Hinterradlutscher extremMithalten mit den besten Radprofis der Welt

Kristian Bauer

 · 28.03.2024

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Foto: Artem Shcherbyna
Wer würde nicht gerne mal mit Vingegaard, Pogacar und Evenepoel trainieren? Artem Shcherbyna (31) macht das immer wieder. In den sozialen Medien dokumentiert der Hinterradlutscher sein Training mit der Radsport-Prominenz.

Als “professional amateur cyclist” bezeichnet sich Artem selbst – man könnte ihn auch als Profi- Hinterradlutscher bezeichnen - im doppelten Wortsinn. Er hat sich in den Sozialen Medien einen Namen gemacht, weil er Radprofis bei Ausfahrten begleitet und ihre Trainings mitfährt. Seine Videos zeigen ihn beim Versuch das 400-Watt-Intervalltraining von Remco Evenepoel mitzufahren, beim Training mit Jonas Vingegaard, am langen Anstieg mit Tadej Pogačar oder der 160 Kilometer langen Ausfahrt mit dem Team Total Energies. Seine Trainingsfahrten filmt er mit einer Actioncam und teilt sie im Internet. 25.500 Follower auf Instagram und 11.500 Abonnenten auf YouTube zeigen, dass seine Videos ankommen. Wie alles begonnen hat, verrät er TOUR.

TOUR: Hinterradlutscher auf höchstem Niveau - wie kam es dazu, dass du mit den Profis trainierst?

Artem: Es war vor drei Jahren, als zufällig Julian Alaphilippe beim Training in Spanien an mir vorbeifuhr. Ich hatte nur mein Handy dabei, also nahm ich es heraus und filmte. Ich postete es auf Instagram und es ging viral. Das nächste Video war mit Remco Evenepoel und das Video ging auf Instagram wieder viral. Ich dachte mir, OK, wenn die Leute dieses Video mögen, sollte ich vielleicht eine GoPro-Kamera kaufen und im nächsten Jahr ein paar interessantere Videos machen. Also bin ich im nächsten Jahr mit der GoPro nach Calpe gekommen und den Fahrern hinterhergefahren.

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TOUR: Es sieht so aus, als würdest du in Spanien leben?

Artem: Ich komme aus der Ukraine. Als der Krieg Russlands gegen mein Heimatland begann, war ich in einem Trainingslager in der Türkei in Alanya. Ich bin dort erst sechs Monate geblieben und dann nach Frankreich gezogen. Ich lebe in Grenoble und im Winter komme ich nach Spanien, nach Calpe, zu den Profiteams. Ich bin Webentwickler und arbeite übers Internet.

TOUR: Hast du an Rennen in der Ukraine teilgenommen?

Artem: Ja, ich habe an einigen Amateurrennen teilgenommen, zum Beispiel an Grand Fondos. In der Ukraine, in der Türkei, in Frankreich und in Spanien. Aber Rennen sind nicht der Hauptbestandteil meines Trainings, es ist nur zum Spaß.

TOUR: Wie höflich bist du als Hinterradlutscher? Wie findest du die Profis? Wartest du irgendwo auf sie?

Artem: Im Dezember und im Januar ist fast jedes Team aus der WorldTour hier in dieser Gegend in Calpe. Wenn du also einfach auf den Hauptstraßen fährst, wirst du auf jeden Fall eine Menge Leute treffen. Zu dieser Zeit ist es wirklich einfach wenn du sie kennst. Du versuchst sie einzuholen und dich ans Ende der Gruppe zu setzen. Bei einigen Teams ist es okay, wenn man sich einfach hinten ranhängt und nicht versucht, sie zu überholen oder neben ihnen zu fahren. Viele Amateurfahrer, die die Teams gesehen haben, versuchen das Handy zu zücken und ein Foto mit den Jungs zu machen und manchmal ist das gefährlich. Also ist es besser, einfach hinten zu bleiben und wenn man eine Gelegenheit hat, Hallo sagen oder fragen, ob ich mich zu ihnen gesellen kann. Was steht heute zum Beispiel auf dem Plan? Und sie können sagen, wir machen fünf Stunden und das ist kein Problem, wenn du uns folgst. Manchmal sagen sie mir, dass sie gerade Intervalle machen und das sie nicht wollen, dass ich mitfahre.

