Everesting ChallengeInterview mit dem Erfinder

Kristian Bauer

 · 25.08.2024

Everesting Challenge: Interview mit dem ErfinderFoto: Everesting.cc
Andy van Bergen Everesting.cc
Vor zehn Jahren hat Andy van Bergen die Everesting Challenge erfunden. Die Aufgabe: 8.848 Höhenmeter ohne Pause zu fahren. 30.000 Radsportler auf der ganzen Welt haben das Non-Stop-Klettern geschafft.

TOUR: Feiern Sie 10 Jahre Everesting oder 30?

Bergen: Gute Frage, aber es ist noch komplizierter. Die Everesting Challenge haben wir vor zehn Jahren gestartet. Vor 30 Jahren hat George Mallory, Enkel des berühmten Everest-Bergsteigers Sir Joe Mallory, auf dem Rad bereits 8.848 Höhenmeter am Stück geschafft. Wir dachten immer, dass sei das erste Everesting gewesen. Aber vor ein paar Jahren erhielt ich eine Nachricht von einem Franzosen, der das schon früher geschafft hatte. Er hatte sich damals sogar an das französische Guinness-Buch der Rekorde gewandt. Ich habe die Abschriften davon gesehen. Er war in der Lage, all diese erstaunlichen alten Fotos und Tagebucheinträge vorzulegen und zu zeigen, wie es mit dem Segment funktioniert hat.

TOUR: Wie viele Everestings haben Sie selbst geschafft?

Bergen: Oh, ich habe ein paar mehr versucht, als ich geschafft habe, und ich denke, das ist Teil dieses Konzepts. Wenn es eine hundertprozentige Erfolgsquote gäbe, dann wäre es nicht wirklich eine Herausforderung, oder? Ich habe 13 geschafft, die irgendwie über der Höhe des Everest liegen. Die Everesting Hall of Fame ist eine Gemeinschaft, die ich aufgebaut habe, und ich denke nicht, dass es fair ist, von der Gemeinschaft Dinge zu erwarten, die ich nicht zumindest selbst ausprobiere. Dadurch, dass jedes Jahr an einem Everesting teilnehme, wird mir wieder bewusst, was das Besondere an diesem Konzept ist und wie es für Sportler ist, die zum ersten Mal mitmachen. Ich würde ein oder zwei meiner gescheiterten Everestings zu den schönsten Fahrten zählen, die ich je gemacht habe. Man lernt auch eine Menge aus dem Scheitern. Ich denke, dass wir als Gesellschaft besser darin werden müssen, das Scheitern zu akzeptieren und daran zu arbeiten. Heute gibt es 30.000 Menschen aus 116 Ländern in der Hall of Fame. Man kann sich stundenlang Videotipps und -tricks zum Thema ansehen. Wir haben einen umfassenden Leitfaden, eine Art Schulungshandbuch. Das ist fast so etwas wie ein Online-Lernzentrum, in dem man alles nachlesen kann.

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Erfindung der Everesting Challenge 2014

TOUR: Wie lief die Premiere vor zehn Jahren ab?

Bergen: Ich hatte 2014 nur angedeutet, was ich plane. 120 Leute hatten Interesse, an etwas teilzunehmen, ohne zu wissen, worum es ging. Ich hatte ihnen die Details nicht verraten. Und dann haben diese 120 Leute erfahren, dass das Konzept so lautet: wir suchen uns ein Wochenende, an dem wir alle versuchen, in unserer eigenen Ecke der Welt die Höhenmeter des Everests zu fahren. Bei der Premiere wussten wir von George Mallory, der 20 Jahre zuvor die Höhenmeter des Everests auf dem Rad geschafft hatte. Es war also möglich. Vor dem ersten Mal wurde mir aber mindestens 60- oder 70-mal gesagt, dass das dumm ist, dass es niemals möglich sein wird. Von den 120 die ich eingeladen hatte, haben etwa 65 angefangen, es an diesem geheimen Wochenende zu versuchen, und ich glaube, es waren etwa 33, die erfolgreich waren. Der Berg, den ich mir ausgesucht habe, ist ein Berg in einem Skigebiet, der für mich eine sentimentale Bedeutung hat. Es handelt sich um ein Skigebiet namens Mount Buller, und der Anstieg ist etwa 1000 Meter hoch. Wie sich herausstellte, habe ich es geschafft. Ich war vielleicht ein bisschen zu optimistisch in meiner Planung, als ich den Gipfel der ersten Runde erreichte. Ich habe ein paar schnelle Berechnungen angestellt und festgestellt, dass aus den acht Runden, die ich dachte, neun werden. Der Groschen fiel gegen 3:00 Uhr morgens und ich dachte, das könnte mich aus der Bahn werfen, denn ich habe alles so akribisch geplant, und dann muss ich auch noch eine ganze Runde mehr fahren. Also habe ich zu diesem Zeitpunkt beschlossen, dass ich einfach so tue, als ob die erste Runde nur ein Aufwärmen war.

