TOUR: Sie sind im Alter von 22 Jahren schon MTB-Weltmeisterin und haben bei der vergangenen Tour de France Femmes eine Etappe sowie das Weiße Trikot der besten Nachwuchsfahrerin gewonnen. Nehmen Sie uns doch mal mit auf die Reise, wie eigentlich alles begann.
Puck Pieterse: Wir sind eine sehr aktive Familie, mein Vater fuhr früher schon regelmäßig Mountainbike und hat meine Schwester und mich immer mitgenommen. Als ich sieben Jahre alt war, veranstaltete unser Heimatverein in Amersfoort ein Kinderrennen. Da wollte ich unbedingt teilnehmen und habe es direkt gewonnen. Danach war die Euphorie bei mir so groß, dass ich fortan regelmäßig Rennen gefahren bin.
TOUR: Sie begannen Ihre Rennkarriere auf dem Mountainbike?
Puck Pieterse: Nein, in dem Club gab es damals keine Angebote für Mountainbike und Cyclocross, also habe ich zu Beginn nur Rennen auf der Straße bestritten. Erst als ich neun Jahre alt war, gab es ein kontinuierliches Angebot für Cyclocross. In den Jahren darauf bin ich dann recht wenig Mountainbike und hauptsächlich Cross- und Straßenrennen gefahren. Als ich 17 war, kehrte sich das ein wenig um. Für diese Altersklasse gab es große und wichtige Mountainbikerennen in Belgien, die ich bestreiten wollte. Von da an war ich erst mal weniger auf dem Straßenrad unterwegs.
TOUR: Wie sind Sie aufgewachsen und wer oder welches Ereignis hat Sie auf Ihrem Weg am meisten geprägt?
Puck Pieterse: Ich komme aus einer völlig normalen Familie. Meine Eltern arbeiten beide, aber nicht in Vollzeit. So haben mich beide schon als Kind und Jugendliche zu jedem Rennen begleitet und auch sonst in jeglicher Hinsicht unterstützt. Der Radsport-Enthusiasmus meines Vaters war ein Riesenvorteil für meine Entwicklung und ist es immer noch. Auch heute fährt er noch gemeinsam mit mir in meinem Camper zu jedem meiner Crossrennen.
TOUR: Ihre zwei Jahre ältere Schwester Isa ist auch Rennfahrerin, aber nicht so erfolgreich wie Sie. Sie sind beide mit der gleichen elterlichen Unterstützung aufgewachsen. Warum sind Sie erfolgreicher als Isa?
Puck Pieterse: Das ist eine interessante Frage! Isa hat auf jeden Fall auch Talent, hatte aber schon in jüngeren Jahren auch viele andere Interessen neben dem Radfahren. Ich hingegen war schon immer sehr konkurrenz- und wettkampforientiert, immer mit dem vollen Fokus auf meinen Sport. Ich konnte auch schon als Kind tiefer gehen, mich mehr quälen. Das macht in der Leistungsentwicklung sicherlich einen Unterschied. Vielleicht hatte ich es als die Jüngere aber auch in manchen Situationen leichter als meine Schwester. (Lacht)
TOUR: Nach seinem Karriereende hat der ehemalige Radprofi Simon Geschke in einem Interview angemerkt, dass es im Peloton heute viel ernsthafter als noch vor Jahren zugehen würde. Den Radprofis sei der Spaß abhandengekommen. Schaut man sich Ihre Social-Media-Kanäle an, scheint das auf Sie nicht zuzutreffen. Wie ist Puck Pieterse abseits des Sports?
Puck Pieterse: Ich glaube, es ist normal, dass man im Laufe der Jahre etwas an Unbeschwertheit und Spaß verliert. Für mich trifft das bislang aber definitiv nicht zu! Ich mag den sozialen Aspekt beim Radfahren und bin auch außerhalb des Sports ein sehr geselliger Mensch, der gerne neue Leute kennenlernt. Auf Training, Ernährung und all die anderen Dinge zu achten ist schon ernst genug – drum herum möchte ich mein Leben mit möglichst viel Freude mit anderen Menschen teilen.
