TOUR: Sie hatten gerade Urlaub nach dem anstrengenden Race Around Austria. Haben Sie sich erholt?
NOWAK: Ich bin ganz viel Rad gefahren, aber das macht mich nicht müde. Ich habe eine Radtour mit Aneta Lamik gemacht, das ist die erste Polin, die das Race Across America gefahren ist, und ich bin in meiner Heimatstadt mit einem Freund gefahren. Er hat gerade das Race Around Poland unsupported gewonnen.
Man erwartet nicht, dass ein Priester so viel Rennrad fährt – wie ist es dazu gekommen?
Das hat erst 2010 angefangen, als ich zum Priester geweiht wurde. Mein Pfarrer in Polen hatte montags immer frei und erzählte dienstags beim Frühstück, wo er mit dem Rad hingefahren ist. Ich hatte an dem Tag wenige Stunden Unterricht und bin dann die gleiche Strecke gefahren. Und an meinen freien Tagen fuhr ich mit dem Rennrad zu meinen Eltern – das waren 80 Kilometer hin und 80 zurück.
Die ersten längeren Strecken haben Sie bei einer Rennrad-Pilgerfahrt durch Polen absolviert?
Ja, das war während Corona 2021. Da bin ich zehn Tage durch Polen gefahren und habe die Marienwallfahrtsorte besucht. Irgendwie war mir das zu wenig und ich suchte eine neue Herausforderung. Dann habe ich vom Everesting gehört und wusste: das will ich machen. 2023 bin ich als Charity-Aktion für ein erkranktes Kind ein Everesting in Polen gefahren.
Offensichtlich hat es so großen Spaß gemacht, dass Sie immer noch mehr wollten?
Beim Everesting hat mich ein paar Stunden ein Rad-Kollege begleitet und gefragt: Wann fährst du deinen ersten Tausender? Das hat mich auf die Idee gebracht. Ich bin dann in Polen 1000 Kilometer für ein krankes Kind gefahren. Das Kind war herzkrank, deshalb habe ich die Strecke in Herz-Form zurückgelegt. Mein Bischof in Hildesheim hat das mitbekommen und gefragt, ob ich so etwas auch in Deutschland machen würde. Daraus ist die nächste Idee entstanden: 1200 Kilometer ohne Schlaf rund um das Bistum zu fahren und Spenden für die Kinderkrankenschwestern Bremer Engel zu sammeln. Ich bin da 2024 in Hildesheim vorbeigekommen und hatte ein zweites Rennrad dabei – da fuhr der Bischof sogar ein kurzes Stück mit. Die nächste Idee war, einmal rund um Polen zu fahren. Beim Race Around Poland kann ich aber nicht mitfahren, weil ich zu dem Zeitpunkt nie Urlaub bekomme. Ich habe daher 2024 Polen alleine umrundet: 3652 Kilometer und 22.936 Höhenmeter in zehn Tagen.
Was gefällt Ihnen am Extremradsport?
Beim Ultracycling kann man erfahren, wie wenig der Mensch zum Leben braucht oder wie man mit wenig Sachen glücklich sein kann. Als ich rund um Polen mit meinem Vater gefahren bin, da habe ich zehn Nächte im Auto geschlafen und vor dem Auto geduscht.
Wer betreut Sie bei Ihren Fahrten?
Mein Vater hat mich bei vielen Fahrten betreut, auch mein Bruder ist oft mitgefahren. Ich muss an dieser Stelle Dank an meinen Vater sagen, weil er mich bei allen verrückten Aktionen unterstützt. Beim Race Around Austria waren auch zwei Gemeindemitglieder mit einem Camper dabei, aber das hat nicht so gut funktioniert. Ich möchte nicht schlecht über sie reden, aber ich glaube sie haben bis zum Schluss nicht verstanden, was Ultracycling bedeutet und was ihre Aufgabe ist. Sie hatten Sachen zum Grillen mitgenommen, konnten Google Maps nicht lesen und haben das Live-Tracking nicht verstanden.
Wenn man etwas für Kinder macht, bewegt das die Herzen von anderen Menschen. Und es geht nicht nur um Spenden, sondern auch um Motivation. - Pawel Nowak
Warum dreht es sich bei Ihren Charity-Fahrten immer um Kinder?
Angefangen habe ich damit für ein krankes Kind von einem Bekannten. Als Priester habe ich keine Kinder und deshalb sind die anderen Kinder auch meine Kinder. Kinder sind klein und unschuldig, und wenn man etwas für kranke Kinder macht, bewegt das die Herzen von anderen Menschen. Und es geht nicht nur um Spenden, sondern auch um Motivation. Bei der Rom-Fahrt musste ich kämpfen, und ich denke, wenn die Betreuer mit den kranken Kindern oder der Familie sprechen und davon erzählen, könnte das eine psychologische Wirkung haben. Gerade bei Krebs spielt auch die Einstellung eine Rolle – wie kämpfe ich gegen die Krankheit.
