Bespoked-Messe Dresden6 Rahmenbauer & ihre außergewöhnlichen Räder

Jörg Spaniol

 · 28.10.2023

Premiere in Dresden: Mitte Oktober fand die erste Messe für handgefertigte Räder statt.
Foto: Messe Dresden
Von Individualisten für ihresgleichen: Auf der Bespoked-Messe in Dresden trafen ausgefuchste Räder auf ein radverliebtes Publikum. Ein Rundgang zwischen Rahmenbauern, Tüftlern und Enthusiasten.

Bespoked 2023 - diese Rahmenbauer haben wir besucht:

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Den Stand der Technik im Carbon-Zeitalter definieren vor allem große Firmen. Im Kampf um Watt, Gramm und Euro sind Windkanäle und kostspielige Fertigungsanlagen unverzichtbar. Doch offensichtlich ist das nicht alles, was Radfahrer interessiert: Die Bespoked-Messe in Dresden feierte Mitte Oktober das individuelle Fahrrad. Etwa hundert Rahmenbauer und Manufakturen zelebrierten das sportliche Rad als Kulturgut und technisches Kunstobjekt, Tausende Besucherinnen und Besucher schwelgten in originellen Designs und Rahmendetails.

Dabei hat sich die Szene der Rahmenbauer deutlich gewandelt. Der gemuffte Stahlrahmen auf Maß steht nur noch ausnahmsweise – dann aber bis zum Exzess – im Fokus. Die aktuellen Rahmenbauer sind technisch auf dem Stand der Zeit. Der 3-D-Druck von Metall eröffnet gerade kleinen Anbietern neue technische und ästhetische Möglichkeiten. Stahl und Titan, Aluminium und Carbon mischen sich in Rädern mit eigenem Look und ausgefuchster Technik. Keramische Oberflächen oder künstlerische Handlackierungen erlauben Designs für jeden Geschmack. Und spätestens seit mancher Großserien-Hersteller mehr als 5000 Euro für seine Fernost-Carbonrahmen aufruft, verlieren die Preise handwerklich hochwertiger Individualrahmen ihren Schrecken. Längst nicht jedes auf der Messe gezeigte Rad war wirklich durchkalkuliert. Oft leben Designer, Techniker, Enthusiasten ihre Leidenschaft aus, ohne wirklich auf den Preis zu schauen. In vielen Fällen sind es eher Handwerk und Ideen als Gramm und Euro, was zählt.

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Die Rahmenbauer der Bespoked 2023

Nikola Banishki, ein in Frankreich lebender Bulgare, treibt den Eigenbau auf die Spitze.
Foto: Jörg Spaniol

Die Räder der Bespoked-Fahrradmesse 2023

Avalanche

Schade, dass keine Sonne auf die zwei Räder am AVALANCHE-Stand scheint. Denn dann würden die winzigen geometrischen Details im Lack strahlend hervortreten. Was auch ohne Sonne sofort auffällt, ist die elegante Sattelstützenklemmung – oder besser: ihr scheinbares Fehlen. Auch bei diesem Titan-Gravelbike erlaubt der 3-D-Druck in Titan Detaillösungen, die vor Jahren noch aus zahllosen Blechen oder mit kantigen Frästeilen realisiert worden wären. Das Schätzchen wurde auf der Messe als „Bestes Gravelbike“ prämiert.

Auch sonst nehmen Beurriand und seine Partnerin gerne an Wettbewerben wie dem Fahrradbau-Wettbewerb „Concours de Machines“ teil, bei dem Räder zu einer jährlich wechselnden Aufgabe wie „Paris-Roubaix“ gefordert sind. Das Rad im Bild gewann 2023 den Preis für die schönste Lackierung.

Prämiert als “bestes Gravelbike”: AvalancheFoto: Jörg SpaniolPrämiert als “bestes Gravelbike”: AvalancheAvalanche erhielt den Preis für die beste Lackierung.Foto: Jörg SpaniolAvalanche erhielt den Preis für die beste Lackierung.3-D-Druck erlaubt in Titan überraschende Detaillösungen.Foto: Jörg Spaniol3-D-Druck erlaubt in Titan überraschende Detaillösungen.

Festka

Die tschechische Manufaktur FESTKA hat sich in den vergangenen Jahren als einer der größeren Hersteller individueller Räder positioniert. Etwa 20 Menschen arbeiten in Prag an Rennrädern für besondere Wünsche. Mittlerweile haben sich die beiden Firmengründer von Metallrahmen verabschiedet und fertigen nur noch Maßrahmen aus Kohlefasern – oft in ungewöhnlichen Lackierungen.