Kaffee trinken mit Evenepoel

TOUR: Ein Video das sehr bekannt wurde, war das Video mit Remco Evenepoel. Er war sehr überrascht, dass ihm ein Hinterradlutscher folgt und wollte, dass du verschwindest.

Artem: Ja, ich verstehe das. Ich kann dir die Geschichte dazu erzählen: ich traf das Team als sie aus dem Hotel fuhren und ich bin hinten mitgefahren. Ganz hinten in der Gruppe waren immer Julian Alaphilippe und Remco Evenepoel. Als Remco zum Begleitauto ist, bin ich zu Alaphilippe, habe Hallo gesagt und wir hatten ein kleines Gespräch. Keine Probleme, dann kommt Remco zurück und grüßt mich nicht einmal. Also denke ich, es war einfach ein schlechter Tag für ihn oder er war nicht in Stimmung.

TOUR: Es gibt aber ein neues Video und da war er in einer ganz anderen Stimmung?

Artem: Ja. Ich traf ihn im Februar beim Training mit paar anderen. Ich habe die Jungs gefragt, was sie vorhaben, und sie haben mir gesagt, dass Remco nur ein paar Intervalle machen will. Ich habe ihn gefragt und er hat schon gelacht, weil er mich inzwischen kennt. Er hat meine Videos gesehen und weiß, was ich mache. Er sagte, kein Problem, komm mit. Wir hatten eine nette Unterhaltung und nach etwa 100 Kilometern, schlug er mir vor, ins Café zu gehen und sich ihnen anzuschließen. Also haben wir uns ins Café gesetzt, Kaffee getrunken und Kuchen gegessen und dann zurück nach Calpe gefahren.

TOUR: Erkennen dich die Radprofis inzwischen als den Hinterradlutscher mit Actioncam?

Artem: Manchmal erkennen mich die Jungs. Einige haben schon Videos auf Instagram oder YouTube gesehen. Sie wissen, dass da ein Typ ist, der filmt, aber sie wissen nicht genau wie ich ausschaue.

TOUR: Was ist deine Motivation das zu machen?

Artem: Im Moment ist es einfach nur zum Spaß. Ich fahre gerne Rad und ich fahre wirklich viel. Wenn man eine gute Gruppe hat mit starken Leuten, wird man selbst besser. Es ist immer besser, einen stärkeren Partner zu haben als einen schwächeren. Wenn ich an großen Veranstaltungen teilnehmen will, muss ich viel trainieren. Dazu brauche ich eine Motivation und meine Motivation im Moment, ist dass ich mit einem starken Kerl fahre und versuche, ihm zu folgen. Wenn ich so wie vor Kurzem mit Pogačar fünf Stunden in Zone 2 (Anm. d. Red.: Grundlagenausdauer) fahre, dann ist das wunderbar. Das Begleitfahrzeug hat mich sogar mit Wasser, Essen und anderen Sachen versorgt.

TOUR: Gibt es bestimmte Fahrer oder Teams, die du mehrmals getroffen hast und wo du sagst, die sind besonders sympathisch?

Artem: Die freundlichsten Teams, wenn man mit ihnen fahren will, hier in Calpe sind Groupama-FDJ, TotalEnergies und DSM.

TOUR: Setzt du immer noch darauf die Teams und Fahrer zufällig zu treffen? Hinterradlutscher mit Ansage?

Artem: Manchmal, wenn ich wirklich etwas filmen will, dann gehe ich ins Hotel zu den Teams. Das war zum Beispiel bei Jumbo-Visma so. Ich bin ein paar Mal ins Hotel gekommen und sie haben mich gebeten, morgen zu kommen. Also kam ich am nächsten Tag um 9:00 Uhr morgens und wartete auf das Team. Ich konnte eine Stunde mit ihnen fahren und filmen.

Hinterradlutscher extrem: mithalten mit den besten Radprofis der Welt

TOUR: Schaffst du es konditionell mitzuhalten?

