht. Wie schon in den vergangenen 15 Jahren ist ein Start beim Jedermann-Etappenrennen für ihn untrennbar mit einer Übernachtung im Camp verbunden. Schlafen in Turn- und Tennishallen, Schulen oder sonstigen Gebäuden – das ist für ihn das "volle Erlebnispack". Die versprochenen Vorteile: kurze Wege zum Start und zur Abendveranstaltung sowie überschaubare Kosten. Für 160 Euro gab es in diesem Jahr acht Übernachtungen mit einfachem Frühstück. 80 Starter entschieden sich für das Camp – und damit gegen Hotelkomfort. Dass sich die Campgäste trotzdem wohlfühlen, ist das Ziel von Peter K., der seit 15 Jahren als Helfer bei der TOUR Transalp mitfährt und seit fünf Jahren das Camp betreut. Er ist so etwas wie der Empfangschef. Während die Teilnehmer noch ihren Schweiß auf der Strecke vergießen, verteilt er zusammen mit einem Kollegen schon deren Gepäcktaschen in einer Sporthalle am Ort des Etappenziels. Auf einem handgezeichneten Übersichtsplan kann dann nach der Ankunft am Nachmittag jedes Zweierteam schnell erkennen, wo sich beide Taschen und damit die Schlafplätze befinden. So wird ein Kampf um die besten Plätze in der Halle vermieden und zugleich die Kommunikation gefördert – schließlich hat man jeden Tag neue Isomatten-Nachbarn. Peter K. macht den Camp-Job auch bei der BIKE Transalp, wo es offenbar nicht ganz so reibungslos zugeht. Diskussionen oder Streit über die Zuordnung der Schlafplätze erlebt Peter bei der TOUR Transalp dagegen selten: "Die Rennradfahrer sind sehr diszipliniert.
"Wenn es heißt, ‚ab hier muss man die Schuhe ausziehen’, dann halten die sich auch daran." Erleichtert wird dieses entspannte Miteinander durch die inzwischen überschaubare Zahl der Camp-Schläfer. "Lücken zwischen den Matratzen gab es 2003 nicht", erinnern sich Rolf und Jochen S. Sie fahren zum dritten Mal die TOUR Transalp und haben immer im Camp übernachtet. In der Turnhalle in Crespano del Grappa haben sie Schlafmatten und Schlafsäcke auf dem Boden ausgebreitet, dahinter stehen ordentlich aufgereiht die einheitlichen Gepäcktaschen, die jeder Teilnehmer bekommt. Rolf und Jochen residieren heute am Rand der Halle. Der ganze Raum ist übersät mit großen und kleinen Matratzen: von der dünnen Schaumstoffmatte über dicke Luftmatratzen bis zur riesigen, aufblasbaren Doppelmatratze. Manche leben ihre Schlafsäcke sogar auf die große Hochsprungmatte, um sich bequemer zu betten. An den Wänden hängen von Kindern gemalte Anfeuerungsplakate, die vom letzten Sportwettbewerb übrig geblieben sind.
Charme hat die Sporthalle – Komfort hingegen nicht. Eine Turnhalle ist für eine Schulklasse oder zwei, drei Sportmannschaften ausgelegt. Dass die Übernachtung von 80 Radsportlern zu Engpässen führt, ist wenig überraschend. In Fiera di Primiero stauen sich die Athleten vor den wenigen Toiletten, die noch dazu nicht abschließbar sind. Duschen wird zur nordischen Erfahrung: Während der Schulferien ist die Wasserheizung abgestellt, das Duschwasser eiskalt. Zum Frühstück werden Plastikteller verteilt, gelegentlich gibt es nicht einmal Messer. "All-Inclusive-Urlaub darf man nicht erwarten", meint die Österreicherin Karin W., die mit ihrem Sohn zum zweiten Mal die Transalp bestreitet. Dennoch sagt sie voller Überzeugung: "Ich kann mir nicht vorstellen, das ohne Camp zu machen. Da fehlt einfach die Gemeinschaft."
