Elena Roch wurde 1993 in Hollabrunn in Niederösterreich geboren. Bekannt wurde sie, nachdem sie 2024 das Race Across Austria vor dem schnellsten Mann gewann. Für die 2.200 Kilometer und 30.000 Höhenmeter brauchte sie vier Tage und zwei Stunden. Die Hobbyradsportlerin hat 2020, 2021 und 2022 das Race Around Niederösterreich gewonnen. Bei der Zeitfahr-WM in Borrego Springs (USA) stellte sie 2024 in der Kategorie 24-Stunden-Einzel-Zeitfahren einen neuen Streckenrekord bei den Frauen auf. Ihre Durchschnittsgeschwindigkeit lag bei rund 35 km/h. 2024 gewann sie auch die Premiere des unsupported Rennens Race Across Austria. Sie lebt mit ihrem Freund in der Nähe von Innsbruck und arbeitet im Marketing und Projektmanagement. Nebenbei bietet sie Rennradcamps für Frauen an.
TOUR: 2.200 Kilometer und 30.000 Höhenmeter mit rund drei Stunden Schlaf – warum macht man so etwas?
Elena Roch: Es ist dieses Adrenalin: nicht zu wissen, ob das überhaupt möglich ist. Und dann selber schauen: wie weit geht es, was kann ich leisten? Diese Abenteuerlust: geht es überhaupt? Oft wollen die Leute mir ihre eigenen Grenzen aufzwingen und sagen das geht nicht. Trotz ist dann bei mir auch dabei – ich glaube das kommt von früher. Ich hatte den Sportler-Background nicht und keine perfekte Sportfigur. Gerade die Sportlehrer in der Schule – da habe ich öfter mal was einstecken müssen, weil sie einem nichts zugetraut haben. Ein bisschen kommt es daher, dass ich mir selbst beweisen will, dass ich zu mehr fähig bin.
TOUR: Meistens bringen die Eltern ihre Kinder zum Sport – bei dir auch?
Elena Roch: Nein, überhaupt nicht - ich komme aus einer Winzer-Familie. Mein Papa hat mit Sport gar nichts am Hut und meine Mama auch nicht. Aber wir waren im Winter beim Skifahren und im Sommer beim Wandern. Da ist meine Lust auf Berge und Draußensein entstanden. Sport war für mich immer zum Kopf frei kriegen, kreativ werden, frei fühlen. Beim Radlfahren noch viel mehr als beim Laufen, weil man so viel entdecken kann.
TOUR: Du hast erst vor zehn Jahren mit dem Rennradfahren angefangen – warst du vorher in irgendeinem Sportverein?
Elena och: Nein, ich habe in der Schulzeit an Volksläufen teilgenommen und an Crosslauf-Serien im Winter. Die Motivation mit 15, 16 Jahren war ganz klassisch das Abnehmen.
TOUR: 2017 bist du rund 1.000 Kilometer Rennrad gefahren und 2018 gleich den Ötztaler – wie geht das?
Elena Roch: Ich bin mit meinem Freund nach Tirol gezogen und in der Rennrad-Community geht es nur um den Ötztaler. Mir wurde gesagt das schaffst du nie, du bist kaum gefahren. Ich bin halt voll stur und habe zu meinem Freund gesagt das machen wir jetzt. Und dann habe ich mich sieben Monate sehr strukturiert vorbereitet. Wir haben aber weder einen Leistungstest gemacht noch Ahnung von Verpflegung gehabt.
TOUR: Du bist im zweiten Jahr schon in 9:42 Stunden gefahren, was wirklich gut ist …
Elena Roch: Im ersten Jahr war das Wetter schlecht und ich bin die Abfahrten ganz langsam gefahren – da wollte ich es nochmal probieren und schneller ins Ziel kommen.
TOUR: Und wie kommt man vom Ötztaler Radmarathon zum Ultracycling?
