Marc Schneider
· 27.05.2022
TOUR-Transalp-Streckenchef Marc Schneider hat für 2022 eine Route voller Herausforderungen und Panoramen zusammengestellt. Viel zu Schade, nur für das Rennen. Deswegen stellen wir die sieben Etappen zum Nachfahren vor. Diesmal: die sechste Etappe.
Das Herz dieser Etappe ist die Überfahrt über den ebenso abenteuerlichen wie anspruchsvollen Passo Croce Domini. Um dahin zu kommen, muss man aber zunächst über eine elegante Verbindung zurück ins Val Camonica. Der Passo della Presolana führt zu Beginn wieder hinüber nach Dezzo im Valle di Scalve – noch einmal zurück auf der Strecke der 6. Etappe. Jetzt gibt es zwar auch eine direkte Abfahrt hinab ins Val Camonica nach Darfo Boario Terme. Weniger Verkehr und vor allem keine Tunnel warten hingegen auf der schönen Landstraße, die über einen kleinen unscheinbaren Pass, den Croce di Salven, führt.
Das ist ein Pass ohne markantes Pass-Schild, den man auf der Landkarte suchen muss, sonst merkt man auf der flachen Strecke über eine Hochebene nicht einmal, dass man den höchsten Punkt bereits erreicht hat. Zunächst führt diese Landstraße noch durch eine sehr ruhige Gegend. Je näher das Val Camonica kommt, wenn es wieder bergab geht, nimmt der Trubel zu, wenn es durch größere Orte wie Borno oder Ossimo geht. Bald ist der hier vergleichsweise dicht besiedelte Talboden in Malegno erreicht, wo die Brücke hinüber führt über den Fluss Oglio nach Breno, den Hauptort des Tals.
Bei dem Gewusel unten in Breno fällt es schwer zu glauben, dass von hier eine Straße hinein führt in die verlassene Gegend zwischen Iseosee und Idrosee. In Höhenmetern gerechnet ist das zwar ein anstrengender und langer Anstieg, aber nach wenigen Kilometern wartet da oben das Nirgendwo. Von Norden gesehen ist diese Straße die erste Möglichkeit, um überhaupt am Adamello-Massiv vorbeizukommen. Zwischen dem Tonalepass im Norden und dem Passo Crocedomini gibt es auf über 50 Kilometer Luftlinie keine Straße, die den Westen mit dem Osten verbindet, nur Berge bis zu einer Höhe von 3.500 Metern. 230 Kilometer sind es mit dem Auto um diesen Klotz, eine der weitläufigsten und einsamsten Bergregionen der Alpen.
Und hier am Südausläufer ist diese Ruhe noch viel mehr spürbar als am lebendigen Tonale-Pass im Norden. Oben am Crocedomini auf 1.895 Metern Höhe kann man diese Ruhe dann in vollen Zügen wirken lassen – ebenso wie den Blick auf einen weiten Teppich aus Almwiesen an den Hängen namenloser Gipfel. Und vielleicht hält man auch auf der Alm kurz nach dem Pass an, der Malga Cadino, und fragt nach etwas Käse. Sie schmiegt sich in eine saftig grüne Wiesenmulde, die von der Straße gleich nach dem Pass durchquert wird. Genau genommen nach dem Goletto di Cadino auf 1.940 Metern Höhe, dem nachgelagerten Pass, der weniger bekannt, aber die eigentliche Passhöhe ist.
Von da ist es noch ein gutes Stück heraus aus dieser einsamen Region. Es geht noch vorbei an den Skiliften von Gaver, Relikte aus einer Zeit mit noch mehr Schnee im Winter, bis man in dem lang gezogenen Val Caffaro den Ort Bagolino erreicht. Erst jetzt geht es zügig bergab nach Ponte Caffaro am Ausgang des Tals und am Nordufer des Lago d’Idro. Der See ist so etwas wie der kleine Bruder des Gardasee. Er ist nur etwa zehn Kilometer lang und zwei Kilometer breit, aber wie in Riva del Garda oder Torbole freuen sich Surfer hier am Strand des Idroland am Nordufer auf die verlässliche “Ora”, der Wind, der regelmäßig um die Mittagszeit die Segel aufbläst. Aber auch ohne Wind ist es ein herrlicher Badesee, der sich im Sommer bis zu 25 Grad Wassertemperatur erwärmt.
