Rosa Maria KlöserDie Siegerin des Unbound 200 im TOUR-Portrait

Tim Farin

 · 07.09.2024

Rosa Maria Klöser hat einen furiosen Aufstieg im Radsport hingelegt. TOUR stellt sie vor.
Foto: Ben Scheurer
Rosa Maria Klöser ist ein Phänomen. Als beinahe Unbekannte mischt sie die Gravel-Szene auf, gewinnt das renommierteste Rennen – und auch auf der Straße hat sie Potenzial.

Rosa Maria Klöser - zur Person

Rosa Maria Klöser wurde am 24. Juni 1996 in Geilenkirchen, Nordrhein-Westfalen, geboren. Erst im Zuge ihres Promotionsstudiums an der Copenhagen Business School begann Klöser mit dem Radsport, gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Paul Sandmann.

Klöser erreichte in ihrer ersten Gravel-Saison dreimal Rang drei bei Rennen des Weltverbands UCI, bei der WM in Italien belegte sie 2023 den 28. Platz. 2024 erzielte sie Rang drei beim Traka 200 (Spanien), Platz zwei bei 3RIDES in Aachen und schaffte den Sieg beim Unbound 200 in den USA. Im Juni nahm sie erstmals an der Deutschen Straßenmeisterschaft teil und wurde Neunte.


Als es auf die gut 450 Meter lange Zielgerade in Emporia, Kansas, geht, fühlt sich Rosa Klöser bemerkenswert klar im Kopf. “Ich war so ganz seltsam ruhig. Sonst bin ich eher ein quirliger Typ, aber in diesem Moment war ich ganz bedacht.” Die im Rennen 27-Jährige aus Deutschland, deren Namen hier kaum jemand kennt, hat sich Gedanken gemacht, die Zielgerade genau angeschaut und die Interessen der Gruppe studiert, mit der sie auf das Finish der 200 Meilen des Unbound Gravel zurast. Links in der neunköpfigen Spitzengruppe zieht die amerikanische Konkurrentin Paige Onweller nach vorn – und dann tritt Rosa Klöser an. “Ich dachte, wir wären schon ein bisschen näher am Ziel”, erinnert sich Klöser, die schon mehr als 300 Meter vor dem Strich antritt und einfach durchzieht. “Du spürst, ob jemand hinter dir ist, und auf den letzten 100 Metern habe ich dann gespürt, dass da niemand mehr war.”

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Rosa Maria Klöser gewinnt Unbound 200

Mit mehreren Radlängen Vorsprung rast sie ins Ziel, vorbei an den Fotografen, den Betreuern. Ihr Mund ist weit aufgerissen. Es folgt ein emotionaler Breakdown im Ziel, Rosa Klöser fällt ihrem Freund um den Hals, der selbst eben erst beim Männerrennen ins Ziel gekommen ist, sie ist überwältigt, Tränen kommen hoch. Denn sie kam aus dem Nichts und hat noch dazu einen herben Rückschlag im Rennen überwunden. Jetzt ist sie Siegerin des prestigeträchtigsten Rennens der Gravel-Szene.

Einen halben Tag früher, morgens um kurz vor sechs Uhr, fühlt sich Klöser das erste Mal wirklich überwältigt. “Da waren bestimmt 100 Fotografen vor der Startlinie, das war ein richtiger Medien-Hype”, sagt sie. “Ich dachte, dieses Event, das kann wirklich dein Leben verändern.” Kaum jemand in der Szene oder in den Medien kennt die junge Deutsche, die als Wohnort Kopenhagen angegeben hat. Sie reiht sich ein zwischen die Elite-Starterinnen, die in Kansas eine eigene Frauen-Startzeit bekommen haben, ein richtiges Frauenrennen ohne verzerrenden Effekt der Männer davor und dahinter.

Große Namen am Start des Unbound

Währenddessen werden große Namen aufgerufen. Tiffany Cromwell, Sofia Gomez Villafane, Haley Smith und die Vorjahressiegerin Carolin Schiff im Trikot der Deutschen Meisterin. Als Schiff 2023 ihren Sieg beim Unbound feierte, hatte Rosa Maria Klöser gerade mal ein paar Gravel-Rennen ausprobiert. Und noch ein Jahr vorher, Anfang 2022, hatte die junge Frau mit den langen, dunkelbraunen Haaren noch nie an einem Radrennen teilgenommen.