Elena Roch: Ich mag es voll gern, wenn andere sagen das ist unmöglich, mir selber was beweisen, Grenzen verschieben, Ziele setzen und Herausforderungen annehmen. Das Andere ist, dass ich sowas schon immer faszinierend gefunden habe. Christoph Strasser (Anm. d. Red.: Sechsfacher Sieger Race Across America, zweifacher Sieger Transcontinental Race) zum Beispiel, habe ich immer mitgekriegt und bei den Frauen habe ich Xandi Meixner (Anm. d. Red.: erste Österreicherin beim Race Across America) verfolgt. Und der dritte Punkt ist, dass ich beim Race Around Austria am Straßenrand stand. Da kommt so ein Radfahrer daher und dahinter das Auto. Ich habe ein Kribbeln gehabt und mir gedacht: ich möchte das auch machen.
TOUR: Muss man etwas verrückt sein, um solche extremen Sachen zu machen?
Elena Roch: Ich sage immer: jeder hat so seinen eigenen Vogel. Wenn man diese Leidenschaft nicht hat, ist es schwer zu verstehen - gerade die Schmerzen auszuhalten. Diese Leidenschaft ist so groß und diese Neugier und der Wunsch das zu erleben, dass man sich bewusst ist, dass es manchmal auch unangenehm ist. Ich kann es nur so zusammenfassen: es sind große Emotionen.
TOUR: Du gehst sehr geplant vor: beim RAA hast du dich vier Tage lang nur flüssig ernährt…
Elena Roch: Beim ersten Race Around Niederösterreich habe ich mich von Milchbrötchen und Erdäpfeln, also Kartoffeln ernährt. Danach bin ich darauf gekommen, dass es flüssig einfach besser ist. Ich habe verschiedene Sachen ausprobiert und gemerkt, was gut für mich ist. Ich habe gemerkt ich krieg die Riegel nicht runter und bin nur mit Gels und Iso gefahren. Das habe ich super vertragen und so habe ich es beibehalten beim RAA.
TOUR: Wünscht du dir nicht mal was zum Beißen nach drei Tagen auf dem Rad?
Elena Roch: Gar nicht so, aber das Hungergefühl ist brutal, weil du einfach null Volumen im Magen hast. Da habe ich ein bisschen zu kämpfen gehabt. Vom Kopf her weißt du, dass du gut versorgt bist, aber du merkst es einfach im Bauch.
TOUR: Man braucht für das RAA rund um die Uhr ein Betreuerteam – das klingt aufwändig!
Roch: Im Vorfeld bei der Organisation gab es sehr viele Hürden: Konflikte im Betreuerteam, Krankheiten – ich war mir zwei Tage vorher nicht sicher, ob wir genügend Betreuer zusammen bekommen. Ich hatte sieben Leute in zwei Autos damit sich die Betreuer abwechseln können.
TOUR: Das erhöht auch den Druck, weil du weißt, was diese Leute für dich leisten?
Elena Roch: Ja, das ist genauso wie du sagst. Deswegen hat mich das auch so mitgenommen davor mit diesem Konflikt. Ich will, dass die Leute eine coole Zeit haben, nicht, dass die Stimmung im Auto mies ist. Die Leute nehmen sich frei, verzichten auf Schlaf, hocken tagelang im Auto auf engstem Raum. Das ist vom Druck ganz anders, als wenn man einfach mal ein unsupported Rennen fährt.
TOUR: Du hast nur etwas über drei Stunden geschlafen in vier Tagen. Hattest du Wahrnehmungsstörungen?
Elena Roch: Ganz minimal -das war das, wo ich am allermeisten Respekt habe. Man hört schon krasse Sachen, auch vom Racer Around Austria, wo Leute im Kreis gefahren sind, nicht mehr gewusst haben, was sie tun. Da habe ich bisschen Angst gehabt. Ich habe nachts einmal Kürbisse als Menschen gesehen mitten im Nirgendwo. Ich habe gedacht was tun die Leute da? Und beim RAA habe ich auf der Abfahrt vom Glockner mal gesehen, dass sich die Mittelstreifen bewegen. Da sind wir dann kurz stehen geblieben.
TOUR: Hattest du auch Tiefs auf den 2.200 Kilometern beim RAA?