TOUR: Auf dem Podium nippen Ihre Konkurrentinnen nur am Bierglas, Sie hingegen trinken es aus. Auf Ihren Strava-Posts sieht man nahezu jeden Tag Bilder mit Kuchen. Ist es auch diese Lockerheit, die Sie so erfolgreich macht?
Puck Pieterse: Ja, definitiv! Es braucht für mich eine gute Balance aus Fokus auf den Job und einer großen Portion Lockerheit. Wenn ich mich mit einem Kuchen-Stopp während des Trainings am Ende des Tages zu Hause glücklicher fühle, warum in aller Welt sollte ich darauf dann verzichten? Aber ich kann da natürlich nur für mich sprechen. Ich werde dieses schöne Ritual auf jeden Fall weiter beibehalten.
TOUR: In welchen anderen Lebensbereichen außerhalb des Radsports möchten Sie in Zukunft auch erfolgreich sein?
Puck Pieterse: In den letzten vier Jahren habe ich Human Movement Science an der Vrije Universiteit in Amsterdam studiert und vor einem Monat erfolgreich meinen Bachelor abgeschlossen. In meiner noch jungen Karriere habe ich natürlich noch keinen wirklichen Plan für danach, aber mich interessieren vor allem die unterschiedlichen Aspekte des Trainings. Ich könnte mir aktuell sehr gut vorstellen, nach der Karriere als Coach zu arbeiten.
TOUR: Mathieu van der Poel und Wout van Aert liefern sich legendäre Duelle, sowohl im Cross als auch auf der Straße. Werden wir in den nächsten Jahren einen ähnlichen Zweikampf zwischen Ihnen und Cross-Weltmeisterin Fem van Empel erleben?
Puck Pieterse: Es zehrt schon manchmal an den Nerven, wenn du dich in all den Crossrennen immer wieder mit der gleichen Person bekämpfst. Aber am Ende des Tages macht mich genau diese Konstellation natürlich auch besser. Eine ähnliche Rivalität wie zwischen van der Poel und van Aert wäre natürlich cool für den Frauenradsport. Große Kämpfe und eine hohe Leistungsdichte machen den Frauenradsport allgemein noch faszinierender – das beste Beispiel dafür haben wir bei der Tour 2024 mit dem Sekundenkrimi zwischen Niewiadoma und Vollering gesehen.
TOUR: Können Sie besondere Eigenschaften benennen, die es braucht, um in allen drei Disziplinen so erfolgreich zu sein wie Sie?
Puck Pieterse: Man braucht eine sehr hohe Flexibilität, und das nicht nur was unterschiedliche Trainingsformen angeht. Auch der immer wiederkehrende Wechsel zwischen den unterschiedlichen Fahrradtypen macht es nicht einfacher. Jedes Rad erfordert im Handling seine ganz spezifischen Skills.
TOUR: Das gilt wahrscheinlich auch für Ihre Trainingssteuerung.
Puck Pieterse: Ja sicher, aber im Gegensatz zu einer vielleicht weitverbreiteten Meinung liegen die jeweiligen Trainingsformen gar nicht so weit auseinander. Sie ergänzen sich sogar teilweise richtig gut. Klar ist aber, dass man in einem Jahr mit Olympia im Training einen eindeutigen Schwerpunkt setzen muss.
TOUR: Apropos Olympia: In Paris wurden Sie nach einem Reifendefekt unglücklich Vierte. Bleibt ein Olympiasieg auf dem Mountainbike Ihr großes Karriereziel?
Puck Pieterse: Ja, ich möchte 2028 in Los Angeles Olympiasiegerin werden und unbedingt ein paar von den wichtigen Frühjahrsklassikern auf der Straße gewinnen!
TOUR: Im Jahr 2023 hatten Sie nur zwei Renntage auf der Straße, in dieser Saison schon 17. Werden wir bei Ihnen in den nächsten Jahren eine Transformation in Richtung Straße sehen, eventuell auch weil es dort mehr Geld zu verdienen gibt?
