RennradheldinKampf gegen MS

Kristian Bauer

 · 29.01.2024

Rennradheldin: Kampf gegen MSFoto: Privat
Lara bei Trondheim-Oslo
Rennradheldin Lara: In unserer Serie stellen wir Menschen vor, die große Widerstände überwunden haben und auf dem Rennrad in ein neues Leben gefahren sind. Im zweiten Teil geht es um den sportlichen Kampf gegen Multiple Sklerose (MS) und Hemiparese.

Rennradheldin Lara Wolleschensky (26), Dresden

Vermutlich ein Schlaganfall bei ihrer Geburt hat bei Wolleschensky zu einer Hemiparese, einer Teillähmung der linken Körperhälfte, geführt. „Es ist deutlich eingeschränkt - ich sag mal man sieht’s wenn ich laufe“, beschreibt sie es selbst. Die Ärzte sagen ihren Eltern, dass sie vermutlich nie Radfahren kann. Doch die kleine Lara hat einen starken Willen und weil ihre große Schwester es kann, will sie auch Radfahren. „Als Kind denkt man über sein Handicap selbst gar nicht so nach - ich bin damit aufgewachsen.“

Ihre sportbegeisterten Eltern unterstützen sie und so schafft sie es gegen alle Widerstände das Fahrrad zu beherrschen und meldet sich sogar im Radverein an. In der U11 muss sie gegen ihre körperlichen Einschränkungen und Vorurteile im Verein ankämpfen: „Behindertensport ist nicht überall gern gesehen gewesen und ich bin mit den gesunden Leuten zusammengefahren.“ Sie muss einen unglaublichen Kampfgeist mitbringen, um das normale Training mitzumachen: „Wie oft ich im Dreck gelegen bin, weil ich einfach nicht so konnte wie andere, weil ich Halt gebraucht hab, bis ich gelernt hab, wie balancier ich oder wie komm ich aus den Klickpedalen. Als andere in meiner Altersklasse mit Trinkflasche gefahren sind, hatte ich lange keine. Ich hätte im Rennen nicht runtergreifen können.“ Aber der Sport tut ihr gut und gefällt ihr. Sie fährt in der U15 und U17 Lizenzrennen in Thüringen und zweimal auch die Deutsche Meisterschaft. Überwiegend sind es Kriterien, aber auch bei Etappenrennen wie der Ostthüringen-Rundfahrt ist sie am Start und auch auf der Bahn fährt sie Rennen.

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Der Radsport hilft dem Körper

Der Sport fordert sie und hält ihr Handicap unter Kontrolle – sie kennt andere Menschen mit Hemiparese, denen es deutlich schlechter geht. „Hätte ich nicht so viel Sport gemacht, weiß ich nicht, wo ich heute wäre. Man wächst auch anders mit dem Sport, man wird selbstbewusst beim Auftreten. Erst im jugendlichen Alter wird einem sein Handicap bewusst, wenn Kinder böse werden können.“ Kommen verletzende Sprüche, rettet sie sich in den Sport und entwickelt „einen ziemlich hohen Ehrgeiz.“ Das verschafft ihr auch im Radverein Respekt, wo alle erkennen, was sie leisten kann. Alles scheint gut, aber als die damals 17-Jährige bei einem Auslandsschuljahr in Norwegen ist, fühlt sich über Monate körperlich immer wieder kraftlos. Ihre Hände zittern und sie spürt ein Kribbeln in den Beinen. Zurück in Deutschland wird bei ihr „pünktlich zum 18. Geburtstag“ Multiple Sklerose (MS) diagnostiziert. Es dauert eineinhalb Jahre, bis sie wirklich verstanden hat, was das bedeutet „weil ich alle sechs Monate einen Schub hatte und die Medikamente nicht angesprochen haben.“