Roch: Ja, auf jeden Fall. Das erste kam schon früh, weil es so heiß war. Ich habe eher Probleme mit Hitze als mit Kälte. Es hatte 40 Grad und durch die Salzkristalle hatte ich schlimme Sitzprobleme bekommen. Das war schon extrem schmerzhaft und so früh. Da habe ich mir schon gedacht, ob ich das noch drei Tage aushalten kann. Wir haben viele Pausen machen müssen wegen der Wundversorgung. Es war schon ein Kampf bis zum Schluss.
TOUR: Wie gehst du damit um, wenn es dir schlecht geht?
Elena Roch: Das waren beim RAA verschiedene Phasen. Den Glockner rauf ging es mir richtig gut und das Team hat mich voll gepusht. Und danach ist es richtig schlimm geworden. Zum Gerlospass rauf war es echt schlimm und ich habe mir selbst so leidgetan. Aber da hat mein Team sich so bemüht irgendwelche Salben zu bekommen und sogar ihre Pause geopfert. Da ist es so richtig gekippt bei mir. Ich habe richtig Wut bekommen auf meine Sitzprobleme und mir gedacht: ich lasse mich ganz sicher nicht abhalten von diesem Scheiß! Diese Wut hat mich voll gepusht.
TOUR: Wirst du anstrengend für dein Team, wenn es dir schlecht geht?
Elena Roch: Ich glaube es gibt schon noch kompliziertere Leute. Also ich tu mich voll gerne unterhalten. Aber wenn ich merke, es wird voll anstrengend, ich bin schlecht drauf, dann tu ich halt gerne einfach Musik rein und halte es dann gar nicht aus, wenn man mir viel erzählt. Da sage ich: bitte, hör auf zum Reden. Vielleicht ist das in dem Moment nicht so nett. Aber man darf halt nicht vergessen, auch wenn man in einer Ausnahmesituation ist, dass die Leute den Urlaub aufgeben, auf Schlaf verzichten und auch alles geben. Es geht nur um einen blöden Traum, es ist einfach ein Hobby. Keinen interessiert in Wahrheit, ob man ins Ziel kommt oder nicht.
TOUR: Tagelange Schmerzen, ein wunder Hintern – das klingt so, als ob man im Ziel sagt: super dass ich es geschafft habe, aber nie wieder. Warum machst du immer weiter?
Elena Roch: Das kann man gar nicht beschreiben, weil das so viel Emotionen sind im Ziel. Und auch die Tage danach. Das ist so mega emotional und so schön und das möchte man dann wieder erleben.
TOUR: In den Medien warst du die Frau, die den Männern davongefahren ist. Was hat dir das bedeutet?
Elena Roch: Im Rahmen der Siegerehrung war das fast kein Thema. Während dem Rennen hat es mir jemand gesagt, aber für mich war das nicht so herausragend. Aber dann kam es in der ZIB (Anm. d. Red.: österreichische TV-Nachrichten Zeit im Bild im ORF) und dann ist es explodiert. Dann haben der Reihe nach Medien angerufen und ich habe das gar nicht richtig verarbeiten können.
TOUR: Du warst in mehreren TV-Talkshows, in der Zeitung, in Podcasts – war das nicht irgendwann zu viel?
Elena Roch: Zeitlich war es anstrengend, aber das ist eine einmalige Gelegenheit. Ich war im ORF, bei ServusTV im Hangar-7 und bei Sky. Man darf nicht vergessen, dass das halt paar Wochen so ist und dann eh nie wieder sein wird. Ich bin niemand, der gerne im Mittelpunkt steht, aber jetzt im Hangar-7 sitzen dürfen, mit den Olympiasiegern Backstage reden dürfen, im ORF Studio mit dem Sportmoderator zu reden, mit dem ich aufgewachsen bin – das war schon ein mega cooles Erlebnis.