TOUR: Sie hatten auch Misserfolge. Was ist falsch gelaufen?

Bergen: Einer davon war in den Teefeldern in großer Höhe in Sri Lanka. Ein wunderschöner Ort, eine tolle Strecke. Ich wurde dorthin eingeladen und es gab eine riesige Everesting Veranstaltung. Die Menschen säumten buchstäblich die Strecke, ich glaube, es waren eineinhalb, vielleicht zwei Kilometer. Sehr schön. Sehr steil. Ich war gerade aus Kalifornien gekommen und dann musste ich am nächsten Tag in ein Flugzeug steigen und nach Sri Lanka fliegen. Mit all den Transfers und einer ganztägigen Busfahrt und allem anderen war ich ziemlich müde. Ich glaube, es war über 30 Grad schwül und es war einfach zu viel. Ich war körperlich erschöpft. Es war eine der schönsten Fahrten, die ich je gemacht habe, auch wenn es auf dem Papier ein Misserfolg war.

TOUR: Sie sagen in Anspielung an den Mount Everest immer, dass man nach 7.000 Höhenmetern in die Todeszone kommt …

Bergen: Ja, auf jeden Fall. Ich denke, dass man die erste Hälfte ziemlich frisch ist, und die meisten Leute, haben mindestens die Höhenmeter eines halben Everesting schonmal gemacht. Sobald man die Hälfte hinter sich gebracht hat, stößt man im Allgemeinen in ein Gebiet vor, das man vorher noch nicht kannte. Und wenn man die 7000-Meter-Marke erreicht hat, dann sind es immer noch fast 2000 Höhenmeter und 2000 Höhenmeter sind ein großer Tag in den Bergen. Vielleicht fängt es schon wieder an dunkel zu werden und es kann beängstigend sein, wenn man schon von 7000 Höhenmetern müde ist und immer noch eine gefühlt unüberwindbare Strecke vor sich hat. Dann kommt man auf 7000 Höhenmeter und es fühlt sich so an, als würde alles ein bisschen langsamer gehen. Oft ist es so, dass die Leute, sobald sie die 8000 Höhenmeter überschreiten, das Ziel schon vor Augen haben.

Everesting auf der ganzen Welt

TOUR: Gab es besondere Orte für die Höhenmeterjagd?

Bergen: Nun, das Coole ist, dass es im Grunde überall möglich ist, wo es einen Hügel gibt. Als ich dieses Konzept entwickelte, hatte ich einen niederländischen Hintergrund und dachte, wenn man es in den Niederlanden machen kann, dann kann man es überall auf der Welt machen. Die 116 Länder in denen es gemacht wurde, begeistern mich. Besonders freut es mich, wenn sich sehe wie afrikanische Nationen auftauchen. Es gab sogar schon ein Everesting in der Antarktis, allerdings ein virtuelles. Das war ein Typ, der dort unten wissenschaftliche Forschung betrieben hat. Interessant wird es dann, wenn es sich um sehr begrenzte Wiederholungen handelt, zum Beispiel auf dem Mauna Kea auf Hawaii. Ich glaube, es waren nur 2 1/2 Auffahrten nötig für die Höhenmeter.

TOUR: Haben Sie Beispiele für ein Everesting, das herausragt?

