Olympia-FavoritinPauline Grabosch: “Wir möchten Olympiasieger werden”

Tim Farin

 · 28.01.2024

Pauline Grabosch, Bahnradsportlerin
Foto: dpa; picture alliance; Frank Hammerschmidt
Pauline Grabosch ist vielmalige Weltmeisterin und als Bahnsprinterin mit ihrem Team eine der Favoritinnen für Olympia in Paris. Besuch bei einer starken Athletin.

Interview mit Pauline Grabosch

TOUR: Frau Grabosch, wenn wir hier so sitzen mit Aufnahmegerät und ausgerichteter Kamera, genießen Sie diesen Teil Ihres Lebens, die Öffentlichkeit?

GRABOSCH: Ja, schon. Vor der Kamera fühle ich mich wohl. Als Sportlerin bin ich damit groß geworden. Manche finden das vielleicht lästig. Ich sehe es als Chance, mich zu artikulieren oder zu präsentieren. Das gehört zu den Herausforderungen eines Sportlers. Ich finde die Arbeit mit Medien grundsätzlich echt schön.

Sie sind also eine Person, die sich gerne öffnet.

Ja, definitiv. Ich habe dieses Jahr auch bei der Champions League erstmals als Kommentatorin vor der Kamera gestanden. Den Radsport besser verkaufen, nach außen öffnen, das ist schon so ein Träumchen von mir. Es ist ein Ziel für mich und sicherlich auch unser Bahn-Gold-Trio, dem Bahnradsport ein Gesicht zu geben. So können wir uns greifbar machen als Menschen. Dazu gehört Öffentlichkeitsarbeit: Interviews, Fernsehauftritte, Social Media. Das läuft für mich alles neben dem Sport. Aber klar: Zuerst bin ich Sportlerin mit großen Zielen. Und natürlich dränge ich mich nicht in den Vordergrund, sondern erkenne die Leistung der anderen an.

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Haben Sie sich den Umgang mit den Medien selbst erarbeitet?

Ich suche meinen eigenen Weg. Wie möchte ich nach außen wirken? Was ist mir wirklich wichtig? Wenn ich öffentlich auftrete, ist das kein “fishing for compliments”. Ich möchte als Mensch wahrgenommen werden, mit Authentizität, nicht nur als Sportlerin. Ich frage nach dem Warum, wenn ich etwas mache, das gilt gerade auch für meinen Sport. Ich sage es mal so: Sportlerin ist eine wichtige Rolle. Aber man kann in dieser Sportwelt ganz schnell den Menschen in sich verlieren. Der Sportler in einem wächst, dabei verlernt man so manch anderes. Für mich ist es ein großes Ziel, im Olympiajahr 2024 auch den Menschen Pauline Grabosch mitzunehmen, den Prozess zu genießen.

Pauline Grabosch, BahnradsportlerinFoto: dpa; picture alliance; Frank HammerschmidtPauline Grabosch, Bahnradsportlerin

Kann denn der Mensch Pauline Grabosch all das machen, was er gern machen würde? Oder müssen Teile der Persönlichkeit noch geparkt werden, weil der Leistungssport so eine große Rolle spielt?

Interessante Frage. Manches muss geparkt werden. Zum Beispiel Zeit mit der Familie und Freunden, ein konstantes Privatleben. Vielleicht sogar Hobbys, die man mit mehr Zeitaufwand betreiben wollen würde. Ich würde gern regelmäßig jede Woche etwas in einer Gruppe machen, wo ich Pauline bin und nicht die Top-Sportlerin. Dann trifft man sich mittwochabends mit den Bekannten zum Tanzen, das fände ich cool. Ich bereue natürlich nicht, dass es gerade anders ist. Für manches wird erst später Zeit sein. Aber ich habe gelernt, dass ich auf mich selbst aufpassen muss, damit ich die neue Saison mit den Mädels richtig rocken kann – für mich und für mein Team.

Wenn Sie sich nach dem Warum in Ihrem Sportlerleben fragen – was antworten Sie?

Ich kann keine einfache Antwort geben, aber ich glaube, viele Menschen denken darüber nicht nach. Ich habe das über Jahre auch nicht getan. Man macht die Dinge halt einfach. Das möchte ich ändern, Dinge bewusster machen. Ich hatte immer einen Kindheitstraum und der gilt noch: Ich möchte das Olympiagold. Ich wollte aber auch Weltmeisterin werden, und das bin ich jetzt. Aber das reine Ergebnis reicht mir nicht. Das habe ich begriffen, ich möchte den Prozess dorthin genießen können. Und ich möchte ein Vorbild sein, wie ich es mir als Kind gewünscht hätte, später dann eine coole Mama, eine coole Oma. Es geht mir darum, Sinnvolles zu tun.