Diagnose MS - die Rennradheldin kämpft weiter

Links hat sie weiterhin die Hemiparese und die MS ist in der rechten Seite. Zwischendurch schafft sie nur noch 20 Kilometer auf dem Rennrad zu fahren und ist kurz davor es zu verkaufen. Ihr Retter ist Andreas Beseler, der selbst MS hat und mit „Besi & Friends“ seit Jahren Sport als Therapie propagiert. Er sagt ihr am Telefon: „Tu mir einen Gefallen, tu das, was du früher immer gerne gemacht hast. Setz dich aufs Rad und fahr. Du musst niemanden was beweisen, wenn du morgen nur 20 Kilometer fährst und dafür eine Stunde oder anderthalb Stunde brauchst, das interessiert keinen.“ Mit ihrem gewohnten Ehrgeiz setzt sich Lara aufs Rad und kämpft sich wieder zurück. Die Gemeinschaftsausfahrten von „Besi &Friends“ geben ihr auch Kraft, weil sie endlich mal Rennrad fahren kann ohne nervige Sprüche zu hören: „oft kriege ich Kommentare, ich sitze schief auf dem Rad.“ Dass sie schief auf dem Rad sitzt, ist krankheitsbedingt. Ihr Wattmesser zeigt Lara, dass sie rechts „65 bis 70 Prozent“ tritt und links deutlich weniger Kraft aufs Pedal bringt. Die Fahrten in der Gruppe haben sie wieder motiviert: „man ist plötzlich nicht der einzige mit Handicap.“ Und das gibt ihr auch den Mut ihre Krankheit offen anzusprechen – z.B. an der Uni.

Neuer Schwung durch Radsport

Lara fährt 2019 das Jedermann-Rennen der Deutschlandtour und merkt „ich kann doch noch Radfahren.“ Sie meldet sich wieder in einem Radverein an (Radclub Dresden) und über die Ausfahrten entbrennt ihr ganzer Radsport-Ehrgeiz wieder. 2020 schafft sie erstmals 200 Kilometer von Dresden nach Jena und 2021 fährt sie ihren ersten 300er. Mehr und mehr interessiert sie sich für das Thema Langstrecke und als sie vom Radrennen Trondheim-Oslo hört, hat sie ein neues Ziel. Die Kraftprüfung über 520 Kilometer zu schaffen, motiviert sie „fleißig zu trainieren“. 2023 realisiert sie ihren Traum und kommt als 12. Frau nach 20:13 Stunden ins Ziel.

Lara WolleschenskyFoto: Christian Hacker/ DropbarcrewLara Wolleschensky

Ein persönlicher Erfolg, der sie auf das Thema Parasport bringt. Nach langen Gesprächen mit dem Brandenburgischen Präventions- und Rehabilitationssportverein e. V. (BPRSV e.V.) will sie sich noch einmal im Leistungssport versuchen. 2024 wird sie „nochmal richtig Radrennen fahren auf der Straße.“ Mit viel Ehrgeiz, aber trotzdem dem Bewusstsein, dass sie ausprobieren muss, ob das veränderte Training ihre MS verträgt oder nicht. „Wenn es halt nicht ist, kann ich jederzeit immer noch sagen Stopp und kann wieder zurück zu dem gehen, was ich vorher gemacht habe.“ In diesem Jahr ist sie zwar noch in keinem Kader, aber hat einen Trainer und will im Mai ein Weltcup-Rennen fahren. Lara arbeitet bei der Volksbank Raiffeisenbank Meißen und nutzt jede Minute ihrer Freizeit für ihr Radtraining. Sie hat noch viele Rennradträume, von weiteren Bikepacking-Touren mit ihrem Freund bis zu Etappenrennen: „Ich bin auf der Suche nach meiner körperlichen Grenze.“ Im Rückblick betont sie wie wichtig das Rennrad in ihrem Leben war: „Es ist der Türöffner gewesen, dass ich gelernt habe, mit meinem Handicap umzugehen. “

Linktipp: Andreas Beseler - der Gründer von Besi & Friends - hat mit einer Fahrt durch Kanada 2013 auf das Thema MS & Radsport aufmerksam gemacht. Daraus ist inzwischen eine Stiftung mit regelmäßigen Gruppentreffen und Events geworden: https://stiftung.besiandfriends.de

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