Alle im selben Schlafzimmer
Die Hotel-Schläfer verschwinden nach der Tagesetappe in alle Richtungen – die Camp-Schläfer hingegen treffen sich am Nachmittag alle im selben Schlafzimmer. Das Ziel der sechsten und der Start der siebenten Etappe liegt hoch über Kaltern, gleich neben den Tennisplätzen und dem Eisstadion. Wer Pech hat, muss nach der Etappe noch zehn Kilometer zu seiner Unterkunft radeln oder mit dem Shuttlebus fahren. In jedem Fall liegen am nächsten Morgen 150 Höhenmeter zwischen dem Hotelbett in Kaltern und dem Startblock. Karin und Mathias W. müssen ihre Räder nur 200 Meter vom Zielbogen bis zur Tennishalle schieben – und am nächsten Morgen wieder zurück. Das Tennisnetz ist gespannt, ein Einkaufswagen voller Bälle steht herum. Mutter und Sohn packen ihre Luftmatratzen aus, die sie mit einem kleinen Elektrogebläse aufblasen. In einer Einkaufstasche stecken gut sortiert die Camp-Utensilien: Kopfkissen, Badelatschen, Duschzeug. Andere Radler kommen vorbei, grüßen, man fragt sich gegenseitig, wie es gelaufen ist und spekuliert über die nächste Etappe. Immer wieder hört man englische Wortfetzen, denn auch Starter aus Israel, Polen, Dänemark, Belgien und anderen Ländern übernachten im Camp. "Es ist wie eine große Familie", sagt Rolf S. Ein Beweis für den Zusammenhalt ist die Handy- und Tachosammlung in einer Ecke der Halle. Auf dem Boden liegt ein halbes Dutzend miteinander verbundener Steckdosenleisten, von denen unzählige Ladekabel zu Handys und Tachos abzweigen. "Weggekommen ist da noch nie etwas", sagt Camp-Chef Peter K. stolz. Ein Symbol für die gute Vernetzung im Camp ist der Kabelsalat auch: "Wenn es einen Sturz gab oder man die Abendbesprechung verpasst hat – im Camp bekommt man alles mit", meint Peter Sandmann. Auch Freundschaften entstehen hier. Seinen Teampartner Klaus K. etwa hat er vor Jahren im Camp kennengelernt. Als sich zeigte, dass ihre bisherigen Teampartner dieses Jahr nicht dabei sein konnten, vereinbarten die beiden, 2018 zusammen zu starten und – natürlich – im Camp zu übernachten. Ein Vorteil des Camps, den die meisten Teampartner – egal, ob eng oder weniger eng befreundet – im Vergleich zum Hotelzimmer schätzen: Man kann sich auch mal aus dem Weg gehen, für sich sein, oder mit anderen plaudern. Mancher liegt auf seiner Matte und lockert seine Muskeln mit Stromstößen aus einem Muskelstimulationsgerät. Deutlich mehr Athleten walken ihre Beine am späten Nachmittag auf Faszienrollen durch. Lässt man den Blick durch die Sporthalle wandern, sticht die Geschlechterverteilung ins Auge: Die Welt des Camps ist eine mehrheitlich männliche. Viele Männer liegen nur mit Unterhose bekleidet auf ihrer Matratze oder laufen mit nacktem Oberkörper herum. Die Schweizerin Andrea R. hat damit kein Problem; sie sieht auch die Vorteile als Frau in einer Männerwelt: "Es gibt genügend freie Duschen. Und man hat einen Frauenbonus, wenn man mal Hilfe braucht." Gerade hat sie mit einem polnischen Sportler dessen mobilen WLAN-Hotspot geteilt. Sie ist nicht die Einzige, die am Abend noch Nachrichten an Freunde und Familie sendet.
Die ersten Schnarcher sind zu hören
Gegen 21 Uhr sitzen oder liegen die meisten auf ihren Matratzen. Das große Hallenlicht ist gelöscht, nur hier und da leuchten kleine Lichtinseln: Gesichter, die den sanften Schein von Handy-Displays abstrahlen, Stirnlampen, die Bücherseiten beleuchten, oder E-Book-Reader. Hin und wieder schleicht jemand zwischen den Matratzen zu den Toiletten, doch jeder bemüht sich, leise zu sein. Gegen 22 Uhr haben die meisten die Augen geschlossen. Schlafsäcke rascheln, Luftmatratzen knarzen. Die ersten Schnarcher sind zu hören. Wer richtig müde ist, schläft trotzdem, und zur Sicherheit haben die meisten Ohrstöpsel dabei. Die sind spätestens dann hilfreich, wenn gegen halb sechs die ersten Frühaufsteher durch die Halle wandern. Wer sich um zehn vor sechs laut die Nase putzt, erntet allerdings schon ein paar genervte Blicke. Peter S. kennt das: "Am schlimmsten ist es auf der ersten Etappe. Da stehen manche schon um 6 Uhr in Radklamotten abfahrbereit auf der Matte. Aber je mehr Etappen es sind, desto mehr beruhigt sich das. Und nach ein paar Tagen ist man saumüde und schläft trotzdem gut." Und länger. Denn während die Hotelschläfer ihre Gepäcktaschen für den Transport in den Zielort spätestens um sieben Uhr abgegeben haben müssen, eilt es bei den Campschläfern nicht so sehr. Je nach Etappenort haben sie bis zu einer Stunde mehr Zeit. Das gilt auch für den Start zur letzten Etappe von Kaltern nach Riva. Während einige Hotelschläfer mit dem Shuttlebus aus dem 18 Kilometer entfernten Bozen anreisen müssen, sind die "Camper" in zwei Minuten am Start. Peter S. freut sich darauf, bald das Ziel zu erreichen – auch wenn die tolle Transalp-Woche dann zu Ende geht. Für ihn gehört das Camp-Erlebnis untrennbar zur Transalp: "Die Leute im Camp sind alle vom gleichen Schlag – da herrscht immer gute Stimmung." Mathias W. weiß noch nicht, ob er mit seiner Mutter auch im nächsten Jahr wieder mitfährt, aber "wenn Transalp, dann nur mit Camp – ohne könnte ich es mir nicht vorstellen."
Info: www.tour-transalp.de