Ich hatte immer einen Kindheitstraum und der gilt noch: Ich möchte das Olympiagold. - Pauline Grabosch

Pauline Graboschs Weg zum Radsport

Ihre Eltern waren auch Sportler. War es eine klare Sache, dass Sie Leistungssportlerin würden?

Klares Nein. Angefangen habe ich mit Ballett, mit Klavier. Ich war auf einem internationalen Gymnasium, wollte eigentlich in Frankreich oder woanders im Ausland studieren. Ich wollte Sprachen lernen, vielleicht internationales Management. Dann bin ich eher so durch Zufall in diesen Sport geraten und geblieben.

Durch Zufall?

Ich habe erst Leichtathletik und dann Radsport ausprobiert, war aber zu schlecht und zu schwerfällig für die Straße. Ich hatte aber immer recht viel Kraft und in meinem Heimatverein einen Trainer, der den Mut hatte, mit mir etwas anderes zu probieren. Danach waren es viele glückliche Fügungen. Und es gab die Unterstützung meiner Eltern. Meine Mutter hat mal gefragt, ob ich Weltmeisterin werden wolle. Als ich Ja sagte, haben wir auch die Schulausbildung danach ausgerichtet.

Profitieren Sie im Sport von Ihrer Genetik?

Grundsätzlich hatte ich immer eine Sportlerstatur, war kraftvoll. Man muss erst lernen, das nicht negativ einzuschätzen. Für Frauen ist das schwieriger zu verdauen, in der Pubertät vor allem. Der Körper verändert sich und man hört Leute sagen: Die sieht anders aus als andere Mädels. Da muss man erst eine positive Verbindung zum eigenen Körper aufbauen. Diese Art Feedback gibt es überall, auch im Sport. Bei uns ist alles messbar. Es geht um Zeiten. Wenn die nicht stimmen, sucht man nach Gründen. Da kann es auch um körperliche Konstitution gehen. Mein Körper ist mein Kapital, und es ist viel Vertrauen nötig, wenn andere Menschen darauf Einfluss nehmen, um ihn zu optimieren.

Mit 16 unterboten Sie einen Weltrekord, den bis dahin acht Jahre lang Kristina Vogel gehalten hatte. War das so ein Moment, wo Sie wussten: Das wird eine erfolgreiche Laufbahn?

Das ist eine typisch deutsche Attitüde. Denn man ist nie fertig. Ich habe mich natürlich oft gefreut über Junioren-Weltrekorde. Aber das ändert nichts. In solchen Erfolgsmomenten wird man als junge Sportlerin geschüttelt. Die Leute reden auf einen ein. Das überfordert. Aber man lernt bestenfalls dazu. Erfolg bringt Herausforderungen und ist nicht nur schön. Es gibt eine Bürde, wenn man den Regenbogen auf dem Trikot trägt. Darauf bereitet dich niemand vor. Man steht da und fragt sich, was man mit dem Erfolg und dem Druck machen soll. Darf ich Sie mal fragen, wie Sie Erfolg mit einem Wort benennen würden?

Besserwerden.

Interessant. Man sieht jetzt die Motivation hinter dem, was Sie machen. Im Sport ist das auch so. Nur sind wir auch wie Künstler, wie Promis aus dem Fernsehen. Da erwarten auch viele andere Menschen etwas von uns. Weltmeister sein ist Ehre und eine Bürde. Man verliert den Titel wieder, oder alle Welt erwartet, dass man wieder gewinnt. Wie sich das anfühlt, dieser Druck, das weiß nur jemand, der es selbst erlebt hat.

Mein Körper ist mein Kapital, und es ist viel Vertrauen nötig, wenn andere Menschen darauf Einfluss nehmen, ihn zu optimieren. - Pauline Grabosch

Sie studieren Gesundheitspsychologie. Hilft Ihnen der Inhalt Ihres Studiums auch im Umgang mit Ihrem eigenen Druck und Ihren Ängsten?

