Die Currywurst im Glas habe es den Radlern angetan, sagt der ehemalige Karnevalsprinz. Sein Gastrochef hat in den vergangenen Monaten schon viel gelernt über Rennradfahrer. Zum Beispiel, dass sie den Kaffee aus einer kleinen italienischen Familienrösterei meistens schwarz trinken.
„Das ist in der City anders“, sagt Pascal Droege, der zwei bekannte Läden in Kölns Zentrum betreibt, „da trinken die Leute Flat White und Erbsenmilch.“ Aber das hier ist die Schmitzebud, den Überlieferungen nach ältester Kiosk der Stadt, seit Generationen ein Rennradtreff. Hier ist der östliche Stadtrand. Und hier nehmen zumindest die traditionsbewussten Gäste im sportlichen Textil ihre Heißgetränke vor allem mit Blick auf die körperliche Wirkung. Man hat wenig Gewicht am Rahmen und wenig Ballast im Koffeingetränk, wenn es abgeht ins Bergische Land. Die ungewöhnlicherweise im Glas servierte Currywurst auf Basis einer direkt importierten Thüringer Rostbratwurst gibt’s natürlich erst hinterher.
Es ist ein Sonntagnachmittag im Spätsommer, und in der „Schmitzebud“ ist einiges los. Hinter den geöffneten Fenstern der Glasfassade sitzen Jugendfahrer des VfR Büttgen und ihre Eltern, daneben an den Tischen im Inneren des ehemaligen Kiosks Spaziergänger, ältere Anwohner und auch Leute, denen dieser Platz ans Herz gewachsen ist. Auf einem großen Bildschirm läuft die Liveübertragung der Spanien-Rundfahrt, an der Wand hängen gerahmte Autogramme des Radsport-Who’swho, und auf einem Stehtisch liegt ein Trikot des Deutschen Meisters im Cyclocross bereit, um gleich in die Sammlung der Schmitzebud einzugehen.
„Das hier ist ein Ort meiner Kindheitserinnerungen“, sagt Holger Kirsch, der die „Schmitzebud“ zurückgeholt hat aus dem schleichenden Prozess des Vergessenwerdens. Als Kind kaufte der heute 50-Jährige hier Panini-Bilder. Mit dem Radsport hatte er wenig zu tun, der Architekt wurde als Holger I. im Kölner Karneval bekannt, von 2019 bis 2024 war er als Zugleiter für den Rosenmontagszug in Köln ehrenamtlich verantwortlich, als Präsident leitet er die Geschicke beim Drittliga-Fußballverein Viktoria Köln. Immerhin, begeisterter Hobbyfahrer ist Kirsch, und so bekam er auch mit, dass der alte Kiosk in seiner Nachbarschaft für Profis und Freizeitsportler eine wahre Landmarke darstellte.
„Das ist ein legendärer Ort“, sagt Jörg Arenz, der eines seiner Deutschen Meistertrikots als Gastgeschenk für die Betreiber mitgebracht hat. Arenz, inzwischen 57, kam das erste Mal als 15-Jähriger. „Damals bin ich mit dem Verein Le Loup von Rolf Wolfshohl immer hier gewesen, Training war dienstags und donnerstags um 15 Uhr“, erinnert sich der Vater von Leon Arenz, der schon Bronze bei der Bahn-EM gewonnen hat und zuletzt die Deutschland-Tour auf der Straße absolvierte. Doch in den vergangenen Jahren war die Schmitzebud als Radsport-Fixpunkt verschwunden. Die RTF-Permanente, die ein Kölner Verein hier einst ausgeschrieben hatte, war ebenso passé wie die Gastronomie. Auch Hobbytreffs, die früher feste Abfahrtszeiten hatten, sah man nicht mehr. Es drohte sich gar ein Szenario zu wiederholen wie 2008, als die Stadt Köln die Fläche entsiegeln und den Kiosk beseitigen wollte. Damals gründete sich eine erfolgreiche Initiative, doch es folgte der erneute Verfall der Gastronomie. „Es war abenteuerlich, welche Verhältnisse wir vorgefunden haben“, sagt Kirsch, der dem Angebot eines Immobilienmaklers gefolgt war. Das Gebäude musste innen erheblich saniert werden.
