Schaut man die Instagram-Profile von Alina Jäger, Maria Wilke oder Julian Roberts an, könnte man neidisch werden. Die Fotos zeigen, was das Rennradfahrerherz sich erträumt: steile Asphaltbänder in den Alpen, schmale Landstraßen unter spanischer Sonne, grinsende Gesichter bei einer Ausfahrt mit Freunden oder das lustvolle Leiden bei einem Event. Das Ganze in stylishen Radklamotten auf eleganten Rädern. Wow! Kann es etwas Besseres geben, als diese Radabenteuer zu erleben und dafür auch noch Geld zu bekommen?
240.000 Follower hat Alina Jäger, 27 Jahre, mit ihrem Profil „clippedinandfree“. Die geborene Koblenzerin gehört damit zu den wichtigsten deutschen Radsport-Akteuren auf Instagram – viele würden von solchen Zahlen träumen. Jäger arbeitet seit mehreren Jahren hauptberuflich als Content Creator. Diesen Begriff benutzt sie lieber als den der Influencerin, „weil viele denken, es ist kein Job, den man anerkennen muss“. Die Suche nach dem richtigen Wort ist ein Versuch zu zeigen, dass es um mehr geht, als Spaß auf dem Rad zu haben und nebenbei ein paar Bilder zu knipsen: „Wenn ich mir meine Bildschirmzeit anschaue, dann hab ich einen ganz normalen Vollzeitjob, und das Radfahren kommt eben noch extra.“ Sowohl die Planung im Vorfeld als auch die Nachbereitung koste für jeden Post viel Zeit. Allein für die Bildbearbeitung schätzt sie mindestens 20 Minuten Arbeit pro Foto.
Lohnt sich die viele Arbeit? Laut einer Umfrage der Influencer-Plattform Klear verdienten Micro-Influencer (5.000 bis 30.000 Follower) in den USA mit einem gesponserten Insta-Post im Durchschnitt 160 Euro. Sogenannte Power-Follower (30.000 bis 500.000 Follower) konnten durchschnittlich 500 Euro verlangen. Der Preis, der in Deutschland gezahlt wird, liegt rund ein Drittel darunter. Klingt nach einer tollen Verdienstmöglichkeit – spiegelt aber nicht die Realität im Rennradbereich wider. Hier müssen sich selbst etablierte Rennrad-Influencer in vielen Fällen mit kostenlosen Dienstleistungen oder Material begnügen. Mit ihrer Followerzahl liegt Jäger sehr weit vorne – und muss trotzdem immer wieder erklären, dass sie nicht für lau arbeiten kann: „Nach meinen sieben Jahren, in denen ich das auf Instagram mache, bin ich langsam müde, mich immer noch rechtfertigen zu müssen, dass ich für meinen Beruf auch bezahlt werden möchte.“ Die gleiche Erfahrung teilt auch Roberts. Beide schaffen es, von den sozialen Medien zu leben, müssen aber immer wieder neue Aufträge und Partner finden. Und vor allem immer wieder Reisen planen und Projekte entwickeln, die für neuen Content sorgen.
Das weiß auch Rennradfahrerin Maria Wilke, 32 Jahre, aus Wehr, die stolze 64.000 Follower auf Insta hat. „Du musst Rad fahren, jemanden suchen, der mitfährt und den Content produzieren kann, dann setzt du dich zu Hause noch mal zwei, drei Stunden hin zum Sichten und zum Bearbeiten und überlegst dir, was man schreiben kann.“ Wilke hat seit mehreren Jahren eine Kooperation mit dem Radhersteller Felt und der Bekleidungsmarke Biehler, die ihr kein Geld, sondern nur Produkte geben. Bezahlte Kooperationen hat sie nur zwei-, dreimal jährlich im Reisebereich. „Ich hatte auch überlegt, als Instagram florierte, mehr zu machen. Damals wurde man mit Anfragen überhäuft. Inzwischen bin ich aber froh, dass ich davon nicht meinen Lebensunterhalt bestreiten muss“. Sie arbeite weiter in ihrem Hauptberuf in einem Autohaus – Instagram laufe nur nebenbei. Dabei sind Wilke und Jäger mit ihren Followerzahlen in einem Bereich, den man sich erst hart erarbeiten muss. Beide verdanken das vor allem der Treue männlicher User: Über 80 Prozent ihrer Instagram-Follower sind Männer.