Ja und nein. Ich bin ein sehr verkopfter und emotionaler Mensch. Mehr Wissen bedeutet mehr Gedanken, mehr Zweifel. Aber es ist schon so, dass ich im Studium Sachen lerne, die ich irgendwann anwenden kann. Ich bin mir sicher, dass mich dieses Wissen auch weiterbringt, damit ich anderen Menschen einen Mehrwert bieten kann. Aber erst mal möchte ich diesen Mehrwert, dieses Wissen über Psychologie bei mir selbst anwenden als Sportlerin. Ich merke oft, dass mir Sachen weiterhelfen, die ich teilweise vor ein paar Semestern gelernt habe.

Der Radsport galt lange gegenüber Aspekten der Psyche als verschlossen. Kommt das immer noch zu kurz?

Ich denke, wir müssen darüber offener reden. Es geht nicht darum, Schwäche zu zeigen, sondern sich treu zu bleiben. Wenn ich hier etwas sage, dann soll das auch meine Gefühle widerspiegeln. Ansonsten droht mir, dass ich mich nicht mehr spüre und mich verliere. Deshalb finde ich es wichtig, mal zu sagen: Die Frage finde ich unangenehm. Oder: Mir geht es gerade nicht gut. Menschlichkeit zeigen ist superwichtig.

Pauline Grabosch hat in ihrer Karriere schon viele Goldmedaillen geholt. Im Sommer soll die olympische dazukommen.Foto: dpa; picture alliance; Frank HammerschmidtPauline Grabosch hat in ihrer Karriere schon viele Goldmedaillen geholt. Im Sommer soll die olympische dazukommen.

Sie sind Teil eines Teams, das Weltrekorde hier und WM-Titel da geholt hat. Was aber bedeutet so etwas, wie eng sind Sie da miteinander?

Ich denke, in der Vergangenheit fuhren Fahrerinnen nur jeweils ihre Runde und haben sich miteinander gefreut. Bei uns ist das anders. Wir sind jetzt jahrelang miteinander gewachsen, auch gegeneinander. Denn wir fahren ja auch als Konkurrentinnen, das darf man nicht vergessen. Das ist nicht easy. Unsere große Stärke ist, dass wir gelernt haben, uns als Team gegenseitig in die richtige Richtung zu schieben, auch wenn es unangenehm wird. Wir verbringen viel Zeit miteinander, teilen Zimmer, haben wenig Privatsphäre. Wir nehmen die Meinungen der anderen an. Das ist fast Beziehungscoaching. Wir haben keinen Nine-to-five-Job, bei dem wir abends eine Lasagne kochen und Abstand gewinnen. Wir haben dieselben Ziele, die wir aber nur zusammen erreichen können.

Sind Sie Freundinnen, Kolleginnen oder wie würden Sie Ihr Verhältnis nennen?

Ich kann es nicht so einfach sagen. Wir respektieren uns als Menschen und Sportler. Wir müssen nicht jedes persönliche Geheimnis voneinander wissen oder jeden Abend Tee zusammen trinken. Wir sind schon viermal nacheinander miteinander Weltmeister geworden und dabei nie fertig gewesen. Wir möchten nächstes Jahr Olympiasieger werden. Also sind wir sehr präsent. Wir entwickeln uns. Wir holen die anderen auch zurück, wenn sie in die falsche Richtung gehen.

Wie viel Zeit verbringen Sie miteinander?

Wir trainieren hier in Cottbus jede Woche sechs Tage zusammen. Wir kennen einander so gut, dass wir genau wissen, wie wir uns bei wem auf dem Zimmer verhalten. Da gibt es unterschiedliche Dynamiken, weil unterschiedliche Individuen zusammenkommen.

Ein Individuum sind Sie. Wäre es für Sie wichtig, auch als Einzelsportlerin, unabhängig von diesem Team, Titel zu gewinnen?

Ich trage das Trikot ja auch als Individuum. Aber ich würde lügen, wenn ich es abstreiten würde: Natürlich will ich als Einzelathletin Medaillen. Jetzt muss ich mich aber einordnen, mit zwei der weltbesten Individualfahrerinnen. Natürlich kämpfe ich bei jedem Einzelstart. Aber ich habe 2024 eine Priorität: Das ist mein Input in das Team, ins Team Deutschland bei Olympia. Meine Runde beim Teamsprint ist auch ein individueller Erfolg. Fünfmal war ich im Teamsprint Weltmeister, jedes Mal mit ganz anderer Dynamik auf anderer Bahn.



Ziele für Paris 2024

Können Sie umreißen, welches Ziel Sie genau bei Olympia verfolgen?