Bergen: Jack Thompson nennt sich Jack Ultra Cyclist, und wie der Name schon sagt, macht er ziemlich erstaunliche Ultraradrennen. Er hat drei Everestings in drei Ländern in drei Tagen gemacht, was ein kleiner logistischer Albtraum ist. Er hat auch ein Everesting in Taiwan gemacht, wo es die Taiwan KOM Challenge gibt, die vom Meeresspiegel bis auf 3.275 m führt. Und dann hat er letztes Jahr tatsächlich eine Million Höhenmeter im Jahr erklommen, aber als Teil davon hat er beschlossen, 52 Wochen lang jede Woche eine Everest-Besteigung zu machen. Es gab ein paar Fixie-Everestings, darunter ein Fixie ohne Bremsen, ein paar Brompton-Räder und auf dem Einrad.

TOUR: Hat es sie überrascht, dass es immer öfter Profis gab, die ein Everesting versuchten?

Bergen: Ja! Das Problem ist, dass die Trainer den Profis sagten, dass sie auf keinen Fall machen können, weil es nicht in das Trainingsprogramm passt und das Risiko einer Überanstrengung zu groß ist. Auch nach der Saison rieten sie von so einer großen Belastung ab. Der erste Radprofi, der das gemacht hat, war Jens Voigt. Es war für mich wirklich überraschend, wer dann alles folgte: Mark Cavendish, Luke Rowe, Richie Porte, Alberto Contador und so weiter.

Zu wenig Höhenmeter beim Rekordversuch

TOUR: Gab es irgendwelche bitteren Enttäuschungen, weil bei Everestings am Ende Höhenmeter fehlten?

Bergen: Das war definitiv ein paar Mal sehr knapp, und ich denke, wir gehen bei solchen Dingen vernünftig vor. Wenn man 10 Meter zu wenig hat, sind wir auch großzügig. Wenn man einen Rekord anstrebt, sieht es natürlich anders aus. Die meisten Leute machen das für sich, also würde niemand, der bei klarem Verstand ist, jemals versuchen, absichtlich 10 Meter zu sparen. Ich glaube, was sich in den letzten 10 Jahren seit unserer Einführung wirklich verändert hat, ist die Ausgereiftheit der Höhenmessungen auf jedem Gerät. Sei es auf dem Handy, bei Strava oder Radcomputer. Die Genauigkeit der Daten ist einfach viel besser, unabhängig davon, wo man sich befindet, so dass es definitiv immer seltener passiert. Aber ja, es gab schon ein paar schmerzhafte Enttäuschungen, wo Leute ihre Daten eingereicht haben und dann festgestellt wurde, dass ein paar Hundert Meter fehlten. Einer der bekanntesten Fälle war Lachlan Morton von EF.

Andys vier Everesting Tipps:

1. Fange früh am Morgen an und schlaf dich an dem Tag vorher aus. Das wird die Anzahl der Fahrten in der Nacht begrenzen, die du machst, wenn du übermüdet bist.

2. Kleine Ziele setzen. Niemals 8848 Meter als Ziel ansehen, weil das einfach zu viel ist. Ich denke an die nächsten 1000 Meter oder nach einem Satz von fünf Wiederholungen oder was auch immer. Es empfiehlt sich, eine Art Plan zu erstellen, auf dem man Runden abhaken kann und das Gefühl hat, etwas zu erreichen. Auf diese Weise hat man das Gefühl, eine Reihe von Zielen erreicht zu haben oder eine bestimmte Höhe geschafft zu haben. Wenn man das effektiv einteilen kann, kann man seinen Verstand austricksen, weil man immer etwas erreicht und es nicht mehr so eine große, unüberwindbare Sache ist.

3. Sich richtig ernähren. Die Profis bei der Tour de France essen Gels und Energieriegel, aber sie sind nicht 15 Stunden lang auf der Straße. Ein durchschnittliches Everesting dauert um die 15 Stunden-Marke, aber es könnte auch länger sein. Es wäre nicht gut für deinen Magen, wenn du die ganze Zeit nur Gels zu dir nehmen würdest. Es sollte also etwas zum Wohlfühlen sein, etwas zur Belohnung: viele salzige Snacks und solche Sachen.

4. Training klingt wie eine Selbstverständlichkeit, aber man muss speziell trainieren. Die Leute denken, sie könnten einfach losgehen und es durchziehen, aber das ist nicht möglich. Das Training ist auch wichtig, um zu wissen, warum man es macht. Wenn du wund bist und Schmerzen hast, dann erinnere dich: du bist in einer privilegierten Position, eine solche Herausforderung annehmen zu können.

Linktipp: Everesting auf Mallorca.

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