Rückblick 2024Neustart von Marco Brenner

Andreas Kublik

 · 24.12.2024

Rückblick 2024: Neustart von Marco BrennerFoto: dpa/pa; Hilger
Marco Brenner wurde 2024 Deutscher Meister auf der Straße
Marco Brenner galt in jungen Jahren als deutsches Supertalent, wechselte mit 18 Jahren als Profi zum Team DSM – und erlitt dann eine Art Karriereknick. Nach dem Wechsel zum jungen Tudor-Rennstall von Fabian Cancellara blüht der gebürtige Augsburger auf. Seinen aufsehenerregenden Durchbruch erlebte er bei den Deutschen Meisterschaften, die er mit ungestümer Angriffslust gewann. Erfüllt er bald die hohen Erwartungen?

Der Mann hat eine Figur wie ein Leuchtturm. Groß und schwer zu erschüttern. Vermutlich stabiler als der Koloss von Rhodos. Marcel Sieberg, 1,98 Meter langer Ex-Profi, begleitet an diesem Juni-Tag als Sportlicher Leiter das Straßenrennen bei der Deutschen Meisterschaft, als er trotz des ihm gegebenen westfälischen Gleichmuts zugebenermaßen ein wenig aus dem stabilen Gleichgewicht gerät – zumindest innerlich. Er sieht, wie sein Schützling Marco Brenner beim Rennen um die Deutsche Meisterschaft im Straßenrennen früh in die Offensive geht – viel zu früh, findet Sieberg. Nach rund 20 von 200 Kilometern nimmt Brenner auf dem Rundkurs rund um Bad Dürrheim Reißaus mit vier anderen. “Er ist noch ein bisschen verspielt”, wird Sieberg später sagen. Aber am Ende hat Brenner alles richtig gemacht, hat mit seiner Fahrweise die Konkurrenten vom eigentlich übermächtigen Team Bora-Hansgrohe auseinandergenommen und dann deren stärksten an der Spitze verbliebenen Vertreter, den kletterstarken Florian Lipowitz, an der letzten steilen Rampe in Aasen mit einem energischen Antritt auf wenigen Metern zum Verlierer gestempelt.

Siebergs Befürchtungen sollten sich also als unbegründet herausstellen. Aber das DM-Rennen galt intern als große Chance: Brenner und sein Umfeld wussten, dass er in der Form seines Lebens war, bei der Tour de Suisse persönliche ­Rekordwerte gefahren war, mit Gesamtrang 19 zwar ein gutes, aber eben kein herausragendes und vor allem gut zu verkaufendes Ergebnis erzielt hatte. Kurz: Es ging an diesem Tag darum, das Talent zu vergolden.

Vergleiche mit Jan Ullrich sind Ballast

Am Ende hat es geklappt – dank einer Melange aus In­stinkt, fast schon übermütiger Angriffslust und purer Stärke. Endlich, werden viele sagen, endlich, findet auch Brenner selbst: “Ich hatte mir erhofft, dass ich den Schritt schneller mache”, räumt er ein. Es war die Krönung seines Radsportjahres 2024, das für ihn den Durchbruch als Radprofi bedeutete. Endlich? Brenner ist mit 21 Jahren der jüngste Sieger des Eliterennens seit 2005, als Gerald Ciolek als 18-Jähriger jubelte. Schon als Teenie musste der aus Augsburg stammende Radsportler mit der Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit leben, die die Nachricht auslöste, dass er bei Leistungstests des Bund Deutscher Radfahrer Werte abgeliefert hätte, die man im gleichen Alter zuvor nur bei Jan Ullrich gesehen hatte.