Olympia steht immer unter einem anderen Stern als die WM. Jeder will jetzt noch mal mehr. Ich denke, ich spreche für die Mädels, wenn ich sage: Wir sind dort im Velodrom schon richtig schnell gefahren und wollen noch schneller sein. Wir wollen uns hinterher in die Augen schauen und sagen: Wir haben alles gegeben. Ob es dann der erste Platz wird oder der zweite oder der achte, liegt nicht in unserer Gewalt. Das ist ein bisschen erwartbar als Antwort, aber es ist eben so. Klar wollen wir gewinnen. Aber es wäre nicht angemessen, vorher zu sagen, dass wir auch gewinnen werden.

Sie waren 2021 als Ersatz bei den Spielen in Tokio, kamen aber nicht zum Einsatz. War das eine große Enttäuschung, die Sie überwinden wollen?

Als ich hingefahren bin, hat es schon wehgetan. Aber danach war es besser. Heute kann ich sagen: Ich habe viel mitgenommen aus dieser Rolle. Ich hatte einen wichtigen Job für das deutsche Team, ich war für den Einsatzfall bereit und habe im Hintergrund versucht, meinen Beitrag zu leisten. Ich bin mir heute sicher, dass auch eine Ersatzfahrerin Anteil am Teamerfolg hat. Und nur in dieser Position versteht man, wie sich das anfühlt, dort zu sein und es auszuhalten. Ich habe, mit Abstand und Zeit, dazugelernt. Die Sache ist vielseitig: Dabeisein ist nicht alles. Die Mädels haben abgeliefert. Ich war stolz und zugleich zerrissen. Aber so etwas gehört zu einer Laufbahn.

2024 allerdings nicht. Was bedeutet Olympia für eine Sportlerin, die dabei sein darf?

Ich sage es kurz: für die Ewigkeit. Olympia trägt man in sich. Wie viele Menschen haben es geschafft, können sich Olympioniken nennen? Es wird dort um Medaillen gehen. Aber du hast es schon bis dort geschafft, bist deinen Weg gegangen. Darf ich etwas Kritisches in Richtung Sportreporter sagen?

Nur zu!

Journalisten sollten das Wort “nur” aus ihrem Wortschatz streichen, wenn sie mit Sportlern sprechen. Wenn jemand Dritter wird oder Sechster und sich dann vor dem Mikro entblößt und dann dieses “nur” hört. Das ist unangemessen. Es missachtet, was der Mensch geleistet hat. Als Sportler darf man auch mal stolz sein und den Moment genießen. Es ist nicht “nur” ein Platz, es ist eine Lebensleistung.

"Ich hatte immer einen Kindheitstraum und der gilt noch: Ich möchte das Olympiagold." - Pauline GraboschFoto: dpa; pa; Frank Hammerschmidt"Ich hatte immer einen Kindheitstraum und der gilt noch: Ich möchte das Olympiagold." - Pauline Grabosch

Wie sehr freuen Sie sich auf Paris?

Ich nehme mir fest vor, jeden Moment dort zu genießen. Mit jeder Emotion, die dazugehört, und auch den Ängsten. Die Olympischen Spiele sind ein einmaliges sportliches Erlebnis für jeden, der dort ist. Man darf die Magie und den Zauber nicht durch negative Dinge ins falsche Licht rücken.

Ich nehme mir fest vor, jeden Moment in Paris zu genießen. Mit jeder Emotion, die dazugehört, und auch mit den Ängsten. - Pauline Grabosch


Zu Pauline Grabosch

Pauline Grabosch wurde am 14. Januar 1998 in Magdeburg geboren und lebt in Cottbus. Die Bahnspezialistin ging mit 16 Jahren auf die Sport-Eliteschule in Kaiserslautern, danach nach Erfurt. Ihren ersten Titel als Deutsche Meisterin errang sie 2014 in der Jugend (Sprint). Bei den Junioren sicherte sie sich drei Einzel-WM-Titel und Gold im Teamsprint mit Emma Hinze. Ihren ersten Elite-WM-Titel gewann sie 2018 gemeinsam mit Kristina Vogel und Miriam Welte im Teamsprint. Es folgten in dieser Disziplin weitere vier WM-Siege, gemeinsam mit Lea Sophie Friedrich und Emma Hinze. Grabosch gehört der Sportförderkompanie der Bundeswehr an und ist liiert mit dem australischen Bahnsprinter Matthew Richardson.

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