Artem: Ein guter Amateur kann bei den Ausfahrten ohne Probleme folgen. Für die Profiteams ist das nur der Anfang der Saison - deshalb sind sie noch nicht in Topform. Und sie fahren noch nicht mit so viel Druck. Wenn Remco Evenepoel zehn Minuten lang ein richtiges Intervall machen würde, wäre ich nach drei Minuten raus. Weil seine Leistung über fünf Minuten ist wie meine Leistung für eine Minute oder seine Leistung für eine Stunde ist wie meine Leistung für zehn Minuten. Es ist also ein großer Unterschied, wenn wir über maximale Anstrengungen sprechen, wenn sie hier Intervalle machen. Es ist immer schwer, aber manchmal kann man bis zum Ende durchhalten. Bei den Jungs wie Evenepoel oder Pogačar ist das nur für ein paar Minuten möglich.

TOUR: Leistungstest als Hinterradlutscher: wie hast du dich nach der Fahrt mit Pogačar im Bereich der Grundlagenausdauer gefühlt?

Artem: Ich habe mich ein paar Tage lang erholt. Dezember und Januar sind die härtesten Monate für mich.

TOUR: Und über was unterhältst du dich bei den Ausfahrten mit den Radprofis? Was wollen sie von dir wissen?

Artem: Ganz normale Themen. Woher kommst du, was machst du? Was ist dein Hintergrund, fährst du irgendwelche Rennen? Bist du in einem Team gefahren? Manchmal sagen sie es war ein harter Tag.

TOUR: Planst du viele Rennen zu fahren?

Artem: Ich weiß es nicht. Das geht alles schnell ins Geld: die Anreise, eine Unterkunft und die Anmeldegebühr. Einige Rennen bieten mir einen Startplatz im Austausch für etwas Werbung auf Instagram oder YouTube. Es macht wirklich Spaß, aber es ist zu teuer. Nur wegen der Medaille oder um jemandem etwas zu beweisen, muss ich es nicht machen.

Geld verdienen mit YouTube?

TOUR: Verdienst du Geld mit deinen Videos?

Artem: Auf YouTube habe ich einige Einnahmen aus der YouTube-Werbung, aber sie sind nicht so groß. Im Moment sind es etwa 100 Euro pro Monat. Wenn man die Zeit zählt für die Bearbeitung der Videos und andere Dinge, ist es nicht viel. Es gibt einige Marken, die mir Sachen schicken: Trikots oder eine elektrische Pumpe – das ist ein kleiner Bonus.

TOUR: Hast du irgendwelche Radrennen, die du fahren willst oder sonstige Träume?

Artem: Einfach Spaß haben und warten, bis der Krieg in der Ukraine beendet ist.

TOUR: Was bedeutet das für dich? Wenn der Krieg zu Ende ist, ziehst du zurück in die Ukraine?

Artem: Ich bin mir nicht sicher, aber ich möchte auf jeden Fall meine Eltern sehen. Sie sind im Moment in der Ukraine. Ich habe meinen Vater seit mehr als zwei Jahren nicht mehr gesehen und alle meine Freunde sind auch in der Ukraine. Es ist kompliziert, wenn man im Ausland lebt, nur mit ein paar Sachen und dem Radkoffer. Manch einer denkt, es sei das ideale Leben. Jeden Tag kannst du mit den Profis mitfahren, aber die kennen nicht den ganzen Hintergrund. Ich bin Freiberufler und muss immer neue Aufträge bekommen. Mein Vater ist in der Armee und ich habe natürlich Angst um ihn. Jeden Tag denke ich daran und mache mir Sorgen. Meine Mutter lebt in Kiew und da gibt es immer wieder Raketen. Die Menschen, die dort leben kämpfen jeden Tag, aber das Leben geht weiter. Wir können uns nicht vorstellen, wie sie dort leben. Das ist eine komplizierte Geschichte. Viele meiner Freunde, die Radfahrer sind, versuchen, ihr Leben zu leben und Rad zu fahren. Aber jeden Tag können sie zur Armee eingezogen werden. Sie können also nicht nein sagen.

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