Alles geht sehr schnell in der Karriere von Rosa Maria Klöser, die aus Übach-Palenberg bei Aachen stammt, in den Niederlanden und Dänemark studierte, die sich an einem Montag im Juli am Rande der Lüneburger Heide im Haus der Eltern ihres Freundes erholt, die sonst in Kopenhagen forscht und lehrt, in Dublin einer Tagung beiwohnt, zwischendurch vier Monate am Massachusetts Institute of Technology in Boston verbringt und jetzt einen furiosen Aufstieg im Radsport hinlegt. Dies ist die Geschichte einer Frau, die in wirtschaftswissenschaftlichen Studien Top-Noten einsammelt, über politische Interventionen in Märkten doziert und gestandene Straßenprofis düpiert. “Ich kenne sie nicht”, sagt eine Top-Gravel-Fahrerin, ob- wohl sie schon mehrmals gegeneinander gefahren sind. Eine Geschichte, wie sie der Frauen-Radsport noch ermöglicht.

Ohne Sattel ins Ziel

Was klingt wie ein reibungsloser Aufstieg, funktioniert in der Praxis nicht ohne Widerstände. Mal kommt ein Fahrrad abhanden, mal geht es blutig zu. Aber das stößt sie nicht ab. Dass man auch mal schmerzhafte Erfahrungen macht, ebenfalls nicht. Sie fuchst sich rein. Und sie sagt, sie sei da vielleicht ein wenig forscher als andere. In der kurzen Zeit, die sie auf dem Rad sitzt, hat sie einige Narben gesammelt. Am Wochenende vor dem TOUR-Interview hat sie ein Grasstück beim Rennen in Polen falsch eingeschätzt, am Bein und am Ellenbogen hat sie dafür ordentlich geblutet, Dellen im Helm sind auch geblieben. Auf der Straße hat sie sich das Schlüsselbein gebrochen, bei ihrem ersten großen Gravel-Rennen, dem Traka in den Pyrenäen, kam sie ohne Sattel ins Ziel. Aber sie kam an.

Ruhezone: Das Haus der Eltern ihres Freundes bildet einen Stützpunkt für Rosa Klöser beim Wechsel zwischen ihrem Leben als Sportlerin und DozentinFoto: Ben ScheurerRuhezone: Das Haus der Eltern ihres Freundes bildet einen Stützpunkt für Rosa Klöser beim Wechsel zwischen ihrem Leben als Sportlerin und Dozentin

Klöser ist zielstrebig. Und sie kann mit Rückschlägen umgehen. Das hat sie beim Unbound gezeigt. Denn Klöser hatte sich in Kansas in der Spitzengruppe festgesetzt und dann einen Fahrfehler begangen. Sie sei zu nah an der Vorderfrau gefahren, sagt sie, dadurch habe sie nach etwa 200 Kilometern einen Stein übersehen, ein Verhängnis für den Vorderreifen, der an mehreren Stellen eingerissen sei. Klöser hatte – dank guter Vorbereitung – Inserts in den Reifen, die die Felge beim Platten schützen. Sie konnte sich erst noch in der Spitzengruppe halten. “Das war richtig schwammig, vor allem bergab auf Steinen bin ich immer wieder auf die Felge durchgeschlagen, das war gruselig”, erinnert sie sich. An einem Anstieg beschloss Klöser, es noch mal mit Luft aus einer Kartusche zu probieren. An Flicken des Reifens war nicht zu denken, denn an mehreren Stellen trat Dichtmilch aus. So verlor sie bis zur nächsten Verpflegungsstelle auf das Vorderfeld zwei Minuten – doch dank eines sehr schnellen Radwechsels ihres Ausstatters machte sie sich wieder auf die Jagd. “Dann bin ich losgefahren, und ich wusste, ich habe nichts zu verlieren. Ich war stolz, dass ich zuvor in dieser Spitzengruppe war, und dachte: Egal, was jetzt passiert, du hast es der Welt gezeigt.”

Zufällig aufs Rennrad

Dass solche Erlebnisse überhaupt in Reichweite sind, hätte sich Rosa Maria Klöser vor vier Jahren nicht vorgestellt. Damals studierte ihr Freund bereits in London, sie war fürs wirtschaftswissenschaftliche Studium in Kopenhagen, aber wegen der Corona-Lockdowns suchten sie einen Ort, wo sie gemeinsam Zeit verbringen konnten. In Niedersachsen, südöstlich von Hamburg, leben die Eltern von Paul Sandmann, und dort nistete sich das Pärchen ein. Rosa machte eine erste Rennraderfahrung auf dem für sie viel zu großen Rad mit 61er-Rahmen, das dem Vater ihres Freundes gehört. Das Rennradfahren gefiel ihr. “Der wahre Grund, warum ich dann ein Rennrad gekauft habe, war aber ein Fahrraddiebstahl”, berichtet Klöser.