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Die Testergebnisse waren großes Versprechen und Belastung gleichermaßen. Brenner gab sich angesichts der Erwartungen und Vergleiche mit dem einzigen deutschen Tour-­de-­France-­Sieger stets gelassen. Äußerlich. Die Werte sind Indiz für großes Talent, aber keine Garantie für Siege auf Weltniveau. Doch der Spätentwickler Brenner, der noch im Winter 2023/24 nach eigenen Aussagen zwei Zentimeter an Körpergröße zulegte, brauchte etwas länger – auch als beispielsweise Antonio Tiberi, der einst als Junioren-Weltmeister im Einzelzeitfahren dem Bronzemedaillengewinner Brenner nur 13 Sekunden voraus war, in diesem Jahr als Gesamtfünfter des Giro d’Italia aber bereits in der Weltspitze angekommen ist. “Auf dem Niveau anzukommen – das dauert. Der Leistungsunterschied zwischen Junioren und Männern ist groß”, betont Brenners Trainer Sebastian Deckert. Und erfordert Geduld. Man muss wissen: Brenner war nicht nur talentiert, sondern auch immer ungestüm und wollte sehr schnell sehr viel. Das Rennen und sein Verlauf in Bad Dürrheim spiegelt ein bisschen seine Karriere – nur dass er diesmal für sein Ungestüm belohnt wurde. “Bei der DM ist alles zusammengekommen. Es ist dann megacool, wenn man vom Sponsor das Meistertrikot bekommt”, sagt Brenner über die bisher größten Momente seiner Karriere.

Neues Team, neues Glück für Marco Brenner

Warum jetzt der Durchbruch? “Er hat jetzt ein anderes Umfeld, das positiv ist. Er ist jemand, der sich wohlfühlen muss”, betont Sieberg, der nun sein Sportlicher Leiter beim Tudor Pro Cycling Team ist und zuvor wie Brenner beim Team DSM gearbeitet hat. “Ich habe eine bessere Rolle bei Tudor gekriegt. Ich hätte nichts Besseres machen können”, sagt der Radprofi über seinen Wechsel zu Tudor zu Saisonbeginn und ergänzt: “In diesem Team wird viel Wert auf den Menschen gelegt und auf die Meinung der Sportler.” Im Vorjahr zerbrach die Beziehung zwischen Brenner und dem Team DSM, das ihn einst unbedingt haben wollte und als 18-Jährigen aus der U19-Mannschaft von Bora-hansgrohe in die Niederlande lockte. “Wenn man es reflektiert, hätte es mir nicht geschadet, wenn ich noch ein Jahr in der U23 gefahren wäre. Aber ich habe auch so viel gelernt”, sagt der junge Radprofi.

Marco Brenner Im Deutschen Meister-TrikotFoto: dpa/pa; RothMarco Brenner Im Deutschen Meister-Trikot

Ein Team, in dem er sich wohlfühlt, neue Kontinuität nach anhaltenden Rückenproblemen, privates Glück in Andorra, die Fortsetzung einer nicht für jeden sichtbaren kontinuierlichen Entwicklung – das waren laut den Wegbegleitern die Gründe, warum Brenner in der Saison 2024 seine beiden ersten Profi-Siege feiern konnte. Zunächst im März auf einer Etappe der Settimana Coppi e Bartali – seit dem eindrucksvollen Auftritt in Bad Dürrheim darf er ein Jahr lang im schwarz-rot-goldenen Meistertrikot die Rennen bestreiten, ein sehr gut sichtbarer Beweis seiner Fähigkeiten.

Potenzial für die großen Etappenrennen

Und wie geht es weiter? Im kommenden Jahr soll Brenner wieder eine Grand Tour fahren, an seinen Fähigkeiten als Klassementfahrer arbeiten, vermutlich beim Giro d’Italia. Klettern kann er gut, dank rund 61 Kilo Gewicht bei 1,80 Größe. An seinem Zeitfahrpotenzial wird er arbeiten, sagt Coach Deckert. Und was ist langfristig möglich? “Er ist auf einem guten Weg. Er ist ein Mann für kleinere Rundfahrten. Bei der Tour de ­France ganz vorne mitzufahren, das wird schwer”, vermutet Sieberg. Schwer, aber nicht unmöglich? Das kommende Jahr wird zeigen, in welche Richtung es für eines der größten deutschen Talente weitergeht. Marco Brenner weiß schon lange, was er will. Jetzt wissen alle, dass er es auch kann.

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