An der Liegewiese des Idroland mündet der Chiese in den See, der Fluss, der dem Tal den Namen gibt, in dem diese Etappe endet. Um in den Zielort Roncone zu kommen, muss man jetzt aber noch ein gutes Stück im Tal hinauf kurbeln. Das ist dort aber nicht zu Ende, denn das Chiesetal bildet eine ungewöhnliche Formation. Der namensgebende Fluss fließt aus einem Seitental herein. Der Ort Roncone selbst liegt auf dem Sella Giudicarie, dem Sattel, der das Chiesetal mit dem benachbarten Val Rendena verbindet. Das Tal ist also oben auf einer Seite offen. Und fast ganz oben auf diesem Sattel, im Ziel, gibt es mit dem Lago di Roncone einen weiteren See. Der ist noch viel, viel kleiner als der Idrosee, eher ein Weiher. Aber groß genug, um die Beine nach dieser langen Etappe darin baumeln zu lassen.
Von Castione ins Val Camonica führt die Strecke durch größere Orte wie Borno mit einer Auswahl von Bars und Restaurants. Im Val Camonica geht es noch durch Breno, eine Stadt mit guter Auswahl an Einkehrmöglichkeiten. Danach wird es einsamer auf dem Weg zum Passo Croce Domini. Bis oben am Pass die gleichnamige Hütte zum Einkehren einlädt. Der nächste größere Ort auf dem Weg zum Lago d’Idro mit Bars und Restaurants ist Bagolino und unten am See angekommen muss man auch in Ponte Caffaro nicht lange suchen bis man ein Restaurant gefunden hat. Am Lago di Roncone liegt am Ufer die Lido Beach Bar, der perfekte Platz für einen Absacker. Knusprige Pizza wird im Restaurant der Albergo Roncone oben an der Hauptstraße gebacken.
Eine Abkürzung für diese Etappe gibt es nicht. Eine Variante wäre zum Beispiel nach Süden zu starten, dem Iseo-See einen Besuch abzustatten, das Val Camonica wieder taleinwärts bis Breno zu fahren, um dann wieder auf die Strecke dieser Etappe zu kommen. Das macht diese bereits anspruchsvolle Etappe aber deutlich länger.
Wer die Etappe an einem Tag fahren will, muss ein Taxi zurück nehmen. Adressen für Taxiunternehmen gibt es hier.
Abenteuerlustige, die diese Etappe zu einer Rundtour verknüpfen wollen, können sich vom Südende des Lago d’Idro durch die Berge zum Lago d’Iseo durchschlagen. Dafür macht es aber Sinn, diese Etappe bereits am Idrosee zu beenden. Am nächsten Tag könnte man zum Beispiel am Iseo-See übernachten, um am 3. Tag zurück nach Castione della Presolana zu fahren. Hierfür gibt es viele Streckenvarianten und es braucht etwas Geduld für die Streckenplanung.
Vom Passo Croce Domini spuckt einen die Strecke direkt am Nordufer des Lago d’Idro aus. Es wäre schade, den auszulassen. Deshalb unbedingt eintauchen in den Idrosee, zum Beispiel von der Liegewiese des Idroland. Die befindet sich an der Mündung des Flusses Chiese auf dem Gebiet der Gemeinde Baitoni.
Wer übernachten will oder auf der Suche nach anderen touristischen Angeboten ist, wird fündig unter visitpresolana.it und visitchiese.it. Wer einen Service für sein Fahrrad braucht, findet diesen am Passo Presolana bei Presolana Ski e Bike. Adressen im Chiesetal sind hier aufgelistet.
Die 6. Etappe von Castione della Presolana ins Valle del Chiese, 118,36 km und 3.239 Höhenmeter.
Die GPS-Daten gibt es nach der TOUR Transalp 2022, die vom 19.-25. Juni stattfindet, auf der TOUR-Website zum Download.
Wer es sich doch noch überlegt vom Touri- in den Race-Modus umzuschalten, findet alle Details zum Jedermann-Rennen über die Alpen unter www.tour-transalp.de.