Das Ausstellungsstück namens „Scalatore“ (Kletterer) ist dagegen in jeder Hinsicht minimalistisch: Der tube-to-tube laminierte Rahmen (5,3 Kilo) ist komplett unlackiert und verzichtet auch auf besonders schmucke Decklagen. Es ist auf die Körpermaße des Festka-Mitinhabers Ondřej Novotný -zugeschnitten und mit superleichten Serienteilen bestückt. Wer so ein Fliegengewicht kaufen möchte, sollte ein Budget von gut 18.000 Euro haben.

Minimalistisch: Festka Scalatore, der Kletterer wiegt nur 5,3 Kilo.Foto: Jörg SpaniolMinimalistisch: Festka Scalatore, der Kletterer wiegt nur 5,3 Kilo.Am Festka Scalatore ist alles superleicht.Foto: Jörg SpaniolAm Festka Scalatore ist alles superleicht.Tube-to-tube laminierter Rahmen ohne Lackierung.Foto: Jörg SpaniolTube-to-tube laminierter Rahmen ohne Lackierung.

Jaegher

Sieht aus wie Titan, ist aber Stahl: Das Exponat von JAEGHER besteht wie alle Rahmen der Marke aus Edelstahl. Ein spezieller Rohrsatz von Columbus ist das Basismaterial. Seit 1934 ist die flandrische Firma im Geschäft. Emanuel Ramoudt, einer der Inhaber: „Um Edelstahl so verarbeiten zu können, braucht es viel Erfahrung. Sonst wird es niemals ein gerader, haltbarer Rahmen.“

Die Verarbeitung des Schaustücks wirkt makellos. Am ebenfalls gezeigten Gravelbike kommt – wie bei einer Handvoll Mitbewerber – eine keramikbasierte Oberflächenbeschichtung namens Cerakote zum Einsatz. Sie wurde eigentlich für Waffen entwickelt und ist laut Ramoudt haltbarer als jeder Lack.

Die Renn- und Gravelräder der Marke sind grundsätzlich Individualanfertigungen, die Oberfläche kommt in Hunderten möglicher Varianten. Beim Schaustück hat Jaegher den Perfektionismus auf die Spitze getrieben: Der ohnehin schwarze Carbonlenker wurde eigens noch einmal schwarz lackiert, um perfekt zum Schwarz des Vorbaus zu passen.

Edelstahlrahmen von JaegherFoto: Jörg SpaniolEdelstahlrahmen von JaegherDer ohnehin schwarze Carbonlenker wurde eigens noch einmal schwarz lackiert, und passt nun farblich zum Vorbau.Foto: Jörg SpaniolDer ohnehin schwarze Carbonlenker wurde eigens noch einmal schwarz lackiert, und passt nun farblich zum Vorbau.Perfektion wird bei Jaegher GROSS geschrieben.Foto: Jörg SpaniolPerfektion wird bei Jaegher GROSS geschrieben.Die keramikbasierte Oberflächenbeschichtung ist laut Ramoudt haltbarer als jeder Lack.Foto: Jörg SpaniolDie keramikbasierte Oberflächenbeschichtung ist laut Ramoudt haltbarer als jeder Lack.

Meerglas

„Meerglas“, das sind für den Fahrradbauer Thomas Becker die bisweilen poetisch schönen Scherben am Strand, die das Meer rundgeschliffen hat. Auch sein Singlespeed-Gravelbike ist so ein seltenes Fundstück – und dürfte zur Entstehung ähnlich lange gebraucht haben wie die bunten Scherben. Es ist ein Rad mit geradezu irrwitziger Liebe zum handwerklichen Detail.

„Wenn ich an einem meiner Räder etwas sehe, das nicht perfekt ist, dann fühlt sich das an wie ein Kratzen im Hirn“, sagt Becker. Und dann schleift er jede Rändelschraube, bis sie perfekt in den Fingern liegt, fertigt die Rahmenmuffen einzeln an und dreht den Vorbauschaft so ab, dass er exakt das Steuerlager verschließt. Seine Kunden schätzen die Sorgfalt, den Stil und den zeitlosen Auftritt so sehr, dass sie auch jahrelange Wartezeiten in Kauf nehmen – und für ein echtes MEERGLAS fünfstellige Summen zahlen.