TOUR: Das Thema war immer die starke Frau…
Elena Roch: Ich fand es super, dass es die Bubbel verlassen hat. Im Ultrasport ist es so, dass sich die Männer mehr zutrauen und Frauen viel hinterfragen. Deshalb habe ich es cool gefunden, dass viele Frauen gesagt haben: mega, dass du es geschafft hast. Ich hatte als Vorbild Xandi Meixner und ich wusste die hat das Race Around Austria geschafft – das macht schon einen Unterschied, wenn man Vorbilder hat.
TOUR: Warum fahren so wenig Frauen Ultradistanzen?
Elena Roch: Radsport ist ein männerdominierter Sport. Es hat sich aber viel getan in den letzten Jahren. Ich glaube, dass die Hürde für Frauen größer ist. Das war auch der Grund, warum die Idee entstanden ist, Radlcamps für Frauen anzubieten mit VibeCycling. Dass sich Frauen viel weniger zutrauen und viel mehr hinterfragen, ob man mithalten kann, das hat viel mit der Erziehung und der Gesellschaft zu tun. Mädels sagt man eher: sei vorsichtig und überlegt Euch das.
TOUR: Fährt dein Freund auch Rennen über so extreme Distanzen?
Elena Roch: Ich habe ihn oft gefragt, weil er so viel Zeit reinsteckt, um mich bei den Rennen zu betreuen. Aber ihn reizt das nicht. Und auch das strukturierte Training ist nichts für ihn – er fährt viel Rad, aber er würde nicht zwei Stunden auf der Rolle trainieren. Vor allem seit letztem Jahr trainiere ich sehr strukturiert.
TOUR: Wie wichtig ist der Kopf bei Ultradistanzen?
Elena Roch: Es gibt die Ansicht 50:50 Kopf und Körper, dann gibt es die Ansicht jeweils ein Drittel Team und Kopf und Körper. Aber man vergisst oft, dass die körperliche Basis erst einmal da sein muss. Wenn ich körperlich nicht kann, dann kann der Kopf noch so stark sein, dann wird es nicht gehen.
TOUR: Du hast sogar eine Ausbildung als Mentaltrainerin obwohl du nicht in dem Bereich arbeitest…
Elena Roch: Ich fand Themen wie Persönlichkeitsentwicklung, mentale Stärke schon immer spannend. Das war nur für mich gedacht und hilft mir. Visualisieren ist für mich extrem wichtig. Was sind die Gerüche, was sind die Geräusche, was sehe ich? Diese Bilder immer wieder zu verinnerlichen, hilft mir extrem. In schwierigen Situationen kann ich mir die Bilder dann wieder herholen: die Fahrt durch den Zielbogen zum Beispiel. Und die Zielsetzung ist ganz wichtig – sie wirklich auf einem Blatt Papier festhalten. Mir helfen auch positive Selbstgespräche und eine Gedanken-Stopptechnik. Wenn man in einen negativen Strudel reinkommt, dass man sich innerlich ein Stopp vorstellt. Oh Gott ich kann nicht mehr, das wird nichts mehr – dass man das abstellen kann.
TOUR: Was sind deine Ziele 2025?
Elena Roch: Das Race Around Niederösterreich ist fix. Das ist heuer auch die Europameisterschaft und das finde ich spannend, weil ich mit dem Rennen so viel verbinde und so viele Leute kenne, die immer an die Strecke kommen. Und beim Race Around Austria ist die Weltmeisterschaft – das habe ich noch nicht sicher geplant, aber ich glaube schon.
TOUR: Je größer die Hürde, desto größer ist das Belohnungsgefühl. Muss die nächste Prüfung noch härter, noch extremer sein?
Elena Roch: Schwierig – für mich war das Race Around Austria ein großer Traum. Natürlich kommt viel Druck von außen, gerade wenn es gut rennt, wird gefragt: wann machst du das Race Across America? Ich habe mich schon damit beschäftigt, aber 65.000 Euro muss man erstmal haben. Wenn das Finanzielle nicht wäre, würde ich es gerne machen. Trotzt dieser riesigen Medienpräsenz 2024 war es aber jetzt schon schwierig Sponsoren zu bekommen. Ich hoffe, dass mir 2025 nicht allzu hohe Kosten durch die Rennen entstehen.