Wie schaffen Sie es, über so lange Stunden auf dem Rad durchzuhalten?
Wenn ich fahre, dann setze ich mir immer kleine Ziele, denke nur an die nächste Etappe. Wenn ich zum Beispiel mit dem Begleitfahrzeug in 100 Kilometern verabredet bin, dann denke ich an diese 100 Kilometer und nicht daran, was danach kommt. Nachts schaue ich immer bis zum Morgen, und dann kommt der neue Tag. Ich muss zugeben, bei der Fahrt nach Rom war ich nach vier Tagen wirklich sehr müde, auch durch das Wetter. In Deutschland und Österreich war es sehr kalt und nass und dann wurde es plötzlich sehr warm, 37 Grad und mehr.
Bei Ihrer Nonstop-Charity-Fahrt nach Rom für ein Kinderhospiz ist nach der Generalaudienz beim Papst das Foto mit Leo XIV. entstanden. Konnten Sie auch mit ihm sprechen?
Der Papst wartet am Altar und es dauert lange, bis alle drankommen – der Petersplatz ist dann schon leer. Ich habe dem Papst gesagt, wer ich bin, was ich mache, und ihm einen Brief der Kinder überreicht. Man muss sich vorstellen: Da kommt plötzlich diese Person und erzählt dir, sie sei drei Tage und drei Nächte ohne Schlaf mit dem Rad nach Rom gefahren. Er hört so viele Geschichten ... Er hat mich gesegnet und ich habe gefragt, ob ich ein Selfie mit ihm machen kann.
Ihre härteste Ultracycling-Fahrt war das Race Around Austria in diesem Jahr über 2152 Kilometer – wie viel haben Sie während des Rennens geschlafen?
Die erste Nacht gar nicht, in der zweiten Nacht vielleicht eine Stunde auf einer Matte am Parkplatz. Meine Hand hatte ich in den Speichen, damit mir mein Rad nicht geklaut wird. Das Begleitauto war so voll, das hätten wir erst ausräumen müssen, was zu lange gedauert hätte. Die dritte und die vierte Nacht habe ich gar nicht geschlafen. Nur tagsüber Sekundenschlaf auf dem Parkplatz. Die fünfte Nacht war die mit Gewitter, und da haben mein Vater, mein Bruder und ich eine Stunde im Auto geschlafen.
Verstehen die Menschen in Ihrer Kirchengemeinde, was Sie da machen?
Das verstehen wahrscheinlich ganz viele nicht. Die wissen nicht, wie das läuft, und man kann es nur schwer erklären. Ich wiederhole immer wieder, die Beine und die Kondition sind wichtig, aber das Wichtigste ist der Kopf. Das kann man nicht vorher üben. Jede Ultradistanz ist anders, jede Nacht, die ich nicht geschlafen habe, ist anders und da fühlt man sich auch anders. Das wird wahrscheinlich keiner verstehen, der noch nicht mehr als 24 Stunden gefahren ist.
Wie schaffen Sie es, durchzuhalten?
Ich habe einfach ein Ziel vor Augen, und ich mag eine Herausforderung für mich selbst, ich will mir etwas zeigen, über meine Grenzen gehen und mich selbst prüfen. Auch mich selbst vielleicht besser kennenlernen, um zu wissen, was ich kann.
Wo ist der Bezug zu Ihrem Glauben?
Wenn es um Radfahren geht, denke ich: Es hilft, wenn es um die geistliche Seite geht. Also das, was der Papst in diesem Jahr zu den Fahrern des Giro d’Italia (Papst Leo XIV. begrüßte das Peloton des Giro vor dem Start der letzten Etappe mit Start und Ziel in Rom, Anm. d.Red.) gesagt hat: Wenn sie sich um den Körper kümmern, wenn sie versuchen, im Sport etwas zu erreichen, versuchen sie auch etwas im geistlichen Leben zu erreichen. Ultracycling hilft in meinem Beruf, wenn es um Geduld geht. Wenn ich es geistlich sehe, dann hilft es mir auch, gegen verschiedene Versuchungen zu kämpfen. Wenn ich müde bin, habe ich keine Kraft mehr, über Dummheiten nachzudenken, zu sündigen. Was auch ganz wichtig ist beim Ultracycling: Man muss gut organisiert sein. Jeder Schritt muss geplant werden und das hilft im ganz normalen Leben. Im Priesterberuf ist das auch wichtig.
Was fragen Menschen Sie, die nicht aus dem Radsport kommen?
Ob es gefährlich und gesund ist. Viele Außenstehende fragen sich auch: arbeitet er überhaupt oder fährt er nur Rad? Und da kommen wir wieder zur Zeitplanung. Ich trainiere viel auf dem Hometrainer und bin in diesem Jahr sehr viel nachts gefahren. Also zum Beispiel nach der Vorabendmesse, wenn ich um 20 Uhr nach Hause komme. Erst dann trainiere ich: 100 Kilometer oder auch mehr. Im vergangenen Jahr war ich auch ganz früh mit dem Rad unterwegs, um vier Uhr morgens.