In Kopenhagen war ihr Stadtrad geklaut worden. Sie nahm sich ein Beispiel an vielen Pendlern, die dort mit Rennrädern durch die Stadt fahren. Also suchte sie ein Einsteigerrad. 1200 Euro war der Preis. “Das kam mir wahnsinnig teuer vor”, sagt sie. Schon bald würde sie bei Ausfahrten in Kopenhagen feststellen, dass dieser Sport sehr “kapitalintensiv” ist, wie Klöser sagt. Es folgte ein Crashkurs in einem Sport, den andere seit ihren Teenagerjahren betreiben. Klöser installierte Strava und jagte nach Bestzeiten. Sie kaufte sich eine smarte Rolle und trainierte auch drinnen. Anfang 2021 nahm sie in ihrem Kopenhagener Studentenzimmer an ihrem ersten Zwift-Rennen teil. “Vorher bin ich noch nie mit anderen Frauen gefahren. Es waren zwar nur fünf oder sechs Teilnehmerinnen – aber ich habe gewonnen. Und wenn ich Erfolg habe, dann macht das natürlich noch mal mehr Spaß.”

Erfahrungen: Mit der ihr eigenen Zielstrebigkeit verbucht Rosa Klöser Sturzverletzungen als Ereignisse, aus denen sie für die Zukunft lernen kannFoto: Ben ScheurerErfahrungen: Mit der ihr eigenen Zielstrebigkeit verbucht Rosa Klöser Sturzverletzungen als Ereignisse, aus denen sie für die Zukunft lernen kann

Sie wandte sich in Kopenhagen an einen Klub und fand dort Orientierung im Gruppenfahren. Und 2022 fuhr sie dann auch zum ersten Mal bei einem Rennen draußen mit. In der B-Kategorie siegt sie beim ersten Auftritt. “Ich war total schockiert, denn ich hatte noch überhaupt nichts von Rennstrategie und Taktik verstanden”, erinnert sie sich. Im Spätsommer desselben Jahres geht sie mit Freund Paul auch bei den Cyclassics in Hamburg an den Start. Sie siegt auf der 94,8-Kilometer-Runde bei den Frauen, insgesamt wird sie Achtzehnte. “Du hast da viel Windschatten, wenn du ein bisschen schlau fährst, kannst du extrem viel sparen”, macht sie einen ziemlich großen Erfolg leicht greifbar.

Der wahre Grund, warum ich ein Rennrad gekauft habe, war ein Fahrraddiebstahl.

Leidenschaft: optimieren

Profisportlerin: Ihre Erfolge bei Gravel-Rennen haben ihr die Unterstützung durch namhafte Sponsoren und Ausrüster eingetragenFoto: Ben ScheurerProfisportlerin: Ihre Erfolge bei Gravel-Rennen haben ihr die Unterstützung durch namhafte Sponsoren und Ausrüster eingetragen

Rosa Klöser liebt es, sich in Themen “reinzufuchsen”, wie sie sagt, und das hat sie mit ihrem Freund Paul gemeinsam. Er promoviert am Imperial College in Maschinenbau, ob die Karriere in der Wissenschaft oder in einem Unternehmen weitergeht, ist noch offen. Er hat die Wahl. Auch er ist erst mit Corona in den Sport gekommen, inzwischen fährt er in Elite-Gravel-Rennen hervorragende Ergebnisse ein, neben Forschung und Sport ist keine Zeit mehr für anderes. Klöser studiert den Sport, wie sie auch ihre beruflichen und universitären Themen studiert. Sie schaut viele Rennen, unter anderem die Tour de France, um vom Verhalten der Fahrer zu lernen. Sie sammelt Informationen zum Material und zu Kohlenhydratkomplexen. Sie geht mit Akribie vor und hat eine Beobachtungsgabe, die sie weiterführt. Zusammen mit Paul optimiert sie ihre Sitzposition, sie analysieren Wattwerte. “Bei Rosa geht noch einiges”, sagt ihr Freund, in den kommenden Monaten will man die Aerodynamik der Fahrerin verbessern, auch Windkanaltests sind ein Projekt.