So weit ist die Geschichte schon fortgeschritten, dass zwei Hobbysportler in modernster Radklamotte gar nicht wissen, an welch geschichtsträchtigem Ort sie sich befinden. Über das Graffiti mit den Radsportlern haben sie sich gewundert, doch dass dies hier eine heiliger Stätte des in Köln traditionell gepflegten Sports ist, war ihnen bis eben gar nicht bewusst. Sie genießen einfach ihr Getränk in der Nachmittagssonne.
Doch Holger Kirsch hat nun hochgeschaltet. Gemeinsam mit seiner Frau und dem Team um Pascal Droege hat der Architekt viel Energie hineingesteckt, damit der traditionsreiche Treffpunkt wieder zum Radsporttempel wird. Wer das Häuschen betritt, kann den Radsport nicht übersehen. Da steht eine Luftpumpe, die Devotionalien an den Wänden erinnern an große Rennen – und eine Partnerschaftsplakette des VfR Büttgen zeigt, dass man bei der Schmitzebud auch mit dem organisierten Sport zusammenarbeitet.
Die direkte Verbindung heißt Grete. Die Zwölfjährige, eine der drei Töchter des ehemaligen Karnevalsprinzen, wollte gerne mehr gemeinsame Zeit mit dem Vater verbringen. Also wünschte sie sich ein Rennrad. Zur Kommunion bekam sie ein Einsteigermodell. Rasch wurde klar, dass sie Rennen fahren wollte. Inzwischen hat sie im VfR Büttgen die passende Nachwuchsförderung gefunden, sie ist in ihrer Altersklasse regelmäßig Sieg- und Podiumskandidatin, bergauf kommt ihr Vater ihr nicht mehr hinterher. „Phänomenal“ findet Holger Kirsch das, aber auch die Unterstützung durch den Verein und den Zusammenhalt im organisierten Radsport, den er als „Familie“ erlebt.
Er ist angetan, er will dem Radsport etwas geben. Gerade als Treff für diese Szene soll die Schmitzebud dienen. Lars Witte, Abteilungsleiter Radsport beim VfR Büttgen, kümmert sich für Kirschs Lokal um die passende Social-Media-Arbeit – gemeinsam planen sie auch schon den Einstieg in den organisierten Radsport. Fürs kommende Jahr wollen Witte und Kirsch etwa die NRW-Zeitfahrmeisterschaft zur nahen „Panzerstraße“ in der Wahner Heide holen und die Schmitzebud als Basis nutzen.
Das Team um Holger Kirsch hat nicht nur die Gastronomie wiederbelebt. Es hat auch den Radsport zurückgeholt ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Die Neueröffnung des Traditionsbüdchens feierte das Team am 26. Mai, dem Tag von Rund um Köln. Man sah in der TV-Übertragung, wie sie an der Schmitzebud die letzte Sprintwertung bejubelten, die jedes Jahr hier zur Strecke des Rennens gehört. Vor allem aber enthüllte Kirsch ein Graffiti, das den Radsport auch Passanten vor Augen führt. Zu sehen sind Nils Politt, Marcel Wüst und Rolf Wolfshohl, drei Kölner Radsportgrößen der verschiedenen Generationen. „Als Rolf das gesehen hat, war er schon gerührt“, berichtet Kirsch, der nun auch ein altes Trikot des Kölner Ex-Profis in seiner Bude hängen hat. Dass Köln mal einen Sieger der Vuelta hatte, wer wüsste das heute noch? „Und eben das war auch meine Idee: Den Radsportlegenden dieser Stadt einen Ort zu geben, wo sie noch mal in Erscheinung treten“, sagt Holger Kirsch. Die Schmitzebud ist donnerstags bis sonntags geöffnet, am Wochenende ab 9.30 Uhr für den ersten schwarzen Kaffee. Denn Abfahrt in Richtung Bergisches Land ist, da gibt es keine Diskussion, Schlag 10 Uhr.