Die 27-jährige Anna Heyder ist mit 1.000 Followern auf Instagram hingegen ein kleiner Fisch im Influencer-Haifischbecken. Die Triathletin startet in der 1. Bundesliga und erreichte 2022 den Vize-Europameistertitel in der Altersklasse Sprintdistanz. Auf der Seite von Liv Cycling Germany wird die Grundschullehrerin als Ambassador aufgeführt. Ihre Arbeit für die Marke findet nur zum Teil im digitalen Raum statt. Für Liv leitet sie lokale Frauenausfahrten, gibt Schrauber- und Triathlon-Workshops für Frauen. Als Gegenleistung bekommt sie nur Rabatte für den Liv-Store in Dresden und Freistartplätze bei Events. Sie freut sich trotzdem über die Kooperation. Ihre wertvollste Bezahlung: glückliche Gesichter bei den Ausfahrten.
Die drei Beispiele zeigen die große Bandbreite der Rennrad-Influencer: Nur sehr wenige mit großer Reichweite können hoffen, ihre Radsportleidenschaft auch über Content in den sozialen Medien zu finanzieren. Weltweit gesehen gibt es rund 50 Millionen Content Creator – Forbes schätzte deren Umsatz auf rund 94 Milliarden Euro. Bezeichnend ist aber, dass nur zwei Millionen Content Creator als Profis eingestuft werden – die anderen 48 Millionen als Amateure, die nebenbei Inhalte produzieren. Auch die Harvard Business Review kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Nur ein bis zwei Prozent der Content Creator auf YouTube und Spotify erwirtschaften genug zum Leben, während der Großteil weit unter dem Mindestgehalt bleibt. Viele Creator investieren Zeit und Kapital in der Hoffnung, dass sich das irgendwann auszahlt. „YouTube zahlt mir durch die Werbung, die die schalten, ungefähr 200 Euro im Monat. Ich filme das selber, lade es selber hoch, aber meinem Video Editor bezahle ich natürlich mehr als das. Es lohnt sich noch nicht, aber ich sehe es als Investment und mache es gerne“, gibt auch Jäger zu. Die Radbranche ist nicht so groß und aufgesplittert in unendlich viele Radsportspielarten - Rennrad-Influencer decken nur einen kleinen Bereich ab. Was von außen wie eine Goldgrube aussieht, ist nur ein großer Schürfgrund mit etwas Glitzerstaub.
Friederike Buckenlei, Marketing Growth Managerin bei Pas Normal Studios, hat in dem Podcast „Eingepackt“ zugegeben, dass die Budgets für Rennrad-Influencer überschätzt würden. Durch die Präsenz in den sozialen Medien würden Marken wie Rapha oder PSN größer wirken, als sie eigentlich sind. In Europa arbeiten rund 30 und in den USA nochmals 20 Leute als Brand Ambassadors mit PSN zusammen. Aktionen wie ein gemeinsames Treffen der 30 europäischen Ambassadors auf Mallorca verschlinge schon viel Geld, und die finanziellen Mittel seien limitiert. Alle Marken müssten aber auch Ausgaben für Pressearbeit, Sponsoring und klassisches Marketing einplanen. Und laufen die Geschäfte schlecht, dann kann das wenige Geld sogar ganz versiegen.
So wie bei der US-Radmarke Specialized, die ihr Brand-Ambassador-Programm radikal gestrichen hat. Kritik gab es vor allem, weil das so plötzlich passierte und manche Influencer mitten in einer Reise von der Nachricht überrascht wurden. Bekannt wurde in dem Zusammenhang auch, dass ein Influencer mit einer überschaubaren Reichweite 1.400 Euro pro Monat verdient. Rechnet man diese Zahl auf die im Internet vermutete Zahl der Specialized-Influencer hoch und nimmt den Wert der bereitgestellten Räder hinzu, landet man schnell im Millionenbereich. Und das ist auch für Specialized eine ernst zu nehmende Größe – vor allem vor dem Hintergrund der momentan schwierigen Marktlage. Die eingebrochenen Umsätze im Fahrradmarkt haben auch für die Markenbotschafter anderer Marken Folgen: Auf breiter Front werden Budgets gekürzt. Obwohl sie eine Viertelmillion Follower hat, sieht es selbst bei Alina Jäger düster aus: „Ich habe viele Sponsoren aus der Radindustrie verloren dieses Jahr, oder die Budgets wurden gekürzt. Ich werde im nächsten Jahr nicht mehr als Vollzeit-Influencerin arbeiten können – zumindest nicht im Bereich Radsport.“ Optimistisch bleibt sie trotzdem und hofft, aus anderen Bereichen Partner zu finden.