Wie oft trainieren Sie?
Ich weiß nicht, ob ich das jetzt laut sagen darf: Eigentlich jeden Tag. Ich muss mich wirklich ganz schlecht fühlen, um nicht zu fahren oder wirklich keine Zeit haben. Meine jährliche Leistung sind um die 30.000 Kilometer mit dem Rad – in den beiden vergangenen Jahren bin ich über 40.000 Kilometer gefahren. Rechnerisch rund um den Äquator zu fahren – das wollte ich schaffen.
Ich habe jetzt für zwei Jahre die Qualifikation für das Race Across America. Wenn ich Urlaub bekomme, setzte ich alle meine Kräfte ein, um diesen Traum zu realisieren. - Pawel Nowak
Wundern sich die Leute aus der Ultracycling-Szene, wenn sie erfahren, dass Sie Priester sind?
Die wundern sich bestimmt. Wenn wir die Menschen auf der Straße fragen würden, welche Vorstellungen sie von Priestern haben – das sind meistens ganz andere als ein richtiger Sportler. Ich weiß nicht, wie das in Deutschland ist, aber in Polen haben die meisten wohl dicke alte Männer vor Augen, die mit Bewegung nicht so viel zu tun haben. Letztendlich gibt das, was ich bis jetzt gemacht habe, auch ein gutes Bild für die katholische Kirche. Wenn man über die katholische Kirche liest oder hört, sind das meist negative Berichte, und leider nur über Missbrauch, oder dass man das Geld irgendwo falsch benutzt hat.
Was für kommende Projekte haben Sie im Kopf?
Ein Traum ist das Race Across America (abgekürzt RAAM, Anm. d. Red.). Durch das Race Around Austria habe ich für zwei Jahre die Qualifikation für das RAAM. Wenn ich Urlaub bekomme, dann setze ich alle meine Kräfte ein, um diesen Traum zu realisieren. Davon träume ich schon seit Jahren, und ich war immer sehr traurig, dass man sich qualifizieren muss. Für mich schien es immer unerreichbar und jetzt, wo ich die Qualifikation habe, hoffe ich, dass es nächstes Jahr klappt, oder sonst 2027.
Wie kommt ein Priester darauf, vom RAAM zu träumen?
Mein Traum war immer, Amerika zu besuchen, und das hat etwas mit diesem American Dream zu tun. Es ist nicht alles wunderbar in Amerika, aber wenn es um Ultracycling geht, dann sagen alle, dass dieses Rennen etwas Besonderes ist.
Die Teilnahme am RAAM ist extrem aufwendig und sehr teuer. Haben Sie sich darüber schon Gedanken gemacht?
Ja, ich habe mich mit Aneta Lamik getroffen, der ersten Polin, die das RAAM gefahren ist. Ihre Geschichte ist sehr beeindruckend und sehr verrückt. Sie ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, und sie hat einfach einen Kredit aufgenommen, um in Amerika zu starten. Wahrscheinlich würde ich das Gleiche machen, um beim RAAM zu starten, wenn ich Urlaub bekomme. Das ist die einzige Sache, die ich nicht selbst entscheiden kann. Ich brauche die Erlaubnis vom Bischof. Wenn ich keine Sponsoren und Unterstützer finde, gehe ich zur Bank und bitte um einen Kredit. Wenn ich in Amerika starte, werde ich der erste Priester sein, der die Strecke gefahren ist.
Pawel Nowak wurde 1985 in Dębica in Polen geboren und dort als katholischer Priester ausgebildet und geweiht. Seit 2014 lebt er in Deutschland, derzeit arbeitet er als Pastor im Dekanat Bremen-Nord. Seit seiner Priesterausbildung ist er mit dem Rennrad unterwegs und unternahm in den vergangenen Jahren verschiedene Ultracycling-Fahrten, oft verbunden mit Charity-Aktionen. 2023 absolvierte er ein Everesting, 2024 eine Fahrt Rund um Polen und eine Nonstop-Fahrt rund um sein Bistum. In diesem Jahr fuhr er für ein Kinderhospiz nonstop bis kurz vor Rom und nahm dann an einer Generalaudienz bei Papst Leo XIV. teil. Nur wenige Tage später ging er beim Race Around Austria (RAA) an den Start. In vier Tagen, 19 Stunden und 41 Minuten absolvierte er die 2152 Kilometer und 30.000 Höhenmeter und belegte damit den siebten Rang. Damit hat er sich für das Race Across America qualifiziert. 2024 legte er rund 40.000 Kilometer auf dem Rennrad zurück.
pastoronbike: @pastoronbike