Meerglas - außergewöhnlicher Name, außergewöhnliches Rad.Foto: Jörg SpaniolMeerglas - außergewöhnlicher Name, außergewöhnliches Rad.Alle Teile werden mit liebevoller Sorgfalt gearbeitet und perfekt angepasst.Foto: Jörg SpaniolAlle Teile werden mit liebevoller Sorgfalt gearbeitet und perfekt angepasst.Per Hand wird mit viel Fingerspitzengefühl alles spiegelglatt geschliffen.Foto: Jörg SpaniolPer Hand wird mit viel Fingerspitzengefühl alles spiegelglatt geschliffen.

Purple Dog

Nikola Banishki, ein in Frankreich lebender Bulgare, treibt den Eigenbau auf die Spitze. Das Rad, das er eigens für seine zweite Teilnahme am Brevet Paris-Brest-Paris gebaut hat, mag keinen Schönheitspreis gewinnen, doch die originellen Ideen des hauptberuflichen Molekularbiologen könnten einen längeren Artikel füllen.

Eine Liste in aller Kürze: Die Gepäckträger und Taschen mit Fidlock-Magnetsystem sind selbst gemacht. Der Rahmen lässt sich mittels selbst gefräster Schraubkupplungen zerlegen, die Gabelbeine sind nach unten abziehbar. Das komplette Rad des Zwei-Meter-Mannes schrumpft so auf Laufradgröße. Auch die Beleuchtung ist eine Eigenentwicklung. Banishki kombiniert Nabendynamo und Akkubetrieb in selbst gefrästen Gehäusen.

Das Stirnrunzeln angesichts seiner simplen Shimano-Nabenschaltung mit Riemenantrieb kümmert den Langstreckler wenig. „Wenn es nass, kalt und dreckig wird, ist das jeder Kettenschaltung überlegen“, sagt er.

Der Rahmen des Purple Dog lässt sich komplett zerlegen.Foto: Jörg SpaniolDer Rahmen des Purple Dog lässt sich komplett zerlegen.Gefräßte Gehäuse gegen Nässe.Foto: Jörg SpaniolGefräßte Gehäuse gegen Nässe.Alles am Rad wurde extra für das Brevet Paris-Brest-Paris entwickelt.Foto: Jörg SpaniolAlles am Rad wurde extra für das Brevet Paris-Brest-Paris entwickelt.Warum hier wohl “Pain” steht?Foto: Jörg SpaniolWarum hier wohl “Pain” steht?Einen Schönheitspreis wird das Purple Dog nicht gewinnen, aber es wurde für die ganz individuellen Bedürfnisse von Nikola Banishki erschaffen.Foto: Jörg SpaniolEinen Schönheitspreis wird das Purple Dog nicht gewinnen, aber es wurde für die ganz individuellen Bedürfnisse von Nikola Banishki erschaffen.

Stolz

Nils Stolz hat seine Hausaufgaben gemacht. Das Ergebnis: ein ungewöhnliches Bahnrad mit schimmerndem Lack. Dafür gab’s in der Schule die Bestnote. In der Schweiz, woher er stammt, ist das eine Sechs. Die Jahresarbeit des 16-jährigen Bahnradsportlers glänzt auch, wenn man den Nachnamen korrekt der Firma Fahrradbau Stolz zuordnet, die sein Vater vor 40 Jahren gegründet hat.

Originell an der Stahlkonstruktion ist nicht nur der eher von Carbon-Zeitfahrrahmen bekannte Vorbau in optischer Verlängerung des Oberrohrs, sondern auch der weniger offensichtliche Einsatz von gleich zwei Exzentern: Mit dem Exzentergehäuse des Tretlagers lassen sich in kleinem Umfang die Geometrie und effektive Tretlagerhöhe verändern – das Prinzip ist bei Rädern mit Nabenschaltung zur Justage der Kettenspannung bekannt. Richtig ungewöhnlich ist der Exzenter im hinteren Ausfallende. Er sichert die Steckachse gegen Verrutschen und erlaubt gleichzeitig die exakte Ausrichtung des Hinterrades. Der Spalt zu Sitzrohr und Sitzstreben ist minimal. Der Vater war, der Kalauer sei erlaubt, sichtbar: stolz.

Bestnote gab es für den schimmernden Lack des Bahnrads aus Stahl.Foto: Jörg SpaniolBestnote gab es für den schimmernden Lack des Bahnrads aus Stahl.Ungewöhnlich: Der Exzenter sichert die Steckachse gegen Verrutschen.Foto: Jörg SpaniolUngewöhnlich: Der Exzenter sichert die Steckachse gegen Verrutschen.Außergewöhnlicher Vorbau: Verlängerung des OberrohrsFoto: Jörg SpaniolAußergewöhnlicher Vorbau: Verlängerung des Oberrohrs

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