Meine Passion ist es, mit Studenten zusammenzuarbeiten, Vorträge zu halten und Masterarbeiten zu betreuen.

Hier ist Perfektionismus am Werk, der sich auch auf andere Felder erstreckt. Als die beiden das Equipment des TOUR-Fotografen sehen, stellen sie viele Fragen. Denn sie wollen sich, das ist Teil des Sportlerseins im Influencer-Zeitalter, mit passenden Kameras ausstatten. Dass Klöser überhaupt auf Schotter fährt, kam zufällig. Bei einem Trip nach Girona hatte sie im Frühling 2022 Probleme mit der Schaltung an ihrem inzwischen deutlich teureren Aero-Bike, Paul und sie gingen in eine Werkstatt, lernten dort den niederländischen Gravel-Profi Piotr Havik kennen. Der lud Rosa und Paul auf eine Schottertour ein und zeigte sich von Rosas Talent beeindruckt. Klöser erinnert sich an folgenden Satz: “Vielleicht überlegst du dir mal, Gravel-Profi zu werden.”

Ein Jahr später fuhr Klöser ihre erste Saison auf Schotter. Bei drei UCI-Rennen kam sie aufs Podium. In Halmstad, Schweden, wurde sie nur von den Radsportlegenden Marianne Vos und Annika Langvad besiegt. “Da haben mich dann einige Marken kontaktiert und gesagt, sie finden es cool, was ich da mache.” Eine Saison später ist Klöser deutlich weiter. Sie ist so etwas wie eine Einzelunternehmerin im Gravel-Sport, hat namhafte Ausstatter und kann sich – gerade im Sommer – voll auf dieses Leben einlassen. Einen Monat lang hat ihre Universität in Dänemark sie freigestellt, damit Klöser in der heißen Phase zu den Gravel-Events reisen kann, ohne an die Uni zu denken. Denn sonst ist das ihr Lebensmittelpunkt. Klöser hat einen erfolgreichen Weg durch die Hochschullandschaft hinter sich, sie promoviert zur Dekarbonisierung der Schifffahrtsindustrie – wobei es eher um die allgemeine Frage geht, wie politische Eingriffe in die Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit und grüneren Unternehmensstrukturen führen können.

Zuvor hatte sie ihren Master im Bereich Supply Chain Management abgelegt. Sie springt im Gespräch rasch auf dieses andere Feld und könnte, wenn man sie ließe, darüber auch einen Ad-hoc-Vortrag halten. Es wäre ebenso spannend wie die Unterhaltung über den Sport. Vor allem mag sie, was sie als Teil der Promotionsstelle noch machen muss: “Meine Passion ist es, mit Studenten zusammenzuarbeiten, Vorträge zu halten und Masterarbeiten zu betreuen”, sagt Klöser.

Rosa Maria Klöser zwischen Sport und Promotion

Sie bewegt sich also zwischen zwei Welten. Bei den Eltern ihres Freundes in Norddeutschland dreht sich allerdings derzeit alles um die sportliche Rosa. Sie nimmt ihren neuen Ruhm mit. Nach dem Unbound-Sieg gibt es neue Sponsorengespräche, man arbeitet an Deals fürs nächste Jahr. Auch bei der Deutschen Meisterschaft auf der Straße hat Klöser ein Zeichen gesetzt. Zwischen World-Tour-Profis kam sie als Neunte ins Ziel. Für sie ist der Straßenradsport ebenso ein Zukunftsprojekt wie die berufliche Laufbahn in der Ökonomie. “Ja, auf jeden Fall”, antwortet sie auf die Frage, ob sie derzeit ihren Traum lebe. “Ich bin keinen klassischen Weg gegangen, ich dachte nicht schon als kleines Mädchen, dass ich Profisportlerin werden könnte – aber bei allem, was ich tue, bin ich immer total fokussiert auf die Sache.”

Anfang 2025 dürfte sie ihren Doktortitel besitzen. Ihr Forschungsthema interessiert sie enorm, das sei für die Zeit danach gut. Und im Radsport kennt man jetzt ihren Namen, das ist gut, denn ein paar Saisons will sie auf jeden Fall diesen Teil ihres Lebens ins Zentrum stellen. “Das ist eine Superstruktur für meine Karriere.”

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