Dass der Traumjob Influencer oft mit Druck verbunden ist, zeigt die Umfrage der Plattform Vibely: Demnach haben sich 90 Prozent der Content Creator schon einmal ausgebrannt gefühlt, und 71 Prozent haben überlegt, den Job hinzuwerfen. Die wichtigsten Gründe: der wirtschaftliche Druck und das Gefühl, im Hamsterrad zu sein, jeden Tag neuen Content liefern zu müssen, damit die Follower bedient werden. Noch mehr Sorgen bereiten Änderungen beim Algorithmus der Plattformen. Selbst kleine Änderungen können dazu führen, dass die Sichtbarkeit sich radikal ändert und die eigene Content-Strategie über den Haufen geworfen wird. Maria Wilke merkt seit zwei Jahren, dass ihre Reichweite stagniert und hört das auch von anderen rund um das Thema Rennrad. Ihr Verdacht ist, dass Instagram mehr auf kurze Videos setze und sie diese Reels nicht liefere. „Instagram hat da einen anderen Weg eingeschlagen, weg vom Bereich Foto, hin zum Bereich Kurzvideos, die der allgemeinen Belustigung dienen sollen. Weil ich die nicht liefere, hat mich Instagram abgestraft.“
Oder liegt der Rückgang der Zahlen auch daran, dass einfach zu viele gute Inhalte produziert werden? Julian Cox Roberts, 34 Jahre, arbeitet seit mehreren Jahren hauptberuflich als Rennrad-Influencer / Content Creator, unter anderem für Pinarello. Sein Insta-Profil heißt „pedallingthroughlife“ und hat 12.500 Follower. Der Brite blickt zunehmend kritisch auf den Markt: „Ich habe den Eindruck, die sozialen Medien sind übersättigt und nicht mehr so authentisch wie früher. Nehmen wir die deutsche Marke Biehler – die haben viele Influencer. Aber wenn man sie anschaut, sehen sie alle gleich aus – das ist nicht mehr authentisch.“
Die Radsportnische ist sehr eng, doch blickt man auf die sozialen Medien insgesamt, ist das Geschäft immer noch zukunftsträchtig: Die Investment-Experten Goldman Sachs prognostizieren, dass bis 2027 rund 470 Milliarden Euro durch Content Creator erwirtschaftet werden. Die Banker sagen auch, wo das Geschäft liegt: Nur Verträge mit Marken brächten Geld, Verkaufsprovisionen durch Affiliate-Links, Anzeigen, eigene Dienstleistungen oder Produkte seien nur eine kleine Ergänzung. Roberts Tipp an Neueinsteiger ist: „Überleg dir genau, was du wert bist, wie viel Zeit du reinsteckst und was du verlangen musst. Rechne dir einen realistischen Stundenlohn aus und überlege dann, ob es das wert ist.“ Er erinnert auch an Details, die viele übersehen: „Wenn ich fest angestellt bin, kann ich nicht ein weiteres Einkommen beziehen, ohne dass es klar geregelt ist und bei der Steuererklärung angegeben wird. Selbst wenn man nur ein Produkt geschenkt bekommt, muss man das eigentlich bei der Steuer angeben.“
Im Zeitalter von künstlicher Intelligenz stellt sich noch eine ganz andere Frage: Braucht es in Zukunft überhaupt noch echte Menschen als Rennrad-Influencer, um eine Geschichte im Sinne einer Marke zu erzählen? Erfahrung in dieser Hinsicht hat der Südafrikaner Claudio Pavan. Er hat 2014 die Kunstfigur Ion Göttlich geschaffen. Der muskulöse Sprinter hat rund 80.000 Follower auf Instagram und 20.000 auf YouTube. Ion Göttlich hat bereits für Bora-Hansgrohe, Eurosport und Pro Bikegear geworben – einzelne Videos erzielten bis zu 500.000 Aufrufe. Er ist aber noch klar als gezeichnete Figur erkennbar – schließlich ist Pavan Trickfilmzeichner. Und es steckt harte Arbeit dahinter: An einem 20 Sekunden langen Video arbeitet er 240 Stunden. Mit besseren KI-Programmen könnte der Unterschied zwischen realen und künstlichen Rennrad-Influencern bald nicht mehr erkennbar sein und die Produktion von Content sehr einfach werden.
Pavan ist überzeugt, dass genau das passieren wird und sich ein harter Wettbewerb entwickeln wird, in dem verschiedene AI-Bots um Inhalte konkurrieren. „Es würde mich nicht überraschen, wenn die Menschen dann keine Lust mehr auf den ganzen Content haben“, prophezeit Pavan. Bis es so weit ist, investiert er weiter viel Herzblut in seine Trickfilme, und Alina Jäger hofft, dass ihr doch noch ein Sponsor ermöglicht, 2024 neue Radträume zu finanzieren: „Ich würde gerne zwei Wochen nach Asien, noch mal nach Norwegen, und ich habe die Idee einer Radtour durch Europa.“ Maria Wilke ist froh, dass sie nicht vom Einkommen durch Instagram abhängig ist und will einfach nur, dass es mit überschaubarem Einsatz so weiterläuft wie bisher: „Ich bin glücklich, die Marken sind glücklich und ich bin nicht auf der Suche nach neuen Sponsoren.“ Und Anna Heyder freut sich vor allem auf dankbare Gesichter nach einer gelungenen Ausfahrt.