Puck Pieterse: Die Straße ist definitiv die Königsdisziplin mit der meisten Aufmerksamkeit, hingegen nicht zwingend die mit den größten Verdienstmöglichkeiten. Zumindest für mich als sehr erfolgreiche Mountainbikerin nicht. Daher muss ich mir diese Frage aus finanzieller Sicht nicht stellen. Aber natürlich ist die Verteilung der Renntage innerhalb einer Saison immer ein Punkt, den wir innerhalb des Teams intensiv diskutieren. In der Zukunft sehe ich mich aber primär auf dem Mountainbike, da ich in dieser Disziplin am meisten erreichen kann. Eine komplette Straßensaison ist daher unwahrscheinlich, und Cyclocross wird, wie schon in dieser Saison, darunter leiden müssen. (Anm.: Puck Pieterse ist erst verspätet Mitte Dezember beim World Cup in Namur in die Cross-Saison eingestiegen.)
TOUR: Das Team Plantur-Pura, Vorgänger von Fenix-Deceuninck, war Ihre erste Profi-Station, da waren Sie gerade 19. Bislang auch die einzige. Sie haben mit dem Rennstall eine vorzeitige Verlängerung Ihres Vertrages bis 2028 vereinbart. Wäre es schwierig, bei einem anderen Team Ihre drei Leidenschaften unter einen Hut zu bringen?
Puck Pieterse: Diese Freiheit, mich so multidisziplinär ausleben zu können, würde ich höchstwahrscheinlich in keinem anderen Team finden. Die Teamverantwortlichen, die Gebrüder Roodhooft, setzen bewusst auf vielseitige Fahrer und Fahrerinnen und sind in ihrem Herzen sehr tief im Cross-Sport verwurzelt. Ich kenne sie schon so lange und das gegenseitige Vertrauen ist riesig. Es gab für mich überhaupt keinen Grund, etwas anderes auszuprobieren.
TOUR: Bei der Tour de France Femmes 2024 haben Sie am Schlussanstieg nach Alpe d’Huez 250 bis 260 Watt geleistet. Bei Ihrem Körpergewicht von 54 Kilogramm entspricht das zwischen 4,6 und 4,8 Watt pro Kilogramm Köpergewicht. Was fehlt Ihnen noch, um an langen Anstiegen wie bei der Tour ganz vorne landen zu können?
Puck Pieterse: Da fließen sicherlich mehrere Aspekte ein, die man bei der Betrachtung der Wattzahlen berücksichtigen muss. Zunächst einmal bin ich mit meinen Werten hinauf nach Alpe d’Huez zufrieden. Die waren gut, aber wir hatten schon harte Etappen mit vielen Höhenmetern in den Beinen. Am Schlusstag habe ich mich total zerstört gefühlt, ich hatte absolut nichts mehr im Tank! Zudem hatte ich in der Vorbereitung auf die Tour tatsächlich keine langen Bergintervalle mit solch hohen Intensitäten trainiert. Alles nach den Frühjahrsklassikern war gezielt auf das olympische MTB-Rennen ausgelegt, darauf lag mein Fokus! Dementsprechend habe ich im harten Bereich nur ein- bis vierminütige Intervalle trainiert. Ich habe über Monate für ein Rennen gearbeitet, das maximal eineinhalb Stunden dauert. Deshalb ist mir in Frankreich auf den langen Etappen ein wenig die Luft ausgegangen. Sollte ich nächstes Jahr wieder starten, werde ich im Vorfeld aber längere Ausdauerfahrten absolvieren, die gegen Ende mit intensiven Intervallen gespickt sind.
TOUR: Sie gehören inzwischen zu den Protagonistinnen im Peloton. Wo sehen Sie den internationalen Frauen-Radsport in den kommenden Jahren, und an welcher Schraube muss am meisten gedreht werden, um den Sport weiter zu fördern?
Puck Pieterse: Das allgemeine Niveau, vor allem aber die Leistungsdichte sind in den letzten Jahren regelrecht explodiert. Ich glaube aber nicht, dass sich diese Entwicklung so exponentiell fortsetzen wird. Die Strukturen müssen langsam mitwachsen. Wir brauchen aber unbedingt längere Rennen und auf Rundfahrten mehr Etappen! Und auch noch mehr Frauen, die auf so einem hohen Level wie Vollering und Co. fahren können. Ich bin aber sehr zuversichtlich. Es gibt viele junge Talente wie eine Labous, Muzic oder Kerbaol, die an die Tür klopfen und in naher Zukunft auch eine Demi Vollering schlagen können.